Spätestens seit 1984, als die PKK ihren Kampf für die politische Autonomie der Kurden, gar einen eigenen Staat im Osten der Türkei begann, war der schnell die Ausmaße eines Krieges annehmende Konflikt mit der türkischen Regierung beständig in den Medien präsent. Unlängst sprach der türkische Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan in Köln vor einem großen Publikum – mehrheitlich türkischer Migranten - über die Frage der kulturellen Eingliederung der deutschtürkischen Minderheit in die Bundesrepublik Deutschland. Unabhängig vom offensichtlichen Nebengehalt dieser politischen Inszenierung bietet Erdogans Appell Anlass, die türkische Position zur Assimilation bzw. Integration von ethnischen Minderheiten näher zu beschauen.
Besieht man die Geschichte des vergleichsweise jungen türkischen Nationalstaates, der erst nach dem ersten Weltkrieg 1922 als einer der Erben des Osmanischen Reiches konstituiert wurde, in Bezug auf mögliche Versuche der Integration der kurdischen Gesellschaft, so stellt man fest, dass die Regierungen in Ankara stets – in mehr oder minder rigorosem Ausmaß - auf Assimilation und ethnische Homogenisierung statt auf Anerkennung und Integration der einzelnen Volksgruppen und ihrer Identitäten gesetzt haben. Wie konnte in einer der sozio-ökonomisch am schwächsten entwickelten Regionen des Vorderen Orients ein höchst virulenter Nationalismus entstehen für den kurdische Kämpfer heutzutage bereitwillig ihr Leben lassen , obwohl er zu keiner Zeit staatliche Förderung erfuhr? Wenn wir mit Benedict Anderson „Nationalität […] und gleichermaßen Nationalismus als kulturelle Produkte einer besonderen Art“ verstehen, „müssen wir klären, wie sie historisch entstanden sind“ . Bestandteil dieser Arbeit wird es demnach sein, zu klären, seit wann man historisch eine „kurdische Nationalbewegung“ nachweisen kann und wer ihre Träger waren. Sind etwa die Aufstände kurdischer Stammesführer im 19. Jahrhundert bereits als Manifestationen kurdischen Nationalismus zu begreifen? Dazu muss jedoch die kurdische Gesellschaft zu dieser Zeit einer Analyse unterzogen werden, um einen Einblick in die komplexen Strukturen zu ermöglichen, die für die Ausbildung einer nationalen kurdischen Identität verantwortlich sein könnten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Wer sind ,,die Kurden“?
- Begriffsklärung: Ethnie, Nation, Nationalismus
- Kurdischer Nationalismus im 19. Jahrhundert?
- Ein Fallbeispiel: Die Erhebung Bedir Khans
- Die Kurden als aristokratisch-laterale Ethnie
- Hrochs Drei-Phasen-Modell
- Kurdischer Nationalismus in der Ära der Jungtürken
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung des kurdischen Nationalismus. Sie analysiert die historischen und soziokulturellen Bedingungen, die zur Bildung einer kurdischen Nationalbewegung geführt haben. Zudem werden die verschiedenen Phasen des kurdischen Nationalismus und seine unterschiedlichen Ausprägungen beleuchtet.
- Die Definition des Begriffs "Kurde" und die Heterogenität der kurdischen Gesellschaft
- Die Rolle der Sprache, der Religion und der Kultur bei der Bildung einer kurdischen Identität
- Die historischen Wurzeln des kurdischen Nationalismus im 19. Jahrhundert
- Die Entwicklung des kurdischen Nationalismus während der Ära der Jungtürken
- Die Bedeutung von Theorien wie dem Drei-Phasen-Modell von Miroslav Hroch für das Verständnis des kurdischen Nationalismus
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt den kurdischen Nationalismus im Kontext des aktuellen politischen Geschehens vor und gibt einen Überblick über die wichtigsten Themen der Arbeit.
- Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wer ,,die Kurden" sind und analysiert die Heterogenität der kurdischen Gesellschaft anhand von Kriterien wie Sprache, Religion und Kultur.
- Das dritte Kapitel klärt die begrifflichen Grundlagen der Arbeit, indem es die Begriffe Ethnie, Nation und Nationalismus definiert und problematisiert.
- Das vierte Kapitel untersucht, ob die Aufstände kurdischer Stammesführer im 19. Jahrhundert bereits als Manifestationen kurdischen Nationalismus zu begreifen sind. Dazu wird ein Fallbeispiel, die Erhebung des Emir Bedir Khan, analysiert.
- Das fünfte Kapitel stellt das Drei-Phasen-Modell von Miroslav Hroch vor und erläutert, wie es für die Analyse des kurdischen Nationalismus verwendet werden kann.
- Das sechste Kapitel untersucht die Entwicklung des kurdischen Nationalismus in der Ära der Jungtürken und die Bedeutung von revolutionären Veränderungen für die Vermehrung nationalistischen Gedankenguts.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen Ethnie, Nation, Nationalismus, Kultur, Religion, Sprache und Geschichte. Im Fokus stehen die Entstehung und Entwicklung des kurdischen Nationalismus, die Heterogenität der kurdischen Gesellschaft und die historischen Wurzeln des kurdischen Nationalismus im 19. Jahrhundert.
- Citation du texte
- Christoph Heckl (Auteur), 2008, Die Entstehung des kurdischen Nationalismus in der Türkei., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269058