Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Auswertung der Ergebnisse
1.1 Darstellung der Interviewsituation
1.2 Zusammenfassung des Interviews
2. Reflexion des Interviews
3. Transkription des Interviews
1. Auswertung der Ergebnisse
1.1 Darstellung der Interviewsituation
Das Interview wurde durchgeführt mit einer abgeordneten Lehrerin im Hochschuldienst an der TU Dresden, die seit 2011 am Lehrstuhl für Geographiedidaktik tätig ist. Frau R. ist ca. 50 bis 55 Jahre alt und arbeitete vor ihrer universitären Anstellung als Geographie-, Russisch- und Gemeinschaftskundelehrerin an Leipziger Mittelschulen. Ihr Hauptforschungsgebiet in Bezug auf die geographische Fachdidaktik liegt in der Lehrerprofession, den digitalen Medien und der Exkursionsdidaktik.
Interviewt wurde die betreffende Lehrerin von zwei Studentinnen, die Ihr aus fachdidaktischen Lehrveranstaltungen der Geographie bereits bekannt sind. Diese Tatsache ermöglichte eine angenehme und freundliche Atmosphäre während der Befragung. Das Interview selbst fand an einem Mittwochvormittag um 10:30 Uhr statt, nachdem die befragte Lehrerin bereits eine doppelstündige Lehrveranstaltung gegeben hatte. Als Ort des Interviews wurde ein Seminarraum im universitären Gebäude des Geographieinstituts gewählt. Es dauerte insgesamt reichliche 23 Minuten, wobei nach Beendigung der eigentlichen Interviewzeit und dem Ausschalten der Mikrophone die Unterhaltung zwischen den Studentinnen und Frau R. noch weitergeführt wurde. Die Eindrücke aus diesem informellen Gespräch gehen aber auf Grund des Ausschaltens der Aufnahmegeräte und forschungsmoralischen Gesichtspunkten nicht in die Auswertung des Interviews mit ein.
1.2 Zusammenfassung des Interviews
Gibt es überhaupt „fachfremde“ Schüler? Existiert ein Konzept für „geographieferne“ Schüler?
Wir begannen das Interview mit einer kurzen Erklärung zum Inhalt unseres Seminars sowie der Zielstellung der Befragung und leiteten anschließend zur ersten Frage über, ob es in der Geographie ein Konzept zur Problematik „fachferner“ Schüler gäbe. Dies verneint Frau R. sehr deutlich, räumt jedoch gleichzeitig ein, dass die Geographie, auf Grund ihrer Nähe zum Fach Gemeinschaftskunde, durchaus auch mit politikfernen Schülern zu tun habe: „Also so direkt ein Konzept für geographieferne Schüler gibt es nicht würde ich sagen.“ […] „Politik spielt natürlich in Geographie auch eine ganz große Rolle. Ich habe sowas auch schon erlebt.“ (#00:02:11-1#)
An dieser Stelle macht sich bereits ein zentraler Widerspruch in den Aussagen von Frau R. auf, der sich spürbar durch das gesamte Interview zieht. So spricht sie an einigen Stellen sehr wohl von „geographiefernen“ Schülern, während sie deren Existenz an anderen Stellen während der Befragung ganz klar verneint.
Warum sollten wir uns mit fachfernen Schülern befassen?
Auch auf eine erneute Frage im späteren Verlauf des Interviews, ob die Geographie sich mit „fachfernen“ Schülern beschäftige, antwortet sie verneinend, weist jedoch bereits direkt im Anschluss darauf hin, dass es wichtig sei, sich mit diesen Schülern auseinanderzusetzen: „Na ich denke mal, dass es auf der einen Seite immer so sein wird, in jedem Fach, dass es Schüler gibt, die es schon von vornherein stark interessiert, aber auch weniger interessiert (…) und man sollte sich aber trotzdem die Zielsetzung stellen, dass man versucht, diese Kinder auch zu motivieren mitzumachen.“ (#00:07:36-8#) Die Motivation für eine Beschäftigung mit der Problematik „Fachferne“ liegt also bereits in der Aufgabe des Lehrers begründet, das Interesse seiner Schüler für das jeweilige Fach zu wecken. Außerdem ist es zentrales Anliegen der Schule, Wissen zu vermitteln, zu vernetzen und anzuwenden, was nun mal nicht ohne ein gewisses Mindestmaß an Interesse sinnvoll und zielführend zu erreichen ist. Einen weiteren Grund für die Auseinandersetzung mit der Problematik „fachferner“ Schüler sieht Frau R. zudem in der Gefahr, dass eben gerade jene Schüler dem Unterricht nicht folgen, keine Lust und Motivation haben zu lernen und den Unterricht durch Verhaltensauffälligkeiten nachhaltig stören können. Sensibilität für „Fachferne“ bedeutet also immer auch ein wichtiger Schritt in der Prävention von Unterrichtsstörungen.
