Der Streit um die Armut

Eine Skizze der Auseinandersetzungen um die franziskanische Armutsauffassung


Hausarbeit, 2013

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Dimensionen mittelalterlicher Armut
2.1. Die Unterscheidung von freiwilliger und unfreiwilliger Armut

3. Franziskus und sein Ideal der allerhöchsten Armut
3.1. Die Ordensregeln (1209/1223)
3.2. Das Testament des Franziskus (1226)

4. Die ersten Konflikte rund um das franziskanische Armutsideal
4.1. Vom Tod des Franziskus bis zur Abdankung des Johannes Parenti (1232)
4.2. Die Bulle ÄQuo elongati“ (1230)
4.3. Das zweite Generalat des Elias von Cortona (1232 - 1239)
4.4. Die Bulle ÄOrdinem vestrum“ (1245)
4.5. Das Generalat des Johannes von Parma (1247 - 1257)

5. Wahrnehmung und Kritik franziskanischer Armut heute

6. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

ÄSelig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“1 Mit der Verkündigung einer frohen Botschaft an Arme durch das Christentum vollzog sich gegenüber den heidnisch-antiken Vorstellungen eine tiefgreifende Veränderung; die grundsätzlich positive Bewertung der Armut sowie der körperlichen Arbeit.2 Für viele Menschen des Mittelalters war ihr Leben von der Überzeugung geprägt, dass Armut zu denjenigen Geboten gehörte, deren Erfüllung ein gottgefälliges Leben erlaubte.3

Zu der Überzeugung, dass Jesus und seine Jünger rein gar nichts besessen hatten und dass auch er sein Leben in allerhöchster Armut nach der Form des heiligen Evangeliums leben müsse, gelangte vermutlich am St. Mathias Tag 1208 auch der Eremit Franziskus in der Portiuncula-Kirche unweit von Assisi.4 In den Worten Jesu bei der Aussendung der Jünger fand Franziskus die Begründung der absoluten Besitzlosigkeit für sich und jene, die ihm folgen sollten und gelangte so in seinem Armutsideal zu einer nie dagewesenen Radikalität. Die Forderung nach dieser allerhöchsten Armut barg schon zu Lebzeiten des Franziskus enormes Streitpotential in sich und sollte schließlich eine der bedeutendsten Kontroversen innerhalb der Christenheit, den Armutsstreit, entfesseln.

Dass es nach dem Tod des Ordensgründers, der Äin seinem letztwilligen ‚Testament‘ (1226) den Franziskanern noch einmal die Quintessenz seiner Regel vor Augen gestellt [hat]“5, dieses Ideal in seiner Einheit nicht mehr gegeben hat, berührt die Frage, die diese Arbeit zu beantworten versucht, in entscheidender Weise; Die folgenden Ausführungen haben zum Ziel, eine kurze Problemgeschichte rund um den Deutungsinhalt, mit dem dieses Ideal von verschiedenen Seiten innerhalb des Ordens und der Kurie immer wieder ausgestattet wurde, zu skizzieren.

Um dies zu bewerkstelligen, wird diese Arbeit grob in drei Teile gegliedert. Zuerst soll ein kurzer Abriss dessen erfolgen, was im 13. Jahrhundert überhaupt unter dem vielschichtigen Begriff der Armut verstanden wurde, um so den nötigen Kontext für die folgenden Ausführungen bereit zu stellen.

Einen ersten thematischen Schwerpunkt wird sodann die gründliche Auseinandersetzung mit den historischen Quellen der Zeit, allen voran dem Testament des Franziskus (1226) und den beiden Ordensregeln (1209/1223) bilden, bevor mit der päpstlichen Bulle ÄQuo elongati“ (1230) das Bemühen der Kurie um Klärung und Ausgleich näher beleuchtet wird.

