Lernen und Lernverhalten im Prozess der Existenzgründung


Thèse de Master, 2013

128 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I.Einleitung

II. Existenzgründung – ein Thema für die Erwachsenenpädagogik?
2.1 Forschungsstand

III.Lernen
3.1 Lernverhalten
3.2 Lernanlässe
3.3 Selbstorganisation und Selbststeuerung des Lernens
3.4 Lernformen: formal, non-formal und informell

IV.Biographieforschung in der Erwachsenenpädagogik
4.1 Habitus und Lernhabitus

V.Angebote und Weiterbildung für Gründer_innen
5.1 Bedarf und Bedürfnis
5.2 Zielgruppenansatz
5.3 Angebote für Gründer_innen
5.3.1 Formal-didaktisierte Angebote
5.3.2 Selbstgesteuertes Lernen ohne formalen Rahmen
5.3.3 Beratung

VI.Empirische Forschung
6.1 Darstellung der Methodik
6.2 Vorbereitung und Durchführung der Interviews
6.3 Auswertung
6.3.1 Einzelfallbeschreibungen
6.3.2 Vergleichende Analyse

VII.  Ergebnisse
7.1 Bedürfnisse und Bedarfe von Existenzgründer_innen
7.2 Organisation des Lernens
7.3 Lernen in Existenzgründungen als berufliche Bildung

VIII. Kritische Reflexion

IX. Fazit und Ausblick

Literatur- und Quellenverzeichnis

Anhang
Anhang 1: Interview-Leitfäden
Leitfaden Gründer_innen
Leitfaden Gründungscoach
Anhang 2: Interviewmaterial
Anhang 3: Interviews & Analyse
Interview 1, Gründerin A
Interview 2, Gründerin M
Interview 3, Gründerin S
Vergleichende Analyse
Interview 4, Gründungscoachin

I.Einleitung

Lernen findet heute vermutlich mehr denn je über die gesamte Lebensspanne statt. Oft wird es in diesem Zusammenhang als Lebenslanges Lernen bezeichnet, erhält als solches eine immer größere Aufmerksamkeit. Lernbemühungen werden mitunter bis ins hohe Alter als sinnvoll und sogar notwendig betrachtet. Große Teile des Wissens und der Kenntnisse aus Schule oder Ausbildung müssen im Lebensverlauf immer wieder aktualisiert und erweitert werden. Daher sind Lernen und Lernverhalten im Lebensverlauf Kernthemen der erwachsenenpädagogischen Forschung. Lernverhalten bezeichnet die konkreten Handlungen, die Erwachsene unternehmen, um zu lernen, sei es der Besuch einer Weiterbildungsveranstaltung oder die Lektüre eines Fachbuchs. Biographische Lernerfahrungen, die zum Beispiel aus der Schulzeit stammen, können das Lernen und das Lernverhalten beeinflussen. Die erwachsenenpädagogische Forschung untersucht in diesem Bereich, wie Erwachsene lernen, welche Bedingungen es dafür gibt, was das Lernen erleichtert und was es behindert. Die Organisation des Lernens kann bei den Lernenden selbst oder bei einer Institution liegen, zum Beispiel wenn ein_e Arbeitgeber_in eine Weiterbildung organisiert und eine_n Mitarbeiter_in zur Teilnahme verpflichtet. In der Fachsprache wird fremd- und selbstgesteuertes Lernen unterschieden. Lernen ist abhängig von Situationen und Kontexten, in denen es stattfindet, und soll laut dem Forschungsmemorandum für das Lebenslange Lernen (vgl. Arnold et al. 2000) auch in Bezug auf diese Kontexte erforscht werden.

Ein Lebensereignis, in dem Lernen stattfindet, ist die Aufnahme einer beruflich selbstständigen Tätigkeit oder anders gesagt, eine Existenzgründung. In dieser berufsbiographischen Übergangssituation finden verschiedene Lernprozesse statt, die vom Erwerb unternehmerischen Wissens bis hin zur Identifizierung mit der neuen Rolle als Unternehmer_in reichen. Verschiedene Angebote, wie Coaching oder Gründungsseminare, unterstützen Gründer_innen in diesem Prozess. Aus erwachsenenpädagogischer Sicht ist das Lernen im Rahmen einer Gründung bislang noch wenig erforscht. Pädagogische Kenntnisse werden heute in vielen, auch in nicht originär pädagogischen Bereichen erfolgreich genutzt, beispielsweise in Unternehmen. Inwiefern Angebote für Gründer_innen bereits auf erwachsenenpädagogisches Wissen zurückgreifen, ist im Detail nicht bekannt. Zu überprüfen, ob und wie Erwachsenenpädagogik auch im Feld der Existenzgründung wertvolle Impulse setzen und zur Verbesserung von Angeboten führen kann, ist ein Ziel dieser Arbeit. Sie untersucht daher Lernen und Lernverhalten in Existenzgründungsprozessen aus erwachsenenpädagogischer Perspektive. Aufgrund des geringen Forschungsstands, war es notwendig, offen an die Fragestellung heranzugehen. Erforscht werden sollen unter anderem die Rolle, die Lernen bei Existenzgründungen spielt, die Bedarfe, die Gründer_innen in diesem Zusammenhang haben und die Organisation des Lernens im Gründungsprozess. Dafür werden zunächst relevante erwachsenenpädagogische Grundlagen zum Thema Lernen, Lernverhalten und Lernformen als Ausgangswissen dargestellt. Dabei wird insbesondere die biographietheoretische Perspektive einbezogen, weil der Schritt in die Selbstständigkeit und das Lernen in diesem Zusammenhang aus Sicht der Autorin nicht losgelöst von der Biographie und der konkreten biographischen Situation eines Erwachsenen betrachtet werden kann. Um Erkenntnisse zum Lernen und Lernverhalten im Gründungsprozess zu gewinnen, werden qualitative Interviews mit Gründer_innen geführt. Interviewthemen sind insbesondere das Verständnis von Lernen, die Rahmenbedingungen der Gründung und vor allem das Lernen während der Gründung. Um weitere Fragen zu klären und Hintergrundwissen zu generieren, wird zudem ein Interview mit einer Gründungsberaterin durchgeführt. Die Interviews werden ausgewertet und die Erkenntnisse im Rahmen erwachsenenpädagogischen Wissens beleuchtet. Durch die Verbindung von erwachsenenpädagogischer Theorie und der in den Interviews geäußerten Praxis werden Kenntnisse über die Verläufe des Lernens und die Lernhandlungen gewonnen, die wiederum in vorhandenes erwachsenenpädagogisches Wissen eingeordnet werden.

Die folgende Arbeit gliedert sich daher wie folgt: Kapitel zwei bis fünf legen die theoretischen Grundlagen. Zunächst wird erläutert, warum Existenzgründungen ein für die Erwachsenenpädagogik interessantes Ereignis darstellen. Anschließend folgt eine Annäherung an die Begriffe Lernen und Lernverhalten, beide sind für die Kernfragen der vorliegenden Arbeit entscheidend. Zudem wird die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Lernanlässe, Selbst- und Fremdsteuerung beziehungsweise Organisation des Lernens und Lernformen in Hinblick auf die Fragestellung zusammengefasst. Das vierte Kapitel widmet sich der biographietheoretischen Perspektive, also der Frage, wie Lernen eingebettet in biographische Erfahrungen gesehen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch auf den Begriff des Lernhabitus nach Herzberg eingegangen.

Anschließend geht es um konkrete Angebote, die für Existenzgründer_innen bereits existieren. Nach einer Klärung der Begriffe Bedarf und Bedürfnis sowie des Zielgruppenansatzes in der Erwachsenenbildung richtet sich der Blick auf die Praxis, und es werden verschiedene Angebotsformate beschrieben. Charakterisiert werden dabei formale und informelle Lernformen sowie Beratung und Coaching. Nachdem erwachsenenpädagogische Theorien und Erkenntnisse sowie ein Überblick über die Angebotspalette für Gründer_innen die Grundlage des Themas gelegt haben, leitet das sechste Kapitel in die empirische Forschung über. Zunächst werden Methodik und Durchführung der Studie erläutert, anschließend folgen Einzelfallbeschreibungen der geführten Interviews sowie eine vergleichende Analyse. Im siebten Kapitel werden die Ergebnisse der Studie mit vorhandenen Befunden aus der erwachsenenpädagogischen Literatur in Bezug gesetzt und eingeordnet. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Bedarfe und Bedürfnisse der Gründer_innen, die Organisation des Lernens sowie den Abgleich der Ergebnisse mit Befunden aus der Forschung zur beruflichen und betrieblichen Bildung gelegt. Die kritische Reflexion schließt sich im folgenden Kapitel an. Im Fazit werden schließlich die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und ein Ausblick gegeben.

