Der Gentrifizierungsprozess durch die moderne Wissensgesellschaft. Ein Erfolgsmodell für soziale Integration in der Stadt?


Bachelorarbeit, 2012

37 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2 Gentrifizierung
2.1 Definition Gentrifizierung
2.2 Akteure der Gentrifizierung
2.3 Phasenmodelle der Gentrifizierung
2.3.1 Invasions-Sukzessions-Zyklus
2.3.2 Rent-Gap / Value-Gap
2.3.3 Phasen der Transformation kulturellen Kapitals in Gentrifizierungsprozessen

3 Moderne Wissensgesellschaft und Gentrifizierung
3.1 Die creative class bei Richard Florida
3.2 Manuel Castells Netzwerkgesellschaft
3.3 Nico Stehr - Wissensökonomie
3.4 Die Bedeutung der Wissensklassen für den Gentrifizierungsprozess und Kritik an den Theorien Floridas, Castells und Stehrs

4 Urbane Entwicklungen und Gentrifizierung
4.1 Frauen und Family Gentrification
4.2 Vielfalt und Migration
4.3 Soziale Segregation bei Pierre Bourdieu

5 Fazit und Schluss

6 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Was haben Mediendesigner, Anwälte, Künstler und Musiker in diesen Tagen gemeinsam? Sie wollen alle nach Berlin! - oder in eine andere hippe Großstadt auf dieser Welt. Seit dem Übergang von der Industrie zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft beobachten Sozialwissenschaftler eine Trendwende aus den Vorstädten in die Großstädte zu ziehen. Auffällig ist die hohe Zahl an Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen, die alleine oder mit ihren Familien, ehemalige Arbeiterviertel zum Leben und Arbeiten bevorzugen, die vor wenigen Jahre nur für ihre hohe Dichte an Studierenden und Menschen mit Migrationshintergrund bekannt war. Nun trifft man immer häufiger sogenannte Hipster1 auf den Straßen der urbanen Erlebniswelten an. Es kommt an vielen Orten zur Gentrifizierung: die ehemaligen Arbeiterviertel erfahren eine bauliche und symbolische Aufwertung und gleichzeitig werden sozial schwächere Bevölkerungsschichten durch erhöhte Mietpreise verdrängt.

Nun entsteht aus dieser Entwicklung ein Problem hinsichtlich der sozialen Integration zwischen diesen Gruppen. Der amerikanische Soziologe Louis Wirth, der zur Chicagoer Schule zählte, sieht die Stadt als Arena, wo sich verschiedene Bevölkerungsschichten aufgrund unterschiedlicher Lebensstile und -entwürfe im feindlichen Sinne voneinander abgrenzen. Doch diese Abgrenzung führe zu einer toleranten Einstellung der Großstadtbewohner, die durch kosmopolitische Geisteshaltung geprägt sind, weil sie in der Großstadt wohnen (vgl. Häußermann 1995: 90f)

Georg Simmel spricht dem Großstädter Blasiertheit und Gleichgültigkeit nach, die sich aus dem ständigen Wandel der städtischen Gesellschaft bilde. Dauerhaft mit dem Fremden und Unbekannten konfrontiert zu sein, hat für Simmel Züge eines Gewaltakts. So verkommt die Großstadt zu einem unpersönlichen Gebilde. Blasiertheit und Distanz sind die Methoden, die ein friedliches Nebeneinander in der Stadt gewähren. Die Großstadt ist die Projektion der Geldwirtschaft, in der sich jeder seine individuelle Freiheit und Glück suchen kann. Wie heute war um 1900 für Zugewanderte eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt allgegenwärtig. Kontakte und soziale Netzwerke baten damals schon ein sicheres Konzept, um jegliche Bedürfnisse decken zu können. Somit können sich nur die Bürger einen individualistischen Lebensstil leisten, die über genügend ökonomisches Kapital verfügen. Für Simmel ist die Großstadt keine Integrationsmaschine, sondern ein „sozialer Ort der Gleichgültigkeit“ (Häußermann 1995: 91), wo Integration nur durch Segregation funktioniert.