Die weitere Gliederung der Arbeit folgt einer chronologischen Darstellung der unterschiedlichen Standpunkte der bedeutendsten Ordensleiter, damit auf diese Weise der Armutsdiskurs innerhalb des Franziskanerordens bis zum Generalat des Bonaventura knapp umrissen werde. So soll letztendlich eine adäquate Antwort auf die zentrale Frage dieser Arbeit formuliert werden: Was wurde von den Nachfolgern des Franziskus unter jenem Ideal der allerhöchsten Armut verstanden und wie wurde es von ihnen gedeutet und gelebt?

2. Dimensionen mittelalterlicher Armut

Der Begriff der Armut war noch nie ein absoluter. Das gilt heute genauso wie für die Mitte des 13. Jahrhunderts. Wenn Uta Lindgren auf ihr Unbehagen bei dem Versuch hinweist, die Armut auf einen Begriff festzulegen, da dessen Substanz historisch stets wandelbar war6, so wird dadurch deutlich, was auch für diese Arbeit unbedingt gelten muss: Eine genaue Definition oder gar abschließende Aussage darüber, was unter Armut zu einem gegebenen Zeitpunkt zu verstehen ist, ist in aller Regel nur sehr schwierig zu treffen oder gänzlich unmöglich.

Lindgren hält außerdem fest, dass ÄArmut materiell weder in Richtung auf den Mangel noch durch Unterscheidung des Besitzers exakt abgrenzbar [ist]“7 und weist damit auf die unzureichende Definition von Armut allein durch die ökonomischen oder materiellen Rahmenbedingungen der Betroffenen hin.

Zu den Dimensionen des mittelalterlichen Armutsbegriffs zählen neben den materiellen auch solche in einem umfassend sozialen Sinn. Sowohl Lindgren als auch O.G. Oexle weisen darauf hin, dass auch Angehörige der Oberschicht in einem solchen als arm gelten konnten und nicht unbedingt vor der Erfahrung der Armut gefeit waren.8 Es kündigt sich also bereits die Erkenntnis an, dass Armut im Mittelalter nicht einfach ein wirtschaftliches Phänomen gewesen war, sondern eines, das ganz verschiedene soziale Gegebenheiten umfasste.9 Im Hinblick auf das franziskanische Armutsideal scheinen besonders zwei dieser Aspekte von Bedeutung zu sein: Zum einen ist dies der Mangel an Wissen und Bildung oder, präziser gesagt, für die Zeit des Mittelalters die Illiteralität einer Person, mit der auch ein Mangel an gesellschaftlicher Bedeutung einherging. Zum anderen ein Zustand, den Oexle als das Fehlen von Äsozialer Stärke“ definiert und den er durch die Abwesenheit von Ansehen und Einfluss, von Rechtspositionen sowie der Sicherheit durch soziale Bindungen und politischer Macht gekennzeichnet sieht.10

Ein entscheidendes Moment im mittelalterlichen Verständnis von Armut, nämlich die grundsätzliche soziale Ungleichheit unter den Ständen, hat Karl Bosl im Gegensatzpaar potens/pauper erkannt und diesen in seinem gleichnamigen Aufsatz ausführlich beschrieben. Auch wenn Historiker wie Oexle die dort gebotene Definition der pauperes als viel zu eng gefasst und folglich sogar als ganz und gar verfehlt11 ansehen, haben die Ausführungen Bosls für diese Arbeit ganz Entscheidendes beizutragen: Die paupertas Christi, also das religiöse Leben in Demut, Armut und Keuschheit zu dem Waldes und Franziskus, die selbst reichen Kaufmannsfamilien entstammten, aufriefen, richtete sich ausschließlich an Angehörige der besitzenden Oberschicht. Das Bekenntnis zur Armut, hält Bosl fest, hat nur für diejenigen einen Sinn, die tatsächlich nicht arm sind.12 Somit weist er mit der Tatsache, dass die hochmittelalterlichen Armutsbewegungen von den Angehörigen der Oberschichten getragen wurden, auf einen entscheidenden Aspekt des mittelalterlichen Armutsbegriffes hin. Da diese Unterscheidung auch zum modernen Verständnis des franziskanischen Selbst- und Armutsverständnisses beiträgt, soll im Folgenden eine kurze Abgrenzung dieser beiden Konzepte von Armut, der freiwilligen und der unfreiwilligen, erfolgen.