II. Existenzgründung – ein Thema für die Erwachsenenpädagogik?

Erwachsenenpädagogik beschäftigt sich mit „der Konzeptualisierung und der Erforschung der Bildung und des Lernens Erwachsener“ (Arnold 2010, S. 90). Die Kontexte, in denen Erwachsene lernen, können sehr unterschiedlich sein. Gelernt wird im Beruf ebenso wie im Privatleben. Lernen findet zum Beispiel in Vereinen, an Volkshochschulen, in Qualifizierungs- und Weiterbildungskursen oder durch Selbststudium statt. Im Leben Erwachsener gibt es Phasen, die lernintensiver sind, und solche, in denen das Lernen stärker in den Hintergrund rückt. Das größte Feld der Erwachsenenbildung ist die berufliche Erwachsenenbildung. Laut Adult Education Survey 2010 (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010) entfallen knapp 60 Prozent der Weiterbildungsaktivitäten auf die betriebliche Weiterbildung, werden also direkt oder indirekt von Unternehmen finanziert. Auch Aktivitäten im Bereich der individuellen Weiterbildung werden in mehr als der Hälfte der Fälle aus beruflichen Gründen durchgeführt (vgl. ebd., S. 5). Gerade im Zuge der abnehmenden Halbwertszeit des Wissens und der Individualisierung, die die Einzelnen mehr und mehr zwingt, ihre Biographie selbst zu gestalten (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 21), wird die Wichtigkeit der beruflichen Weiterbildung deutlich. Die sogenannte Normalbiographie, bestehend aus Ausbildungs-, Aktivitäts- und Ruhephase, wird abgelöst von Berufsbiographien, die durch Brüche, Umorientierungen, Phasen der Arbeitslosigkeit oder der Weiterbildung geprägt sind (vgl. Alheit/Dausien 2002, S. 574). Das Individuum ist vermehrt Situationen ausgesetzt, in denen sich das bisherige Lebensgefüge komplett ändert. Eine Konsequenz dieser neuen sozialen und biographischen Unsicherheit, ist der Anstieg der sogenannten Existenzgründungen[1], dies bezeichnet den „subjektiven Aspekt des Wechsels einer Person beispielsweise aus abhängiger Beschäftigung in die unternehmerische Selbständigkeit“ (Clemens/Kayser 2001, S. 9). Die Existenzgründung kann Menschen die Möglichkeit bieten, mehr Stabilität und Kontinuität in ihrem Erwerbsstatus zu erreichen und von extern festgelegten Arbeitsbedingungen und Angestelltenverhältnissen unabhängig zu werden (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 22). Gleichzeitig birgt sie ein hohes Risiko. Von 1998 bis 2008 stieg die Zahl der Selbstständigen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt um 550.000 auf 4,14 Millionen. Den größten Zuwachs gab es in der Gruppe der sogenannten Solo-Selbstständigen, also der Selbstständigen ohne Angestellte. Insgesamt wurden im Jahr 2008 in Deutschland knapp 690.000 Unternehmen neu gegründet, knapp 590.000 Unternehmen gingen im gleichen Zeitraum vom Markt. Laut KfW-Gründungsmonitor sind die beiden wesentlichen Einflussfaktoren auf das Gründungsgeschehen die Arbeitslosenquote und die wirtschaftliche Dynamik. Während im ersten Fall die Ermangelung einer Erwerbsalternative Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte in die Selbstständigkeit drängt, ist es im zweiten Fall das Potenzial wachsender oder neuer Absatzmärkte, das die Selbstständigkeit zu einer attraktiven Option macht (vgl. KfW-Gründungsmonitor 2011, S. 5f.). Durch Fördermaßnahmen, wie das Einstiegsgeld oder den Gründungszuschuss, den Arbeitssuchende beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen über Jobcenter oder Arbeitsagenturen beantragen können, sowie Maßnahmen, die Gründungen in bestimmten Branchen unterstützen, nimmt auch der Staat Einfluss auf das Gründungsgeschehen.

Während einige Gründer_innen sich im gleichen Tätigkeitsfeld selbstständig machen, in dem sie auch formale Qualifikationen besitzen und vielleicht bereits tätig waren, wechseln andere das Tätigkeitsfeld und gründen ein Unternehmen in einem Bereich, in dem sie über keine formalen Abschlüsse verfügen (vgl. Fritzsche/Nohl/Schondelmayer 2006, S. 34). Allen gemeinsam ist jedoch, dass der Schritt in die Selbstständigkeit eine Statuspassage und oftmals auch ein diskontinuierliches Moment in der Biographie bedeutet, was in der Regel umgreifende Lernprozesse notwendig macht. Ein neuer beruflicher Status wird erworben, dieser ist mit einer neuen Rolle und einem veränderten Auftreten gegenüber (potenziellen) Kund_innen und Investor_innen verbunden, dafür wiederum ist ein Wissens- und Kompetenzzuwachs notwendig (vgl. Fritzsche/Nohl/Schondelmayer 2006, S. 77f.). Neu-Unternehmer_innen müssen also unter anderem ihre Persönlichkeit weiterentwickeln, Netzwerke aufbauen, fachliche Kompetenzen erweitern und Wissen über betrieblich relevante Themen erwerben (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 31). Maier-Gutheil konstatiert: „Der Gründungsprozess stellt eine Phase gesteigerten Umlernens, Neulernens und Verlernens dar, in der Informationen in bedeutungsvolles Wissen transformiert werden müssen“ (ebd., S. 34). Bei diesem Lernen handelt es sich im Wesentlichen um berufliches Lernen. Eine Reihe privatwirtschaftlicher und öffentlicher Angebote bieten Existenzgründer_innen während dieser biographischen Umbruchphase in den damit verbundenen Lernprozessen Unterstützung. Es stehen ihnen sowohl formal-didaktisierte als auch nicht-formale und informelle, oft selbstgesteuerte Lernmöglichkeiten zur Verfügung (vgl. Kapitel 5.3).

Der Prozess der Unternehmensgründung ist kein traditionell erwachsenenpädagogisch begleiteter Prozess und findet in der Regel nicht in etablierten Einrichtungen der Erwachsenenbildung statt, obwohl hier eingewendet werden muss, dass beispielsweise die Berliner Volkshochschulen ein breitgefächertes Angebot explizit für Existenzgründer_innen haben[2]. Insgesamt lässt sich mit Bezug auf die These von der „Universalisierung und Entgrenzung des Pädagogischen“ (Kade/Lüders/Hornstein 1993) sagen, dass Lernprozesse nicht nur auf im Kern erwachsenenpädagogische Einrichtungen und Orte festgelegt sind. Pädagogische Denk- und Handlungsmuster breiten sich in andere Lebensbereiche hinein aus (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 33). Dies gilt für den Bereich der Existenzgründungsbegleitung ebenso wie für andere Bereiche auch.

Aus dieser Perspektive erscheint es durchaus sinnvoll und naheliegend, Lernen, das im Rahmen einer Existenzgründung stattfindet, und das damit verbundene Lernverhalten aus erwachsenenpädagogischer Sicht zu untersuchen. Genau dies ist das Themenfeld, mit dem sich diese Arbeit befasst.

2.1 Forschungsstand

Eine Herausforderung der vorliegenden Arbeit ist es, dass es bislang kaum erwachsenenpädagogische Befunde zum Feld der Existenzgründung gibt. Es existieren einige Studien aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich sowie aus dem Feld der interdisziplinären Gründungsforschung. Erziehungswissenschaftliche beziehungsweise erwachsenenpädagogische Arbeiten, die sich mit dem Thema Existenzgründung beschäftigen, sind meist noch relativ neu (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 25), zum Beispiel die Arbeit von Cornelia Maier-Gutheil (2009), die sich mit dem Thema pädagogischer Professionalität im Bereich der Existenzgründungsberatung befasst. Daneben gibt es beispielsweise eine biographietheoretische Arbeit der Erziehungswissenschaftler_innen Fritzsche, Nohl und Schondelmayer (2006), in der die biographische Verankerung sowie Bildungs- und Lernprozesse in Bezug zu beruflicher Selbstständigkeit im Mittelpunkt stehen. Gerade das Lernen und das Lernverhalten von Gründer_innen, wurden aus pädagogischer Sicht jedoch bisher nur punktuell erforscht. Dies kann mitunter auch daran liegen, dass oftmals das Bewusstsein der in dem Bereich Tätigen selbst fehlt. Maier-Gutheil stellt fest, dass beispielsweise Existenzgründungsberatung zwar viele pädagogische Aufgaben beinhaltet, diese von den Berater_innen selbst jedoch nicht als pädagogische Tätigkeiten angesehen und bezeichnet werden (vgl. ebd., S. 38).

III.Lernen

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Lernen, das im Zusammenhang von Existenzgründungsprozessen stattfindet. Im Folgenden soll deshalb auf den Lernbegriff und damit verbundene Begrifflichkeiten eingegangen werden, denn Lernen ist ohne Zweifel einer der pädagogischen Grundbegriffe. Trotzdem oder gerade deshalb existieren eine Vielzahl an Begriffsdefinitionen und -verständnissen, wobei es keine einheitliche Definition des Lernbegriffs in der Pädagogik gibt. Ein kurzer Überblick über verschiedene Ansätze soll dies verdeutlichen.

Gängige Definitionen aus der behavioristischen Psychologie sehen Lernen als einen Prozess, der zu einer relativ überdauernden Verhaltensänderung oder einer Veränderung im Verhaltenspotenzial führt und auf Erfahrung aufbaut (vgl. Zimbardo 1995, S. 263). Andere eher kognitiv orientierte Lernverständnisse definieren Lernen als Aufnahme, Verarbeitung und Umsetzung von Informationen (vgl. Schilling 1997, S. 159). In konstruktivistisch orientierten Lerntheorien ist Lernen „selbstreferentielle Konstruktion von Wirklichkeit, die erfolgreiches Handeln ermöglicht“ (Siebert 1998, S. 37). Lernen wird dabei zum individualisierten Vorgang, dessen Ergebnisse vom Individuum aus sich selbst heraus hergestellt werden und im radikalen Konstruktivismus auch nur für das Individuum Gültigkeit besitzen (vgl. Faulstich 2003, S. 216). Weitere Differenzierungen lassen sich anhand bestimmter Aspekte einzelner Lernformen treffen, wie intentionales, informelles, selbstbestimmtes oder erfahrungsbezogenes Lernen (vgl. ebd., S. 216f.). Auf einige dieser Aspekte wird im Verlauf dieser Arbeit detaillierter eingegangen.

Keine dieser Definitionen wird der Vielschichtigkeit des Lernbegriffs aus erwachsenenpädagogischer Sicht vollständig gerecht. Faulstich betont, dass Lernen nicht „passive Anpassung“ (ebd., S. 212) sei, sondern als aktive Entfaltung der eigenen Selbstständigkeit als Erwachsener gesehen werden kann (vgl. ebd., S. 212). Er betont in diesem Kontext bezugnehmend auf Holzkamp (1993) die Aneignungsperspektive des Lernens, in der die Lernenden als handelnde Menschen selbst nach Wissen suchen und dem Wissen Sinn verleihen (vgl. Faulstich 2003, S. 218)

Göhlich und Zirfas machen den Versuch einer allgemeingültigen pädagogischen Definition von Lernen, ihr Vorschlag lautet: „Lernen ist die erfahrungsreflexive, auf den Lernenden sich auswirkende Gewinnung von spezifischem Wissen und Können.“ (Göhlich/Zirfas 2007, S. 17) Trotz und vermutlich auch wegen der bestechenden Kürze bleibt diese Definition auf einem hohen Abstraktions- und Komplexitätsniveau, was die praktische Handhabbarkeit erschwert.