Robert Park, ebenfalls Angehöriger der Chicagoer Schule wie Wirth, sieht diese individualistische und gleichgültige Lebensweise als Gefahrenpotential. Amerikanische Städte wären geprägt von einer diversifizierten Sozialstruktur und von Segregation. Parks Studien drehen sich zentral um die Frage, wie man diesem Problem entgegenwirken und wie die traditionelle dörfliche Kultur helfen könnte. Park beobachtet, dass sich aus der Divergenz der unterschiedlichen Lebensformen eine „Dialektik aus Dorfkultur und Großstadtbildung“ (Häußermann 1995: 93) entsteht. Die Großstadt entfremdet die Bürger von ihrem traditionellen Habitus und treibt sie in separierte Viertel, wo Menschen mit ähnlichen Lebensstilen leben. Das führe zur Segregation, die für Park im Gegensatz zu Simmel eine Voraussetzung für Integration bietet. Die communities schwächen das Gefahrenpotential der Individualisierung ab, da sie den Bürgern Normen auferlegen, an die sie sich halten müssen, und Kontrolle ausüben. (Häußermann 1995: 94)

Diese Arbeit untersucht, ob die Gentrifizierung durch die moderne Wissensgesellschaft ein Erfolgsmodell für soziale Integration in der Stadt sein kann.

2 Gentrifizierung

Der Begriff Gentrifizierung war vor wenigen Jahren nur Gegenststand akademischer Texte und Diskussionen. Mittlerweile werden über diesen Begriff politische Debatten in der breiten Bevölkerung und in den Massenmedien geführt. Zunächst werden in dieser Arbeit verschiedene Definitionsansätze vorgestellt, die aktuell in den wissenschaftlichen Debatten vorherrschen. In 2.2. folgen Akteure der Gentrifizierung und in 2.3. die verschiedenen Phasenmodelle dieses Prozesses.

2.1 Definition Gentrifizierung

Etymologisch hat der Begriff der Gentrifizierung seinen Ursprung in dem Wort „gentry“, was zu deutsch so viel wie Landadel heißt.2 Der Forschungsgegenstand der Gentrifizierung wird von verschiedenen Wissenschaftlern und Autoren unterschiedlich aufgefasst und definiert. Zum ersten Mal wurde von der Begriff von der englischen Soziologin Ruth Glass formuliert, die den Zuzug des Mittelstandes in die Arbeiterviertel Londons beschrieben hat:

„Nowadays, many of these houses are being sub-divided into costly flats or 'houselets. (…) Once

this procecss of 'gentrification' starts in a district, it goes on rapidly until all or most of the original working class occupiers are displaced, and the whole social character of the disctrict is changed.“ (Glass. 1964: XVIII-XIX).

Monika Alisch und Jens Dangschat definieren Gentrification als ein Phänomen, „das zum einen die Aufwertung des Wohnraums innerstädtischer Viertel bedeutet und zum anderen den sukzessiven Austausch der Wohnbevölkerung zugunsten besser verdienender Gruppen zum Inhalt hat.“ (Friedrichs 1996: 95) Dabei handelt es sich nicht nur um die ökonomische Inwertsetzung von Wohnraum und Infrastruktur, sondern gleichzeitig auch um eine symbolisch kulturelle Aufwertung, die durch die Lebensstile und neuen urbanen Lebensformen der besser situierten Bevölkerungsschicht in das Stadtviertel getragen wird. Da Gentrifizierung sich auf die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft in einem Stadtteil modernisierend auswirkt, sei es ein zentralisierender und zentralisierter Prozess.