2.1.Die Unterscheidung von freiwilliger und unfreiwilliger Armut

ÄDie Armut kann man freiwillig auf sich nehmen, den Reichtum nicht.“13 Mit dieser Feststellung trifft Anette Kehnel das wesentlichste Unterscheidungskriterium zwischen der freiwilligen und der unfreiwilligen Armut präzise. Dem unfreiwillig Armen bietet sich keine Alternative zu seinem Zustand, der freiwillig Arme hat sich bereits aktiv für eine alternative Lebensführung entschieden.14

Diese beiden Formen der Armut unterscheiden sich also grundlegend voneinander, und eben diese Andersheit begründet die Souveränität desjenigen, der in freiwilliger Armut lebt.15 Diese Überlegenheit liegt laut Kehnel in dem vielfältigen Potential, welches sich aus der freiwilligen Armut ableiten lässt: Als Medium des Aufbegehrens, durch ihre Autorität als Mahnerin, ihre Anziehungskraft als spirituelle Leitidee, den großen Erfolg als Erwerbsprinzip, sowie ihre Kreativität als gemeinschafts- und kulturschaffendes Prinzip.16

Die Idee, die freiwillige Armut in Unterscheidung zu ihrer unfreiwillig zu ertragenden Variante zu verstehen, lässt sich vor dem Hintergrund der modernen Forschung wohl trefflich anhand Kehnels Überlegungen illustrieren. Diese weist darauf hin, dass die Bettelorden im Vergleich zu den wirklich Armen jede Menge Spuren hinterlassen haben, während die Traditionen der Armut, ihre Geschichten und Gewohnheiten sich allenfalls in den Reflexionen der nicht-armen Zeitgenossen finden.17

Gleichzeitig soll aber festgehalten werden, dass diese Unterscheidung auch schon im Mittelalter getroffen wurde und sich sogar im zeitgenössischen Kirchenrecht niederschlug. Im Kirchenrecht des Huguccio wird die freiwillig ertragene Armut als Tugend aufgefasst, die unfreiwillige aber wegen des unmäßigen Wunsches nach einer Verbesserung der Lebensumstände in die Nähe der Todsünden gestellt.18 Ganz anderes gilt freilich für die freiwillige Annahme der vita apostolica. Der pauper Christi entscheidet sich freiwillig für ein Leben nach der Form des Heiligen Evangeliums und die Nachfolge Christi. Für ihn sind die sozialen Gegensätze aufgehoben, wenngleich diese Lebensform einen Protest gegen eine reiche und mächtige Kirche darstellte.19 In diesem Sinne war der franziskanische Lebensentwurf beides: einer auf dem Weg christlicher Tugend in der Wahrnehmung der Menschen, aber ein kontroverser und tendenziell gefährlicher angesichts der Amtskirche und des Lebensstils vieler ihrer Würdenträger.

3. Franziskus und sein Ideal der allerhöchsten Armut

An dieser Stelle soll das Armutsideal des Heiligen Franziskus im Lichte der zeitgenössischen Literatur kurz dargestellt werden, ohne jedoch die Erkenntnisse, welche der quellenkritischen Auseinandersetzung mit den Originaltexten entstammen, zu sehr vorweg zu nehmen.

Einen äußerst lebhaften Eindruck von der Armut der Minderbrüder ermöglicht Kajetan Esser, indem er auf die zeitgenössische Schilderung des Jakob von Vitry (entstanden 1219-1221) verweist. Dort heißt es: ÄDiese Armen Christi tragen weder einen Bettelsack unterwegs, noch eine Tasche, noch Geld irgendwelcher Art in ihren Gürteln; sie besitzen nicht Gold und Silber, noch haben sie Schuhe an ihren Füßen […]“.20 Überdies steht in Vitrys ÄHistoria Orientalis“ geschrieben, die Franziskaner verzichteten auf den Besitz von Klöstern und Kirchen, auf Äcker und Weinberge, ja sogar auf Häuser, überhaupt auf alles, auch das Einfachste und sogar solche Dinge, auf die sie ihr Haupt legen könnten.21

[...]