Wer ist der „fachferne“ Schüler? Was sind Ursachen für „Fachferne“?
Auf die Frage, welche Schüler mit „politik- oder geographiefernen“ Jugendlichen in Verbindung gebracht werden sollten, nennt Frau R. vor allem die Gruppe der leistungsschwachen Schüler und macht dies ganz klar an den Noten im jeweiligen Fach fest: „Ich denke mal, also jetzt mal so ganz pauschal gesagt, auch eher an leistungsschwächere Schüler, die dann im Fach halt keine gute Note bringen, dass sie dann auch mit der Geographie weniger am Hut haben.“ (#00:01:23-3#) Ergo: Wer schlechte Noten in einem Fach aufweist, ist automatisch dem Fach ferner als Schüler mit guten Zensuren. Diese sehr rigorose Position schränkt sie jedoch kurz darauf etwas ein und schwenkt letztendlich auf das Interesse als zentralen Faktor für „Fachferne“ oder „Fachnähe“: „Aber ich denke mal es hat in der Geographie was mit dem Interesse am Fach zu tun.“ (#00:01:23-3#) An späterer Stelle im Interview ergänzt sie das fehlende Interesse am Fach jedoch zusätzlich um einen Mangel an Wissen als ursächlichen Faktor, für welchen sie ganz klar das jeweilige Elternhaus des Schüler verantwortlich macht: „Kinder, die sich interessieren für die Umgebung, da wissen Sie, die fahren mit ihren Eltern Fahrrad und solche Dinge. Oder eben bei Politikfernen, dass man zu Hause eben auch über Politik spricht .“ (#00:05:22-5#) In diesem Zusammenhang betont Frau R. aber sehr deutlich, dass sie das fehlende Wissen und die Praktiken im Elternhaus nicht mit bestimmten sozialen Milieus in Verbindung bringt. Ihrer Meinung nach könnte es also in jeder sozialen Schicht „politik- oder geographieferne“ Kinder und Jugendliche geben.
Letztendlich macht Frau R. das Auftreten beziehungsweise Aufrechtbestehen von „Fachferne“ vom Lehrerhandeln abhängig. Eine zentrale Aufgabe des Lehrers besteht ihrer Meinung nach in der Weitergabe des eigenen Interesses für das Fach an die Schüler: „ dass man da auch wirklich (…) mal versucht, die Schüler so richtig für eine Sache zu begeistern.“ (#00:17:41-2#) Gelingt es, seine Klasse von der persönlichen Begeisterung für die einzelnen Themen zu überzeugen, sei dies nach Frau R. der zentrale Weg, um „Fachferne“ zu begegnen und abzubauen. Wenig engagierte Lehrkräfte, die nicht für das eigene Fach brennen, geschweige denn in der Lage sind, Begeisterung bei den Schülern auslösen, sind demnach sowohl eine zentrale Ursache für „Fachferne“, als auch gleichzeitig ein gewichtiger Hindernisfaktor für deren Beseitigung.
Wie erkennen wir „fachferne“ Schüler?
In Bezug auf die Identifikation „fachferner“ Schüler sieht Frau R. keine großen Schwierigkeiten: „Wenn man in seiner Klasse länger unterrichtet, bekommt man das ganz genau mit.“ (#00:03:40-6#) Daraus lässt sich eine zentrale Aufgabe des Lehrers ableiten, die für Frau R. im Zusammenhang mit „fachfernen“ Schülern elementar ist: ein Gespür zu entwickeln für die Belange und Interessen seiner Klassen. So hat der Lehrer dafür zu sorgen, seine Schüler tiefgreifend kennenzulernen, deren Interessen zu identifizieren und auch deren außerschulische Lebenswelt stets im Hinterkopf zu haben: Welche Erfahrungen machen meine Schüler außerhalb der Schule? Wie und wo leben sie? Was wissen sie schon, wann und wo haben sie es gelernt?
[...]