Leseprobe
Inhalt:
I. Einleitung – Zum Roman „Das Parfum“
II. Hauptteil – Intertextualität
1. Definition von Intertextualität im Zusammenhang mit Süskinds Roman; Kritische Bemerkungen zur Intertextualität
2. Ausführliche Darstellung intertextueller Bezüge anhand zweier Beispiele
a) Der Romananfang (DP S. 5f.)
b) Die „Schöpfungsszene“(DP 160-163)
3. Jean-Baptiste Grenouille – ein Konglomerat intertextueller Verweise
III. Zusammenfassung der Ergebnisse, Ergänzungen
I. Einleitung – Zum Roman Das Parfum
Patrick Süskinds Roman Das Parfum (im Folgenden auch mit DP abgekürzt) zählt zu den populärsten literarischen Werken der neueren deutschen Literaturgeschichte. Er erschien im Jahr 1985 und war der zweite Text Süskinds, der von Presse und Fachleuten mit großer Beachtung und Applaus bedacht wurde.[1] Der heute 59jährige Autor erzählt in diesem Roman die Geschichte von Jean-Baptist Grenouille von dessen Geburt im Frankreich des 18. Jahrhunderts an bis seinem Tod. Der Hauptcharakter ist ein ungewöhnlicher Mensch: zum Einen ist er schwer entstellt, er hat einen Buckel, zahlreiche hässliche Narben von einer Krankheiten und ein verkürztes Bein, was die Menschen um ihn mit Ekel und Abscheu zur Kenntnis nehmen, und außerdem hat er auch keinen Eigengeruch. Das merkwürdigste an ihm ist jedoch sein exzellenter Geruchssinn. Er vermag es einerseits, sämtliche Düfte, mit denen er in seinem Leben konfrontiert wird, in seinem Gedächtnis zu konservieren, andererseits kann er Düfte aber auch in ihre Einzelheiten zerlegen und so ihre Inhaltsstoffe herausfinden. Diese Begabung und gleichzeitig Berufung macht er sich zunutze und beginnt eine Lehre als Parfümeur, in derer Verlauf er bei zahlreichen Arbeitgebern unterkommt. Sein Ziel ist es, das perfekte Parfum herzustellen, welches ihm eine unwiderstehliche Aura verleiht und ihm alle Menschen Untertan macht. Als er feststellt, dass er hierfür die Düfte zahlreicher junger Mädchen benötigt, schreckt er auch vor Mord nicht zurück, um seiner zwanghaften Suche nach dem perfekten Duft nachzugehen. Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, nach Herstellung des perfekten Parfums merkt er jedoch, dass er durch das Elixier die Menschen zwar beeinflussen und manipulieren kann, er schafft es aber nicht, dass sie ihn als der wahrnehmen, der er sein möchte – ein verhasster, gottgleicher Alleinherrscher über die Menschen. Enttäuscht von diesem Erlebnis zieht er sich in seine Geburtsstadt Paris zurück, übergießt sich des Nachts mit dem Rest seines Parfums, woraufhin er von einigen Obdachlosen „aus Liebe“ (DP S. 320) aufgefressen wird und er von der Welt verschwindet.
Süskind verarbeitet in Das Parfum zahlreiche Motive und Anleihen aus literarischen Werken der Vergangenheit. Diese baut er bewusst in seine Handlung ein, ohne dass sie vom Leser als störend oder unpassend empfunden werden. Zudem gelingt ihm mit diesem Roman eine respektable Vermischung von massenkompatibelem Roman und literarisch ansprechender Erzählung. Dies ist aber wiederum auch bedingt durch die vielen intertextuellen Bezüge, die Süskind in seinen Roman eingebaut hat.
II. Hauptteil – Intertextualität
Es ist besonders auffallend an diesem Roman, dass Patrick Süskind auf eine große Zahl an Verweisen auf Werke der Literaturgeschichte zurückgreift, und diese in seine Erzählung einbaut. Welche Wirkung damit vom Autor erzielt werden soll und ob dieses Ziel auch erreicht wird, soll nachfolgend untersucht werden.