Bei Jürgen Friedrichs heißt es: „Gentrification ist der Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet, „den vollständigen Bevölkerungsaustausch“ zur Konsequenz hat (Friedrichs 1996: 14). Ilse Helbrecht spricht in ihren Ausführungen zur globalen Wissensgesellschaft von Verdrängungsprozesse zwischen sozialen Gruppen im städtischen Terrain. Sie führt den Begriff Stadt der Enklaven ein, um die „veränderten Abgrenzungsbedürfnisse vor allem der Wissensarbeiter in einer Stadt, die durch die Wissensökonomie gekennzeichnet ist, zu beschreiben.“ (Helbrecht 2009: 4). Susanne Frank sieht Gentrifizierung als einen Ausdruck der spezifischen Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Wissens- und Kreativarbeiter3, denn durch ihre prätentiösen Bedürfnisse an das Stadtviertel wird selbiges sukzessiv verändert. Gentrifizierung gehe einher mit einer postfordistischen Stadtentwicklung, da Unternehmen aus der Wissens- und Kreativbranche sich urbane Standtorte suchen und zu den wenigen Branchen gehören, die aktuell zum Wirtschaftswachstum beitragen (vgl. Frank 2011: S. 288f).

2.2 Akteure der Gentrifizierung

In der amerikanischen Stadtsoziologie werden hauptsächlich zwei Gruppen benannt, die mit dem Prozess der Gentrifizierung in Verbindung gebracht werden: die Gentrifier und die Pioniere. 1938 bezeichnete zum ersten Mal der amerikanische Soziologe Paul Cressey Pioniere als eine Gruppe, die in der ersten Invasionsphase sich aus ethnischen Gruppen zusammensetzt. Bezeichnend für Gentrifier ist ihre ethnische Herkunft aus der weißen Mittelschicht, ihr hohes ökonomisches Kapital, das sie im Dienstleistungsgewerbe verdienen, und ihr vermeintlich urbaner und toleranter Lebensstil. Sie bevorzugen in Eigentumswohnungen und in Altbauhäusern zu leben. Der Kontakt zur Nachbarschaft ist für sie von peripherer Bedeutung. Im Gegensatz zu den Gentrifiern leben Pioniere meistens zur Miete und verfügen über ein eher geringes Einkommen. Sie üben eher künstlerische oder kreative Berufe aus und sind jünger und risikofreudiger als die Gentrifier (vgl. Friedrichs 1996: 97f).

In einer modifizierten Untersuchung zur Gentrifizierung legten Hamburger und Kölner Forschungsgruppen die Definitionsmerkmale so an, dass sie entweder auf der Individualebene oder auf der Haushaltsebene betrachtet wurden. Die Studie berücksichtigt sozio-demographische Eigenschaften (Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltsgröße, Haushaltstyp, Schuldbildung, Erwerbstätigkeit, Anzahl der Einkommensbezieher), die ökonomische Situation (Haushalts- und Pro-Kopf- Einkommen), die Wohndauer und die Wohnbedingungen (Wohnungsgröße, Wohnfläche pro Kopf, Zimmeranzahl, Zimmeranzahl pro Person), die Mieten (Bruttokaltmiete, Quadratmetermiete) und die Mietbelastung der 1134 Befragten. Die Forschungsergebnisse ergaben, dass Pioniere durchschnittlich 27 Jahre alt und meistens ledig sind. Dreiviertel aller Pioniere verfügen über die Hochschulreife, befinden sich aber noch im Studium und arbeiten nebenher. Daher haben sie ein relativ geringes Haushaltseinkommen und das geringste Pro-Kopf-Einkommen aller Befragten. Entweder leben sie in Wohngemeinschaften, mit ihrem Partner zusammen oder häufig auch in Single-Haushalten, die mit durchschnittlich 38,3 m² die geringsten individuellen Wohnfläche haben. Ihre Haltung gegenüber der Gentrifizierung ist ablehnend, vor allem gegenüber der Modernisierung von Gebäuden.