Schäffter schlägt schließlich vor, Lernen als ein komplexes Netzwerk sozialer Praktiken zu begreifen. In dieser Betrachtung ist es nicht mehr entscheidend, was Lernen exakt ist, sondern welche Bedeutung es für die Akteure_innen in bestimmten sozialen Kontexten hat (vgl. Schäffter 2009, S. 1f.).

Laut Forschungsmemorandum für die Erwachsenen- und Weiterbildung (2000) macht die Erforschung des Lernens ein Hauptfeld der Erwachsenenbildungsforschung aus. Lernen soll dabei nicht isoliert, sondern stets in Verbindung mit Anlässen, Bedingungen, Strukturen, Prozessen, Wirkungen und Ergebnissen in unterschiedlichen lebensweltlichen und institutionellen Kontexten betrachtet werden (vgl. Arnold et al. 2000, S.6). Dies ist deshalb sinnvoll, weil Lernen nicht isoliert vorkommt, sondern immer mit Kontexten, Tätigkeiten und Fähigkeiten verbunden ist. Die Forschungsfragen einer so orientierten erwachsenenpädagogischen Lernforschung liegen dort, „wo sich erwachsene Menschen mit den Mitteln des Lernens um die Gestaltung ihrer Existenzbedingungen bemühen“ (ebd., S. 6).

3.1 Lernverhalten

Im Fokus dieser Arbeit stehen das Lernen und das Lernverhalten, das Existenzgründer_innen im Rahmen ihrer Gründung durchlaufen. Auf den Lernbegriff wurde bereits eingegangen, der Begriff des Lernverhaltens soll im Folgenden genauer umrissen werden.

Lernverhalten beschreibt nach Krause und Stark das individuelle Herangehen an Lernaufgaben. Der Begriff kann sich sowohl auf habitualisiertes Verhalten als auch auf Verhalten in ganz bestimmten Lernsituationen beziehen. Hauptmerkmale für das Lernverhalten sind der Umgang mit dem Lernstoff und die Art der Selbstregulierung des Lernens (vgl. Krause/Stark o.J., o.S.). Das Lernverhalten in Bezug auf die Existenzgründung umfasst alle Maßnahmen, die ein Individuum ergreift, um sich die für die Gründung oder die als Unternehmer_in anfallenden Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse anzueignen, zum Beispiel durch Seminare, Selbststudium oder Austausch mit anderen. Die Maßnahmen können geplant oder spontan und selbst- oder fremdinitiiert durchgeführt werden.

3.2 Lernanlässe

Was ist es, was Menschen dazu bewegt, etwas zu lernen, also Lernverhalten zu initiieren? Besonders dann, wenn einem Individuum nicht von außen eine Lernhandlung „verordnet“ wird, sondern es den Lernbedarf selbst feststellt und selbstorganisiert die Lernhandlungen plant, stellt sich die Frage nach den Anlässen des Lernens.

Im Allgemeinen werden Diskrepanzerfahrungen als wichtigste Lernanlässe gesehen. Das Individuum kann nicht so handeln, wie es gern will. Es besteht eine Differenz zwischen Intention und Kompetenz (vgl. Faulstich 2003, S. 220). Um diese Differenz aufzulösen, baut das Individuum eine Lernschleife zu einem bestimmten Lernthema ein. Das Lernthema wird als bedeutsam betrachtet und in einem besonderen Bedeutungszusammenhang gesehen, es entsteht Interesse, dieses Interesse wiederum kann zu Motivation für bestimmte Lernhandlungen führen (vgl. ebd., S. 222). Lernleistungen steigen dabei mit dem Maß der Selbstbestimmtheit bei der Entscheidung über die Lernthemen und -formen (vgl. ebd., S. 223).

Benner weist darauf hin, dass Irritationen, ebenso wie Enttäuschungen oder Überraschungen zunächst negative Ereignisse darstellen, die oft als störend wahrgenommen werden (vgl. Benner 2005, S. 7). Andere Menschen oder die Umwelt verhalten sich anders als erwartet. In pädagogischen Prozessen erhalten diese eigentlich negativen Erlebnisse positive Bedeutung, weil sie Voraussetzung für Lern- und Bildungsprozesse sind (vgl. ebd., S. 7). Zudem werden diese negativen Erfahrungen im Verlauf des Lernens vergessen, weil das Nicht-Können oder Nicht-Wissen dann bereits zu einem Können oder Wissen geworden ist (vgl. ebd., S. 11). Allerdings wäre es nach Benner ein Missverständnis, Lernen immer im Kontinuum von Nicht-Können zu Können zu sehen. Vielmehr handelt es sich um ein Nebeneinander von beidem. Am Bekannten wird Unbekanntes sichtbar und am Unbekannten kann Bekanntes wahrgenommen werden (vgl. ebd., S. 8f.).

Otto fügt hinzu, dass für das tatsächliche Lernverhalten nicht nur negative Ereignisse und Emotionen, sondern ebenso positive notwendig sind (vgl. Otto 2005, S. 90). Die Fremdheit oder Neuheit eines Gegenstandes wird erkannt durch ein Irritationserlebnis, dieses kann zu Furcht und/oder Interesse führen. Damit eine Lernhandlung erfolgt, ist Interesse als positive Emotion notwendig, die in Kombination mit einem nicht zu hohen Maß an Furcht zu einer Aktivität führt, die das Lernverhalten einleitet und so die Furcht vor dem Unbekannten reduziert (vgl. ebd., S. 56). Die echte Lernaktivität entspringt also einer Furcht-Interesse-Interaktion (vgl. ebd., S. 90). Interesse hängt ab von der Bedeutung und dem erwarteten Nutzen, die das Thema für den individuellen Lebenszusammenhang haben (vgl. Grotlüschen 2010, S. 139). Interesse geht hierbei der Motivation voraus und bezieht sich auf das Thema oder den Inhalt, während Motivation die Tätigkeit, zum Beispiel Lernen oder Lesen, meint (vgl. Siebert 2006, S. 61) und somit zur Handlung führt.

Wenn eine Person in ein neues Umfeld kommt und/oder sich in neuen Kreisen oder Rollen bewegt, sind solche Irritationserfahrungen Ereignisse, die dem Individuum zeigen können, wo Lernbedarf besteht. So wird es auch für Existenzgründer_innen vermutet, die die Rolle des_r Unternehmers_in neu einnehmen.

3.3 Selbstorganisation und Selbststeuerung des Lernens

Für Existenzgründungen gibt es in der Regel kein festgelegtes Curriculum. Es ist anzunehmen, dass Gründer_innen die Gründung und das damit verbundene Lernen zum großen Teil selbst organisieren und strukturieren. Aus diesem Grund soll die Selbststeuerung und Selbstorganisation von Lernprozessen im Folgenden beschrieben werden.

Selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen sind Begriffe, die vorwiegend aus dem amerikanischen Raum nach Deutschland kamen und besonders um die Jahrtausendwende in der Erwachsenenpädagogik diskutiert wurden. Reischmann fasst die amerikanische Diskussion um den Begriff des self-directed learning zusammen und stellt dabei fest, dass eine klare Definition fehlt (vgl. Reischmann 1997, S. 130). Er bestimmt vier Bedeutungen, in denen der Begriff verwendet wird: Zum einen bezeichnet self-directed learning autodidaktisches Lernen im Lebenszusammenhang, was diejenigen Vorgänge meint, die oft in erster Linie unter informellem Lernen verstanden werden (vgl. Kapitel 3.4). Zweitens steht der Begriff dafür, dass der_die Lerner_in die lehrende Unterweisung mitsteuert. Hierbei geht es innerhalb von fremdorganisierten Veranstaltungen darum, dass die Teilnehmenden Selbststeuerungsmöglichkeiten erhalten, zum Beispiel durch Selbstlernmaterialien oder Wahlmöglichkeiten zwischen inhaltlich verschiedenen Modulen (vgl. Gnahs/Seidel 1999, S. 75ff.). Drittens steht der Begriff für Selbst-Management des_r Lerners_in. Um selbstgesteuert oder selbstorganisiert lernen zu können, müssen nach diesem Konzept bestimmte Voraussetzungen beim_bei_der Lernenden vorliegen. Dies wird auch als „Selbstlernreife“ (Reischmann 1997, S. 132) bezeichnet. Die Kontextunabhängigkeit der Selbstlernfähigkeiten ist umstritten. Wer in einem Zusammenhang oder einer Situation eine hohe Selbstlernfähigkeit zeigt, kann in einer anderen Situation hilflos und überfordert sein (vgl. ebd., S. 133). Der vierte und letzte Bedeutungszusammenhang des Begriffs self-directed learning betrifft die persönliche Autonomie, damit ist demokratische Selbstbestimmung, persönliche Unabhängigkeit und Ablehnung von Autoritäten im Lernprozess gemeint (vgl. ebd., S. 133).

In Deutschland haben sich aus dieser Diskussion in erster Linie die Begriffe des selbstgesteuerten und des selbstorganisierten Lernens entwickelt. Die Unterscheidung beider Begriffe wird in der Literatur nicht einheitlich gehandhabt. Daher wird im Folgenden ein kurzer Überblick über die Diskussion in Deutschland gegeben.

Selbstgesteuertes Lernen meint Lernprozesse, die von Lernenden hinsichtlich Lernzeit, -ort und -methoden selbst gesteuert werden. Zum selbstgesteuerten Lernen gehört auch, wenn der_die Lernende sich zur Erreichung eines Lernziels für ein fremdgesteuertes Angebot entscheidet (vgl. Klein/Peters/Dengler 2000, S. 2f.). Eben dieses Verständnis wird auch im Beschluss der Kulturministerkonferenz vom 14.4.2000 deutlich (vgl. Kultusministerkonferenz 2000, S. 2). Nach Dohmen gehört zum selbstgesteuerten Lernen zusätzlich die Bestimmung der Lernziele und –inhalte, für ihn ist der Begriff des selbstgesteuerten Lernens damit weiter gefasst als der des selbstorganisierten Lernens (vgl. Klein/Peters/Dengler 2000, S. 2). Mader hingegen beschränkt selbstgesteuertes Lernen ausschließlich auf die Methoden des Lernens und sieht im Begriff des selbstorganisierten Lernens den weiter gefassten Terminus (vgl. ebd., S. 2f.). Dietrich schlägt vor, nicht die Begriffe an sich, sondern den Grad der Selbststeuerung zu unterscheiden. Als Faktoren, die in einem Lernprozess gesteuert werden, nennt er: Ziel, Inhalte, Lernregulierung (wo, wann, wie lange) und Lernweg (wie). Je nachdem, wie viele dieser Faktoren durch den_die Lernende_n selbst gesteuert und organisiert werden, handelt es sich in seinem Verständnis um einen Lernprozess mit hoher oder geringer Selbst- oder Fremdsteuerung (vgl. Dietrich 1999, S. 15).

