Anfangs meiner Arbeit möchte ich das grundsätzliche Dilemma erörtern, in das ein liberaler Rechtsstaat, von dem eine Politik des Multikulturalismus gefordert wird, gerät. Im Umgang mit dem im ersten Kapitel beschriebenen Spannungsverhältnis treten zwei Argumentationskonzepte deutlich hervor. So werde ich im zweiten Kapitel diese beiden theoretischen Positionen der Multikulturalismusdebatte und ihre gegenseitige Kritik skizzieren, um dann eine Einordnung des Liberalismus innerhalb des Multikulturalismusdiskurses vorzunehmen. Auf dieser Grundlage werde ich im dritten Kapitel zwei Modelle des Liberalismus vorstellen und der Frage nachgehen, ob liberale Rechtsstaaten überhaupt eine Politik des Multikulturalismus betreiben können. Ich werde mich stark an Taylors Frage anlehnen, ob die Verfassung eines modernen liberalen Rechtsstaates ethnokulturelle Unterschiede anerkennen und berücksichtigen kann, oder ob liberale Rechtsstaaten zurecht dem Vorwurf der Homogenisierung und der Unterdrückung kultureller Vielfalt ausgesetzt sind. Sind Forderungen von nationalen Minderheiten oder Einwanderern nach Gruppenrechten etwa an sich illiberal, weil sie einer bestimmten Gruppe einen Sonderstatus verschaffen? Nachdem ich im dritten Kapitel darlegt habe, dass liberale Ideale mit Forderungen ethnokultureller Gruppen vereinbar sind, werde ich mich im vierten Teil fragen, was eigentlich einen Liberalismus, der mit ethnokulturellen Gruppenrechten vereinbar ist und kulturelle Vielfalt erhalten kann, als wünschenswerter auszeichnet.
Bis und mit zweitem Kapitel können die Erörterungen über ethnokulturelle Gruppen sowohl für nationale Minderheiten wie beispielsweise die Québécois als auch für Einwanderungsgruppen Geltung beanspruchen. Im weiteren Verlauf meiner Arbeit beschränkt sich meine Argumentation jedoch auf nationale Minderheiten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitende Worte
- 1. Rechtsgleichheit und ethnokulturelle Sonderrechte - ein Dilemma
- 2. Zwei theoretische Ansätze in der Multikulturalismusdebatte
- 2.1 Politik der universellen Würde vs. Politik der Differenz
- 2.2 Übergang von der Politik der universellen Würde zur Politik der Differenz
- 2.3 Der Liberalismus - eine Politik der universellen Würde
- 3. Zwei Liberalismusmodelle im Umgang mit ethnokulturellen Identitäten
- 3.1 Prozeduraler Liberalismus
- 3.2 Taylors alternatives Liberalismusmodell
- 4. Gründe für eine kulturabhängige Interpretation von Rechtsgleichheit
- 4.1 Mythos eines „differenz-blinden“ Liberalismus
- 4.2 Individuelle Autonomie und ethnokulturell geprägte Identität
- 4.3 Der Zusammenhang zwischen Anerkennung und Identitätsbildung
- 4.4 Beste Strategie für eine friedliche Koexistenz
- 5. Schlussüberlegungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit setzt sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen der liberalen Forderung nach Rechtsgleichheit und der ethnokulturellen Forderung nach Gruppenrechten auseinander. Ziel ist es, verschiedene theoretische Ansätze und Modelle im Umgang mit kultureller Vielfalt zu analysieren und zu beurteilen, ob liberale Rechtsstaaten eine Politik des Multikulturalismus betreiben können, ohne das Ideal der Rechtsgleichheit zu verletzen. Die Arbeit konzentriert sich auf nationale Minderheiten und untersucht, ob Forderungen nach Gruppenrechten illiberal sind, weil sie bestimmte Gruppen bevorzugen. Im Vordergrund steht die Frage, wie liberale Ideale mit den Bedürfnissen ethnokultureller Gruppen in Einklang gebracht werden können.
- Das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsgleichheit und ethnokulturellen Sonderrechten
- Theoretische Ansätze in der Multikulturalismusdebatte
- Liberalismusmodelle und ihre Fähigkeit, kulturelle Vielfalt zu bewältigen
- Die Bedeutung von Anerkennung und Identitätsbildung für ethnokulturelle Gruppen
- Strategien für eine friedliche Koexistenz in einer multikulturellen Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel thematisiert das grundsätzliche Dilemma, in das ein liberaler Rechtsstaat gerät, wenn er ethnokulturelle Gruppenrechte anerkennt. Es wird die Problematik von Gruppenrechten im Zusammenhang mit der Rechtsgleichheit und der individuellen Freiheit erläutert.
- Das zweite Kapitel präsentiert zwei theoretische Positionen in der Multikulturalismusdebatte: die Politik der universellen Würde und die Politik der Differenz. Es wird die Kritik beider Positionen an einander beleuchtet und der Liberalismus im Kontext des Multikulturalismusdiskurses eingeordnet.
- Das dritte Kapitel stellt zwei Modelle des Liberalismus vor: den prozeduralen Liberalismus und ein alternatives Modell von Charles Taylor. Es wird untersucht, ob liberale Rechtsstaaten eine Politik des Multikulturalismus betreiben können, ohne das Ideal der Rechtsgleichheit aufzugeben.
- Im vierten Kapitel werden Gründe für eine kulturabhängige Interpretation von Rechtsgleichheit diskutiert. Es wird der Mythos eines „differenz-blinden“ Liberalismus entlarvt und die Bedeutung von individueller Autonomie und ethnokultureller Identität für die Anerkennung von Gruppenrechten hervorgehoben.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Begriffen wie Rechtsgleichheit, ethnokulturelle Sonderrechte, Multikulturalismus, Liberalismus, Politik der Anerkennung, individuelle Autonomie, Identitätsbildung, kulturelle Vielfalt und friedliche Koexistenz. Sie analysiert verschiedene Modelle des Liberalismus im Umgang mit ethnokulturellen Gruppen und diskutiert die Notwendigkeit einer kulturabhängigen Interpretation von Rechtsgleichheit.
- Citar trabajo
- Edgar Hegner (Autor), 2004, Kulturelle Vielfalt im liberalen Rechtsstaat - Rechtsgleichheit versus ethnokulturelle Sonderrechte, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26853