1. Überblick Definition von Intertextualität im Zusammenhang mit Süskinds Roman; Kritische Bemerkungen zur Intertextualität
Im Rückgriff auf Gérard Genette[2] versteht man nach Angelika Buß unter Intertextualität vor allem „die als Zitat, Plagiat oder Anspielung herbeigeführte Anwesenheit eines Textes in einem anderen Text.“[3] Es handelt sich hierbei also um textliche oder motivische Anleihen aus einem früheren Werk, die in die aktuelle Erzählung bewusst eingebaut werden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
Oberstes Gebot hierfür ist, dass die Intertextualität auch tatsächlich nachzuweisen und funktional zu verordnen ist, wie es auch Umberto Eco, der als „Begründer“ postmoderner Literatur zählt, einforderte. Das heißt, es muss klar erkennbar sein, dass es sich bei der zu untersuchenden Textstelle um eine absichtliche Bezugnahme auf einen früheren Text handelt, und dass durch diesen Verweis auch eine besondere Wirkung auf das Verständnis des vorliegenden Textes beabsichtigt wird. Insgesamt soll es folglich zu einem tieferen Verständnis des Gesamtwerkes führen.[4]
Die wissenschaftliche Forschung ist sich darüber weitestgehend einig, dass es in Süskinds Roman Das Parfum eine sehr hohe Dichte an intertextuellen Verweisen gibt. Diese sind jedoch nicht so eingebaut, dass sie dem Leser direkt ins Auge fallen, da die Originalzitate entweder einfach nur notdürftig umgebaut und dem eigentlichen Text angepasst wurden oder der Text des Romans um diese Zitate herumgeschneidert wurde, sondern Sprache und Formulierungen bestechen durch eine beeindruckende „Klarheit und Übersichtlichkeit“[5]. Dies gelingt Süskind vor allem dadurch, dass er kaum wörtliche Zitate der Referenztexte übernimmt (z.B. von Nietzsches Also sprach Zarathustra ), sondern dass er stattdessen vielmehr Umformulierungen verwendet (z.B. von Goethes Faust 1 ). Die Intertextualität bleibt dennoch im Sinne Ecos jeweils eindeutig erkennbar. Zudem wird durch diese Referenzsignale eine größere Sinnverdichtung bewirkt. Das heißt, die vom Autor beabsichtigte Wirkung der Handlung seiner Erzählung tritt durch das Erkennen und korrekte Interpretieren noch deutlicher hervor, als dies ohnehin schon durch die Handlung an sich geschieht. Zwar muss man zweifelsohne anmerken, dass die Handlung auch ohne Kenntnis der jeweiligen Metatexte erfassbar ist, jedoch wird durch sie eine deutlich größere Tiefe erreicht.[6] Dennoch bleibt festzuhalten, dass Süskind seinen Roman durch diese hervorragende Einbindung von Intertextualität und zusätzlich die spannende Handlung gleich für verschiedene „Lesertypen“ interessant macht: das Massenpublikum wird durch die spannende Erzählweise und den Kriminalcharakter angesprochen, mäßig literarisch interessierte Menschen fühlen sich vielleicht durch eingeladen, möglichst viele intertextuelle Anspielungen zu finden, und für das Fachpublikum ist es interessant, das Verhältnis zwischen den Prätexten und das Das Parfum zu beobachten (= Mehrfachcodierung).[7]
Es gibt allerdings auch Kritiker dieser Sichtweise von Intertextualität, allen voran Umberto Eco selber. Er weist darauf hin, dass „alle Bücher (…) immer von anderen Büchern [sprechen], und jede Geschichte (…) eine längst schon erzählte Geschichte [erzählt].[8] Folglich ist jede neue Erzählung, jedes neues Buch, nichts anderes als eine Weiterverarbeitung eines oder mehrerer früherer Texte, die intertextuellen Zusammenhänge, die immer entstehen müssen, sind hierbei jedoch nicht immer beabsichtigt. Die Frage nach der Absicht in Süskinds Roman stellt sich auch, wenn man beachtet, dass Angelika Buß es schafft, fast 100 Bücher zu nennen, die als intertextuelle Quellen für Süskinds Roman gedient haben können. Es ist zweifelhaft, dass Süskind mit voller Absicht und mit vollem Bewusstsein eine solch enorme Zahl an textlichen Anleihen in Das Parfum eingebaut hat.
Außerdem gibt es Stimmen, die sagen, Süskind „habe in der Literaturgeschichte geräubert wie Grenouille unter den Jungfrauen“[9] und habe frühere Texte regelrecht ausgeschlachtet[10]. Hier muss man jedoch entgegenhalten, dass Süskind sich mit Sicherheit nicht willkürlich auf Referenztexte bezieht, sondern, dass seine Intertextualitäten durchaus mit einer bestimmten Funktion eingebaut wurden. Folglich ist Das Parfum auch kein literarisches Meisterwerk im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr ein Werk mit „höchstgelungener Homogenisierungstechnik“[11].
[...]
[1] Vgl.: Matzkowski, Bernd: Erläuterungen zu: Patrick Süskind: Das Parfum. 5. akt. Auflage. C. Bange Verlag: Hollfeld 2007. S. 12f.
[2] dessen Buch „Palimpsestes: La Littérature au Second Degré“ als Vorlage für Buß’ Untersuchung diente
[3] Zitat nach: Buß, Angelika: Intertextualität als Herausforderung für den Literaturunterricht. Am Beispiel von Patrick Süskinds Das Parfum. Europäischer Verlag der Wissenschaften: Frankfurt/ Main 2006. S. 36.
[4] Vgl.: ebd., S. 118.
[5] Vgl.: Becker, Elisabeth: Unterrichtsmodell Einfach Deutsch. Patrick Süskind: Das Parfum. Schöningh Verlag: Paderborn 2001. S. 87.
[6] Vgl.: Buß (2006), S. 120.
[7] Vgl.: Frizen, W.; Spancken, M.: Patrick Süskind: Das Parfum. Interpretation. 2. Auflage. Oldenbourg Verlag: München 2005. S. 113.
[8] Zitat nach: Eco, U.; Kroeber, B.: Nachschrift zum „Namen der Rose“. Dtv: München 1986. S. 28.
[9] Zitat nach: Frizen; Spancken (2005), S. 112.
[10] Vgl.: Ryan, Judith: Pastiche und Postmoderne. Patrick Süskinds Roman Das Parfum. In: Lützeler, Paul-Michael (Hrsg.): Spätmoderne und Postmoderne. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/ Main 1991. S. 95.
[11] Vgl.: ebd., S. 91f.