Altera Vox - Die andere Stimme. 'The faceless' Medea in Afghanistan

Prä- und Postfigurationen einer Frauenfigur in Khaled Hosseinis "A Thousand Splendid Suns" und Christa Wolfs "Medea. Stimmen" im Vergleich


Tesis de Maestría, 2013

91 Páginas, Calificación: 2.0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Femininer ,Modus‘
2.1 Körper
2.2 Bildung und Identität
2.3 Liebe und Mutterstatus

3... Die Geschlechterproblematik
3.1 Machtmodelle und Machtdynamik
3.2 Gendertravestie mit Maskeneffekt
3.3 Die Femme fatale als Bestie der Rache - oder doch Justitia?

4. Die Schuldproblematik
4.1 Medea (Mariam). Retrospektiven des „Fremden“
4.2 (Medea) Mariam - die Bastardin
4.3 (Medea) Laila - die Hure
4.4 (Medea) Laila - die Verführerin
4.5 Mariam und Medea als Opfer

5... Die Symbolik
5.1 DieKleidersymbolik
5.2 Die Farbsymbolik
5.3 Wasser und Brunnensymbolik
5.4 Namen und Nummern
5.5 Sonne und Mond

6.. Die Grenzproblematik
6.1 Begriffsdefinition der Liminalität
6.2 Raumgrenzen
6.3 Zeitgrenzen
6.4 Medea-Vision
6.5 Passion-Christi-Modell
6.5.1 Die Inkarnation
6.5.2 Der Leidensweg
6.5.3 Kreuzigung mit Auferstehung
6.5.4 Das neue Jerusalem

7... Stil und Sprache
7.1 Christa Wolfs Medea. Stimmen
7.2 Khaled Hosseinis A Thousand Splendid Suns
7.3 Bilder und Erinnerungen

8.. Mythos oder Fiktion - Ent- und Remythologisierung?

9... Resümee

Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Sekundärliteratur:

Internetseiten:

1. Einleitung

„Medea du Schöne dreh dich nicht um [..., sonst] jagen sie dich durch unsere Literatu­ren.“ (Helga M. Novak)1

Zwei Bilder: Medea aus der antiken Mythologie und eine verschleierte Kindfrau in Afghanis­tan. Unterschiedlicher könnten die Kulissen für den Entwurf dieser Arbeit nicht sein, und den­noch treffen sich diese beide Figuren, tauschen sich aus, tauschen permanent Plätze aus und resultieren in einer produktiven Kongruenz, die aus mythologischen und fiktionalen Figuren­interaktion besteht. Der Medea-Mythos kommt in einer Zeitspanne von 2.400 Jahren auf eine stolze Zahl von mehr als 300 Über- und Bearbeitungen2, von Euripides bis in die postmoderne Gegenwart, und hat sich so bis heute nicht nur einen sicheren Rang in der Mythosbearbeitung in den antiken Tragödien, in der Kunst, in Dramenwerken und nicht zuletzt in der Literatur er­rungen, sondern eine enorme Größe gewonnen und ist so zum Mammut-Mythos3geworden, der jede Zeit und jeden Raum zu sprengen droht. Für diesen „Medea-Boom“ ist noch längst kein Ende in Sicht.4Je markanter der Mythos der Medea, desto weniger manifest zeigen sich die Züge einer kleinen Heroine, einer Kindfrau, in der figurenkompositorischen Gegenüber­stellung des komparatistischen literaturwissenschaftlichen Vergleichs. Im Schatten der Medea wirkt alles andere blass, und eine unbedeutende Kindfrau aus Afghanistan kann sich erst recht schwer behaupten.

Medea, die Schrecklich-Schöne5, ist als eine „mythische Figur, die in ihren Anspielungen auf die Gegenwart doch zugleich das Fremde und Unverfügbare des Mythos gegenwärtig hält“6, zugleich „Spielmaterial und Ordnungsmodell“.7Eine fiktionale Figur in einem interkulturel­len Bildungsroman des 21. Jahrhunderts muss dagegen noch in diese Schuhe wachsen. Ge­genstand dieser Arbeit ist es, die Kongruenz und die Ergänzungen anzudeuten, die sich in der Figur Medea der Göttlichen8in Christa Wolfs Medea. Stimmen (1996) gegenüber der Doppel­figur Mariam/Laila in Khaled Hosseinis A Thousand Splendid Suns (2007) auf einer parallel strukturierten Ebene kaleidoskopisch betrachten lassen, wobei sich die Figuren als Doppelfi­guren und „Grenzgängerinnen“9erweisen. Der Verlauf der Hauptfiguren in einer Binärstruk­tur oder einem Dualsystem darf nicht die anderen, kleineren parallel verlaufenden Komposi­tionen wie die Medea/Glauke (MS)10und Mariam/Laila (TSS)11in ihren hybriden Formen des Austausches durch Figurenverschiebung bei Medea/Mariam (von MS zu TSS) und Laila/Me­dea (von TSS zu MS) außer Acht lassen. Rigoros vermeide ich in dieser Arbeit eine Fokussie­rung auf die Figur Medeas als Zauberin und eine Literaturkritik Christa Wolfs aus politischer Sicht wie auch Interpretationen des deutsch-deutschen Verhältnisses. Obwohl diese Teilaspek­te mein Thema in gewisser Weise tangieren, erweisen sie sich aber als nicht ausreichend pro­duktiv für meine Fragestellung der Prä- und Post-Figuration der Frauenfiguren und schlagen somit eine ganz andere Richtung ein, die - in anderen Kontexten - gewiss interessante Per­spektiven eröffnen würden.

Fakt ist: Während in MS ein überragender, immanenter Informationsfluss über eine mytholo­gische ,Medea‘ vorliegt, besteht in TSS keine explizite Erwähnung oder Deutung auf den Na­men ,Medea‘ hin. Die mythologische Substanz, die das nötige Beweismaterial für eine Aus­einandersetzung mit dem Mythos leichter machen würde, ist nicht gegeben. Gerade dieser Herausforderung stelle ich mich und versuche hier, Stück für Stück die „verkannten“12mytho­logischen Muster der Medea von Christa Wolf in der Figur der Mariam/Laila von Khaled Hosseini wiederzuerkennen, zu evaluieren und literarisch-intuitiv in „das unmittelbare Ergeb­nis einer symbiotischen Dualität“13zu entfremden.

Die vorliegende Arbeit soll keine zwanghafte Suche nach dem Mythos, wo keiner ist, darstel­len. Auch die Tatsache, dass die Gegensätzlichkeit der Bilder von Medea (MS) und Mariam (TSS) nicht drastischer sein könnte, stellt eine Herausforderung dar und droht, das Konstrukt dieser Arbeit aufzulösen, ohne dass es bereits feste Züge angenommen hat, weil es augen­scheinlich unmöglich ist, eine solche Äquivalenz zwischen mythischer Komponente und nicht Mythischem, aber Fiktionalem zu etablieren. Ist der Kontrast der Figuren zwischen der bedeu­tenden Medea und der unbedeutenden Mariam zu groß, der Graben zwischen den Kulturen von Korinth und Afghanistan unter den realen Umständen zu tief? Gerade das fordert mich heraus. Die literaturwissenschaftlichen Prä- und Post-Figurationen14der Figuren der beiden Werke, die pars pro toto stehen, in engem Zusammenhang mit dem kulturellen Bereich evo­ziert die transzendentale Figuration von ethnologischen, soziokulturellen, anthropologischen und morphologischen Strukturen in die mythologische, ästhetische Struktur und macht aus multiplen und doppelten literarisch-mythischen Figuren eine transparente und ,glatte‘, einzige feminine Figur. Ich verleihe hier den Begriffen interkulturell und transzendental eine enor­me Bedeutung. Dort, wo Kulturen nicht miteinander kommunizieren können, kommt Literatur mit ihren Figurenkonstitutionen intertextuell vertretend zur Hilfe. Sie ebnet in vieler Hinsicht den Graben der tiefen Unterschiede und baut hybride Brücken, die von beiden Seiten, hier dem Orient und dem Okzident, wie ein Pfeil aufeinanderzuschießen und sich transzendental im Zentrum des Mythos treffen und so im kommunikativen Grundmuster literarisch-humanis­tisch auf Erfolgskurs liegen.

Um die Plastizität des femininen Modus zu verdeutlichen, fasse ich in Kapitel 2 die Ambiva­lenz der Hauptfiguren Medea und Mariam ins Auge. Der feminine Modus wird untersuchend definiert, indem ich mir die Teilaspekte Körper, Bildung und Identität thematisch vornehme und die daraus resultierenden Weiblichkeitskonzepte darstelle. Eine mögliche Überleitung des Femininen in den Mutterstatus rundet das Kapitel ab.

