Wie erlangt der Mensch sittliche Tugend? Die Behandlung dieser Frage in Texten von Platon und Aristoteles


Trabajo Escrito, 2004

18 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Welche Rolle spielt die Arete in den Ethikvorstellungen des Aristoteles und Platons?
2.1. Begriffsbestimmung
2.2. Arete als Wissen – Der Tugendbegriff in der platonischen Ethik
2.3. Arete als Tüchtigkeit der Seele – Der Tugendbegriff bei Aristoteles
2.4. Arete als Voraussetzung für das Bestehen des Staates

3. Wie erlangt der Mensch sittliche Tugend?
3.1. Die Sophisten als Angriffspunkt platonischer Ethik
3.2. Die Frage der Lehrbarkeit bei Platon
3.3. Erziehung zur Tugend – Antworten des Aristoteles

4. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Kannst du mir sagen, Sokrates, ist die Tugend lehrbar? Oder ist sie nicht lehrbar, sondern eine Sache der Übung? Oder ist sie weder Sache der Übung noch des Lernens, sondern etwas, das den Menschen von Natur oder auf irgend eine Weise sonst zuteil wird?“

Platon: Menon, 70a

Die Tugend, Arete, steht im Mittelpunkt aller Betrachtungen des Aristoteles und

Platons zur Ethik. Die Ethik als Lehre vom sittlichen Wollen und Handeln des Menschen gilt ihnen wiederum als unentbehrliche Grundlage jeden Staatswesens, dem Staatsmanne obliegt es, auf die Tugendhaftigkeit der Bürger hinzuwirken. Die Beschäftigung mit Texten beider Philosophen wirft daher die Frage auf, in welcher Weise sie das Erlangen der Tugend für möglich hielten und inwieweit sich hierin die Ideenlehre Platons einerseits und die Ethik als praktische Wissenschaft bei Aristoteles andererseits widerspiegeln.

Auf Grundlage der platonischen Dialoge <Protagoras> und <Menon> sowie der Nikomachischen Ethik des Aristoteles will vorliegende Arbeit die Frage nach dem Erlangen der Tugend untersuchen. Dabei soll eine Beschränkung auf die sittlichen Tugenden gemäß NE 1103a 16 erfolgen.

Im 2. Kapitel wird zunächst der Tugendbegriff bestimmt und in die ethischen Vorstellungen beider Philosophen eingeordnet, sodann im 3. Kapitel die Aussagen zum Erwerb der Tugend genauer untersucht.

Das Schlusskapitel möchte neben einem vergleichenden Fazit den Versuch unternehmen, die Ergebnisse in den größeren Zusammenhang der platonischen und aristotelischen Philosophie zu stellen.

Zum Verständnis der Quellentexte boten „Platos Gespräche“ von Walter Bröcker (1967), die „Geschichte der Ethik“ von Michael Hauskeller (1997) und der Aufsatz „Vom Problem der Willensfreiheit in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles“ von Klaus P. Seif (1979) eine hilfreiche Grundlage. Des Weiteren wurden Texte von Bien (1985), Capelle (1971), Ottmann (2001) und Pieper (1997) und Zeitler (1983) für die Arbeit herangezogen.

2. Welche Rolle spielt die Arete in den Ethikvorstellungen des Aristoteles und Platons?

2.1. Begriffsbestimmung

Der zentrale Begriff der platonischen und aristotelischen Ethik, Arete, wird in den Übersetzungen und der Literatur üblicherweise mit Tugend wiedergegeben, zu deren heutiger Bedeutung als sittliche Kraft, Keuschheit[1] er jedoch kein direktes Synonym bildet.

Vielmehr umfasst der Begriff im Altgriechischen den Bedeutungskreis Tüchtigkeit, Trefflichkeit, Vollkommenheit, Verdienst, aber auch treffliche Eigenschaft, Geschicklichkeit, Heldenhaftigkeit, Tugend[2].

Vergleichbar ist die Arete daher eher dem lateinischen Virtus[3].

Zu welcher Bestimmung des Begriffs Platon und Aristoteles selbst kamen, soll im Folgenden näher erläutert werden.

