Die Funktion von Kunst und Kultur in Theodor Fontanes Frau Jenny Treibel (1892)


Dossier / Travail, 2003

21 Pages, Note: 1,0


Extrait


Gliederung:

1. Einleitung

2. Jenny Treibels Kunst- und Kulturverständnis/ Das Kunst- und Kulturverständnis der Bourgeoisie
2.1 Das falsche Bildungsverständnis der Bourgeoisie / „Verbildete Gesellschaft“:
2.2 Kunst und Kultur zur Repräsentation des sozialen Standes
2.3 Die Bedeutung der Poesie für die Bourgeoisie
2.3.1 Exkurs: Jenny Treibels „Lieblingsdichter“ Georg Herwegh
2.3.2 Kunst und Kultur zur Sicherung des sozialen Status
2.3.3 Kunst/ Poesie als unpolitische und inhaltsentleerte Gefühlsduselei
2.4 Entlarvung der Kunstschwärmerei der Bourgeoisie als reine Farce
2.5.1 Die Sentimentalität der Bourgeoisie
2.5.2 Das Phänomen „Sentimentalität“ im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Bourgeoisie

3. Das Kunst- und Kulturverständnis von Professor Wilibald Schmidt/ Das Kunst- und Kulturverständnis des Bildungsbürgertums
3.1 Kunst und Kultur als Mittel zum „geistreichen Garnieren der Rede“
3.2 Der Ironiker Wilibald Schmidt
3.3 Wilibald Schmidt als Autor des Liebesgedichtes an Jenny Treibel
3.4 Unterschiedliche Deutungsversuche von Schmidts Meinungsänderung/ des Romanschlusses
3.4.1 Der Ironiker Wilibald Schmidt treibt die Ironie auf die Spitze
3.4.2 Echter Gefühlsausbruch Schmidts und wahre Erkenntnis der gesellschaftlichen Missstände
3.4.3 Fontanes Roman als Selbstreflexion eines Künstlers über die Möglichkeiten seiner Kunst und sein Publikum

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Theodor Fontanes Roman „Frau Jenny Treibel oder Wo sich Herz zum Herzen find`t“ erschien 1892. Er gilt als der erheiterndste und humorvollste unter Fontanes Berliner Frauenromanen und soll nach den Worten seines Autors „[...] das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeoisiestandpunktes [zeigen], der von Schiller spricht und Gerson meint.“[1] Die schon zu Beginn des Romans als „ein Musterstück von einer Bourgeoise“[2] bezeichnete Berliner Kommerzienrätin Jenny Treibel verkörpert diesen Standpunkt.

Gerson ist der Name eines luxuriösen Modesalons im Berlin der Wilhelminischen Zeit; der Name steht für den Prestigekonsum, den sich Neureiche wie Jenny Treibel leisten konnten. Schiller hingegen steht für das klassische Bildungs- und Kunstideal, welches die Kommerzienrätin für sich in Anspruch nimmt. Fontanes Gesellschaftsroman ist darauf angelegt, Jennys Schwärmereien für Poesie und Kunst als verlogene Kulturbeflissenheit zu entlarven und zu zeigen, dass es ihr in Wahrheit nur um Geld, Ansehen und Besitz geht.

Doch auch im Bildungsbürgertum ist für Theodor Fontane keineswegs alles Gold, was glänzt. Das Kunst- und Kulturverständnis von Jenny Treibels Jugendfreund Professor Wilibald Schmidt muss ebenfalls kritisch beleuchtet werden. Der so sympathisch gezeichnete Schmidt ist auch geprägt von Egozentrik und Standesdünkel.

2. Jenny Treibels Kunst- und Kulturverständnis/ Das Kunst- und Kulturverständnis der Bourgeoisie:

2.1 Das falsche Bildungsverständnis der Bourgeoisie / „Verbildete Gesellschaft“:

Kommerzienrätin Treibel hat schon in ihrer Jugend eifrig Gedichte auswendig gelernt, darunter auch viele Schillergedichte, und hält sich deshalb für gebildet:

„[...] und wenn mir nicht der Himmel, dem ich dafür danke, das Herz für das Poetische gegeben hätte [...] so hätte ich nichts gelernt und wüsste nichts. Aber, Gott sei Dank, ich habe mich an Gedichten herangebildet, und wenn man viele davon auswendig weiß, so weiß man doch manches.“[3]

Jenny glaubt sich durch ihre vermeintliche Bildung von „all den prosaischen Menschen“ zu unterscheiden und nimmt für sich in Anspruch „ein Herz fürs Poetische“[4] zu haben. Sie redet im Verlauf des Romans ständig vom „Höheren“ und „Idealen“ und meint damit die Bruchstücke des klassischen Bildungs- und Kunstideals, die sich im Kopf hat.