Um die Polarität zwischen Staat und Familie, Patriarchat und Matriarchat, vor allem aber die Kongruenz zwischen femininem und maskulinem Modus in TSS aus der Deutungsmatrix der Perspektive Medeas in MS zu betrachten, analysiere ich in Kapitel 3 die Geschlechterproble­matik. Unter den Aspekten der Geschlechterrollen und Differenzen in einer bestimmten Kul­tur und einem bestimmten sozialen Umfeld werden die Polarisierungen zwischen Patriarchat und Matriarchat unter dem Einfluss von Religion untersucht und tief in der Religion gegrün­dete Sitten und Bräuche in der traditionellen Kultur recherchiert. Welche Rolle spielen der fe­minine und maskuline Modus in Idealvorstellungen und in der Wirklichkeit? Welche ma- tri-patriarchalen Ideale vertreten wir und zu welchem Zweck? Welche Veränderungen führen auf die Geschlechterdebatte zurück? Das potenzielle Ausmaß der Fragen fuhrt zu einer kon­gruenten Fusion der literaturwissenschaftlichen und theoretischen Ansätze. Die Analyse geht von der Polarisierung der Geschlechterdifferenzen zu den Machtmodellen und der Machtdy­namik über. Der Begriff ,Gender‘ an sich kann aus vielen Perspektiven - kulturellen, sozio- kulturellen, semantisch-strukturellen, gewaltdominanten, hetero-transsexuellen - betrachtet werden. Ich werde Gender aus der Perspektive der Polarisierung der Geschlechterdifferenz in TSS betrachten, also ein orientalisch-afghanisches ,Gender‘ als geschlossenes15Geschlechter­modell und dessen Kontrastierung in Christa Wolfs Medea. Stimmen als einem westlich orien­tierten ,offenen‘ Gendermodell. Zugleich werde ich versuchen, aus beiden eine produktive Homogenität zu entwickeln. Dabei wird die Geschlechtermodelldifferenz durch die Untersu­chung des matri-patriarchalen Aspekts und auch der auftretenden Störungen innerhalb der Ge­schlechterordnung aufgezeigt, die sich in einer Gendertravestie mit Maskeneffekt, Verläu­fen in die Femme fatale als feminine Bestie oder doch vielleicht als eine feminine Justitia dar­stellen.

Die Schuldproblematik wird in Kapitel 4 aufgegriffen. Die Retrospektiven der figurativen Fremden und Bastardin werden verdeutlicht und ihre Prämissen für den Opferstatus und die Opferfunktion, die anhand der Symbolik in Kapitel 5 ihren Widerhall finden, beleuchtet. Prio­rität verleihe ich hier den Faktoren Kleider-/Farbsymbolik sowie Sonne und Mond und der Verschmelzung der Figuren zu identischen femininen Symbolen der Geschlechterdefinition. Aus der Perspektive der räumlichen und der zeitlichen Grenze wird eine zentrale Wendung von der Medea-Vision mit Offenbarung zu einem femininen Passion-Christi-Modell in Kapi­tel 6 vollzogen. Hier katapultiert sich die Frauenfigur in eine autonome Tangente der Tran­szendenz und Transparenz, die stellvertretend für die anderen Figuren nicht nur ihre Ge­schlechterordnung, sondern auch die feminine Weltordnung stabilisiert.

Stil und Sprache der beiden Werke werden in Kapitel 7 an konkreten Beispielen in MS und TSS im Wechselspiel untersucht. Die Mythenadaption von Christa Wolf in Medea. Stimmen wird als Fortsetzung des Kassandra-Mythos verstanden16; dennoch steht Medea. Stimmen für sich als Werk alleine und kann als solches mythologisch perzipiert werden. Stilistisch haben wir hier eine ,Altera Vox‘, in der der Kosmos des Sprechens, Artikulierens und Erzählens auf­scheint. Dies zeigt sich nicht nur an der Erzählsituation, sondern in der Handschrift der Auto­rin, der Gestik und Mimik der Figuren, dem textuellen Wirken und Bewirken, den geschaffe­nen Modellen der symbolischen Stil-Struktur unter Berücksichtigung der reflexive Autonomie des Textes und der Handlung. Mit dem Medium des literarischen Textes als Grundlage wird der Hauptaspekt der Figurenbetrachtung in Stil und Sprache durch den Bildcharakter der fe­mininen Figur und durch deren aufklärerischen kathartischen Einfluss auf die Leser prä-17und postfiguriert18.

Die Aufhebung der resignativen Resonanz in Medea. Stimmen durch das Ende in A Thousand Splendid Suns wird aus der Perspektive des embryonalen Effekts der mythologischen Figur Medea, die den Mythos, bereit zur Wiedergeburt, in einen mythopoetischen Nikodemus-Ef­fekt überleitet, in Kapitel 8 erörtert. Dies erfolgt dabei im Rahmen des Versuchs, mittels einer Re- und Entmythologisierung beide Werke, MS und TSS, resonant zu erschließen. Es sind weniger die inhaltlichen Untersuchungen, sondern der Diskurs der Parallele der Figuren auf der Grundlage mythentheoretischer Darstellungen der femininen, durch Medea prädisponier­ten Figur unter Berücksichtigung der beiden Werke, der es durch die mythologische Konzepti­on und die mythologische(n) Figur(en) ermöglicht, aus der komparatistischen Betrachtungs­weise dem Nichtmythologischen - sprich Fiktionalen - ein Stück näher zu kommen. Aus lite­raturwissenschaftlicher und mythologischer Sicht bedeutet dies: „Es wäre ein überzogener Anspruch, diese Lücke schließen zu wollen; dennoch ist es mein Ziel, sie etwas zu verklei­nern“19

Ein letztes, präzises und fundiertes Resümee wird rückblickend die Perspektiven zur mögli­chen öffentlichen Diskussion informativ darlegen. Leitlinie der Untersuchung ist eine tran­szendentale, transformative, moderne Umdeutung unter mythologiekritischer und literarischer Reflexion zweier Werke mit Betonung der Intertextualität und Interkulturalität. Es geht um den Medea-Mythos und seine intertextuellen und interkulturellen Spielarten in neuzeitlichen bzw. zeitgenössischen literarischen Texten, hier am Beispiel von MS zu TSS. Inwieweit die Forschungsfrage, die diese Arbeit stellt, in erster Instanz eine adäquate Antwort bekommen hat, entscheidet, ob die Probleme, die aus literarischen Normen und Argumentationsweisen resultieren, aus der Sicht der Prä- und Postfiguration der Figuren die Kluft zwischen Allge­meinem und Besonderem durch Exposition und Transition überwindet und zu den notwendi­gen Überlegungen geführt hat, in denen die Kohärenz des Mythos (MS) mit der Kohärenz ei­nes fiktionalen Textes (TSS) hergestellt wurde. Dann gelingt es, den Figurenkontrast zwi­schen einer westlichen, offenen, starken Frau (Medea) in Medea. Stimmen und einer östlich­geschlossenen, unterdrückten Frau (Mariam) in A Thousand Splendid Suns durch den Versuch herauszuarbeiten, ihn deutlich zu machen, dem erzeugten mythologischen Code gerecht zu werden, ohne den Inhalt (Text) und die Bedeutung (Bedeutungsgehalt) zu vernachlässigen

oder gar zu verfehlen. Die Absicht dieser Arbeit ist, die vergessene orientalische mythologi­sche feminine Figur der Göttin durch die Bilder und Symbole in der modernen Literatur em­porzuheben, vom Patriarchalischen zu befreien und (wieder) ins Spiel zu bringen. Hier helfen die zentralen Fragen: Inwiefern konstituiert sich Mariam/Laila als ,Spokeswoman‘ durch Me­dea? Inwiefern kleidet der Mythos die Literatur metaphorisch ein? Inwiefern dekompensiert Literatur eloquent das Leitbild der Medea-Ikone und stabilisiert einen neuen Mythos der Ma- riam-Ikone in Ausgleich und Gegenüberstellung? Eigene Deutung und Interpretation zielen nicht darauf ab, hier die jahrhundertealte mythologische Geschichte von Medea nochmals zu untersuchen, sondern nur, den Aspekt der abendländischen Frauenfigur der Medea in eine Ge­genüberstellung mit einer orientalisch motivierten femininen Figur, evtl. mit Schönheitsfeh­lern, zu untersuchen und transparent zu machen. So ist es eher der Versuch einer zeitgenössi­schen moralisch-topographischen Erklärung, den Mythos aus einem anderen Blickwinkel zu erläutern. Anders gesagt, es soll die Mythologie durch die Lupe der Literatur auf die Gegen­wart bezogen und entsprechend erörtert werden, wobei auf das Thema des femininen Emanzi­pationsprozesses, der noch längst nicht abgeschlossen ist, Bezug genommen wird. Es geht in der vorliegenden Arbeit insofern darum, Figuren aus der Nähe zu konstituieren, Berührungs­punkte der Bilder festzustellen - was feminine Intimität erzeugt - und Kontraste herauszuar­beiten, um deren funktionale Auslegung und Inszenierung zugunsten des ,verkannten‘ Femi­ninen darzulegen und somit eine neue Bewertung des gesamten femininen Modus anzustoßen.

2. Femininer ,Modust

„Qui peut définir les femmes?“20

Mit Blick auf den femininen ,Modus‘, einem Sphinxrätsel gleich, wird hier der Gegenstand an sich sowie die Art und Weise des femininen Seins betrachtet, und zwar unter den Aspekten Körper, Bildung und feminine Liebe, die auch den Mutterstatus umfasst.

