Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
3. Lebenslanges Lernen in Deutschland – ausgewählte Befunde
4. Status quo des Bildungscontrollings in Deutschland
5. Theoretische Ansätze
5.1. Der Nutzen theoretischer Ansätze für zukünftige Bildungscontrolling-Konzeptionen
5.2. Humankapitaltheorie versus Bildungs- und lerntheoretische Ansätze
5.3. Theoretische Ansätze zum Bildungscontrolling
6. Zwischen Ökonomie und Pädagogik – ein Spannungsfeld für das Bildungscontrolling der Zukunft?
7. Fünf Gestaltungsimpulse für die zukünftige Bildungscontrolling-Praxis
7.1. Unternehmensinterne Nutzenkommunikation zur Förderung eines am Lerner orientierten Ziel- und Bedarfscontrollings
7.2. Ausweitung des Bildungscontrolling auf informelle Lernprozesse
7.3. Potenziale des Bildungscontrollings zur Förderung expansiven Lernens
7.4. Bildungscontrolling als Instrument zur Förderung von Selbststeuerungskompetenz und Reflexiver Handlungsfähigkeit
7.5. Bildungscontrolling als Führungsaufgabe verstehen
8. Grenzen zukünftiger Bildungscontrolling-Konzeptionen
9. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wenn in der deutschen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts Bildungspolitiker, Unternehmensvertreter oder Wissenschaftler öffentliche Aussagen zur Beruflichen Bildung machen, ist der Begriff des Lebenslangen Lernens meist ein fester Bestandteil dieser medialen Repräsentanz. Empirische Untersuchungen zeigen aber, dass zwischen den formulierten Erwartungen bzw. Forderungen und der aktuellen Realität des Lebenslangen Lernens in Deutschland noch eine große Lücke klafft. Ein Instrument, mit dessen Hilfe man zumindest in Bezug auf berufliche Bildung Erkenntnisse darüber gewinnen kann, wie groß diese Lücke ist, warum es sie gibt und wie man sie zukünftig schließen könnte, ist das Bildungscontrolling, das in deutschen Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt, aber bisher meist als Reaktion auf sich verschärfende ökonomische Rahmenbedingungen implementiert wird, um Kosten und Nutzen von Bildungsmaßnahmen zu quantifizieren und hierüber letztlich die betriebliche Bildungsarbeit zu legitimieren. Bietet Bildungscontrolling aber über diese ökonomische Dimension hinaus auch Potenziale zur institutionellen Förderung von Bildungsbeteiligung und Lernmotivation, mithin also des Lebenslangen Lernens im beruflichen Kontext? In der Zusammenschau gegenwärtiger Defizite beim Lebenslangen Lernen einerseits und Bildungscontrolling andererseits liegt der argumentative Ausgangspunkt dieser wissenschaftlichen Hausarbeit. Der Autor stellt folgende Hypothese auf: „Die gegenwärtigen Bildungscontrolling-Konzeptionen deutscher Unternehmen zeichnen sich durch eine stark wirtschaftswissenschaftliche Ausrichtung aus, wodurch bildungs- und lerntheoretisch begründete Potenziale des Bildungscontrollings zur Förderung des Lebenslangen Lernens bislang weitgehend ungenutzt bleiben.“ Die der Hausarbeit zu Grunde liegende Forschungsfrage lautet dementsprechend: „Durch welche Entwicklungsmaßnahmen könnte das Bildungscontrolling in deutschen Unternehmen zukünftig stärker dazu genutzt werden, Bildungsbeteiligung und Lernmotivation in Bezug auf das berufliche Lernen zu fördern?“
2. Begriffsbestimmungen
Die folgenden Bestimmungen zentraler Begriffe sind grundlegend für den weiteren Verlauf der Argumentation. Das „Lebenslange Lernen“, in der Literatur oft auch als Konzept oder Postulat benannt, wird von Gatzke (2007, 3-4) definiert als „…die Gesamtheit allen formalen, nicht-formalen und informellen, beruflichen, politischen sowie allgemeinen Lernens an allen Lernorten über den gesamten Lebenszyklus eines Individuums hinweg.“ Das Thema dieser Hausarbeit bringt es mit sich, dass der Fokus im weiteren Verlauf auf dem Lebenslangen beruflichen Lernen liegt. Berufliche Bildung ist definiert in § 1 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG): „Berufsbildung im Sinne dieses Gesetzes sind die Berufsausbildungsvorbereitung, die Berufsausbildung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2003, 5). Diese Hausarbeit fokussiert wegen der Anschlussfähigkeit an die genutzten empirischen Studien auf den Teilaspekt der beruflichen Fortbildung, also auf Lernprozesse, die zeitlich nach dem Abschluss einer wie auch immer gearteten beruflichen Erstausbildung liegen. Bildungscontrolling ist gemäß van Buer (2010, 15) aufgrund einer Fülle von unterschiedlichen Ansätzen und Begriffen begrifflich nur schwer zu greifen, mit zum Teil nicht voneinander abgegrenzten Zielen, Funktionen, Aufgaben, Methoden und Instrumenten. Gemäß Schöni (2006, 17-18) befasst sich Bildungscontrolling „…mit der Planung, Kontrolle und Steuerung von Bildungsprozessen“. Käpplinger (2009, 2) betont insbesondere den prozessualen Charakter im Sinne eines Ablauf- und Phasenmodells für das Management betrieblicher Weiterbildung. Die Begriffsbestimmungen machen zusammengefasst deutlich, dass Bildungscontrolling ein prozesshaftes, aktiv steuerndes und zukunftsorientiertes Managementsystem ist, das über den Aspekt der retrospektiven Kontrolle weit hinaus geht - dieses Verständnis wird auch dieser Hausarbeit zu Grunde gelegt.