In der wilhelminischen Gesellschaft hatte man eine völlig falsche Vorstellung davon, was Bildung eigentlich ausmacht. Leute wie Jenny Treibel hielten sich aufgrund des bloßen Auswendiglernens von klassischem Bildungsgut für gebildet.

„Die Bildung wird nicht mehr, wie noch in der Goethezeit, als der dynamische Prozess organischer Persönlichkeitsentfaltung gesehen, sondern als fester Zustand oder genauer noch als fester Vorrat, aus dem man beliebig schöpfen kann.“[5]

Der Begriff „Bildung“ ist zur bloßen Phrase geworden; auf das geistreiche Reden kommt es an, wobei man Zitate aus dem klassischen Bildungsgut einfließen lässt, die man sich aus „Büchmanns Zitatenschatz“ angeeignet hat. Klassische Bildung ist eine Art Schmuckstück, welches die Bourgeoisie für sich in Anspruch nimmt und mit dem sie sich umgibt. Theodor Fontane erkennt diesen Bildungshochmut der wilhelminischen Bourgeoisie, für ihn hat „die verfluchte Bildung [...] alles natürliche Urteil verdorben; jeder quatscht nach“[6]. Er kritisiert die „Verbildete Gesellschaft“ seiner Zeit, für die Kunstrezeption nur dem gesellschaftlichen Ansehen dient.

2.2 Kunst und Kultur zur Repräsentation des sozialen Standes:

Der Lebensstil der Treibels zeigt einen deutlichen Hang zur Äußerlichkeit. Dies gilt nicht nur für die harmonische Ehe, die die Familie bei gesellschaftlichen Anlässen vorspielt, sondern zeigt sich auch auf materieller Ebene. Einrichtung und Ausstattung der Treibel`schen Villa sind auf die Repräsentation des Vermögens angelegt. Die Auswahl der Esszimmergemälde geschieht im Hause Treibel nicht nach künstlerischem Geschmack, sondern ist reine Frage des Budgets. Es wird hier deutlich, dass Kunst bei Treibels nur nach ihrem materiellen, vermögens- repräsentativen Wert beurteilt wird.

Auch die Einladung der Gäste zu den Treibel`schen Gesellschaften dient repräsentativen Zwecken. Die regelmäßige Einladung der Majorin von Ziegenhals und des Hoffräuleins von Bomst, die beide Verbindung zum Hofe halten, sollen den Gesellschaften adligen Glanz verleihen. Die Anwesenheit des Opernsängers Adolar Krola und der Mitglieder der Gelehrtenfamilie Schmidt sollen die Verbindung der Treibels zu Bildung und Kunst unterstreichen.

Die Bourgeoisie hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu den Künstlern. Zum einen bestand eine Art Mäzenatentum, womit die finanzkräftige Bourgeoisie den Adel imitierte und langsam ablöste. Zum anderen schmückte man sich mit den Vertretern der Künstlerwelt und deren Produkten, um die Liebe zum „Höheren“ und „Idealen“ und die eigene Kulturhöhe unter Beweis zu stellen, die zum guten Ton gehörten. Kunstgeschmack und Kunstverständnis waren bei diesen rein äußerlichen Interessen nicht notwendig und kaum vorhanden. Besonders Sänger erfreuten sich bei den Dinners der Bourgeoisie großer Beliebtheit, so auch im Hause Treibel, wo der „Hausfreund“ und Opersänger Adolar Krola seine Lieder zum besten gibt.[7]

Auch Jenny Treibel selbst trägt gerne das von Professor Wilibald Schmidt verfasste, ihr gewidmete Liebesgedicht in Liedform und andere Lieder bei gesellschaftlichen Anlässen vor. Ihre Selbstdarstellung ist ihr wichtiger als alles andere, so stellt sie das Gedicht, was einst als intimes Liebesgeständnis gedacht war, öffentlich zur Schau, ohne sich darüber weitere Gedanken zu machen.

Sigrid Thielking spricht im Zusammenhang mit dem im Obigen beschriebenen Verhalten der Bourgeoisie treffend von „pseudokulturellem Habitus“ und „fataler Repräsentationslust“[8]

2.3 Die Bedeutung der Poesie für die Bourgeoisie:

Welche Rolle die Poesie in Jenny Treibels Gesellschaftskreisen spielt, zeigt ihr Gespräch mit dem alten Reaktionär Leutnant Vogelsang, im Laufe des Dinners in der Treibel`schen Villa. Vogelsang, zeigt dabei deutlich seine Abneigung gegen die politische Lyrik des Dichters Georg Herwegh. Er bezeichnet ihn als „den großen Hauptsünder“ für „jene verlogene Zeit“[9], womit er eindeutig auf den deutschen Vormärz anspielt. Daraufhin fühlt sich Jenny „an einer sehr empfindlichen Stelle getroffen“ und bekennt sich zu Herwegh als ihren „Lieblingsdichter“[10] in Jugendjahren.