If there is something right in Beauvoir’s claim that one is not born, but rather becomes a woman, it follows that woman itself is a term in process, a becoming, a constructing that cannot rightfully be said to ordinate or to end.21

Das Problem, das Feminine endgültig und mit ausreichender Klarheit zu definieren, bestand schon immer und in vielen Bereichen, so etwa in der Philosophie, der Soziologie, im sozio- kulturellen Bereich, in der (den) Theologie(n), der Psychologie etc. - und nicht zuletzt in der Literaturwissenschaft. Explizit erwähnt sei hier die Herangehensweise an den femininen Mo­dus, wie er im Duden und im Metzler Literaturlexikon erfolgt. Anspruch der vorliegenden Ar­beit ist es, den literaturwissenschaftlichen Aspekt dieses Phänomens mittels einer Textanalyse der literarischen Bilder Medeas in Medea. Stimmen von Christa Wolf und Mariams in A thou­sand Splendid Suns von Khaled Hosseini zu evaluieren. Damit wird der feminine Aspekt der abendländischen demjenigen der morgenländischen Kultur gegenübergestellt. Die Untersu­chung kann und will diese Frage nicht umfassend und erschöpfend abhandeln. Vielmehr geht es darum, den Entwicklungsprozess der Figuren in wenigen Schritten aufzuzeigen, wobei auf die literaturwissenschaftlichen Theorien in den jeweiligen Kulturen bzw. Epochen zurückge­griffen wird. Insofern kommt der Arbeit eine gewisse Orientierungsfunktion zu.

2.1 Körper

Judith Butler hat eine „Ontologie des Körpers“22entworfen. Im Allgemeinen spricht man von einem dualen Muster, dessen Bestandteile sich auf den Körper beziehen: Leben und Sterben, Essen und Schlafen, Schmerz und Freude, Krankheit und Leid.23Ich werde im Folgenden nur auf ein paar bedeutende Aspekte eingehen, die für die vorliegende Untersuchung eine gewisse Relevanz haben, um zu sehen, wie in dieser Hinsicht die Hauptfiguren Medea und Mariam in den beiden Werke korrespondieren. Es geht um Aspekte des Körperlichen als Morphe und da­bei um Unterscheidungen wie ,Gesicht - gesichtslos‘, ,Fuß - fußlos‘ oder um den Schleier. Während Medea als anmutig (MS 25) und gleichgültig (MS 24), mit brauner Haut und Woll- haar (MS 17), als anders, kühn, selbstbewusst (MS 47 und 154), reizvoll und wild (MS 57) er­scheint, wirkt bei Mariam in TSS das Körperliche eher als unbedeutend, zumindest wenig an­ziehend: archless, unshapely eyebrowns, the flat hair, the eyes, mirthles green and set so closely to­gether that one might mistake her for being cross-eyed; [...t]he overall impression was of a long face, a triangular face, a bit houndlike; [...] not pretty (TSS 53).

Sie ist beinahe nicht bemerkbar in ihre körperlichen Erscheinung, nahezu deformiert - was teilweise einen körperlosen Status des von ihr präsentierten Femininen annimmt. Diese Defor­mation bewirkt ein Negierung des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle, sodass ihre de­formierte „Seele [...] [zum] Gefängnis des Körpers“24wird. Gemeinsames Merkmal von Me­dea und Mariam sindjedoch die Augen, nicht in ihrer Form, sondern hinsichtlich der Farbe: beide haben grüne Augen. Allerdings fehlt Mariam der „Goldfunken in der grünen Iris“, der sich bei Medea findet (MS 111). Was Schönheit betrifft, hat Medea die Messlatte für Mariam sehr hoch gesetzt.

Medea äußert frei die Affekte des Körpers - Freude, Lust, Zorn, Leid, Hoffnung25-, die But­ler unter dem Begriff „bodily expression“26zusammenfasst. Demgegenüber hat Mariam in dieser Hinsicht kein einprägsames Erkennungsmuster. Sie erscheint eher wie ein lebendes Ge­spenst mit ihren Bewegungen und der Burka, die sie von Kopf bis Fuß verhüllt und damit auch ihre Emotionen, ihre Freude und ihr Leid versteckt. In TSS bewundert Mariam die Kör­per anderer Frauen (TSS 69), die sie bei einem der wenigen Male, die sie sich in der Stadt Ka­bul außerhalb des Hauses aufhält, sieht. Besonders erstaunt sie, dass andere Frauen ihre nack­ten Füße zeigen, was als ein deutliches Zeichen der Selbstbestimmung und Emanzipation der Frauen vor der Herrschaft der Taliban zu sehen ist. Insgesamt ist Medea Mariam im Hinblick auf körperliche Attribute, aber auch emotional überlegen. Dies ändert sich dann aber am Ende von MS Nach der Katastrophe der Katastrophen, der Ermordung der Kinder Medeas im Hera- Tempel durch die Korinther, bekommen wir einen Eindruck von ihrer zunehmenden Verwahr­losung: „Die gnadenlose Sonne im Sommer, die Kälte im Winter. Die Nahrung aus Flechten, Käfern, kleinem Getier, Ameisen“ (MS 223) lassen erahnen, dass unter solchen Umständen Medea einen Schritt zurück von der Zivilisation in die Wildnis macht. Dies kann als klare Ne­gierung des Körpers bzw. des Körperlichen gedeutet werden.

[...] keine Spur von Hoffnung, keine Spur von Furcht an mir. Nichts nichts. Die Liebe ist zerschlagen, auch der Schmerz hört auf. Ich bin frei. Wunschlos horch ich auf die Leere, die mich ganz erfüllt (MS 223).

Medeas Worte zeigen sie nunmehr als emotional stumpf und „verwildert“ (MS 224) in Körper und Geist. Dieses Bild von ihr am Ende von MS ist ungewohnt und damit schockierend. In ei­nem ganz anderen Stil als sonst endet Medea, die Halbgöttliche, bei Christa Wolf - auch an­ders, als wir es sonst von ihrem Ur-Mythos gewohnt sind, und ganz anders auch als ihr promi­nenter Anfang in MS. Medea hat der dauerhaften Verfolgung der Korinther nicht standgehal­ten. Damit macht Christa Wolf einerseits ihre Medea menschlich - sie zeigt sie mit gebroche­nen Zügen und Emotionen. Andererseits aber kann die Figur der Medea auch in ihrem femini­nen Modus des Körpers, des Erscheinens und Existierens kein Muster finden, in das sie hin­einpasst, weil sie dem Mythos entspringt und entsprechend ein sich ständig verändernder Teil des Prozesses ist.

Das Bild des Schleiers, das unmittelbar an den Körper anknüpft, verweist bei Medea auf einen ästhetischen Aspekt (MS 73), aber auch auf den Status einer verheirateten Frau im anti­ken Griechenland.27In TSS hat der Schleier hingegen eher einen anonymiesierenden Charak­ter, was positiv oder auch negativ gedeutet werden kann. Positiv insofern, wenn die verschlei­erte Frau für alle anderen unterdrückten Frauen steht; hier spielt der Begriff des Revolutio­nären hinein. Negativ ist diese Anonymität, wenn die verschleierte Frau keine Stimme hat, nicht einmal für sich selbst sprechen darf. In diesem Fall erscheint der Schleier als Gebot des Schweigens und der Unterordnung - einer Unterordnung, die ihre Wurzeln in den Schriften des Monotheismus hat, so im Koran und im Neuen Testament28, und die im Laufe der übereif­rigen Bibel- bzw. Koran-Exegesen verstärkt wurde. „So waren Schleier und Vorhang zunächst ein Symbol für Ehre und Ansehen“.29Durch den Ganzkörperschleier in Form der Burka ent­steht dann aber für den femininen Modus der Eindruck einer femininen Gesichts- und Kör- perlosigkeit:

Die Burka verhindertejede Möglichkeit eines individuellen Ausdrucks, des Spiels, der Augen und der Mimik. Sie bewegten sich lautlos und unauffällig; tief verschleiert, wirkten sie unnah bar und gesichtslos.30

Gesichtslosigkeit beinhaltet hier literarisch eine Art Anonymität, die gerade auch dann zum Tragen kommt, wenn Frauen gemeinsam für ihr Recht eintreten. Ob Schleier oder radikaler die Burka, beides geht auf Kosten der Frau. Ästhetisch lässt sich die Verschleierung vielleicht noch akzeptieren, als Form der Unterdrückung ist sie hingegen selbst infrage zu stellen. Festzuhalten gilt, dass Teile des Körpers sich zu einem Ganzen konstituieren und dort, wo De­fizite entstehen, sich aufheben. Die beiden literarischen Figuren lassen sich so grundlegend unterscheiden:

MS: Medea - Ikone ^ TSS: Mariam - Bastardin Gesicht ^ gesichtlos barfuß ^ fußlos unverschleiert ^ der ganze Körper verschleiert Der feminine Modus erhält in MS in der Figur der Medea Legitimität und Komplexität. In TSS erkennen wir hingegen bei Mariam Schutzlosigkeit, Verletzlichkeit und Abhängigkeit.31Der Körper und seine einzelnen Teile erzeugen ein Bild. Hier können wir erkennen, dass „images produce meaning“32, wodurch wiederum das Biologische, Genetische (als Frau gebo­ren zu sein) soziokulturell tradiert wird und eine bestimmte, deformierte Struktur erhält. Prak­tisch aber kann das feminine Bild nicht ohne den literarischen Text gelesen werden und der li­terarische Text nicht ohne den Kontext, sei er theologisch, anthropologisch, soziokulturell und mythologisch. Insofern darf in Bezug auf den femininen Körper die kulturelle ,Übersetzung‘ in TSS nicht außer Acht gelassen werden.