Knoll hingegen sieht die Begriffe Steuern und Organisieren als zwei Dimensionen mit jeweils polaren Ausprägungen. Unter „Organisieren“ versteht er die Entscheidung des Was, Wie und Wozu und somit die Konstruktion des Lernvorgangs. „Steuern“ ist für ihn die Gestaltung des Lernens durch den_die Lernende_n (vgl. Knoll 2001, S. 169).

Auch Gieseke weist darauf hin, dass bei der Diskussion um das self-directed learning berücksichtigt werden sollte, dass dieser Begriff auch selbstinitiiertes Lernen unter Nutzung fremdorganisierter Angebote meint (vgl. Gieseke 1997, S. 79). Als bevorzugten Begriff sieht sie das selbstorganisierte Lernen, da dieses in seiner weiter gefassten Definition, demokratisierende und aktivierende Ansprüche beinhaltet, ohne dabei das Alleinlernen zu idealisieren (vgl. ebd., S. 110). Zudem warnt sie davor, die antiinstitutionellen Aspekte des selbstgesteuerten beziehungsweise selbstorganisierten Lernens zu stark zu betonen und das Alleinlernen zu einem Idealbild zu erheben (vgl. ebd., S. 110).

Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie Menschen zu Lernenden werden, die in der Lage sind, selbstgesteuert zu lernen. Felden weist darauf hin, dass hierfür neben einer entsprechenden Vorbereitung in den Schulen Bildungs- und Lernberatung notwendig sind und Erwachsenenbildner_innen als „Lernbegleiter, Organisatoren von Lernumwelten und Coaches“ (Felden 2004, S. 6) fungieren. Auch wenn das oben genannte Konzept der „Selbstlernreife“ umstritten ist, gibt es eine Vielzahl an Studien, die Voraussetzungen erfolgreichen selbstgesteuerten Lernens untersuchen. Die Befunde sind jedoch so heterogen, dass eine allgemeine Systematisierung schwierig ist (vgl. Kraft 2002a, S. 34).

Bedenken hinsichtlich des selbstgesteuerten Lernens bestehen darin, dass die Fokussierung auf die Selbstverantwortung des Einzelnen zu einem vor allem finanziellen Rückzug insbesondere staatlicher Institutionen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung führen könnte (vgl. Gieseke 1999, S. 110). Mit dem Konzept des selbstgesteuerten Lernens könnten neoliberale Ideen gestärkt werden, die dazu führen, dass die staatliche Verantwortung im Bildungsbereich verringert wird (vgl. Felden 2004, S. 7). Auch wenn Gieseke 2009 schreibt, dass die Desinstitutionalisierungstendenzen, die durch den Ansatz des selbstgesteuerten Lernens begründet wurden, inzwischen verklungen sind (vgl. Gieseke 2009, S. 106), sollte dieses potenzielle Risiko im Zusammenhang mit selbstgesteuertem oder selbstorganisiertem Lernen nicht außer Acht gelassen werden.

Für die vorliegende Arbeit ist die Differenzierung zwischen Selbstorganisation und Selbststeuerung im Hinblick auf das Thema insofern relevant, da Existenzgründer_innen ihre Lernprozesse selbst organisieren und es nicht unwahrscheinlich ist, dass sie dabei die selbstinitiierte Teilnahme an Seminaren oder anderen zumindest zum Teil fremdgesteuerten Angeboten einbeziehen. Gleichzeitig kann vermutet werden, dass auch selbstgesteuertes, also ohne fremde Anleitung stattfindendes Lernen erfolgt. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit den Ausführungen von Gieseke und Knoll folgend der Begriff des selbstorganisierten Lernens bevorzugt, sofern es um die Organisation und Konzeption des Lernens geht. Für das autonome Alleinlernen hingegen wird vorzugsweise der Begriff Selbststeuerung verwendet.[3]

3.4 Lernformen: formal, non-formal und informell

Um das Lernen von Existenzgründer_innen genauer zu untersuchen, ist es notwendig Kategorien zu finden, die verschiedene Formen von Lernen beschreiben. Eine inzwischen sehr gängige Unterscheidung, die unter anderem im „Memorandum über Lebenslanges Lernen“, herausgegeben von der Europäischen Kommission (2000), ausgeführt wird, teilt Lernen in drei Kategorien ein: Zum einen das formale Lernen, das in organisierten oder institutionalisierten Kontexten, wie Weiterbildungs- und Ausbildungseinrichtungen, stattfindet und zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen führt. Die zweite Kategorie ist das nicht-formale Lernen. Diese Form führt nicht zwingend zum Erwerb eines formalen Abschlusses und findet außerhalb der Hauptsysteme der beruflichen und allgemeinen Bildung statt, wie in Parteien oder Sportvereinen. Die dritte Kategorie ist schließlich das informelle Lernen, das im Gegensatz zu den ersten beiden nicht notwendigerweise intentional ist und auch als Begleiterscheinung des täglichen Lebens beschrieben wird (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft 2000, S. 9f.). Das Memorandum spricht sich dafür aus, dem nicht-formalen und informellen Lernen mehr Beachtung zu schenken, da in der Vergangenheit vor allem das formale Lernen im Zentrum politischer Aktivitäten stand (vgl. ebd., S. 10).

Besonders das informelle Lernen ist stark in den Fokus der Diskussion gerückt, wobei es stets umstritten blieb. Laut Dohmen erfolgt informelles Lernen nicht planmäßig und geregelt in Bildungsveranstaltungen, sondern ungeregelt im Lebenszusammenhang (vgl. Dohmen 1996, S. 29). Dohmen bezeichnet das informelle Lernen auch als natürliches Lernen und fasst darunter zum Beispiel „Beobachtungs- und Nachahmungslernen und das Handlungs-, Erfahrungs- und Erprobungslernen“ (Dohmen 1982, S. 192). Informelles Lernen hat gerade in der beruflichen Bildung, insbesondere beim Lernen am Arbeitsplatz eine große Bedeutung erlangt. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Verwendung des Begriffs in der Literatur nicht eindeutig ist. Informelles Lernen wird verstanden als nicht intentionales und beiläufiges Lernen, ebenso auch als selbstentwickelte bewusste Lernaktivität durch den_die Lerner_in (vgl. Dohmen 2001, S. 18). Zudem werden teilweise auch Beratung oder Coaching zu den informellen Lernformen gezählt (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006, S. 189).

Auf den ersten Blick erscheint das Konzept des informellen Lernens durchaus attraktiv. Ein Lernen, das quasi nebenbei erfolgt, ganz anders als die negativen Lernerfahrungen, die viele Erwachsene aus ihrer Schulzeit in Erinnerung haben. Unterstützt wird dieses Lernkonzept von Erkenntnissen der Gehirnforschung, die besagen, dass das Gehirn immer lernt und dass es Lernen nicht verhindern kann (vgl. Spitzer 2003). Dennoch ist aus pädagogischer Sicht eine differenziertere Betrachtung notwendig. Reischmann unterscheidet zwischen intentionalem und nicht-intentionalem Lernen, das er auch als Lernen „en passant“ bezeichnet, und weist darauf hin, dass sowohl das selbstorganisierte und selbstgesteuerte als auch das sich nebenbei ergebende Lernen die Bildungs- und Lernbiographie einer Person deutlich mehr prägt als institutionalisiertes, formales Lernen (vgl. Reischmann 1995, S. 204). Dagegen gibt Faulstich zu bedenken, dass natürlich alle Lebenstätigkeiten auch Lernaspekte beinhalten können. Dieses inzidentelle Lernen oder Mitlernen ist jedoch kein Lernen im engeren pädagogischen Sinne, da dabei die notwendige Intention für das Lernen fehlt. Lernmotivation entsteht erst, wenn Individuen auf Hindernisse oder Widerstände stoßen und somit eine Diskrepanz zwischen einer Handlungsproblematik und dem beim Individuum vorhandenen Lösungspotenzial offensichtlich wird (vgl. Faulstich 2003, S. 219f.). Beim informellen Lernen gehen Arbeiten und Lernen oft ineinander über. Gieseke bezeichnet dies als „ganzheitliches Lernen“ (Gieseke 1999, S. 108), distanziert sich jedoch vom Begriff des natürlichen Lernens, den Dohmen verwendet.

Im Rahmen dieser Arbeit wird inzidentelles Lernen nur insofern in informelles Lernen integriert und berücksichtigt, wenn es zumindest im Nachhinein durch die Gründer_innen in Worte zu fassen und zu reflektieren ist.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass informelles Lernen viele Chancen birgt, beispielsweise die formale Zugangsfreiheit, die in vielen Fällen zeitliche und räumliche Ungebundenheit und den hohen Anwendungs- und Praxisbezug. Gleichzeitig gibt es jedoch auch eine Reihe an Risiken. Um informell effektiv lernen zu können, sind gewisse Voraussetzungen und Fähigkeiten notwendig. Menschen, die über diese Voraussetzungen nicht verfügen, bleiben vom informellen Lernen ausgeschlossen. So kann beispielsweise eine Internetrecherche zu einem im Alltag aufgetretenen Problem nur erfolgen, wenn eine Person lesen kann, Zugang zum Internet hat, Rechercheprozesse kennt, in der Lage ist diese durchzuführen und die Ergebnisse angemessen zu dokumentieren. All diese Kenntnisse und Voraussetzungen müssen zuvor erlernt oder geschaffen werden. Je nach Lebensumfeld des Individuums kann der Zugang dazu schwierig sein. Um die Grundvoraussetzungen des informellen Lernens herzustellen und zu erhalten, ist daher auch formales Lernen, unter anderem durch die schulische Grundbildung notwendig. Ein weiteres Problem des informellen Lernens ist, dass informell und oft auch non-formal erworbene Kenntnisse nicht durch Dokumente belegbar sind. Gerade in der deutschen an Zertifikaten und Abschlüssen orientierten Gesellschaft wird dies zum Nachteil. Zwar gibt es bereits Möglichkeiten, informell erworbene Kenntnisse zu erfassen, zum Beispiel durch den ProfilPass[4], die Anerkennung dieser Instrumente ist jedoch unterschiedlich. Ein weiteres Risiko des informellen Lernens ist, dass die Verantwortung für das Lernen – ebenso wie beim selbstgesteuerten Lernen - mehr und mehr auf das Individuum verlagert wird. Es besteht die Gefahr, dass Bildungsinstitutionen sich mit dem Argument der Selbstverantwortung des Einzelnen ihrem Bildungsauftrag entziehen oder notwendige Reformen umgehen (vgl. Gieseke 1999, S. 99).

