„Sein und Schein“ – Die Fragen nach Wirklichkeit und Erscheinungsbild sind keine Neuerfindung unserer heutigen Gesellschaft und auch kein Überrest aus der Romantik. Abgesehen von unterschiedlichen Akzentuierungen lassen sich diese Fragen nämlich schon in früheren Epochen der Literatur wiederfinden.
Dies gilt nicht nur in unserer heutigen Gesellschaft als Frage nach Wirklichkeit und Erscheinungsbild.
Das Nibelungenlied , die Geschichte von Siegfrieds Tod, der Rache Kriemhilds und dem Untergang der Burgunden, ist mitunter eines der bekanntesten Werke des deutschen Mittelalters und lässt sich an Popularität kaum übertreffen. Die Werte einer heroischen Welt – Ruhm, Ehre und Rache – stehen hier höfischen Verhaltensmodellen – Minne, Ehe, Recht, Vasallität und Verwandtschaft – gegenüber, und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung.
Das gesellschaftliche Leben am königlichen Hof richtete sich nach einem festen Protokoll, welches vor allem bei feierlichen Anlässen, zu denen unter anderem Krönungen, Hochzeiten und Schwertleiten zählten, in Erscheinung trat. „Die Literatur als Repräsentation der Repräsentation fungiert dabei zugleich als Metaebene, von der aus höfische Repräsentation beobachtet und in ihren Möglichkeiten und Grenzen dargestellt […] werden kann.“ Das Nibelungenlied zeigt jedoch, dass selbst die Sichtbarkeit dieser höfischen Rituale verfälscht und manipuliert werden kann.
Erst durch das Auftreten von Sicht- und Unsichtbarkeit kommt die Handlung des Nibelungenlieds zustande. Täuschungen prägen das Agieren der Helden und sind für die Entstehung jeglicher Konflikte verantwortlich. Die Folgen der Manipulation lassen die Spannungen im Laufe der Handlung immer mehr ansteigen und enden schließlich in der unvermeidbaren Katastrophe. Das Verhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gestaltet sich im Nibelungenlied äußerst schwierig. Die Geltung der Sichtbarkeit versucht sich zu behaupten, obwohl das, was vor aller Öffentlichkeit gesagt und dadurch sichtbar gemacht wird, sich immer klarer als falscher Schein herausstellt.
In dieser Arbeit soll besonders anhand der Aventiuren 1-14 gezeigt werden, welche große Rolle Sicht- und Unsichtbarkeit im Nibelungenlied spielt und wie sich die Konsequenzen der (un-)sichtbaren Handlungen auf die Protagonisten auswirken.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
- Sichtbarkeit
- Unsichtbarkeit
- Manipulation der Sichtbarkeit
- Steigbügeldienst und Standeslüge
- Brautwerbung um Brünhild
- Brautnachtbetrug
- Königinnenstreit
- Konkurrenz zwischen Kriemhild und Brünhild
- Eskalation des Königinnenstreits
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Nibelungenlied, insbesondere in den Aventiuren 1-14. Die Analyse konzentriert sich auf die Frage, wie die Manipulation von Sichtbarkeit und die daraus resultierenden Täuschungen, die Handlung des Epos beeinflussen und die Spannung im Verlauf der Geschichte steigern.
- Die Rolle von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Gestaltung der Handlung des Nibelungenliedes.
- Die Auswirkungen von Täuschungen und Manipulationen auf die Protagonisten.
- Die Bedeutung des „Scheins“ und der höfischen Rituale im Nibelungenlied.
- Die Verbindung von Sichtbarkeit und Körperhaftigkeit in der Erzählung.
- Die Bedeutung des „gesprochenen Wortes“ und seiner Beziehung zu sichtbaren Zeichen.
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die grundlegenden Fragen nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in Bezug auf das Nibelungenlied und seine heroische Welt vor. Die Arbeit konzentriert sich auf die Bedeutung von Täuschungen und Manipulationen für die Handlung des Epos und die Entstehung der Konflikte.
- Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit: Dieses Kapitel untersucht das komplexe Verhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Nibelungenlied. Die Bedeutung des „Scheins“ und die manipulative Wirkung von Täuschungen, die durch das Gesprochene und die sichtbaren Zeichen entstehen, werden analysiert.
- Manipulation der Sichtbarkeit: Dieses Kapitel behandelt verschiedene Formen der Manipulation von Sichtbarkeit im Nibelungenlied, wie zum Beispiel den Standesbetrug, die Brautwerbung um Brünhild und den darauf folgenden Brautnachtbetrug, sowie den Königinnenstreit.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, Manipulation, Täuschung, Schein, höfische Rituale, Heldenepik, Nibelungenlied, Kriemhild, Siegfried, Brünhild, Königinnenstreit, Standesbetrug, Brautwerbung, Brautnachtbetrug.
- Quote paper
- Eva Sailer (Author), 2014, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Nibelungenlied, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268579