Das feminine Bild des Körpers als Ganzes ist im Hinblick auf Medea in MS dominant, es eig­net sich aber auch für das expressiv Dramatische33in TSS. Weiter unten wird in Kapitel 5 noch näher auf die Symbolik sowie den Stil und die Sprache (Kapitel 7) in dualen ikonogra- phischen Evaluierungen und Transformierungen des femininen Modus einzugehen sein, wo­bei die Medea-Vision zunehmend ins Zentrum rückt und ihren Höhepunkt in einem femininen Modell der Passion Jesu Christi findet.

2.2 Bildung und Identität

Kant wusste es auf den Punkt zu bringen: „Der Mensch wird erst Mensch durch Erziehung“.34Man kann nicht viel über Medeas scholastischen Werdegang in MS berichten. Über ihre Er­ziehung lassen sich allenfalls Mutmaßungen anstellen. Sie ist die Königstochter in Kolchis, und als solcher mangelte es ihr garantiert nicht an Zugang zu Wissen; gewiss hatte sie die Möglichkeit, ungehindert Wissen aufzunehmen35. Medea weist dabei allerdings ein Wissen auf, in dem nicht nur Erziehung und Bildung zum Ausdruck kommen, sondern auch eine ganz eigene Mischung aus Intelligenz und Anmut - Medea ist klug und schön zugleich, was Jason gerade so an ihr verehrt. Nicht nur ihre Zauberkünste, die sie zur Heilung nutzt und in den Dienst der anderen stellt, zählen zu ihrer Begabung; auch sonst ist Medea Jason und den ande­ren einen Schritt voraus und weiß stets einen Ausweg. Noch wichtiger und ein gerade sie aus­zeichnendes Merkmal ist es, dass sie nicht nur über ein umfangreiches Wissen und einen aus­geprägten Intellekt verfügt, sondern zudem unabhängig handelt, selbstbewusst auftritt, mit ei­nem Wort: autonom ist. Keiner kann Medea vorgeben und befehlen, was sie tun und lassen soll. Darauf muss hier nicht näher eingegangen werden, da Medea als Figur der Mythologie entsprang, vorliegend die Bildung und Erziehung der Mariam/Laila in TSS aber von weit grö­ßerer Relevanz ist. In erheblichem Maße defizitär, stellt sie hier ein beinahe unüberbrückbares Hindernis dar.

Im Islam war bis zum 11. Jahrhundert die Einstellung gegenüber den Frauen weit weniger ri­gide als danach. Dies bedeutete im Hinblick auf Bildung einen freien und gleichberechtigten Zugang wie die Männer.36Bei Mariam, im 21. Jahrhundert hingegen, haben wir ganz im Sin­ne Rousseaus in Emile das Gegenteil eines solchen freien Zugangs.37Zum einen erweisen sich Mariams fehlende elterliche Identifikationsmuster als Hindernis, sind diese doch negativ be­setzt: der Vater, insofern er sich als Feigling erweist, hat er doch Angst, sein Gesicht zu verlie­ren, wenn er öffentlich Mariam als Tochter akzeptiert; die Mutter, weil sie als Versagerin er­scheint, die, alleinerziehend, nicht mit sich selbst zurechtgekommen ist. Zum anderen wird aber auch nicht die Identität durch Vergesellschaftung erzeugt,38fehlt doch die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, und besteht doch später durch die völlige Isolation infolge der er­zwungenen Verheiratung als Minderjährige mit dem älteren Raschid kaum Kontakt zur Au­ßenwelt.

Hinzu kommt noch, was ich hier als Youth-Deficiency-Syndrom39bezeichnen möchte. Der Übergang vom Kind zur Frau durch Mariams Heirat mit 14 hinterlässt eine Leerstelle im Hin­blick auf ihre Jugend. Der Initiationsritus von Mariam ist unterbrochen. Nach Jungs Definiti­on gewinnt jene „Initiation in die äußere Wirklichkeit“40enorm an Bedeutung, die in der ers­ten Lebenshälfte anfängt und in der Jugend ihren Höhepunkt hat. Sie aber erweist sich bei der Bildung der femininen „Persona“41Mariams als negativ, insofern sie, da sie normalerweise auch als Kompromiss zwischen Individuum und Sozietät ausgebildet wird42, verweigert wird. Anders gesagt bedeutet dies, dass es an der Möglichkeit einer Orientierung Mariams an der Mutter fehlt. Diese scheiternde Identitätsbildung sowohl nach außen43als auch nach innen führt zu einer Spaltung der Identität als einzig verbleibendem Ausweg für Mariam. Das Feh­len von Bildung und Intellekt und diese Identitätsspaltung enden in den animalischen Instink­ten, die Mariam zur Mörderin machen, und darin, dass sie dem Leben entsagt - eine prägnan­te negative Parallelstruktur zur Medea in MS und zur Laila in TSS.

Die Letztgenannte dieser femininen Figuren würde hingegen perfekt zu einem Bildungsroman passen. Lailas44Bildung und Identitätsbildung vervollständigt sich trotz der kurzen Unterbre­chung der unter Zwang zustande gekommenen Zweckheirat mit Raschid, in der ihre innere und äußere Geschichte eine Stagnation erlebte, später wie von selbst. Nach dem Mord an Ra­schid durch Mariam ist Laila wieder frei und steht vor neuen Entscheidungen45. Auch dass Mariam freiwillig den Tod auf sich nimmt, beendet hier deren Bildungsgeschichte, ermöglicht aber gleichzeitig den freien Weg der Bildungsgeschichte für die Parallelfigur, die Siegerin Laila. Während die feminine Figur Medea als mythologische, göttliche Figur die Bildungs­struktur und Bildungsgeschichte durch Unbeständigkeit und dauerhafte Veränderbarkeit und den Rahmen der Identitätsbildung im Zuge der Bildung bedingungslos undjederzeit sprengt, vervollständigt und stabilisiert Laila als fiktionale Figur ganz im Stil eines Bildungsromans dieses Bildungsprogramm des femininen Modus.

2.3 Liebe und Mutterstatus

„L’esprit n’a pas de sexe.“ (Poulain de la Barre 1753)46 Welch prächtiges Bild von Romanze versus Intrige, Begehren versus Verneinung und Liebe versus Hass präsentiert sich hier als duale Struktur in der Figur Medeas in MS. Als ästhetisch feminin ist sie eingebettet in die Ambiguität des ewigen, aber unbeständigen Mythos. Dage­gen wird das Thema der Liebe bzw. Leidenschaft in TSS eher kleingeschrieben. Raschid ver­gnügt sich heimlich mit verbotenen westlichen Pornoheftchen, während Mariam als körperlos erscheint und so kaum Möglichkeiten hat, sich als feminine Figur in ihrer Erotik zu entfalten. Laila ist 14, als sie sich in ihren Kindheitsfreund Tarik verliebt. Zu jung, um sich ihrer ersten sinnlich-körperlichen Erfahrungen mit Tarik bewusst zu sein, erleben auch diese beiden durch den Krieg - und die Emigration von Tarik in das benachbarte Land Pakistan - sowie durch die

Zwangsheirat mit Raschid eine Stagnation, und ihrer Liebesromanze wird der Boden unter den Füßen gewaltsam weggezogen. In TSS gibt es keinen Raum für Vergnügen und Lust, viel­mehr gewinnt der Dualismus von Leid und Verdrängung die Oberhand.

Szenenwechsel: Wie durch die Hilfe einer Göttin verfällt Jason Medeas Charisma und ihrer königlichen Femininität. Das Märchen von Tausend und einer Nacht dagegen ist für Mariam verzerrt bis ins Unkenntliche und wird nie wahr. Niemand wirbt um sie, sie wird nicht geliebt und sie wird nicht lieben können. Wie ein Überrest wird sie von ihrem Vater Jalil mit 15 an den 30 Jahre älteren Raschid als Minderjährige verschenkt. Hier scheint die bis heute aktuelle Problematik der Verheiratung minderjähriger Mädchen in Afghanistan nochmals auf.

Medea, die Geliebte, die selbst bestimmt, ob sie Jason kennenlernen will oder nicht, dominiert mit ihren an Superlative grenzenden Attributen den Status des Femininen auch hinsichtlich der Liebe. Medea ist in MS antik-mythologisch auch eine Gyne, der es ganz im klassischen Sinne darum geht, die Generationen fortzusetzen47. Als Mutter von Zwillingssöhnen ent­spricht sie darüber hinaus instinktiv auch der mütterlichen Ratgebenden, die nicht nur für sich, sondern auch anderen Rat weiß. Hierzu zählen ihre Schülerin Agameda und indirekt die Kö­nigstochter Glauke. Teilweise bemuttert Medea ihren Gatten Jason, als sein heldenhafter Ruhm verfliegt. Sie ist als Geliebte und Mutterfigur in Christa Wolfs MS geradezu vollkom­men, sie wirkt wie eine Madonna und ein Schutzengel in einer Person.