In Bezug auf die Existenzgründung ist die Mischung aus formalen und informellen Lernvorgängen interessant, die Gründer_innen bewusst oder unbewusst wählen. Insbesondere die Bedeutung und Wirksamkeit von informellen verglichen mit formalen oder non-formalen Lernvorgängen ist dabei relevant, da informelles Lernen zwar einen Großteil des Lernens ausmacht, Nachhaltigkeit und Explizierbarkeit des informell erworbenen Wissens jedoch nicht automatisch gegeben sind.

IV.Biographieforschung in der Erwachsenenpädagogik

Die Biographieforschung stellt das einzelne lernende Subjekt in den Mittelpunkt und hält dennoch die gesellschaftlich-strukturelle Ebene, auf der dieses Subjekt agiert, im Blick (vgl. Dausien 2001, S. 102). Der Bildungsbegriff wird in der Biographieforschung weit gefasst, er beinhaltet formales, non-formales und informelles Lernen. Die Biographie selbst wird als Organisationsprinzip sozialer Prozesse des Lernens und Verlernens des Subjekts in der Struktur seines Lebens verstanden. Darin enthalten sind Bildung und Lernen, Qualifikationen sowie Identitäts- und Persönlichkeitsbildung (vgl. ebd., S. 102). Die Verknüpfung von einzelnen Erfahrungen, Veränderungen und Kenntnissen zu einer gemeinsamen Sinngestalt durch das Individuum bezeichnet Alheit als Biographizität (vgl. Alheit/Dausien 2002, S. 574). Das Individuum versucht so, Kontinuität in der eigenen Identität herzustellen (vgl. Siebert 2006, S. 106).

Der Lebenslauf ist im Gegensatz zur Biographie eher als formales Gerüst zu verstehen, an dem sich die biographischen Bildungsprozesse orientieren. Er gibt eine Art gesellschaftliches Curriculum vor (vgl. Alheit/Dausien 2002, S. 574). Der in Deutschland lange als „normal“ angesehene dreigliedrige Lebenslauf, der Vorbereitungs-, Aktivitäts- und Ruhephase enthielt, verliert zunehmend an Gültigkeit (vgl. ebd., S. 574). Die neuen Lebensmuster sind individueller, nicht mehr streng linear angelegt und müssen von Einzelnen stärker selbst gestaltet werden (vgl. Alheit/Dausien 2006, S. 439f). Diesen autonomen Gestaltungsmöglichkeiten stehen die Steigerung der sozialen Unsicherheit und der gleichzeitige Verlust der selbstgesteuerten Planbarkeit des eigenen Lebens entgegen (vgl. Dörre 2010, S.141). Vielen Menschen fehlen kulturelle, soziale oder finanzielle Ressourcen, um ihr Leben so zu gestalten, wie sie es gerne möchten (vgl. ebd., S. 147). Die Biographie und der Bildungsverlauf werden zudem durch emotional bedeutsame Ereignisse beeinflusst. Emotionale Erfahrungen können zu Befreiungsinteressen führen, die wiederum in Bildungsaktivitäten münden (vgl. Gieseke 2009, S. 67). Gleichzeitig können emotionale Schemata auch hemmend auf die Bildungsaktivitäten wirken. Negative Lernerfahrungen oder Traumata können trotz vorhandenem Lerninteresse Lernen verhindern, weil die Angst überwiegt, negative Erfahrungen zu wiederholen (vgl. ebd., S. 133).

Moderne Lebensläufe sind oft durch Umbrüche, also Einschnitte im Lebensverlauf gekennzeichnet, diese können sowohl selbst- als auch fremdinitiiert sowie erwünscht oder unerwünscht sein (vgl. Siebert 2006, S. 110f.). In solchen Umbruchsituationen ist die Passung von Person und Umwelt gestört, als Bewältigungsstrategie kann Lernen in diesen Prozessen eine wichtige Rolle spielen (ebd., S. 111f.).

Durch die zunehmende Auflösung von gesellschaftlichen Kollektiven und die Individualisierung von Biographien bei gleichzeitig steigender Anzahl an Umbrüchen im Lebenslauf steigt der Bedarf an Angeboten, die in diesen Situationen Hilfestellung, Orientierung und Raum zur Reflexion bieten (vgl. Schiersmann 2005, S. 561). Ziel solcher Angebote können zum Beispiel die Verbesserung der Lebenssituation oder die Neustrukturierung vorhandener Wahrnehmungs-, Einstellungs- und Handlungsschemata sein (vgl. ebd., S. 561). Alheit warnt vor einem allgemein kompensatorischen, fast therapeutischen Ansatz der biographischen Erwachsenenbildung, der das Bearbeiten von Problemsituationen in der Biographie in den Mittelpunkt stellt. Er weist auf die Individualität jeder einzelnen Krisensituation hin und betont, dass nicht das kritische Ereignis selbst das Entscheidende sei, sondern die Biographie, in der es vorkommt. Denn abhängig von der individuellen Lebensplanung und von der Unterstützung im sozialen Umfeld können unterschiedliche Menschen ein Ereignis sehr unterschiedlich erleben (vgl. Alheit 1993, S. 359f.).

Aus biographietheoretischer Forschungsperspektive stellen sich daran anschließend die Fragen, wie Menschen ihre gesteigerten Wahlmöglichkeiten nutzen, wie sie auf die Umbrüche in ihrem Lebensverlauf reagieren und wie sie ihr Leben im Spannungsfeld aus Unsicherheit und Unplanbarkeit einerseits und Multioptionalität andererseits gestalten. Aus pädagogischer Sicht lässt sich daran anknüpfend fragen, wie in diesem Umfeld Lernen stattfindet und welche Bedeutung es hat. Der biographietheoretische Ansatz untersucht hier unter anderem, wie Individuen biographische Lernprozesse strukturieren und gestalten, und welche Rolle organisierte Bildung und insbesondere die unterschiedlichen Formen der Erwachsenenbildung dabei haben (vgl. Alheit/Dausien 2006, S. 439). Die biographietheoretische Herangehensweise wird besonders dann genutzt, wenn „komplexe, in den lebensweltlichen Zusammenhang eingebettete Lernprozesse von Individuen oder Gruppen empirisch studiert“ (Dausien 2008, S. 162) werden. Biographietheoretische Forschung untersucht Lernprozesse am konkreten Fall aus Sicht des_r Lernenden, gesellschaftliche Strukturen werden dabei nicht ausgeblendet, sondern ebenfalls aus der Perspektive des Individuums betrachtet (vgl. Alheit/Dausien 2006, S. 441). Im Rahmen dieser Masterarbeit wird die biographietheoretische Herangehensweise für den Übergang in die berufliche Selbstständigkeit verwendet, auch wenn in den Interviews nicht die gesamte Biographie der Gründer_innen rekonstruiert wird. Diese Betrachtungsweise bietet sich an, da dieser Übergang als Ereignis im Rahmen einer Biographie nicht losgelöst von den vorhergehenden Lernerfahrungen, Einstellungen sowie dem Lernhabitus gesehen werden kann (vgl. Kapitel 4.1).

4.1 Habitus und Lernhabitus

Der Habitusbegriff nach Bourdieu bezeichnet ein Produkt verinnerlichter sozialer Strukturen, das soziale Handlungen erzeugt (vgl. Herzberg 2005, S. 13). Menschen, die unter identischen Rahmenbedingungen aufwachsen, entwickeln demnach ähnliche Habitusformen. Herzberg geht davon aus, dass auch Lernen und Bildung in Verbindung mit dem Habitus gesehen werden können. Fraglich ist dabei, inwiefern dieser Lern- und Bildungshabitus eines Menschen veränderbar ist (vgl. ebd., S. 13). Bourdieus Theorie selbst gibt hierauf keine Antwort. Der Habitus entsteht, indem ein Kind zunächst durch die direkte Umwelt geprägt wird, die wiederum durch die gesellschaftlichen Strukturen beeinflusst ist. Das Kind entwickelt vor diesem Hintergrund bestimmte biographische Dispositionen und Bewertungsschemata (vgl. ebd., S. 14f.). Dies sind verinnerlichte soziale Strukturen, die sich als Habitus darstellen. Diese prägen auch zukünftige Verarbeitungsprozesse von Erfahrungen und gesellschaftlichen Einflüssen (vgl. ebd., S. 14f.). Neue Erfahrungen werden zunächst in das bestehende Schema integriert, können jedoch vom Individuum reflektiert werden und so transitorische Prozesse einleiten (vgl. Alheit 1993, S. 400), die den Habitus verändern können (vgl. Herzberg 2005, S. 15). Der Habitus kann demnach auch als „Konstruktion zwischen den Polen Struktur und Subjekt“ (ebd., S. 15) gesehen werden. Herzberg definiert daran anschließend den biographischen Lernhabitus als „Produkt inkorporierter sozialer Strukturen, zugleich aber auch [...] Erzeugungsprinzip biographischer Lern- und Bildungsprozesse“ (ebd., S. 15). Merkmale des Habitus sind Bildungsaspirationen, biographische Lern- und Verarbeitungsstrategien, Deutungshoheit, Wertorientierungen und biographische Reflexivität (vgl. ebd., S. 15f.).

Bei der Betrachtung von Unternehmensgründungsverläufen aus der Perspektive des_r Gründer_in selbst, kann der Lernhabitus möglicherweise Aufschluss über bestimmte Verhaltensweisen und ihre Begründungsmuster geben. Denn diese Perspektive stellt individuelle Entscheidungen in den größeren Zusammenhang des beim Individuum vorhandenen Habitus. Eine ausführliche Analyse des Habitus wird im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich sein, dennoch wird es als sinnvoll erachtet, das Habituskonzept im Rahmen der empirischen Forschung mit zu bedenken.