2.2. Arete als Wissen – Der Tugendbegriff in der platonischen Ethik

Will man sich einen Begriff davon machen, was Platon für die Tugend hielt, ist mehreres zu beachten: zunächst bezieht er sich auf die gängige Vorstellung von Arete, wenn er Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit als Teile der einen Tugend benennt (Prot. 330b). Er fasst also in seinem Tugendbegriff diejenigen Eigenschaften zusammen, die als Aretai allgemein geläufig waren.

Weiter ist zu bemerken, dass er Tugend an keiner Stelle als private Angelegenheit auffasst, sondern sie stets im Kontext staatsbürgerlichen Lebens sieht. Bröcker sieht dies sogar als eigentlichen Sinn der Arete, dass der Mensch ein nützliches Mitglied der menschlichen Gemeinschaft sei. Die Vorstellung von Tugenden, die nicht nützlich, sondern nur Gott wohlgefällig sind, ist dem griechischen einschließlich dem platonischen Denken fremd (Bröcker 1967:115).

Schließlich ist die Vorstellung apriorischer Ideen[4] grundlegend dafür, dass es in Platons Ringen um eine Definition des Tugendwesens vor allem um drei Leitgedanken geht: Tugend ist Wissen. Niemand handelt freiwillig schlecht. Nur tugendhaftes Leben verspricht Glück (vgl. Hauskeller:16). Und Glück oder Eudaimonie ist es, was der Mensch primär anstrebt (Zeitler 1983:33).

Obwohl Platon nicht zu einer abschließenden Aussage findet, was die Tugend ihrem Wesen nach ist, wird seine Auffassung deutlich, dass es sich um eine seelische Eigenschaft (Men.87b) handeln muss, die den Menschen in die Lage versetzt, seine naturgemäße Funktion zu erfüllen und damit das Glück zu erlangen (Zeitler 1983:31).

2.3. Arete als Tüchtigkeit der Seele – der Tugendbegriff bei Aristoteles

Grundlage der aristotelischen Ethik ist die teleologische Vorstellung, dass jedem Handeln des Menschen ein Streben auf ein Ziel innewohnt. Höchstes Ziel ist die Eudaimonie, das Glück, welches „Gut-Leben“ und „Sich-gut-Gehaben“ , also ein der Tugend gemäßes Verhalten, beinhaltet (NE 1095a 14ff.).

Dabei wird die Tugend als Tüchtigkeit der Seele aufgefasst, welche der vernunftgemäßen Tätigkeit der Seele erst das Prädikat „gut und recht“ gibt (NE 1098a 14).

Der Tugendbegriff des Aristoteles lässt sich nur im Zusammenhang mit seiner Seelenlehre verstehen. Er benennt zwei Teile der Seele, einen vernünftigen[5] und einen unvernünftigen. Letzterer besitzt wiederum einen vegetativen Teil, der für die Vernunft nicht zugänglich ist, und einen als Strebevermögen bezeichneten Teil. Dieser ist es, der vom Glück als höchstem Ziel in Bewegung gesetzt wird (Seif 1979:557). Er kann sich dabei von der Vernunft leiten lassen oder seinerseits über die Vernunft gebieten (NE 1102b 29). Wodurch sich das Strebevermögen des einzelnen Menschen bewegen lässt, hängt von seiner Disposition, sprich dem Charakter des Menschen ab. Sein vollendeter Zustand, und dies wäre die sittliche Arete, ist dann erreicht, wenn es mit der Vernunft in Einklang steht. Ottmann schreibt dazu, Ethos und Logos, „richtig formiertes Streben und vernünftig überlegte Wahl“ müssten sich vereinen, wenn ein gutes Leben gelingen soll (Ottmann 2001:143). Obwohl Aristoteles zwar die platonische Gleichsetzung von Tugend und Wissen ablehnt, ist er also der Auffassung, dass „zur sittlichen Tüchtigkeit eine Art von Wissen gehören muss“.

Wie Platon geht er davon aus, dass der Mensch stets nach dem Guten strebt, das heißt nach dem, was wirklich gut ist oder was dem Einzelnen gut scheint. Tugend im vollkommenen Sinne sieht er bei dem Menschen, der nach dem tatsächlich Guten strebt, nach dem also, was sein Vernunftvermögen im Zustand der praktischen Klugheit (Phronesis) erkannt hat.