Wie kleinlaut muss sich demgegenüber Mariam mit der für sie arrangierten Zwangsheirat als Minderjährige abfinden, wie zerschlagen sich ihre Hoffnungen, als sie in dieser ungewollten Ehe sieben Fehlgeburten durchlebt. Dabei gilt: „Kaum ein Thema ist mit so vielen Ängsten, Vorurteilen und Klischees belastet wie das der Stellung der Frau im Islam“.48Frauen gelten als „biologisch krank“49, und Sexualität als Vergnügen ist den Männern reserviert, während sie für die Frauen eher als eine wichtige Funktion erscheint, die sie zu erfüllen haben.50Unter solchen Voraussetzungen kann es für Mariam nicht zu einer Verwirklichung der Femininität nach dem Muster kommen, wie es Medea in MS in der für sie spezifischen Mischung aus Lüsternheit und Kalkül vorgibt. Erst Mariams Rivalin Laila bringt neben einer Jugend von 15 Jahren entsprechende Schönheit und schulische Bildung sowie eine gerechte elterliche Erzie­hung mit. Indem sie zudem Mutter wird, vervollständigt Laila Mariam und verschafft beiden einen dualen Mutter-Status. Laila lässt ihre beiden Kinder von Mariam wie eine Mutter erzie­hen, und am Ende wird Mariam zu Lailas Vorbild und nimmt den Mutterstatus schlechthin an.

Dadurch wird die eruptive, rahmensprengende Bewunderung Medeas ins Reale überführt und destabilisiert, während die rudimentäre „formlose Weiblichkeit“51Mariams durch Laila kom­pensiert wird, die ikonisch gesehen eine Mariam-Mutter-Madonna repräsentiert. Wenn der „Glaube als [...] [das] Prinzip des Seins“52bestimmt wird, werden die verzerrten femininen Bilder durch mythologische Vorbilder (Medea) einerseits und durch religiöse Ikonographien andererseits zum Zweck der Vervollständigung umgeformt, um verletzbare, schwache und de­formierte feminine Strukturen aufzuheben.

Bei Medea zeigt sich anhand der Beziehung zu ihre Mutter Idya ein Muster, wie das feminine Muttermodell versagt, indem sie zusammen keine matriarchale Ordnung in Kolchis erhalten können. Auch die anderen Mutterversuche von Medea anhand von Agameda und Glauke ge­lingen nicht und bieten nur eine schlechte Prognose. Glauke verschließt sich trotz Medeas Versuchen, sie im Sinne einer Psychotherapie an sich zu binden, und Agamedas Hass gegen Medea macht sie zu eine Figur der femininen Erzfeindin. Ihre eigenen Kinder verliert Medea schließlich durch die Hand der Korinther. So losgelöst von der tellurischen Mutter­Ebene, kann Medea in die Femininität einer mythischen Kinderlosigkeit zurückkehren. Medea erfüllt somit die Spaltung des Mutterbildes in Weiblichkeit und Mütterlichkeit.53Insgesamt, so zeigt sich hier, strahlt das Bild des Femininen in den oben genannten Aspekten des Körpers, der Bildung und des Mutterstatus etwas Bestimmtes aus; aus ihm entwickeln sich Fähigkeiten der Versöhnung zwischen der wohlbekannten femininen Medea und der un­bekannten, formlosen Mariam/Laila. Dort, wo das mythologisch-feminine Bild Medeas sich ins Göttliche rettet, entsteht der realistische Kontrast zu Mariam/Laila. Zu einem gewissen Grade wird dadurch die verlorene Macht des femininen Modus zurückgewonnen.

3. Die Geschlechterproblematik

„Gender is not a statistic definition, but rather a social phenomenon that is always ‘in pro­duction’ and ‘dynamic’ in a given culture“.54

Der feminine Modus, wie er im vorangehenden Kapitel diskutiert wurde, braucht die Gender- konfiguration als Projektionsfläche, um sich zu etablieren. Christa Wolf beschreibt in MS das antike Patriarchat im alten Korinth ganz nach dem Schema des Euripides, während wir in Khaled Hosseinis TSS das islamische Patriarchat von den 1960er-Jahren bis in die heutige Zeit in Afghanistan finden. Im Hintergrund sind in der Figur der Medea Überreste eines prä­historischen Matriarchats in Form von mythologischen Fragmenten zu erkennen. Bezogen auf die heutige Zeit suchen sie das Gesamtbild der Femininität zu vervollständigen. Dabei verleiht gerade die Tatsache, dass es weltweit 1,3 Milliarden55Muslime gibt und, bezogen auf unser Beispiel, die Machtstrukturen in Afghanistan sich im Übergangsstadium befinden, der Frage der Femininität im orientalischen Patriarchat und dessen Machtdynamik große Aktualität. Je­doch ist erneut darauf hinzuweisen, dass es in der vorliegenden Arbeit nicht darum geht, die­ses Phänomen im soziokulturellen Sinn zu ,entschlüsseln‘, sondern dass die Patriarchatsde­batte aus literaturtheoretischer Sicht untersucht wird. Die Hauptfiguren Medea in MS und Ma­riam in TSS und damit die Autoren beider Werke selbst schlagen diesen Weg ein, ob bewusst oder unbewusst.

3.1 Machtmodelle und Machtdynamik

Während das Matriarchat zur Egalität tendiert, zeichnet sich das Patriarchat durch eine deut­lich hierarchisch geprägte Ordnung aus, die im Hinblick auf das Geschlecht die Frau dem Mann unterordnet. Diese Ordnung der Ungleichheit herrschte so auch im antiken Korinth. Die Figur der Medea in MS verstößt gegen die sich daraus ergebenden Normen des Patriarchats, und auch in ihrem eigenen Land Kolchis gibt es Anzeichen eines gestörten Gleichgewichts zwischen den Geschlechtern, gegen das sie sich auch hier zur Wehr setzt. Sie flieht aus Kol­chis und verlässt Land und Familie, weil sie etwas Störendes hinter der vorgeblich harmoni­schen Atmosphäre am Königshof wahrnimmt: Aietes hat seinen Sohn Absyrtos, nachdem die­ser zum Schein einen Tag die Regentschaft innehatte, hinterhältig durch die wilden Weiber er­morden lassen. Damit wollte er vermeiden, dass ein kleiner Junge und mit diesem ein matriar- chales, feminines Bündnis in Form von Idya und Medea ihm den Thron streitig machen könn­te. In Medeas Monolog über den Brudermord wirft Christa Wolf die Frage auf: ,,[...] und ich dachte, wie uralt dieses Opfer der Söhne durch die Väter ist, die nicht abtreten wollen [.. ,]?“56Wenn aber Medea in ihrer Flucht - zuerst von Kolchis nach Korinth und danach von Korinth ins Unbestimmte - die Möglichkeit sieht, nach einer geeigneten Lösung für sich selbst und mit ihr für das Feminine zu suchen, und diese Möglichkeit dann ergreift, übernehmen die weiblichen Figuren in TSS - zuerst Mariam und danach Laila - eine reale „Geschlechteriden­tität“.57Diese lässt den „Verhaltenskodex“58in ein gleichgewichtiges „Gender is a regulatory norm“59einfließen. Zum einen ähneln sich die Bilder und diejeweiligen Voraussetzungen bei­der Kulissen: Korinth und Afghanistan. Die kulturellen Normen und Vorgaben entsprechen den hierarchischen Strukturen, mit denen die Beziehung von Autorität (maskulin) und Subal- ternität (feminin) als Modell für die ganze Gesellschaft gilt.

Auf dem Thron in Korinth sitzt ein König, und sein aus der männlichen Gefolgschaft beste­hender Machtapparat dient der Kontrolle und Regulierung der patriarchalen Herrschaftsord­nung. Zum Ausdruck kommt dies in einer kultischen, pseudoreligiösen Praxis der Opfer zum Zwecke der Staatsgründung, die „das Getriebe, das den Kosmos bewegt“ (MS 161), instand hält. Die Frauen stehen dabei ganz am Rand, gleichsam am Abgrund60. Starre Geschlechter­muster, an Zwänge gebundene Geschlechterstereotypen und der Modus des Befehls herrschen vor. Der maskuline Modus erscheint als der des Subjekts, der feminine als der des Objekts. Alles, was dieses archaische System zu entlarven oder gar zu unterminieren droht, wird als „Sand“61(MS 161) im Getriebe, als Fremdkörper betrachtet (vgl. hierzu Kapitel 4.1). Die Pro­blematik der Schuld spielt hier eine Rolle. Medea ist zweierlei: Fremde und Opfer. Viele wis­sen von dem Verbrechen in Korinth (MS 23) und akzeptierten es. Nur Medea stellt es in Frage - und damit nicht nur das Verbrechen selbst, sondern die Gründungsstrategie eines gewalttäti­gen Patriarchats, das die Herrschaft auf Kosten unschuldiger Menschen - vor allem femininen Geschlechts - zu etablieren und zu sichern sucht. Auch die Königstochter Iphinoe bleibt nicht von der Machtgier des Patriarchats in Korinth verschont.