An dieser Stelle soll auch darauf hingewiesen werden, dass in jedem Berufsbereich auch ein Berufshabitus und für selbstständige Unternehmer_innen ein Unternehmer_innenhabitus existiert (vgl. Maier-Gutheil 2009, S.172), der das Verhalten beeinflusst.

V.Angebote und Weiterbildung für Gründer_innen

Neben der fachlichen Kompetenz, also der Sachkenntnis im Bereich ihres Angebots oder ihrer Dienstleistung benötigen Gründer_innen in der Regel auch methodische, soziale und persönliche Kompetenzen. Zusätzlich dazu ist die unternehmerische Kompetenz von Bedeutung, diese beinhaltet beispielsweise unternehmerisches Denken, Analysefähigkeit, Marktkenntnis und Selbstvermarktungsfähigkeit (vgl. Braun/Hengst/Petersohn 2008, S. 51). Verschiedene, meist zielgruppenspezifische Angebote unterstützen Gründer_innen dabei, diese Kompetenzen zu erwerben. In den folgenden Abschnitten werden zunächst die grundlegenden Begriffe „Bedarf“ und „Bedürfnis“ sowie der Zielgruppenansatz der Erwachsenenbildung geklärt, anschließend werden einige Angebotsformen für Gründer_innen vorgestellt.

5.1 Bedarf und Bedürfnis

Ein wichtiger Punkt sowohl bei der Entwicklung von bestimmten Angeboten als auch bei der Entscheidung über die Teilnahme seitens der potenziellen Teilnehmenden liegt in den jeweils wahrgenommenen Bedarfen und Bedürfnissen. Daher sollen an dieser Stelle die Begriffe Bedarf und Bedürfnis definiert und voneinander abgegrenzt werden. Während Bedarfe eine objektivierbare Größe darstellen, sind Bedürfnisse das subjektive Pendant dazu und liegen im Individuum selbst (vgl. Gieseke 2008, S. 29). Bedarfe entstehen aus Veränderungen in der Umwelt der Individuen, Bedürfnisse aus den einzelnen Individuen heraus. In der Literatur werden die Begriffe oft verbunden, da davon ausgegangen wird, dass Bedarfe und Bedürfnisse sich gegenseitig bedingen. Veränderungen, die Weiterbildung erfordern, führen nach dieser Logik eben nicht nur zu neuen Bedarfen, sondern auch bei den Subjekten zu neuen Bedürfnissen (vgl. ebd., S. 29). Dabei ist zu beachten, dass Bedarfe erhoben werden können, beispielsweise innerhalb eines Betriebes. Allerdings sind die Ergebnisse einer solchen Erhebung stark davon abhängig, wer sie wie und zu welchem Zweck durchführt und für welchen Rahmen sie Gültigkeit haben soll (vgl. ebd., S. 29). Die Objektivität von Bedarfen ist zwar in der Theorie leicht zu behaupten, in der Praxis ist jedoch stets zu bedenken, dass hinter einer Bedarfsermittlung meist auch bestimmte Verwertungs- und Nutzungsinteressen stehen (vgl. ebd., S. 30). Damit wird offensichtlich, dass Bedarfe je nach dahinterstehendem Interesse unterschiedlich definiert werden können. Faulstich warnt davor, dass das Konzept des empirisch-analytisch ermittelten Bedarfs dazu benutzt werden kann, Eigeninteressen und Entfaltungsmöglichkeiten der Lernenden ökonomischen Verwertungsinteressen unterzuordnen (vgl. ebd., S. 25). Er beschreibt den Terminus Bedarf deshalb als „Ergebnis gesellschaftlicher Kontexte und Perspektiven sowie von Diskussionsprozessen und Aushandlungen“ (ebd., S. 25).

Bedürfnisse hingegen liegen im Individuum selbst begründet, sind subjektiv und zum Teil unbewusst (vgl. Gieseke 2008, S. 29). So kann beispielsweise ein Bedürfnis nach Autonomie bei einem Menschen bestehen, das er unter Umständen selbst nicht klar erkennen oder artikulieren kann. Bedürfnisse sind von Interessen folgendermaßen abzugrenzen: Während Bedürfnisse eher allgemein und nicht auf konkrete Gegenstände gerichtet sind, bezeichnen Interessen „eine wechselseitig gerichtete Beziehung zwischen Selbst und Gegenstand“ (Grotlüschen/Krämer 2009, S. 2). Bedürfnisse können Interessen zugrunde liegen. Intrinsisches Lerninteresse wird wiederum von positiven Emotionen wie Freude unterstützt (vgl. Gieseke 2009, S. 61) und als Grundlage für Lernmotivation und Voraussetzung für konkrete Lernhandlungen angesehen (vgl. Otto 2005, S. 52f.) (vgl. Kapitel 3.2).

In Bezug auf Gründungsprozesse ist zu erforschen, welche Bedarfe und auch welche Bedürfnisse für das Lernen bei Gründer_innen bestehen. Genau genommen ist Zweiteres aufgrund des teilweise unbewussten Charakters von Bedürfnissen im umfassenden Maße, wenn überhaupt nur durch psychologische Methoden möglich. Für diese Arbeit reicht es aufgrund des Ansatzes einer explorativen empirischen Forschung aus, artikulierbare Bedarfe und Bedürfnisse aufzunehmen.

5.2 Zielgruppenansatz

Im Gegensatz zur Schulpflicht, die für Kinder und Jugendliche besteht, sind Erwachsene in der Entscheidung, an Erwachsenenbildung teilzunehmen, deutlich freier, wobei hier eingewendet werden muss, dass diese Freiwilligkeit gerade im großen Feld der betrieblichen Weiterbildung oft nicht oder nur teilweise gegeben ist. Die Inhalte, die in Weiterbildungen angeboten werden, sind nur selten durch feste externe Lehrpläne vorgegeben. Erwachsenenbildner haben einen größeren Einfluss darauf, welche Inhalte sie wie anbieten, als dies beispielsweise Lehrer in der Schule haben, ähnlich ist es auch mit den zu erwerbenden Abschlüssen und Zertifikaten. Erwachsenenpädagogische Angebote sind gezwungen ihre Inhalte, aber auch ihre Teilnehmer_innen stets neu zu finden (vgl. Mader/Weymann, S. 346f.). Sie bewegen sich in vielen Bereichen am freien Markt und müssen dort ihre „Kunden_innen“ gewinnen. Erwachsene knüpfen in ihren Lernprozessen stärker als Kinder und Jugendliche an bereits vorhandene Kenntnisse, Erfahrungen, Verhaltensweisen und Einstellungen an und wissen oft konkret, wie und wofür sie das Gelernte verwenden wollen (vgl. Schiersmann 2005, S. 557). Unter anderem in Form von Adressaten- und Teilnehmerforschung finden Anbieter heraus, welche Bedarfe bestehen. Die reale Nachfrage nach den konzipierten Angeboten zeigt, ob die Einschätzungen der Anbieter sich bewahrheiten (vgl. Schäffter 1981, S. 39f.). Unter Teilnehmerorientierung in der Erwachsenenbildung wird verstanden, die Interessen, Erfahrungen und Erwartungen der Teilnehmenden ernst zu nehmen und in die Veranstaltungen einzubeziehen (vgl. Faulstich/Zeuner 2010, S. 69). Adressaten sind dabei die Personen, die von einem Angebot erreicht werden sollen, Teilnehmende sind diejenigen, die das Angebot tatsächlich nutzen (vgl. ebd., S. 99).

Der Begriff der Zielgruppe existiert im Feld der Erwachsenenpädagogik seit den 1970er Jahren, hat jedoch keine einheitliche Definition (vgl. Schiersmann 2005, S. 557). Kurz gesagt ist eine Zielgruppe ein Konstrukt einer Personengruppe nach gemeinsamen soziostrukturellen Merkmalen (vgl. Faulstich/Zeuner 1999, S. 99). Zielgruppen werden heute oft mithilfe von sozialen Milieus beschrieben, dabei werden neben soziodemographischen Merkmalen auch psychographische Aspekte wie Werte, Interessen und Lebensstile einbezogen (vgl. Reich/Tippelt 2008, S. 17).

Schiersmann unterscheidet drei Zielgruppenansätze in der Erwachsenenbildung, von denen besonders einer für das Thema dieser Arbeit relevant ist[5]: Durch Zielgruppendefinitionen soll die Teilnehmendengruppe eines Bildungsangebotes homogenisiert werden, um so die Lerneffektivität zu steigern und Werbeaktivitäten zu erleichtern (vgl. Schiersmann 2005, S. 558f.). Hinter diesem Verständnis steht die Überzeugung, dass gute Kenntnisse der Zielgruppe eine bessere Programmgestaltung ermöglichen und den Teilnehmendenschwund verringern (vgl. ebd., S. 558). Dass heterogene Lebenswelten der Teilnehmer_innen, mit denen im Rahmen einer Veranstaltung gearbeitet werden kann, auch Potenzial bergen, wird jedoch nicht berücksichtigt (vgl. ebd., S. 559). Laut Schiersmann ist dieser Ansatz in der Praxis stark verbreitet und wird teilweise synonym zu den Begriffen der Adressaten-, Lebenswelt- oder Teilnehmerorientierung benutzt (vgl. ebd., S. 558). Beispiele für zielgruppenspezifische Angebote nach diesem Begriffsverständnis sind „Computerkurse für Senioren“, „Bewerbungstraining für Frauen“ und eben auch Angebote für (potenzielle) Gründer_innen.