2.3.1 Exkurs: Jenny Treibels „Lieblingsdichter“ Georg Herwegh:

Georg Herwegh lebte von 1817 bis 1875. Die Veröffentlichung seiner „Gedichte eines Lebendigen“ (1841-43) machten ihn als politischen Lyriker bekannt. 1842 versuchte Herwegh bei einer Audienz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zu liberalen Reformen zu bewegen, woraufhin er aus Preußen ausgewiesen wurde. 1848 war Georg Herwegh der politische Führer des deutschen Revolutionskomitees in Paris und nahm am Aufstand in Baden teil, nach dessen Niederschlagung er in die Schweiz flüchtete. Nachdem er nach Deutschland zurückgekehrt war, polemisierte er gegen den Krieg von 1870/71 und das Kaiserreich.

In seinen Werken ruft Herwegh mit großem Pathos zum Kampf für Freiheit und Vaterland auf, er wurde von seinen Zeitgenossen als nationaler Freiheitssänger begeistert gefeiert. Allerdings geriet das Werk Georg Herweghs schon bald nach seinem triumphalen Erfolg wieder in Vergessenheit, u.a. wohl wegen seiner recht wagen politischen Vorstellungen.[11]

Warum nun gerade ein politischer Dichter wie Herwegh von Jenny Treibel als ihr „Lieblingsdichter“ bezeichnet wird, erscheint zunächst befremdlich und soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

2.3.2 Kunst und Kultur zur Sicherung des sozialen Status:

Kommerzienrätin Treibel begeistert sich für die Gedichte Herweghs, die von ihren Eltern als Erziehungsmittel und zum Zweck der sozialen Konditionierung eingesetzt wurden; gerade diese Tatsache begrüßt sie: „[...] meine Mutter sagte: Lies es nur Jenny [...] die besseren Klassen lesen es alle. Meine Mutter, wofür ich ihr noch im Grabe danke, war immer für die besseren Klassen. Und das sollte jede Mutter, den es ist bestimmend für unseren Lebensweg. Das Niedere kann dann nicht heran und bleibt hinter uns zurück.“[12] Das „Niedere“ von dem Jenny spricht, meint eindeutig Soziales. Dichtung soll sozialstabilisierende und klassensichernde Funktion haben, auch ihren eigenen Aufstieg sieht Jenny hier begründet. „Sich von diesem „Niederen“, also den kleinen Verhältnissen zu befreien ist das einzige, was das „Ideal“ oder „das Höhere“ für Jenny ausmacht [...]“[13]

[...]


[1] Brief Fontanes an seinen Sohn am 9. Mai 1888, zitiert nach Brinkmann: Fontanes Briefe, S. 425.

[2] Fontane: Jenny Treibel, S. 13.

[3] Fontane: Jenny Treibel, S. 8.

[4] Ebd. S. 8.

[5] Meyer: Erzählkunst, S. 174.

[6] Brief Fontanes an seine Familie am 17. Februar 1891, zitiert nach Fontanes Briefe an seine Familie, Band 2, S. 131.

[7] Vgl. Ellinger: Bild der bürgerlichen Gesellschaft, S. 125-127.

[8] Thielking: Rührpoesie und Renommage, S. 136.

[9] Fontane: Jenny Treibel, S. 28.

[10] Ebd. S. 28.

[11] Vgl. Weber: Georg Herwegh, S. 261-263.

[12] Fontane: Jenny Treibel, S. 28.

[13] Grevel: Dilemma des Bürgertums, S. 190.

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Die Funktion von Kunst und Kultur in Theodor Fontanes Frau Jenny Treibel (1892)
Université
Saarland University  (Germanistisches Institut)
Cours
Proseminar "Theodor Fontane: Berliner Frauenromane"
Note
1,0
Auteur
Année
2003
Pages
21
N° de catalogue
V26914
ISBN (ebook)
9783638291057
Taille d'un fichier
527 KB
Langue
allemand
Mots clés
Funktion, Kunst, Kultur, Theodor, Fontanes, Frau, Jenny, Treibel, Proseminar, Theodor, Fontane, Berliner, Frauenromane
Citation du texte
Michael Wadle (Auteur), 2003, Die Funktion von Kunst und Kultur in Theodor Fontanes Frau Jenny Treibel (1892), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26914

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