In Afghanistan reicht die Debatte um das Patriarchat noch ein Stückchen tiefer. Eine Frau be­sitzt dort keinen eigenen „ontologischen Status“62, und diese Tatsache ist in der Geschichte der Religion fest etabliert, was die Geschichte der Geschlechter mitbestimmt. Zum einen ver­langt die Erhaltung der Patrilinearität nach männlichen Nachkommen.

Children of both sexes are said to be the gift of God, but sons are incomparably more welcome than daughters, for the continuity of a household depends on its sons, while daughters are ‘lost’ at marriage.63 Die „Machtdifferenziale“64verweist auf das eigentliche Deformationsmodell des Patriarchats: In ihm schwelgt die Männerwelt in Narzissmus, während den Frauen „the right to life“65und damit die Existenz verweigert wird. „Wenn Adorno sich gegen die Entmenschlichung wendet, Entmenschlichung verstanden als Unterjochung von Menschen dadurch, dass ihnen ihr Wille genommen wird [...]“66, erkennen wir, dass genau dies hier stattfindet und eine radikale Aus­löschung des Femininen im rigiden Modell des Patriarchats bedeutet. Sozial und kulturell ge­gebene Voraussetzungen werden durch Sanktionen und Verbote, die sich an den femininen Modus richten, in unerträglichem Maße überzogen. Das unmenschliche Verhalten des Patriar­chats gegenüber den Frauen findet in potenziell problematischen Handlungen Ausdruck - in Gewalt und einer erschreckenden Erniedrigung des Femininen. Die Inhumanität des Ganzen zeigt sich in den Berichten von Amnesty International über die Verstöße gegen die Menschen­rechte und über die Gewalt gegen Frauen. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen werden vom Patriarchat in Afghanistan ignoriert. So zum Beispiel das Folgende:

Annex 1: General Recommendation No. 19 (11 th session, 1992) made by the Committee on the Elimination of Discrimination Against Women Background 1. Gender-based viol­ence is a form of discrimination that seriously inhibits women’s ability to enjoy rights and freedoms on a basis of equality with men.67

Christa Wolf, um auf die literarischen Gegenstände der vorliegenden Untersuchung zurückzu­kommen, „dekonstruiert den patriarchalischen Mythenkanon [bewusst in MS] und rekonstru­iert zugleich das Unterdrückte“68, indem sie der femininen eine eigene Stimme gibt69. Christa Wolfs entmedeasiert insofern Medea, als aus ihr eine andere, unterschwellige Stimme her­vorbricht: die der Unterdrückten, Verkannten (MS 9 und 10). Da aber aus diesem Widerstand der Hauptfigur Medea keine positive Alternative, nicht einmal für sie selbst, erwächst, bleibt Medeas Opposition kontraproduktiv und deshalb sinnlos.70

In den beiden Werken MS und TSS wird das Instrument des Patriarchats - „Macht als Kon­trolle, Macht als Anwendung von Zwang gegen die Machtlosen, Macht als Produktion von Opfern“71- erkennbar gemacht und entlarvt. Während Christa Wolf in MS der Männerdomi- nanz in Korinth ihre Sichtweise als feministische Autorin durch ihre mythologische, zugleich aber neue Figur der Medea gegenüberstellt, fühlt sich Khaled Hosseini als ein im Exil leben­der Autor dafür verantwortlich, die Missstände der afghanischen Gesellschaft aufzudecken. Nicht nur die „Seklusion der Geschlechter wird mit dem Islam begründet [..,]“72, auch sieht sich die männliche Gewalt durch die Religion legitimiert und in ihrer Herrschaft bestätigt. Trotz der Gier nach und der Besessenheit von Macht, wie sie sich in den patriarchalischen Strukturen finden, versucht Hosseini, mit der Figur Mariams dem Femininen eine transzen­dentale73Bedeutung zu verleihen, die frei ist von den religiösen Fehlinterpretationen der isla­mischen Orthodoxie. Das Patriarchale zeigt sich in TSS als besitzergreifend, und es tendiert dazu, die Frau zu dämonisieren, indem sie als Verursacherin des Chaos denunziert wird. Noch schlimmer ist es, die Existenz von Frauen als leer und in eigenartiger Weise unwirklich darzu­stellen, wie es Judith Butler auf den Punkt bringt:

To be opressed means that you already exist as a subject of some kind, you are there as the visible and oppressed other for the master subject, as a possible or potential subject, but to be unreal is something else again.74

Hosseini entwirft ausgerechnet als männlicher auktorialer Erzähler zwei weibliche Hauptfigu­ren Mariam und Laila, die als Parallelstruktur zu Christa Wolfs Medea angesehen werden können. Mariam gleicht in gewisser Weise einem ,Sündenbock‘, indem sie zur Mörderin wird, und auch wenn sie die Tat aus Selbstlosigkeit begangen hat, haftet ihr dieser Makel bis zum Tod an. Damit aber steht sie nicht mehr im Dienst des Patriarchats, sondern wendet sich gegen das Repressive desselben. Dies tut sie allein zum Schutz und zur Rettung eines einzigen Individuums, ihrer Nachfolgerin Laila, und somit für ihre gesamte genealogische Folge. Ma­riam/Laila erlangt so den Status einer Siegerin, indem sie das Phänomen ins Gegenteil ver­kehrt. Nancy Tapper verweist in ihrem Buch Bartered Brides. Politics, gender and marriage in an Afghan tribal society darauf, dass die afghanischen Frauen trotz ihrer Verborgenheit vor der Öffentlichkeit durchaus die Kraft besitzen, ihre Männer zu lenken, zu unterdrücken und sogar zu ruinieren.75Wie eine Antigone

[...] die unvermeidliche Schuld des Handels auf sich nimmt und das Weiblich-Ontologi­sche dem Männlich-Politischen entgegensetzt, steht [...] [Mariam] höher als [...] [Ra­schid]: Ihr ,Verbrechen‘ geschieht in vollem Bewusstsein. Es ist ein Akt der Selbstbeherr­schung, noch bevor es eine Einwilligung in das Schicksal ist.76

Dieses Moment soll in den zwei folgenden Unterpunkten genauer betrachtet werden, wo, lite­raturwissenschaftlich evaluierend und argumentierend, die sogenannten Gendertravestie mit Maskeneffekt des Femininen und nicht zuletzt das aus der vernichtenden Gewalt gegen das Feminine resultierende Triple der Femmes fatales, das Züge von Selbstjustiz trägt, in den Blick genommen wird.

3.2 Gendertravestie mit Maskeneffekt

Ich weiß: Unsere Welt ist eine von Männern für Männer gemachte Welt [...]. Und trotzdem oder vielleicht gerade darum ist es so faszinierend, eine Frau zu sein.78(Oriana Fallaci, Briefe an ein nie geborenes Kind) Aus literaturwissenschaftlicher Sicht stellt sich der Gegenstand unserer Untersuchung als eine Spaltung in der femininen Figur der Mariam in TSS dar. Während Medea wie oben gezeigt in ihrer femininen Rolle gegenüber dem Patriarchat eher resigniert, bewegt sich Mariam vom be­deutungslosen, körperlosen Femininen hin zu einer chamäleonhaften Anpassung, in deren Zug sie ihr feminines Muster ins Maskuline verkehrt. Dieser Effekt, der auch als reflexiver Gewalteffekt bezeichnet werden kann, ist eine Wendepunkt in TSS für das Feminine. Erkenn­bar wird hier ein Doppelgesicht der unterdrückten und gesichtslosen Protagonistin Mariam, die alsjanusköpfige Figur das Bild der Frau als gut und gleichzeitig böse repräsentiert. Diese Stufe, so Barbara Schaeffer-Hegel, ist eine „Phase des Protestes - Phase der Verdoppelung“79. Der Prozess der Spaltung antwortet auf eine Struktur der Verdoppelung, ganz im Sinne der matriarchalischen Göttin - etwa einer Gaia oder Hekate -, die das Gute und das Böse in ei­nem verkörpert.80Dies geht einher mit dem Entwurf einer Maske und der damit verbundenen Rolle der Opferpriesterin, die von Medea an Mariam weitergereicht wird.

Diese Maske vom Femininen zum Maskulinen ist ein Moment des Übergangs im Rahmen der Geschlechtertravestie. Zunächst wird durch die Entkleidung von femininen Werten ein ge­schlechtsneutraler Zustand geschaffen. Die Frau muss sich von der Rolle der Ergebenen, sich stets Fügenden befreien, um sich dann in einer Postfiguration die maskulinen Charakterzüge der Gewalt mimetisch anzueignen. Vom femininen Modus aus kommt dies der Überwindung einer Blockade gleich und kann als eine „pleasure of resistence, of saying ‘no’“81

[...]


