Tötung von Kindern nach der Geburt

Ein soziales Problem und seine rechtliche Würdigung im Lichte unterschiedlicher Reformen


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2012

24 Pages, Note: 11 Punkte


Extrait


Gliederung

A. Einleitung

B. Täterkreis

C. Ausmaß

D. Begehungsweise

E. Motive für die Tötung
I. Ehrennotstand
II. Geschlechtszugehörigkeit
III. Wirtschaftliche Not
IV. Egoistische Gründe
V. Ratlosigkeit
VI. Geburtsaffekt
VII. Negierte Schwangerschaft

F. Historische Entwicklung
I. Römische Antike
II. Germanen
III. Mittelalter
IV. Constitutio Criminalis Carolina
1. Allgemeines
2. Tatbestand
3. Bestrafung
V. Aufklärung
VI. Partikulare Gesetzgebung bis 1871
1. Entwicklung in Preußen bis 1850
2. Entwicklung in anderen Staaten nach 1800
3. Entwicklung in Preußen nach 1850
VII. Reichsstrafgesetzbuch von 1871
VIII. Reformbestrebungen
1. Diskussionsgrundlage
2. Entwürfe
IX. Zeit des Nationalsozialismus
X. Zeit nach 1945
XI. Lage nach dem 6. StrRG
1. § 212 Abs. 1 StGB
2. § 213 Alt. 2 StGB
3. § 211 StGB
a) Habgier
b) Niedrige Beweggründe
c) Heimtücke
d) Grausam
e) Verdeckungsabsicht
f) §§ 20, 21 i. V. m. § 49 StGB

G. Schlussbetrachtung

Tötung von Kindern nach der Geburt – Ein soziales Problem und seine rechtliche Würdigung im Lichte unterschiedlicher Reformen

A. Einleitung

„Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermord abzuhelfen, ohne die Unzucht zu begünstigen?“, so lautete eine Aufforderung der Zeitschrift „Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit“ aus dem Jahre 1780 an ihre Leser sich mit der Thematik der Kindstötung auseinanderzusetzen. Der beste Vorschlag wurde mit einem Preisgeld von 100 Dukaten prämiert. Die Resonanz war mit 400 Zuschriften enorm.[1] Die Thematik der Tötung von Kindern war auch zuvor und in der nachfolgenden häufig Gegenstand kontroverser Diskussionen. Handelte es sich bei den Tötungsopfern doch um Wesen, die mit das schwächste Glied einer Gesellschaft sind, auf deren Schultern aber große Hoffnungen für die Zukunft ruhen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden unterschiedliche Wege beschritten, dem Delikt der Kindstötung Einhalt zu gebieten ohne auf Kosten der sittlichen Werte, die eine Gesellschaft ebenso prägen und zusammenhalten, zu handeln. Grundlage der Überlegungen waren die vermuteten Motive, weshalb eine Tötung von bestimmten Personen begangen wurde. Um die Entwicklung der Gesetzgebung nachvollziehen zu können, müssen auch die Umstände und Beweggründe dieser Tat betrachtet werden.

B. Täterkreis

Eine Tötung von Kindern nach der Geburt wird zumeist von Müttern begangen. In seltenen Fällen auch von Vätern, nahen Angehörigen oder nahe stehenden Personen.[2]

C. Ausmaß

Verlässliche und vollständige Zahlen für das Ausmaß an Tötungen von Kindern unmittelbar nach der Geburt lassen sich nur schwer finden. Die Dunkelziffer wird aufgrund der einfachen Möglichkeit einer Verheimlichung der Schwangerschaft und der durch die geringe Größe leichten Beseitigung eines Babyleichnams hoch eingeschätzt. Es existieren Überlegungen, die eine Dunkelziffer von mindestens 10:1 und maximal 25:1 oder sogar 30:1 annehmen.[3] Statistisch aufbereitet werden die Fälle von Kindstötung in ausreichender Zahl nur in der jährlich erscheinenden Polizeilichen Kriminalstatistik. Diese führte den Neonatizid, also die Tötung von unehelichen Kindern kurz nach der Geburt, bis 1998 gesondert auf. Danach wurde er den vorsätzlichen Tötungsdelikten zugeschlagen. Statistische Daten für die Tötung von ehelichen und unehelichen Kindern nach der Geburt sind nicht verfügbar. Deswegen kann sich an das Ausmaß der Fälle nur angenähert werden. Die Zahl an Neonatiziden lag in den Jahren 1987 bis 1998 durchschnittlich bei 27, die vorsätzlichen Tötungsdelikte an Kindern unter sechs Jahren kamen in den Jahren 1996 bis 2007 durchschnittlich auf 122.[4] Beide Aufkommen hielten sich über die Jahre hinweg annähernd konstant mit einer leichten Abwärtstendenz. Die Zahl der Kinder, die nach der Geburt getötet wurden, wird sich schätzungsweise im unteren Mittelfeld beider Durchschnittswerte bewegen.