Die Frage, was denn nun das wirklich Gute sei, führt Aristoteles in einen Begründungsregress: eine Handlung ist wirklich gut, „wenn sie so ist, wie sie der sittlich Gute vollziehen würde“ (Seif 1979:561).

Die Charakterisierung der einzelnen sittlichen Tugenden zeigt Aristoteles als stark im Denken der Polis verhaftet. Neben Mut und Mäßigkeit nennt er mehrere Tugenden, die den Umgang mit Vermögen (Freigebigkeit und Hochherzigkeit) und Ehre (Ehrgeiz und Hochsinn) sowie den gesellschaftlichen Umgang betreffen (Sanftmut, Witz und Gewandtheit u.a.). Gemeinsam ist ihnen, dass sie das Wählen der rechten Mitte (Mesotes) im Spannungsfeld zwischen Lust und Unlust bezeichnen.

Im Gegensatz zu Platon findet also Aristoteles zu einer klaren Definition der Arete, wenn er sagt: sie ist „ein Habitus des Wählens, der die nach uns bemessene Mitte hält und durch die Vernunft bestimmt wird, und zwar so, wie ein kluger Mann ihn zu bestimmen pflegt.“ (NE 1107a).

2.4. Arete als Voraussetzung für das Bestehen des Staates

Die Relevanz der Thematik „sittliche Tugend“ für eine politikwissenschaftliche Arbeit muss sicher in der Frage liegen, welchen Einfluss die Tugend auf den Zustand eines Gemeinwesens hat und inwieweit der Staatsmann hierauf einwirken kann.

Für beide, Platon wie Aristoteles, ist eine funktionierende Polis nur möglich, wenn die Bürger an der Tugend teilhaben. Die Vorstellung des Tugendhaften als nützlichem Mitglied der menschlichen Gemeinschaft findet sich bei Platon in Men. 87d (vgl. Bröcker 1967:115), im Protagoras- Dialog wird die Auffassung von der Arete als dem Kennzeichen des trefflichen Staatsbürgers deutlich (Prot. 318d, vgl. Bröcker 1967:36).

Aristoteles geht bei seiner Frage nach dem höchsten Gut wie selbstverständlich davon aus, dass dieses der leitenden aller Wissenschaften, der Staatskunst, angehören müsse (NE 1094a 27). Die Ethik ist ihm die Basisdisziplin für die praktische Politik. Das durch Brauch und Gewohnheit überlieferte sittliche Verhalten der Bürger ist Fundament jeder funktionierenden Polis (vgl. Pieper 1997: 27).

Wenngleich Capelle es als für Platons politisches Denken charakteristische Auffassung bezeichnet, dass der wahre Staatsmann die sittliche Erziehung und Verbesserung als höchstes Ziel betrachten müsse (Capelle 1971: 248), ist die aristotelische Ethik doch noch deutlich stärker an der praktischen Umsetzbarkeit ausgerichtet.

Die Eudaimonie ist hier erklärtes Zielgut der Staatskunst (NE 1095a 15), der Staatsmann muss zu einem gewissen Grade mit der Seelenkunde vertraut sein (NE 1102a 18), seine Aufgabe ist es, die Bürger in die Lage zu versetzen, das Gute zu tun (NE 1099b 30). Dazu bedient er sich der Gesetzgebung (NE 1103b 3) und trägt so gewissermaßen durch Erziehungsmaßnahmen zum Wohle aller bei (vgl. Pieper 1997: 28).

3. Wie erlangt der Mensch sittliche Tugend?

3.1. Die Sophisten als Angriffspunkt platonischer Ethik

Platon setzt sich, wie später auch Aristoteles, kritisch mit dem Werterelativismus der Sophisten auseinander. Diese als Wanderlehrer wirkenden Rhetoriker erhoben den Anspruch, die Tüchtigkeit des Staatsbürgers zu lehren, mit dem Zweckgedanken, dass man durch dieses Wissen in der Polis zu Macht und Einfluss gelangen könne (Hauskeller 1997:25). Dieser Anspruch bildet den Angriffspunkt für Platon, der eine solche Lehrbarkeit der bürgerlichen Tugend bestreitet.