1 Auszug aus Brief an Medea von Helga M. Novak. In: Stephan, Inge: Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2006. S10.

Vgl. Lütkehaus, Ludger: Mythos Medea. Leipzig: Reclam 2001, hier S. 11f. Weiterführende umfassende Forschungsliteratur über Medea: Stephan: Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur, Lu- serke-Jaqui, Matthias: Medea. Studien zur Kulturgeschichte der Literatur. Tübingen, Basel: Francke, 2002, Calabrese, Rita: Von der Stimmlosigkeit zum Wort. Medeas lange Reise aus der Antike in die deutsche Kul­tur. In: Christa Wolfs Medea. Voraussetzungen zu einem Text. Mythos und Bild. Hrsg. v. Marianne Hochge- schurz und Gerhard Wolf. Berlin: Janus Press, 1998, S. 75-93; Kenkel, Konrad: Medea Dramen. Entmythi- sierung und Remythisierung. Euripides, Klinger, Grillparzer, Jahnn, Anouilh (Studien zu Germanistik, An­glistik und Komparatistik 63). Bonn: Bouvier, 1979; Tepe, Peter: Rezensionen mythoshaltiger Literatur. Eine exemplarische Studie zu 10 Besprechungen von Christa Wolfs „Medea. Stimmen“. In: Mythen in der Kunst (Mythos. Fächerübergreifendes Forum für Mythosforschung. Hrsg. v. Peter Tepe, Thortsten Bach­mann u. a. No. 1). Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, S. 248-264.

Wörter in Fettdruck sind eigene, als signifikant angesehene Forschungspositionen.

Vgl. Stephan: Medea. MultimedialeKarriere einermythologischenFigur, S. 5.

Vgl. Bezeichnung in: Wolf, Christa: Medea. Stimmen., Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008, S. 61. (Die Erst­ausgabe erschien im Luchterhand Literaturverlag 1996.)

Helmuth Kiesel: Die Restaurationsthese als Problem für die Literaturgeschichtsschreibung In: Zwei Wende­zeiten. Blicke in die deutsche Literatur 1945 und 1989. Hrsg. v. Walter Erhard und Dirk Niefanger. Tübin­gen: Niemeyer, 1997, S. 9.

Ebd., S. 10.

2 Vgl. Kleinhardt, Werner: Medea - Originalität und Variation in der Darstellung einer Rache. Eine Verglei­chende Studie ausgewählter Texte. Dissertation Hamburg, 1962, S.13.

3 Transgressionen: Grenzgängerinnen des moralischen Geschlechts. (Querelles, Band 5). Hrsg. v. Elfi Bettin­gerund AngelikaEbrecht. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2000.

4 MS ist im Folgenden die Abkürzung für Medea. Stimmen von Christa Wolf.

5 TSS ist im Folgenden die Abkürzung für Tausend strahlende Sonnen von Khaled Hosseini, übers. v. Micha­el Windgassen, 2009. Zitate direkt zum Werk werden in der Originalsprache wiedergegeben (Erstausgabe London, Berlin, New York, Sydney: Bloomsbury, 2007).

6 „Die Jahrtausende schmelzen unter starkem Druck. Soll also der Druck bleiben. Müßige Frage. Falsche Fra­gen verunsichern die Gestalt, die sich aus dem Dunkel der Verkennung lösen will. Wir müssen sie warnen. Unsere Verkennung bildet ein geschlossenes System, nichts kann sie widerlegen. Oder müssen wir uns in das Innerste unserer Verkennung und Selbstverkennung hineinwagen, einfach gehen, miteinander, hinterein­ander, das Geräusch der einstürzenden Wände im Ohr“. Christa Wolf. Prolog in Medea. Stimmen, S. 9-10. Hinweis: Bei direkten Zitaten und Vergleichen aus den Werken MS und TSS erfolgt die Quellenangabe nicht in einer Fußnote, sondern direkt im Text mithilfe der genannten Abkürzungen MS und TSS.

7 Steiner, Georg: Die Antigonen. Geschichte und Gegenwart eines Mythos. Übers von Martin Pfeiffer. Mün­chen, Wien: Hanser, 1984, S. 26.

8 Vgl. den Begriff „Figuration“, Punkt 2 = „Bildliche Darstellung“. Kunstwissenschaft nach Duden online, http://www.duden.de/suchen/dudenonline/figuration, abgerufen am 23.02.2013. Für meinen Begriff verwen­de ich den Begriff der Kunstwissenschaft: die Gestaltwerdung des Wortes, einer Figur in einem literarischen Werk, hier TSS und MS, aus der literaturwissenschaftlichen Perspektive.

9 Vgl. Berger, Evelyn: Antike Mythologie im Erzählwerk Christa Wolfs Kassandra und Medea.Stimmen. Dis­sertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, Köln 2007, S. 8.

10 Präfigurieren hier: Was ist vorgegeben, damit die besagte Figur entsteht, volle Gestalt nimmt? Was muss die A vorausweisen, damit B entsteht?

11 Postfigurieren hier: Wie wird A durch B figurativ und textual unterstützt und vice versa? Die entstandene Kongruenz der Figuren hebt deren Kontraste literarisch auf.

12 Berger: Antike Mythologie im Erzählwerk Christa Wolfs Kassandra und Medea.Stimmen, S. 8.

13 Vgl. Duden online, Modus = lateinisch, Maß; Art, Weise, online unter: http://www.duden.de/rechtschrei- bung/Modus, abgerufen am 07.01.2013, sowie den Beitrag ,Modus‘ (= Weise) in: Metzler Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen. Hrsg. v. Günther und Irmgard Schweikle. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Metzler, 1990, S. 309.

14 Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der histori­schen Frauenforschung. Hrsg. v. Ursula A. J. Becher und Jörn Rüsen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998, S. 273.

15 Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the subversion of identity. New York, London: Routledge, 1990, S. 33.

16 Butler, Judith: Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Übers. v. Reiner Ansén. London, New York, Frankfurta. M.: Campus, 2010, S. 11.

17 Vgl. Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Übers. v. Karin Wörde­mann. Berlin: Berlin Verlag, 1995, S. 15.

18 Butler Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung (Gender Studies). Übers. v. Reiner Ansén.

Frankfurta. M.: Suhrkamp, 2001, S. 83.

19 Vgl. Butler: Raster des Krieges, S. 40.

20 Bodily citations. Religion and Judith Butler. Hrsg. v. Ellen T. Armour und Susan M. St. Ville. New York,

Chichester: ColumbiaUniversityPress 2006, S. 192.

21 Vgl. Wagner-Hasel, Beate: Penelopes Schleier und das textile Band der Ehe. In: Ehe als Ernstfall der Ge­schlechterdifferenz. Herausforderungen für Frau und Mann in kulturellen Symbolsystemen (Geschlecht - Symbol - Religion. Hrsg. v. Bernhard Heininger, Ruth Lindner, Elmar Klinger, Band 7). Hrsg. v. Bernhard Heininger. Berlin: LIT, 2010, S. 31-49, hier S. 31.

22 Thompson-Studienbibel. Bibeltext nach der Übersetzung Martin Luthers. Altes und Neues Testament. Revi­dierte Fassung. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1994, 1 Kor 11:3-16.

23 Walter, Wiebke: Die Frau im Islam. 3., überarbeitete und neugestaltete Auflage. Leipzig: Edition Leipzig, 1997, S. 60.

24 Doubleday, Veronica: Die Kluge, die Bedrückte, die Unabhängige. Drei Frauen in Afghanistan. Übers. v. Petra Post und Andrea von Struve. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1989, S. 14.

25 Vgl. Butler: RasterdesKrieges, S. 10.

26 Kuhn, Anette: The Power of the Image. Essays on Representation and Sexuality. London u. a.: Routledge & KeganPaul, 1985, S. 4.

27 Vgl. Beitrag ,Bild‘ in: MetzlerLiteraturlexikon.

28 Zitiert nach Pahnke, Donate: Ethik und Geschlecht. Menschenbild und Religion in Patriarchat und Feminis­mus. Marburg: Diagonal-Verlag, 1991, S. 60.

29 In MS verfügt Medea über Kräuterheilwissen sowie astronomische Kenntnisse.

30 Vgl. Minces, Juliette: Verschleiert. Frauen im Islam. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1992, S. 16.

31 Siehe auch die statistischen Ergebnisse zum Analphabetismus: Afghanistan kommt hier nach Niger (Frauen 91,7 % und Männer 76,5 %) und Burkina Faso (F 86,9 % und M 66,8 %) an dritter Stelle weltweit mit ei­nem Anteil von F 79,2 % und M 49,0 %. Vgl. United Nations Educational, Scientific and Cultural Organ- isation,2000,unter:http://www.un.org/Depts/unsd/social/literacy.htm, Stand: 2. Juni 2000, abgerufen am 23.05. 2013.