1 Aus dem Evangelium des Matthäus 5,3

2 Vgl. OEXLE, Otto Gerhard, Armut und Armenfürsorge um 1200, in: Sankt Elisabeth. Fürstin -, Dienerin -, Heilige. Aufsätze. Dokumentation. Katalog. [Katalog der Ausstellung zum 750. Todestag der hl. Elisabeth im Landgrafenschloß und in der Elisabethkirche in Marburg vom 19. November 1981 bis zum 6. Januar 1982], Sigmaringen 1981, S. 78

3 Vgl. LINDGREN, Uta, Europas Armut. Probleme, Methoden, Ergebnisse einer Untersuchungsserie, in: Saeculum 28, 1977, S.396

4 Vgl. FELD, Helmut, 2001. Franziskus von Assisi. München: C.H. Beck, S. 27

5 MIETHKE, Jürgen, Der „theoretische rmutsstreit“ im 14. Jahrhundert. Papst und Franziskanerorden im Konflikt um die Armut, in: Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Hrsg. HEINEMANN HeinzDieter u.a., Paderborn 2012, S. 243

6 Vgl. LINDGREN, Uta, Europas Armut (wie Anm. 3), S. 402

7 Ebd.

8 Vgl. LINDGREN, Uta, Europas Armut (wie Anm. 3), S. 402 und OEXLE, Otto Gerhard, Armut und Armenfürsorge um 1200 (wie Anm. 2), S. 79

9 Vgl. OEXLE, Otto Gerhard, Armut und Armenfürsorge um 1200 (wie Anm. 2), S. 82

10 Vgl. ebd.

11 Vgl. ebd.

12 Vgl. BOSL, Karl, Potens und pauper: begriffsgeschichtliche Studien zur gesellschaftlichen Differenzierung im frühen Mittelalter und zum "Pauperismus" des Hochmittelalters, in: Alteuropa und die moderne Gesellschaft: Festschrift für Otto Brunner, hrsg. vom Historischen Seminar der Univ. Hamburg, Göttingen 1963, S. 76

13 KEHNEL, Annette, Der freiwillige Arme ist ein potentiell Reicher. Eine Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Armut, in: In proposito paupertatis. Studien zum Armutsverständnis bei den mittelalterlichen Bettelorden, Hrsg. MELVILLE Gert, KEHNEL Annette, Münster 2001, S. 203

14 Vgl. ebd.

15 Vgl. ebd., S. 204

16 Vgl. ebd.

17 Vgl. ebd., S. 211

18 Vgl. LINDGREN, Uta, Europas Armut (wie Anm. 3), S. 400

19 Vgl. BOSL, Karl, Potens und pauper (wie Anm. 12), S. 75

20 VITRY, Jakob in: ESSER, Kajetan, 1966. Anfänge und ursprüngliche Zielsetzungen des Ordens der Minderbrüder. Leiden: E. J. Brill, S. 248

21 Vgl. Ebd.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Streit um die Armut
Untertitel
Eine Skizze der Auseinandersetzungen um die franziskanische Armutsauffassung
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
24
Katalognummer
V268183
ISBN (eBook)
9783656594673
ISBN (Buch)
9783656594642
Dateigröße
747 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar der Betreuerin: "Die Gliederung und Durchführung überzeugen durch klare Argumentation, souveränen und ausgewogenen Umgang mit Quellen und Sekundärliteratur und durch eine große Übersicht. Nie verliert sich die Darstellung im Detail, sondern folgt dem roten Faden der Fragestellung und führt zu einem klaren Urteil."
Schlagworte
streit, armut, eine, skizze, auseinandersetzungen, armutsauffassung
Arbeit zitieren
Christoph Helberger (Autor:in), 2013, Der Streit um die Armut, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268183

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