3. Lebenslanges Lernen in Deutschland – ausgewählte Befunde
In der gesichteten Literatur wird die generelle Sinnhaftigkeit des Lebenslangen Lernens nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil, implizit oder explizit, als wichtige Voraussetzung für die vor allem wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hoch entwickelter Gesellschaften im 20. bzw. 21. Jahrhundert betrachtet. Viele Autoren beschäftigen sich jedoch kritisch mit der Frage, inwieweit das Konzept des Lebenslangen Lernens bereits umgesetzt ist. Faulstich beispielsweise konstatiert: „Wenn man das Konzept „lifelong learning“ für begründet hält und es ernst nimmt, müssen entsprechende Implementationsstrategien entwickelt werden. Skandalös ist, dass seit über dreißig Jahren darüber diskutiert wird und in der Umsetzung wenig geschieht.“ (Faulstich, 2003, 275). Hier deutet sich bereits an, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine gravierende Lücke klafft - im Folgenden werden ausgewählte empirische Ergebnisse skizziert, die exemplarisch die aktuelle Situation des Lebenslangen Lernens in Deutschland beschreiben. Schleiter kommt im Rahmen einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung zu folgenden Ergebnissen: Eine deutliche Mehrheit der befragten Erwachsenen steht lebenslangem Lernen aufgeschlossen gegenüber. Für 80 Prozent der Befragten ist das weitere Lernen und Qualifizieren unabhängig von der bisherigen Ausbildung eine Selbstverständlichkeit, und nur für 7 Prozent der befragten Bürger ist der Gedanke unangenehm, lebenslang zu lernen. (Schleiter, 2008, 4). Finden sich diese ausgesprochen positiven Zuschreibungen zum Lebenslangen Lernen auch auf der Handlungsebene in entsprechend hohen Teilnahmequoten an beruflicher Bildung wieder? Auf Basis der vorliegenden empirischen Erkenntnisse des Berichtssystems Weiterbildung (Kuwan und Thebis, 2004, 21-57) ist diese Frage klar mit Nein zu beantworten: Die Teilnahmequote an formaler beruflicher Weiterbildung in Form von Lehrgängen/Kursen steigt langfristig betrachtet, von 1979 bis zum Jahr 2003, zwar deutlich an, übersteigt aber andererseits nie die 30%-Marke – und Akteure mit niedrigen Schulabschlüssen oder einer niedrigen beruflichen Stellung weisen nochmals geringere Teilnahmequoten auf. Selbst bei Betrachtung der im Vergleich deutlich höheren Beteiligungsquote beim Informellen Lernen außerhalb von Lehrgängen/Seminaren von z.B. 61 % im Jahre 2003 bleibt festzuhalten, dass auch hier Teilnahmequoten von 80% oder mehr nicht annähernd erreicht werden. Schiersmann arbeitet in ihrer Studie u.a. heraus, dass nur rund jeder zweite Erwerbstätige für sich persönlich Weiterbildungsbedarf sieht, benennt als wichtigste Weiterbildungsbarrieren in der deutschen Erwerbsbevölkerung Belastung/Zeitmangel, fehlenden Nutzen sowie Informations-/Angebotsdefizite und identifiziert in einer umfassenden Clusteranalyse zwei Typen von Lerner-Profilen: sie verortet neben den sog. „weiterbildungsbewussten Lernern“ rund 1/3 der Erwerbstätigen in dem aus ihrer Sicht problematischen Cluster der „weiterbildungsdistanzierten Lerner“ mit im Vergleich signifikant geringerer Selbststeuerungskompetenz und Lernmotivation (Schiersmann, 2006, 48 – 93). Faulstich (2003, 47) bescheinigt der betrieblichen Weiterbildung auf Basis empirischer Untersuchungen eine hohe Selektivität und eine Exklusion weiter Belegschaftsteile aus dem System der betrieblichen Weiterbildung, insbesondere von Mitarbeitern, die älter als 45 Jahre sind bzw. von Un-/Angelernten. Als Fazit dieses Kapitels ist festzuhalten: Eine positive Einstellung zum Lebenslangen Lernen bedeutet keinesfalls, dass diese auch in gleicher Konsequenz in konkrete Lernhandlungen umgesetzt wird - obwohl der Begriff des Lebenslangen Lernens bei der überwiegenden Mehrheit der deutschen Erwachsenenbevölkerung positiv konnotiert ist und als selbstverständlich angesehen wird, ergibt die aktuelle Lernrealität in der Berufsbildung in Deutschland ein vergleichsweise nüchternes Bild, das zudem noch von sozialen Ungleichheiten und hoher Heterogenität geprägt ist. Gatzke bringt es auf den Punkt, wenn er konstatiert: „Da die berufliche Weiterbildung noch immer den größten Teil im LLL Erwachsener darstellt, stehen insbesondere auch die Unternehmen in der Verantwortung. Sie müssen Weiterbildungsmaßnahmen stärker als notwendige Zukunftsinvestition sehen und dürfen in der Umsetzung einer Unternehmenskultur des LLLs keinesfalls Gruppen wie Geringqualifizierte ausschließen.“ (Gatzke, 2007, 28).