Im Rahmen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, in der sich immer weniger von großen Menschengruppen geteilte Lebensverläufe und –bedingungen finden und Biographien individueller werden, wird die Bedeutung sozialer Bezugsgruppen, wie zum Beispiel früher die Arbeiterschicht, geringer (vgl. ebd., S. 561). Die Bildung von Zielgruppen wird erschwert. Schiersmann schlägt vor, dass aktuell geteilte Lebensumstände eine zukünftige Basis für die Zielgruppenkonstitution sein können. Bestimmte Umbrüche in der Biographie können das gemeinsame Kriterium für die Definition einer Zielgruppe darstellen. Der Umgang mit diesen Umbruchsituation kann wiederum durch spezielle Angebote adressiert werden (vgl. ebd., S. 561). Besonders in diesem aktualisierten Zielgruppenverständnis stellen Gründer_innen eine eigene Zielgruppe für Bildungsangebote dar. Sie gründen sich in verschiedenen Bereichen, haben unterschiedliche Hintergründe sowohl bezüglich der sozialen Herkunft, als auch bezogen auf ihre Bildung, ihr Alter und ihre Vorerfahrungen. Aus ihren unterschiedlichen Lebenswelten kommen sie in einer biographischen Situation an den Punkt der Unternehmensgründung und stehen in diesem Prozess teilweise vor identischen Fragen. Auf dieser Basis konzipierte Angebote sollen Reflexionsräume geben und letztlich zur Verbesserung der Lebenssituation dienen. (vgl. ebd., S. 561)

5.3 Angebote für Gründer_innen

Gieseke spricht im Kontext der Selbststeuerung/-organisation von einer Wende zum lebenslangen Lernen unter Berücksichtigung der bregrenzten Einflussnahme von Pädagog_innen auf individuelle Lernprozesse (vgl. Gieseke 2009, S. 111). Aus dieser Entwicklung entsteht ein gesteigerter Bedarf nach Beratung und offenen Lernarrangements, der auch bei den Angeboten für Gründer_innen sichtbar wird. Dies wird deutlich, wenn im Folgenden bestehende Angebote genauer beschrieben werden.

5.3.1 Formal-didaktisierte Angebote

Es gibt eine Vielzahl an Seminaren für Existenzgründer_innen: Vom zweitägigen Crash-Kurs über mehrmonatige Intensivseminare, von Seminaren nur für Frauen, über Angebote, die nur bestimmte Themen behandeln, und dann wieder ganze „Komplettpakete“. Anbieter sind Volkshochschulen, private Unternehmen, öffentlich-geförderte Träger und Projekte oder Hochschulen. Auch preislich sind die Unterschiede enorm. Oft sind es betriebswirtschaftliche Themen wie Marketing und Buchführung, die in solchen Seminaren vermittelt werden. Einige Anbieter schließen sogar die Ideenfindung und -weiterentwicklung im Rahmen von Seminaren und Kursen mit ein. Unter diese Kategorie fallen auch die sogenannten Gründer_innen-Assessments. Dabei kommt eine Gruppe von potenziellen Gründer_innen zusammen und stellt sich gegenseitig, angeleitet von in der Regel zwei Assessor_innen, ihre Gründungsideen vor. Durch gegenseitiges Feedback und Fragen aus der Gruppe können die Teilnehmer_innen kritische Aspekte ihrer Idee identifizieren und diese im Anschluss verbessern und weiterentwickeln. Theoretische Inputs und weitere Übungen, wie Rollenspiele oder Kurzpräsentationen, runden das Assessment ab. In ausführlichen Feedback- und Austauschrunden erhalten die Teilnehmenden Gelegenheit zur Reflexion. Teilweise werden diese Assessments auch als Development Center bezeichnet, was den Entwicklungscharakter stärker betont (vgl. Langhof 2011, S. 112f). Oftmals steht am Ende jedoch eine klare Empfehlung der Assessor_innen für oder gegen die Gründung, die teilweise Einfluss auf Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten hat. Ziel ist es, dass der_die Gründer_in im Laufe des Assessments selbst erkennt, ob eine Gründung sinnvoll ist, sodass die externe Einschätzung nicht überraschend kommt. Dies gelingt jedoch nicht immer.

Schäffter nennt einige Vorteile von solch formal-didaktisierten Angeboten: Sie bieten eine Struktur, vermitteln den Lerngegenstand in einer sinnvollen Reihenfolge mit didaktischen Methoden und gewährleisten Kontinuität zumindest für die Laufzeit des jeweiligen Kurses (vgl. Schäffter 2000, o.S.). Weitere Vorteile liegen in der Anwesenheit eines_r pädagogisch geschulten und inhaltlich kompetenten Dozent_in sowie in der Möglichkeit zum Austausch in der Teilnehmendengruppe. In einer Gründungsphase, in der noch keinerlei Routinen bestehen, kann ein solches Seminar für eine gewisse Zeit Struktur geben und die Auseinandersetzung mit notwendigen Themen sinnvoll anleiten und begleiten.

In Hinblick auf Existenzgründer_innen könnte ein Nachteil jedoch darin bestehen, dass jede Gründung sehr individuell ist und viele Themen von Unternehmensform, Branche und Produkt abhängig sind. Heterogene Teilnehmendengruppen bewirken, dass ein breites Spektrum abgedeckt werden muss, aus dem sich jede_r Teilnehmer_in das für ihn_sie relevante heraussucht. Gleichzeitig zeigt eine heterogene Gruppe den Teilnehmer_innen auch die Verschiedenheit von Gründungen auf und ermöglicht einen Blick über den eigenen Tellerrand.

5.3.2 Selbstgesteuertes Lernen ohne formalen Rahmen

Es existiert eine große Bandbreite an Literatur sowie Internetangeboten, die sich speziell an Gründer_innen richten oder einfach Themen behandeln, die für Gründer_innen relevant sein können. Beispielsweise stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie auf seinem Existenzgründungsportal[6] im Internet Informationsmaterial für Gründer_innen zur Verfügung. Neben allgemeinen Informationen zur Gründung werden Hinweise zu Unterstützungsmöglichkeiten, Diskussions- und Fragemöglichkeiten in Expert_innenforen, Texte zum Thema Selbstständigkeit und vieles mehr geboten.

Gründer_innen können und müssen sich Kenntnisse, die sie benötigen auch auf informellem Weg aneignen. Hierbei handelt es sich in der Regel um intentionales informelles, selbstorganisiertes und selbstgesteuertes Lernen. Neben Literatur und Internet sind Gespräche mit Personen aus dem eigenen sozialen Umfeld eine Möglichkeit, an Wissen zu kommen. Besonders hilfreich sind diese Gespräche, wenn die Gesprächspartner_innen selbst selbstständig sind oder sich mit einzelnen, für die Selbstständigkeit relevanten Themenbereichen auskennen. So kann es sinnvoll sein, wenn sich ein_e Gründer_in mit einem_r befreundeten Betriebswirt_in oder Steuerberater_in über sein_ihr Vorhaben austauscht. Neben Wissen im unternehmerischen Bereich kann auch ein Gespräch über das Produkt oder die geplante Dienstleistung zielführend sein. Dieses Gespräch kann mit Personen erfolgen, die in einem ähnlichen Bereich tätig sind, oder mit Personen, die zur Zielgruppe des Produkts gehören könnten. Eine weitere Möglichkeit des intentionalen informellen Lernens ist der Kontakt mit anderen Gründer_innen. So muss nicht jede_r alle Erfahrungen selbst machen, sondern kann von den Fehlern und natürlich auch Erfolgen der anderen lernen.

Ein weiterer Aspekt des informellen Lernens, der für Gründer_innen von Bedeutung ist, ist sicherlich das Erfahrungslernen, also das Lernen durch Handeln. Indem Gründer_innen ihre Rolle als Unternehmer_in einnehmen und aus ihr heraus agieren, werden sie mit neuen Situationen konfrontiert, in denen sie sich zurechtfinden müssen. Im Handeln sammeln sie Erfahrungen, aus denen sie wiederum lernen können. Das in der Alltagssprache oft verwendete „Learning by Doing“ meint in der Regel dieses Lernen im Handeln selbst. Böhle, der sich im Bereich der Berufsbildung ausführlich mit Erfahrungswissen beschäftigt hat, beschreibt die wichtigsten Merkmale des Erfahrungswissens wie folgt: Erfahrungswissen ist gekennzeichnet durch den Praxisbezug, wobei diese Praxis nicht explizit dazu dient, Wissen zu überprüfen oder zu generieren (vgl. Böhle 2009, S. 74f.). Darüber hinaus gibt es eine wissenschaftliche Diskussion über den impliziten oder expliziten Charakter von Erfahrungswissen. Oft wird Erfahrungswissen nur dann als wirklich nützliches Wissen angesehen, wenn es explizierbar ist. Dies bedeutet, dass das Individuum, das auf diese Weise lernt, die gemachte Erfahrung reflektiert und in den eigenen Wissens- und Erfahrungshorizont einordnet (vgl. ebd., S. 76) (vgl. Kapitel 7.3).

5.3.3 Beratung

Wenn lebenslanges Lernen bedeutsamer wird und sich Bildungsverläufe dabei gleichzeitig stärker individualisieren, scheint es naheliegend, dass Beratungsangebote an Bedeutung gewinnen. Individuen gestalten ihre Biographie stärker eigenverantwortlich und sind gleichzeitig höheren Unsicherheiten und Risiken ausgesetzt, Beratung wird dabei zur Orientierungshilfe in Entscheidungssituationen. Zudem kann Beratung in selbstorganisierten Lernprozessen individuelle Unterstützung bieten (vgl. Schiersmann 2010, S. 748).

Beratung hat verschiedene Aufgaben in modernen Gesellschaften. Bildungsberatung dient dem Individuum beispielsweise dazu, seine_ihre bildungs- und berufsbiographische Gestaltungskompetenz zu erhöhen. Arbeits- und bildungsmarktpolitisch kann Beratung die Effizienz und Effektivität des Bildungssystems verbessern, indem Abbruchquoten verringert und Arbeitskräfte optimal qualifiziert werden. Schließlich kann Beratung auf gesellschaftspolitischer Ebene die Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe erhöhen (vgl. Schiersmann 2010, S. 749). Insgesamt teilt sich Beratung in personenbezogene und organisationsbezogene Beratung. Die personenbezogene Beratung wird weiter differenziert in Orientierungs-, Kompetenzentwicklungs- und Lernberatung (vgl. ebd., S. 750).