Gentrifier sind durchschnittlich um die 35 Jahre alt und leben entweder in einem Singlehaushalt, oder mit ihrem Partner zusammen. Sie arbeiten in Vollzeitbeschäftigung und über die Hälfte verfügt über einen Hochschulabschluss. Sie verfügen über das zweit-höchste Pro-Kopf-Einkommen und über die zweithöchste gemessene individuelle Wohnfläche. Im Gegensatz zu den Pionieren bewerten sie Gentrifizierung als etwas Positives, aber nicht so deutlich wie die Ultra-Gentrifier.

Die Ultra-Gentrifier sind meistens Männer, die in Vollzeitbeschäftigung arbeiten und alleine oder ledig mit ihrer Partnerin zusammen leben. Ihr Einkommen ist deutlich 6 höher als das der Gentrifier. Sie leben in den größten Wohnungen mit den größten Individualflächen über eine längere Zeit im Wohnviertel. Aufgrund ihrer hohen Einkommen fällt die Mietbelastung für sie geringer aus als für die Gruppe der Pioniere und Gentrifier. Die Ultra-Gentrifier befürworten die Aufwertung und Modernisierung ihres Stadtteils am Stärksten (Friedrichs 1996: 105f).

Aufgrund identischer Lebensstilen konzentrieren sich die Gentrifer- und UltraGentrifier auf ähnliche Wohnviertel. Die Mietpreissteigerung, die daraus erfolgt, erschwert neuer Wohnbevölkerung den Zuzug. Für die Alteingesessenen und die Pioniere steigen die Miet- und Lebenskosten auf ein Niveau, dass ein Teil das Wohnviertel verlassen muss. Die ursprünglichen Bewohner, die der Steigerung von Miet- und Lebenskosten standhalten und im Viertel wohnen bleiben können, werden aus ihren Lebensstil gedrängt (Holm, 2010: 18)

2.3 Phasenmodelle der Gentrifizierung

Dieser Abschnitt geht auf verschiedene Modelle ein, die die Phasen der Gentrifizierung anhand von unterschiedlichen Phasen beschreiben. Da die Interpretationen der verschiedenen Phasen erklären werden, lassen sich redundante Darstellungen nicht vermeiden.

2.3.1 Invasions-Sukzessions-Zyklus

Im Mittelpunkt des Invasions-Sukzessions-Zyklus steht die Annahme, dass eine Gruppe B in das Wohngebiet der Gruppe A eindringt und in die Wohnungen der Gruppe A zieht. Schließlich dominiert die Gruppe B das Wohngebiet. Diese Phasenmodell wurde anhand von Beispielen in den 1920er Jahren in den USA konstruiert. Die statusniedere Bevölkerungsgruppe hat eine statushöhere Gruppe aus einem Wohngebiet in Harlem in New York gedrängt. Amerikanische Sozialwissenschaften haben in den 1970er Jahren dieses Modell aufgenommen, um es auf den Prozess der Gentrifizierung anzuwenden und von zwei nacheinander eindringenden Gruppen ausgehen: den Pionieren und den Gentrifiern. Zuerst ziehen die Pioniere in ein Wohngebiet und verdrängen Teile der dort vorherrschenden Bevölkerung, die hauptsächlich der Unterschicht und der unteren Mittelschicht angehört. Die Gentrifier folgen, um sowohl die Pioniere als auch die ehemalige Bevölkerung zu verdrängen. Der Prozess der Gentrifizierung wird von den Pionieren initiiert, die über weniger ökonomisches, aber aufgrund ihrer Bildung über hohes kulturelle Kapital verfügen. In dieser Phase wechseln Geschäfte ihre InhaberInnen. Die neuen InhaberInnen bieten Waren und Dienstleistungen für die nun größere Zahl der Pioniere an, darunter „Restaurants, Second hand-Läden, Off- Boutiquen und Antiquitätengeschäfte“. (Friedrichs 1995: 122) So werden Menschen aus anderen Stadtteilen angelockt, die dort konsumieren und einen sukzessiven Wandel zu einen hippen Stadtteil einleiten. Nachdem das Viertel sich modernisieren und etablieren konnte, ist es der Gruppe der Gentrifier angemessen. Die Renovierung des Viertels und die Spekulationen auf dem Immobilienmarkt nehmen zu, was die Grundstücks- und Mietpreise in die Höhe treibt. Zu diesem Zeitpunkt im Gentrifizierungsprozess sind bereits ein Teil der Pioniere aufgrund ihrer gelebten Flexibilität und ihres Risikoverhaltens in einen günstigeren Stadtteil gezogen. Die ehemalige Bevölkerung ist nur noch rudimentär in diesem Stadtteil wohnhaft und viele alteingesessene Einzelhandelsgeschäfte halten dem Wettbewerbsdruck nicht mehr stand oder sind bereits insolvent. In der letzten Phase ziehen Gentrifier mit höherem Status in den Stadtteil, bevorzugen Eigentumswohnungen und sind nicht bereit, ein hohes Risiko einzugehen. Die Grundstückspreise steigen weiter an bzw. stagnieren auf hohem Niveau (vgl. Friedrichs 1995: 122f) Mit der Entwicklung zum Post-Fordismus und den dadurch veränderten Lebensstilen kam der Wunsch der Mittelklasse auf in innerstädtische Altbaugebiete zu ziehen, die sich in Nähe ihres Arbeitsplatz befinden (vgl. Friedrichs 1995: 16f).