4. Status quo des Bildungscontrollings in Deutschland
Wie ermitteln und bewerten die Unternehmen den Erfolg der von ihnen initiierten beruflichen Bildungsmaßnahmen? Zugang zu dieser Frage bietet die nähere Betrachtung des Bildungscontrollings. Aus einer quantitativen Betrachtungsperspektive erscheint zunächst die Frage interessant, inwieweit Bildungscontrolling aktuell überhaupt in den Unternehmen eingesetzt wird. Van Buer (2010, 27) bezeichnet Bildungscontrolling im betrieblichen Alltag als bisher eher „defizitäre Größe“ und arbeitet heraus, dass Investitionen in Bildung und Qualifikationen nur bedingt oder sogar nur am Rande Teil der unternehmerischen Planungsstruktur sind. Käpplinger (2009, 3-8) skizziert empirische Befunde, nach denen nur rund jeder zweite Betrieb in Deutschland Bildungscontrolling entweder in Teilen oder intensiv einsetzt, wobei Großbetriebe dies deutlich häufiger und intensiver tun als Kleinbetriebe. Von einer flächendeckenden Verbreitung des Bildungscontrollings ist die Realität in deutschen Unternehmen somit noch weit entfernt, auch wenn nahezu alle Autoren diesem Thema generell wachsende Bedeutung konstatieren. Eine aus Sicht des Autors noch interessantere Sichtweise ist die qualitative Betrachtungsperspektive, bei der es nicht um das „ob“ sondern um das „wie“ geht, also: welches Erkenntnisinteresse das Bildungscontrolling verfolgt und mit welcher inhaltlichen Ausrichtung es umgesetzt wird. In der Literatur zum Thema dominiert die Betonung einer Dualität von Ökonomie und Pädagogik: mit einerseits managementorientierten Zugängen vor einem betriebs- und personalwirtschaftlichem Hintergrund (ökonomischer Zugang) und andererseits bildungsprozessorientierte Zugänge mit einem Ursprung in berufspädagogischen oder personalpsychologischen Fachdisziplinen (Schöni, 2006, 18 – 20), (Hummel 2001, 15 - 38). Seeber et. al. (2000, 9-46) kommen zum Schluss, dass Bildungscontrolling bisher primär mit monetären Bewertungen des Bildungsgeschehens gleichzusetzen war, erst in den letzten Jahren interdisziplinäre Zugänge und vor allem pädagogische Perspektiven auf Berufsbildung an Bedeutung gewinnen und die Konzepte im Bereich der betrieblichen Aus- und Weiterbildung im Vergleich zu wirtschaftswissenschaftlich begründeten Controlling-Konzeptionen noch defizitär sind. In der Literatur findet sich eine weitere zentrale Schwäche aktueller Bildungscontrolling-Konzeptionen, nämlich die noch defizitäre Messung und Bewertung des Lerntransfers von beruflichen Bildungsmaßnahmen im Hinblick auf einen beobachtbaren Outcome im Arbeitsalltag des Lerners, exemplarisch folgen hier drei Zitate:
- „Insbesondere fehlt es an aussagekräftigen Wirtschaftlichkeitsberechnungen und an praktikablen Methoden zur Überprüfung des Anwendungserfolgs“ (Hummel, 2001, 38).
- „…die Tatsache, dass Informationsgrundlagen über…Lern- und Transfererfolge bei den Teilnehmenden von Bildungsmaßnahmen entweder fehlen oder so wenig aussagekräftig sind, dass sie keine geeignete Basis für personal- und qualifikationsbezogene Steuerungsmaßnahmen abgeben dürften.“ (Schöni, 2006, 30).
- „…Alle Aktivitäten an den Schnittstellen zum Kunden – wie z.B. …die Messung des Lern- und Anwendungserfolgs – sind hingegen weniger umfassend ausgeprägt…“ (Günther, T. & Zurwehme, A., 2005, 58).
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