32 Vgl. Pahnke: Ethik und Geschlecht, S. 35 und 36 (hier Habermas zitierend).

33 Dies soll hier nicht im psychopathologischen Sinn definiert, sondern im Sinne literaturtheoretischer Strate­gien verstanden werden. Es geht um die später auftretende Gendertravestie mit Maskeneffekt als eine dop­pelte Persönlichkeit mit gescheitertem Initiationsritus, der wiederum den scheiternden Werdegang der Figur infolge der Unterbrechung der ,inneren Geschichte1 als selbstständige Person als im Leben nicht funktional erweist und bei Mariam deshalb einer Antibildungsgeschichte gleicht. Damit wird der erste Teil der TSS zu einem Antibildungsroman. Vgl hier Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman (Einführungen Ger­manistik. Hrsg. v. Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell­schaft, 2007.

34 Pahnke: Ethik und Geschlecht, S. 20.

35 Ebd., S. 21.

36 Vgl. ebd., S. 21.

37 Vgl. Butler: Körper von Gewicht, S. 257.

38 Laila ist die zweite Frau Raschids. Sie heiratet ihn unfreiwillig mit 14 und 15 Jahre nach der ersten Ehe Ra­schids mit Mariam.

39 Laila legt am Ende von TSS die Burka ab und sieht ihre Aufgabe im Unterrichten der Waisenhauskinder in Kabul.

40 Menschenbilder, Menschenrechte. Islam und Okzident: Kulturen im Konflikt. Hrsg. v. Stefan Batzli, Fridolin KisslingundRudolfZihlmann. Zürich: Unionsverlag, 1994, S. 74.

41 Vgl. Rinne, Olga: Medea - das Recht auf Zorn und Eifersucht. Zauber der Mythen. Zürich: Kreuz, 1988, S. 75.

42 Menschenbilder, Menschenrechte, S. 50.

43 Wöhrmann, Silke: Afghanische Frauen zwischen Islam und Sozialismus. Gesellschaftliche Realitäten von 1920-2001. Marburg: Tectum, 2003, S. 51.

44 Ebd., S. 50.

45 Butler: Körper von Gewicht, S. 82.

46 Pahnke: Ethik und Geschlecht, S. 42.

47 Vgl. Stephan: Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur, S. 147.

48 Cooney, Kathlyn M.: Where does the masculine begin and the feminine end? The merging of the two genders in egyptian coffings during the Ramesside period. In: Ehrenmord und Emanzipation. Die Ge­schlechterfrage in Ritualen und Parallelgesellschaften (Geschlecht - Symbol - Religion. Hrsg. v. Bernhard Heininger, Ruth Lindner und Elmar Klinger, Band 6). Berlin: LIT, 2009, S. 99-124, hier S. 99.

49 Vgl. Nadim, Sanaa: Women and Equality in Islam. In: Women for Afghan Women. Shattering Myths and Claiming the Future. Hrsg. v. Sunita Mehta mit Unterstützung v. Esther Hyneman, Batya Swift Yasgur und AndreaLabis. New York, Hampshire: Palgrave Macmillan, 2002, S. 35-45, hier S. 35.

50 Christa Wolf: Notate aus einem Manuskript. 1. Febr. 1993. In: Christa Wolfs Medea. Voraussetzungen zu ei­nem Text. Mythos und Bild. Hrsg. v. Marianne Hochgeschurz und Gerhard Wolf. Berlin: Janus Press, 1998, S. 40-49, hier S. 47.

51 Butler: Körpervon Gewicht, S. 13.

52 Sarif, Brigitte: ZurSituation derFrauen in Afghanistan. Dissertation Frankfurt am Main, 1977, S. 30.

53 Butler, Judith: Undoing Gender. New York, London: Routledge, 2004, S. 53.

54 Vgl. Beyer, Martin: Das System der Verkennung. Christa Wolfs Arbeit am Medea-Mythos (EPISTEMATA. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft, Band 590). Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007, S. 137. Die Frauen in Korinth werden mit gezähmten Haustiere verglichen. So das Zitat:

Sie faßten ihre Frauen hart an, manche sollen sie geschlagen haben, und die Korintherinnen ver- bargensich in den Häusern oder liefen mit gesenkten Köpfen durch die Straßen [...]. Und wenn diese böse Zeit einmal doch vorübergehen sollte und wir alle wieder zur Ruhe kommen, dann wer­den die Männer von Korinth obenauf und die Frauen noch mehr geduckt sein, das ist das Ende vomLied (MS 193f.).

55 Vgl. MS 117 und 118. Die Krone ist an Kreon nur geliehen.

56 Butler: Raster des Krieges, S. 15.

57 Tapper, Nancy: Bartered Brides. Politics, gender and marriage in an Afghan tribal society (School of Ori­ental and African Studies). Cambridge u. a.: Cambridge University Press, 1991, S. 123.

58 Butler: Körpervon Gewicht, S. 155.

59 Amnesty International, S. 47, Paragraph (a), online unter: http://www.amnesty.org.au/afghanwomen/

60 Butler, Judith: Kritik der ethischen Gewalt. Übers. v. Reiner Ansén. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2003, S. 109.

61 Amnesty International, S. 46, online unter: http://www.amnesty.org.au/afghanwomen/

62 Koskinas, Nikolaos Ioannis: Ist eine Medea ohne Kindermord denkbar? Medea-Morphosen bei Euripides und Christa Wolf. Oder: Freispruch für Euripides. In: Amaltea. Revista de mitocrìtica, 2, 2010, S. 91-103, hier S. 95.

63 Vgl. ebd., S. 95.

64 Vgl. Berger: Antike Mythologie im Erzählwerk Christa Wolfs Kassandra undMedea.Stimmen, S. 264.

65 Moos, Iren von: Nun hausen Schlangen in den Aprikosengärten. Eine Ethnologin berichtet aus Afghanistan. Hrsg. v. Jakob Tanner. Wuppertal: Hammer, 1996, S. 34.

66 Wöhrmann: Afghanische Frauen zwischen Islam und Sozialismus, S. 44.

67 ,Transzendental‘ meint hier vorjeder subjektiven Erfahrung liegend und die Erkenntnis der Gegenstände an sich erst ermöglichend; vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/transzendental, abgerufen am 21.05. 2013.

68 Bulter: Undoing Gender, S. 30.

69 Vgl. Tapper: BarteredBrides, S. 23.

70 Steiner: Die Antigonen, S. 52.

71 Das Wort ,Effekt‘ soll die Postfiguration(en) Medea - Mariam als Figur(en) unterstreichen.

72 Martiny, Anke: Wer nicht kämpft hat schon verloren. Frauen und der Mut zur Macht. Reinbek bei Ham­burg: Rowohlt, 1986, S. 12.

73 Schaeffer-Hegel, Barbara: Säulen des Patriarchats. Zur Kritik patriarchale Konzepte von Wissenschaft, Weiblichkeit, Sexualität und Macht (Feministische Theorie und Politik, Band 9). Pfaffenweiler: Centaurus, 1996, S. 51.

74 Vgl. Pahnke: Ethik und Geschlecht, S. 214.

75 Kuhn: The Power of the Image, S. 8.

76Steiner : Die Antigonen S.52

77Das Wort ,Effekt‘ soll die Postfiguration(en) Medea - Mariam als Figur(en) unterstreichen.

78Martiny, Anke: Wer nicht kämpft hat schon verloren. Frauen und der Mut zur Macht. Reinbek bei Ham-burg: Rowohlt, 1986, S. 12.

79Schaeffer-Hegel, Barbara: Säulen des Patriarchats. Zur Kritik patriarchale Konzepte von Wissenschaft, Weiblichkeit, Sexualität und Macht (Feministische Theorie und Politik, Band 9). Pfaffenweiler: Centaurus, 1996, S. 51.

80Vgl. Pah nke: Ethik und Geschlecht, S. 214.

81Kuhn: The Power of the Image, S. 8.

Final del extracto de 91 páginas

Detalles

Título
Altera Vox - Die andere Stimme. 'The faceless' Medea in Afghanistan
Subtítulo
Prä- und Postfigurationen einer Frauenfigur in Khaled Hosseinis "A Thousand Splendid Suns" und Christa Wolfs "Medea. Stimmen" im Vergleich
Universidad
University of Tubingen  (Neuphilologie)
Calificación
2.0
Autor
Año
2013
Páginas
91
No. de catálogo
V268272
ISBN (Ebook)
9783656583684
ISBN (Libro)
9783656583691
Tamaño de fichero
885 KB
Idioma
Alemán
Notas
Es geht um den Medea-Mythos von Euripides und seine intertextuellen und interkulturellen Spielarten in neuzeitlichen bzw. zeitgenössischen literarischen Texten, hier am Beispiel von Medea. Stimmen 1996 (von Christa Wolf) und Tausend strahlende Sonnen 2007 übers. 2008 (von Khaled Hosseini. Das Spiel mit dem Mythos gewinnt heute neu an wissenschaftlichen multiplen Rezeption.
Palabras clave
altera, stimme, medea, afghanistan, prä-, postfigurationen, frauenfigur, khaled, hosseinis, thousand, splendid, suns, christa, wolfs, stimmen, vergleich
Citar trabajo
Oriana Omaj (Autor), 2013, Altera Vox - Die andere Stimme. 'The faceless' Medea in Afghanistan, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268272

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Título: Altera Vox - Die andere Stimme. 'The faceless' Medea in Afghanistan



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