2.3.2 Rent-Gap / Value-Gap

Vom Geographen Neil Smith stammt die Rent-Gap-Theorie (bzw. zu Deutsch Mietlückentheorie), die den Prozess der Gentrifizierung ökonomisch erklären soll. Rent gap ist die Differenz zwischen der potentiellen und der tatsächlichen Bodenrente eines Grundstücks, die aufgrund der gegenwärtigen Bodennutzung erwirtschaftet wird. Die Höhe der Bodenrente wird durch die effizienteste Nutzung des Grundstücks definiert (vgl. Friedrichs 1996: 28). Wenn die Differenz zwischen der aktuellen und der potentiellen Grundrente groß genug ist, kann es zur Gentrifizierung als ein Reinvestitionsprozess im innerstädtischen Grundstücksmarkt kommen. Dieses Modell kann alleine jedoch nicht den Prozess der Gentrifizierung erklären, was nach Helbrecht mehrere empirische Studien bewiesen hätten. Zudem berücksichtigt der Rent-Gap- Ansatz nicht die Rolle des Staates, der als Initiator für Aufwertungsprozesse oft in Erscheinung tritt (Helbrecht 1996: 8; 11).

Der Value Gap bezeichnet „die Differenz zwischen dem Investitionswert eines Gebäudes in vermietetem Zustand im Vergleich zum Wert des Gebäudes in nicht mehr vermietetem Zustand. Der vermietete Wert ist ein n-faches des Jahreszinses aus Vermietung, der unvermietete Wert der Preis bei Verkauf des Gebäudes“ ( Friedrichs 1996: 28). Wenn der Bedarf nach Eigentumswohnungen steigt und keine Mieterschutzgesetze zur Kontrolle der Mieten bestehen, so versuchen Immobilienfirmen Mietwohnungen zu Eigentumswohnungen aufzuwerten (vgl. Helbrecht 1996: 8).