Je individueller die Lebensläufe, je größer und unübersichtlicher der Weiterbildungsmarkt, desto wichtiger wird Beratung, um Angebot und Nachfrage passend zusammenzuführen und bei Entscheidungsfindungsprozessen zu unterstützen (vgl. Eckert/Schiersmann/Tippelt 1997, S. 5f.). Inzwischen gibt es einen regelrechten „Beratungs-Boom“. Statt dem deutschen Wort Beratung, wird oft das Wort „Coaching“ verwendet[7], das zu einem Modewort geworden ist (vgl. Siebert 2006, S. 93). Auch im Bereich der Angebote für Existenzgründer_innen sind Beratungs- und Coaching-Angebote in großer Zahl vertreten und werden von Gründer_innen genutzt, weil sie sich davon eine individuelle Betreuung versprechen. Als wichtig gilt dafür, dass das Beratungskonzept die ganze Gründer_inperson umfasst. Allerdings fehlt es Berater_innen und Coaches_innen, die im Feld der Existenzgründung tätig sind, mitunter an professionellen erwachsenenpädagogischen Kenntnissen (vgl. Maier-Gutheil 2009, S. 239f.). Aus einer Beratung auf Augenhöhe kann daher schnell eine Erziehungs- oder Prüfungssituation werden. Sinnvoll wäre es, erwachsenenpädagogische Angebote zu schaffen, die Gründungsberater_innen die notwendigen erwachsenenpädagogischen Kompetenzen zugänglich machen (vgl. ebd., S. 240ff.).

Ziel einer Existenzgründungsberatung vor der Gründung ist in der Regel die Entscheidung für oder gegen das geplante Unternehmen, nach der Gründung steht die konkrete Lösung auftretender Probleme oder Unsicherheiten im Fokus. Um diese Ziele zu erreichen, wird in der Beratung sowohl Wissen vermittelt als auch zur Reflexion angeregt (vgl. ebd., S. 39).

Das Berliner Programm Start:Chance[8], das vom Berliner Senat gefördert wird, bietet ganz explizit „Coaching in der Vorgründungsphase“. Nach einem Erstgespräch und einem viertägigen Assessment in einer Gruppe von Gründer_innen, bei dem die Passung von Gründungsidee und Gründungsperson geprüft wird, erhalten die Programmteilnehmer_innen eine bestimmte Anzahl an Coachingstunden, bevor sie sich selbstständig machen. Ähnliche Programme gibt es auch in anderen Bundesländern. Das Gründercoaching Deutschland[9], das von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) organisiert wird, bietet Coaching für Gründer_innen nach ihrer Gründung, um ihnen in der ersten Zeit eine_n erfahrene_n Gründungscoach_in zur Seite zu stellen. Daneben gibt es zahlreiche freie Berater_innen am Markt, die sich auf Gründungen spezialisiert haben.

VI. Empirische Forschung

Wie bereits erwähnt, gibt es bislang keine umfangreiche erwachsenenpädagogische Forschung zur konkreten Fragestellung des Lernens und Lernverhaltens von Existenzgründer_innen. Nach einer ausführlichen Analyse der erwachsenenpädagogischen Literatur mit Blick auf das Thema wurde der Schritt in die empirische Forschung gemacht, um zu erfahren, welche konkreten Aspekte des Themas für Gründer_innen in der Praxis relevant sind.

Ziel der Forschung in dieser Masterarbeit ist es das Lernen von Gründer_innen nachzuvollziehen, ihre wahrgenommenen Bedürfnisse und Bedarfe zu erfragen, die Organisation des Lernens sowie die Nutzung und Bewertung einzelner Lernformen und -angebote zu erfassen und die Begründungen für das Lernverhalten zu verstehen. Um die Angaben der Gründer_innen in den biographischen und situativen Kontext einordnen zu können, wurde es zudem als wichtig angesehen, biographische Lernerfahrungen und die Einstellungen zum Lernen generell sowie die Rahmenbedingungen der Gründung zu erfragen.

Die Erkenntnisinteressen und Themen der durchgeführten Studie sind im Folgenden zusammengestellt:

1.Biographische Lernerfahrungen und allgemeines Lernverständnis
2.Rahmenbedingungen der Gründung
3.Lernverhalten und Lernorganisation
-Rolle des Lernens während der Gründung
-Besondere Bedarfe und Bedürfnisse
-Lernverhalten und Lernanlässe
-Lernorganisation zwischen Selbst- und Fremdorganisation
-Nutzung von Lernangeboten sowie deren Auswahlkriterien
-Bewertung des Lernverhaltens
4.Verbesserungsmöglichkeiten der Angebote für beziehungsweise Begleitung von Existenzgründer_innen

6.1  Darstellung der Methodik

Für die Erforschung des Lernverhaltens und der Lernprozesse von Existenzgründer_innen wurden insgesamt vier Interviews geführt, drei mit Gründerinnen und eines mit einer Existenzgründungsberaterin. Detailliert ausgewertet wurden nur die Interviews mit den Gründerinnen, das Gespräch mit der Beraterin dient als Hintergrundinformation für die Forscherin und wird im Rahmen der Auswertung und Ergebnisinterpretation punktuell hinzugezogen.

Eine besondere Herausforderung in den Interviews lag darin, dass Lernprozesse in der Regel nicht reflexionsfähig sind, da nicht bewusst erfahren wird, wie der Lernprozess abläuft. Der Vorgang des Lernens bleibt verborgen, nur die Ergebnisse sind bewusst (vgl. Dausien 2008, S. 155). Obwohl der Lernvorgang an sich meist nicht beschreibbar ist, haben Menschen oft genaue Vorstellungen davon, in welchen Lernarrangements und welche Art an Lerninhalten sie gut und gerne lernen (vgl. ebd., S. 155f.). Für die Interviews war wichtig, diese Problematik im Blick zu haben. Um Lernprozesse zu rekonstruieren, schlägt Felden vor, aus Veränderungen, die aus einem Interview und seiner Erzählstruktur herausgelesen werden können, auf die Lernprozesse zu schließen (Felden 2008, S. 122). Für die angestrebte grundlegende Forschung in diesem Themenfeld wurde es als ausreichend beurteilt, zunächst die Erkenntnisse zu analysieren, die den Befragten bewusst zugänglich sind. Für Folgeforschungen besteht sicherlich Potenzial, mit anderen Methoden Lernprozesse tiefergehender zu erforschen.

Methodisch orientieren sich die Interviews an dem problemzentrierten Interview nach Witzel, wobei dieses als Einzelmethode und nicht wie von Witzel konzipiert als Methodenmix angewendet wurde (vgl. Flick 2007, S. 210). Witzel nennt vier Bestandteile des qualitativen Interviews: Zunächst dient ein Kurzfragebogen der Erfassung von demographischen Daten der Interviewten. Als zweites ist der Leitfaden zu nennen, dieser wurde vorab erarbeitet und enthielt die wichtigsten Aspekte, die im Interview angesprochen werden sollen (vgl. Mayring 2002, S. 69). Für die Erarbeitung des Leitfadens wurde auf Fragestellungen, die sich aus der Sichtung der Literatur zum Thema Lernen und Lernverhalten ergeben, zurückgegriffen. Die Interviewerin verfolgte den Leitfaden nicht starr, sondern nutzte ihn als Hilfsmittel, um sicherzustellen, dass das Gespräch immer wieder auf die zentralen Fragestellungen zurückkommt und nichts Wichtiges vergessen wird. Dennoch hatte der Leitfaden einen für problemzentrierte Interviews recht hohen Strukturierungsgrad. Zudem wurde Stimulusmaterial für die Interviews vorbereitet (vgl. Anhang 2). Dieses Material gab einen Überblick über verschiedene Kompetenzen und Fertigkeiten, die Gründer_innen benötigen können sowie über verschiedene Lernformen. Nachdem in den Interviews zunächst frei nach beidem gefragt wurde, wurde den Gründer_innen das Material vorgelegt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, auf Basis dieser Vorlage ihre Erzählungen zu ergänzen. Dieses Vorgehen wurde gewählt, da davon ausgegangen wurde, dass nicht alle genutzten Lernformen sowie alle benötigten Kompetenzen den Befragten in der Interviewsituation direkt präsent und zugänglich sind. Weiterer Bestandteil der Interviews war die Tonaufnahme. Alle Interviews wurden vollständig aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Dazu kommt das Postskriptum, ein Interviewprotokoll, in dem die Interviewerin direkt im Anschluss einige Details zum Interview notiert hat, unter anderem zur Atmosphäre oder auch zu externen Störungen (vgl. Flick 2007, S. 210f.).

[...]


[1] Auf die Problematik des Begriffs weist Faulstich hin: „Man existiert erst, wenn man sich als Unternehmen gründet.“ (Faulstich 2009, S. 135). Diese Diskussion soll hier jedoch nicht vertieft werden. Der Begriff Existenzgründung wird in dieser Arbeit als gängiger Begriff für die Aufnahme von gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit verwendet.

[2] Vgl. http://www.berlin.de/vhs/

[3] Da die Fachliteratur oft allgemein den Begriff der Selbststeuerung nutzt, ohne weiter zu differenzieren, wird dies in Zitaten und im direkten Literaturbezug entsprechend übernommen. Auf die differenzierte Verwendung der Begriffe Selbstorganisation und Selbststeuerung wird jedoch bei eigenen Darstellungen, insbesondere bei der Darstellung der durchgeführten empirischen Untersuchung und der Ergebnisse Wert gelegt.

[4] Siehe http://www.profilpass.de

[5] Die zwei weiteren Ansätze, die Schiersmann (2005) beschreibt, werden an dieser Stelle nicht vertieft, können jedoch bei Schiersmann 2005, S. 558ff. nachgelesen werden.

[6] http://www.existenzgruender.de

[7] Die Begriffe Beratung und Coaching werden Rahmen dieser Arbeit synonym verwendet.

[8] http://www.start-chance.de

[9] http://www.kfw.de/Gründercoaching

Fin de l'extrait de 128 pages

Résumé des informations

Titre
Lernen und Lernverhalten im Prozess der Existenzgründung
Université
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
128
N° de catalogue
V268398
ISBN (ebook)
9783656585510
ISBN (Livre)
9783656585503
Taille d'un fichier
965 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit ist sowohl für Interessierte der Erwachsenenbildung/Erwachsenenpädagogik interessant als auch für Betriebswirte und alle, die sich mit dem Thema Existenzgründung auseinandersetzen, da in der Arbeit beide Bereiche miteinander in Verbindung gesetzt werden und der Fokus auf das Lernen von Existenzgründer_innen gesetzt wird. Die Autorin selbst ist sowohl Diplom-Betriebswirtin als auch Master der Erwachsenenpädagogik.
Mots clés
lernen, lernverhalten, prozess, existenzgründung
Citation du texte
Laura Ritter (Auteur), 2013, Lernen und Lernverhalten im Prozess der Existenzgründung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268398

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