Mit Protagoras wählt er den führenden Sophisten als Dialogpartner des Sokrates.

Ob die vorgetragenen Argumente tatsächlich der Lehre des Protagoras entsprechen, muss dahingestellt bleiben, Ottmann hält dies jedoch für wahrscheinlich (Ottmann 2001:10).

Protagoras behauptet also, er könne durch Belehrung zu tüchtigen Männern für den Staat heranbilden (Prot.319a). Seine Argumentation beruht auf zwei Punkten:

Zunächst leitet er aus dem Mythos, Zeus selbst habe Gerechtigkeit und sittliche Scheu unter alle Menschen verteilt, den Schluss ab, allen Menschen würde die Tugend durch göttliche Gabe, oder, wenn man den Mythos als Bild verstehen möchte, von Natur aus schon innewohnen (Prot.320d-323a). Dass hierüber allgemeiner Konsens unter den Bürgern bestehe, begründet er mit der Tatsache, dass bei Fragen, die das Gemeinwesen betreffen, jeder Mensch gleichermaßen zu Rate gezogen wird. Damit ist zunächst nur gesagt, jeder habe Anteil an der Tugend. Dies nun bezeichnet Bröcker als „nicht sophistisch, sondern wahr und wichtig; das sittliche Bewusstsein ist keine Fachwissenschaft und keine Spezialistenkunst, sondern etwas, was jedermann zugemutet werden kann und muss.“ (Bröcker 1967:38)

Bei der allgemeinen Meinung setzt auch das zweite Argument an: alle würden nämlich glauben, dass Tugend lehrbar sei. Warum sonst würde eine lebenslange Erziehung hin zur Tugendhaftigkeit gesellschaftliche Praxis sein? Diese Praxis ist durchaus treffend beobachtet (Prot.325c ff.): schon den kleinen Kindern wird unaufhörlich bedeutet, was gut und schlecht, richtig und falsch ist. Die Schule bemüht sich um sittliche Führung nicht nur durch Ermahnung, sondern auch, indem sie die Schüler mit dem Guten und Schönen in Berührung bringt, sei es in Musik, Dichtung oder durch das Vorbild trefflicher Männer. Schließlich ist auch der Erwachsene einem ständigen Prozess sittlicher Bildung unterworfen, indem er durch die Gesetze des Staates zum Guten veranlasst und vom Schlechten abgehalten wird.

Wiewohl diese Argumente durchaus dem Common sense entsprechen, bieten sie keine schlüssige Begründung für die These des Protagoras, dass die Tugend lehrbar sei. Vielmehr belegen sie, dass sie durch Erziehung und Gewöhnung im Sinne der aristotelischen Argumentation erworben werden kann (vgl. Kap. 3.3.). Wenn Protagoras dies als Lehre bezeichnet, gibt er somit dem Begriff eine andere Bedeutung als Sokrates, der ihn nur im Zusammenhang mit Erkenntnis und Wissensvermittlung gebraucht.

[...]


[1] Das neue deutsche Wörterbuch für Schule und Beruf (1997): 933

[2] Langenscheidts Taschenwörterbuch der griechischen und deutschen Sprache (1910): 67

[3] Vgl. Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch (1994):554

[4] Im <Menon> taucht die Ideenlehre erstmals wirklich auf (Capelle 1971:200).

[5] Dem vernünftigen Seelenteil ordnet Aristoteles die dianoetischen oder Verstandestugenden zu (Weisheit, Klugheit etc.). Diese hält er für lehrbar im Sinne Platons. Sie sollen nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.

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Detalles

Título
Wie erlangt der Mensch sittliche Tugend? Die Behandlung dieser Frage in Texten von Platon und Aristoteles
Universidad
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Calificación
2
Autor
Año
2004
Páginas
18
No. de catálogo
V26898
ISBN (Ebook)
9783638290968
Tamaño de fichero
471 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Mensch, Tugend, Behandlung, Frage, Texten, Platon, Aristoteles
Citar trabajo
Beate Apelt (Autor), 2004, Wie erlangt der Mensch sittliche Tugend? Die Behandlung dieser Frage in Texten von Platon und Aristoteles, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26898

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