Andrej Holm beschreibt die ökonomische Dimension der Gentrifizierung anhand makroökonomischer und mikroökonomischer Investitionszyklen. Die Immobilienmärkte haben sich zu einem an Renditen orientierten Spekulationsmarkt gewandelt. Neben Privatpersonen und Immobilienfirmen sind seit einigen Jahren Finanzunternehmen in der Immobilienwirtschaft tätig. Oberste Prämisse ist die Generierung und Akkumulation von Profit. Eine permanente Gefahrenquelle liegt in der Disparität zwischen der globalen Wertschöpfung und der vielfach höheren Umsätze der Finanzmärkte. Der Handel mit Devisen ist in Relation zum weltweiten Handel mit Gütern und Dienstleistungen 70 Mal höher, der Handel mit Zinsderivaten um ein 100- faches. (vgl. Holm 2010: 22f) Die Problematik der Finanzmärkten liegt in den weniger gewinnträchtigen Produktionssphären und den Gewinnversprechungen, die generiert werden müssen. Die politische Ökonomie bezeichnet diesen Prozess als Effekt der Überakkumulation, der zum Absinken von Profitraten führen kann. Deshalb investieren Finanzakteure und Anleger in einen zweiten Kapitalkreislauf, wie z.B. große Bauprojekte, Immobilienmärkte oder Infrastruktur (vgl. Helbrecht 1996: 8). Wenn diese Investitionssummen im Immobilienmarkt sich nicht amortisieren und keine Gewinne generieren, kann es wie 2008/2009 zu einer Krise der Immobilienwirtschaft kommen. In den USA hatten Banken großzügige Kredite an Hauskäufer vergeben, die über keine ausreichende Bonität verfügten. „Diese Krise war vor allem eine Krise der Krisenbewältigungsstrategien.“ (Holm 2010: 23).

Auf mikroökonomischer Ebene versuchen Immobilienfirmen durch die Schließung der Ertragslücken Profite zu erwirtschaften. Spekulanten sind vor allem an Stadtteilen interessiert, in denen potentiell ganze Nachbarschaften aufgewertet werden und somit der Grundstückspreis ansteigt. Um die höchsten Profitraten zu erreichen, vergleicht man den Preis für den Erwerb eines Grundstücks und die Kosten für die Modernisierung mit der aktuell kapitalisierten Grundrente und der höchst möglichen potentiellen Grundrente. Die Bodenpreise unterliegen dabei dem Wettbewerb und Spekulationen, um die Höhe der Einnahmen, die durch Aufwertung erwirtschaftet werden können (vgl. Andrej Holm 2010: 24ff).

2.3.3 Phasen der Transformation kulturellen Kapitals in Gentrifizierungsprozessen

Eine etwas differenziertere Ansicht der Phasen der Gentrifizierung schlägt Sharon Zukin vor, die die Transformation kulturellen Kapitals in reales Immobilienkapital untersucht. Sie geht von Pierre Bourdieus Theorie aus, dass eine soziale Position sich nicht nur über das ökonomische Kapital, sondern gleichwertig durch soziales und kulturelles Kapital definiert wird (Andrej Holm 2010: 31). Immobilien- und Investmentfirmen nutzen den positiven Ruf eines Stadtteils als Künstler- und Szeneviertel aus, um Profit aus Boden- und Mietpreisen zu generieren. Im Folgenden werden vier Phasen der idealtypischen Gentrifizierung benannt:

In der ersten Phase ziehen meist junge, gut gebildete Menschen, die bei vielen Autoren als Pioniere bezeichnet werden, in sozial benachteiligte und baulich defizitäre Stadtteile, weil dort günstige Mieten und Freiraum zur Selbstverwirklichung vorhanden sind. Dadurch bildet sich eine alternative Künstlerszene und eine Subkultur. In der zweiten Phase hat sich der Stadtteil zum Szeneviertel entwickelt. Durch Mundpropaganda und Erwähnung in Funk- und Fernsehen oder in Reiseführern wird der Stadtteil über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Eine weitere Transformation kulturellen Kapitals ist in der dritten Phase zu beobachten. Der Stadtteil ist für die Immobilien- und Investmentwirtschaft interessant geworden, die Profite erwirtschaften wollen. Dadurch steigen die Bodenpreise und Mieten und die kulturelle und symbolische Aufwertung wird kommerzialisiert. Immobilien- und Finanzunternehmen wollen primär durch Eigentums- und Luxuswohnungen Rendite generieren. In dieser Phase beginnt der Prozess der Gentrifizierung, da Wohnraum für eine finanziell starke Bevölkerungsschicht geschaffen wird und gleichzeitig Menschen aus sozial schwächeren Milieus vertreibt. Die Aufwertung eines Stadtteils kann aus Sicht der Investoren nur erfolgreich sein, wenn die potenziellen neuen liquiden BesitzerInnen bzw. MieterInnen bereit sind für die Wohnlage einen Extrapreis zu bezahlen. Pierre Bourdieu bezeichnet diesen Extrapreis als Distinktionsprofit. Die ökonomisch stärkere Bevölkerungsschicht nutzt ihr ökonomisches Kapital für die Transformation in symbolisches Kapital, um sich von den übrigen (ärmeren) Milieus abzugrenzen. Nach Holm entwickelt sich die Kreativität der Pionierphase zu einem käuflichen Mehrwert. Aus dieser Sicht stellt Gentrifzierung eine „immobilienwirtschaftlich vermittelte Enteignung des kulturellen Kapitals von (ökonomisch mittellosen) Künstler/Innen durch später zuziehende Reiche dar“ (Holm 2010: 31f) Die Künstler- und alternative Szene bilden ein kompatibles Milieu für die bildungsbürgerliche Mittelklasse und fungieren als geeigneter Türöffner diese Verdrängung.

3 Moderne Wissensgesellschaft und Gentrifizierung

In diesem Kapitel stelle ich drei wichtige Theorien zur Wissensgesellschaft vor, die sich alle mit der Transformation von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft beschäftigen. Dieser tiefgreifende Umbruch beeinflusst nicht nur unser ökonomisches Handeln, sondern auch das soziale und kulturelle Zusammenleben. In urbanen Räumen nimmt man diese Transformation erheblich wahr, da der Prozess der Gentrifizierung ein Produkt dieser Entwicklung ist. Während beim Wirtschaftsgeographen Richard Florida die „kreative Klasse“ im Mittelpunkt seines Forschungsinteresse steht, beschreibt der Soziologe Manuel Castells die Veränderungen durch die Netzwerkgesellschaft und den neuen Kommunikationstechnologien. Wie die Wissensökonomie die westlichen Gesellschaften verändern ist das Hauptthema bei dem Kultur- und Sozialwissenschaftler Nico Stehr.

3.1 Die creative class bei Richard Florida

Richard Floridas Studien zur creative class stehen in enger Tradition zu den soziologischen und ökonomischen Forschungen zur Wissensgesellschaft bei Daniel Bell und Peter Drucker, die die Begriffe wissensbasierte Wirtschaft und Wissensökonomie prägten. Florida (2002) skandiert in seinem mittlerweile zum Standardwerk für Stadtplaner und Kommunalpolitiker gewordenen The Rise of the Creative Class, dass das kreative Milieu zum Motor der Wirtschaft wird und zugleich soziale Veränderungen mit sich bringt:

[...]


1 http://www.taz.de/!87124/

2 Siehe: http://www.etymonline.com/index.php?term=gentry

3 Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Der Gentrifizierungsprozess durch die moderne Wissensgesellschaft. Ein Erfolgsmodell für soziale Integration in der Stadt?
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
37
Katalognummer
V268587
ISBN (eBook)
9783656596738
ISBN (Buch)
9783656597100
Dateigröße
778 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gentrifizierungsprozess, wissensgesellschaft, erfolgsmodell, integration, stadt
Arbeit zitieren
Leif Hanke (Autor:in), 2012, Der Gentrifizierungsprozess durch die moderne Wissensgesellschaft. Ein Erfolgsmodell für soziale Integration in der Stadt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268587

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