D. Begehungsweise

Kinder werden meist durch Ersticken, Erwürgen, Schütteln oder Ertränken getötet. Bei Neonatiziden ist häufig ein Unterlassen gegeben. Die Mutter lässt ihr neugeborenes Kind unversorgt liegen und kümmert sich nicht weiter darum. Der Tod tritt dann oft durch Ersticken im Fruchtwasser oder in der Nachgeburt ein.[5]

E. Motive für die Tötung

I. Ehrennotstand

Der Ehrennotstand stellte zumeist in früheren Zeiten das Hauptmotiv dar. Unter Ehrennotstand wird die durch die Geburt eines Kindes, das nicht innerhalb einer Ehe gezeugt wurde, hervorgerufene Angst der Mutter vor Schande oder gesellschaftlicher Ächtung verstanden.[6] Dabei kann die Frau sowohl die Geburt eines unehelichen Kindes vor sich selbst als Schande empfinden, als auch den unwiderruflichen Verfall ihrer Ehre vor anderen fürchten, der ihr eine sorgenfreie Zukunft für sich und ihr Kind fast unmöglich zu machen scheint.[7] Zudem war Unzucht bis 1765 und Ehebruch bis 1969 unter Strafe gestellt, so dass die Frau bei Entdecken des Kindes mit einer empfindlichen Strafe rechnen musste.[8] In der gegenwärtigen Zeit mit der Tendenz zu immer mehr nichtehelichen Lebensgemeinschaften, entspricht die Angst von der Gesellschaft aufgrund eines unehelichen Kindes geächtet zu werden, nicht mehr der sozialen Wirklichkeit.[9]

II. Geschlechtszugehörigkeit

Ist der Unterschied zwischen der Anzahl getöteter Mädchen und Jungen in Ländern des westlichen Kulturkreises heute nicht mehr wahrnehmbar, überwog die Zahl getöteter Mädchen in vergangenen Jahrhunderten signifikant. Ursache dafür war hauptsächlich die soziale Stellung der männlichen Nachkommen, die höher bewertet wurde, als die der weiblichen.[10]

III. Wirtschaftliche Not

In einer Konstellation bei der eine Mutter ohne die Unterstützung des Kindsvaters auskommen, durch die Geburt um ihren Arbeitsplatz fürchten muss, selbst nicht gut genug finanziell gestellt ist, wie dies besonders im 17. Jahrhundert bei unehelich Gebärenden der Fall war, und dadurch die materielle Versorgung ihres Kindes gefährdet sieht, kann die befürchtete wirtschaftliche Not so erdrückend sein, dass die Mutter die bessere Alternative für das Kind in dessen Tod sieht. Diese Motivlage wird jedoch durch die finanziellen Unterstützungsprogramme des Staates, wie Kindergeld, Wohngeld und dergleichen, zunehmend hinfällig.[11]

IV. Egoistische Gründe

Kinder führen zu Veränderungen im persönlichen Lebensstil der Eltern. Dies kann sich in der Verknappung der wirtschaftlichen Mittel zeigen, ohne dass eine konkrete wirtschaftliche Not zu befürchten ist oder gerade für Alleinerziehende in einem erschwerten Fortkommen in der Berufswelt durch die Belastung mit dem Kind. Sind Eltern nicht bereit dies für ein Kind in Kauf zu nehmen, kann es vorkommen, dass ein Kind aus egoistischen Gründen getötet wird.[12]

V. Ratlosigkeit

Die Tötung eines Kindes kann auch aus Ratlosigkeit geschehen. Dies wird charakterisiert durch die Überforderung der Eltern, wie man sich dem Kind gegenüber verhalten soll. Teilweise besteht nicht die Problematik, dass das Kind nicht angenommen wird, sondern die Befürchtung, dass der eigene Anspruch, den man an sich in der Kindeserziehung stellt, nicht erfüllt werden kann. Bevor man an der Erziehung scheitert, sieht der Täter oder die Täterin den besseren Weg in dem Tod des Kindes. Die Ratlosigkeit kann auch von Hilflosigkeit und Verzweiflung geprägt sein und der Unkenntnis, was mit dem Kind werden soll. Die Lösung des Problems scheint in der Tötung gefunden.[13]

VI. Geburtsaffekt

Unter Geburtsaffekt wird eine aufgrund des Geburtsvorgangs hervorgerufene starke physische und psychische Belastung der Mutter unmittelbar nach der Geburt verstanden, in Gestalt von u.a. heftiger Erregung.[14] Besonders die Geburtsschmerzen, als deren Verursacher in der konkreten Situation das Kind gesehen wird, in Kombination mit der psychischen Anspannung, z.B. durch eine drohende wirtschaftliche Notlage oder die Furcht vor Ächtung, können zu einem derartigen Absinken der natürlichen Hemmschwelle, die eine Mutter davon abhält ihrem Kind Schaden zuzufügen, führen, dass eine Mutter ihr Kind tötet. In früheren Zeiten wurde dieser affektartige Erregungszustand nur den nichtehelich Gebärenden zugebilligt, da sie unter besonderem psychischem Druck stehen. Der neueren medizinischen Forschung zufolge zeigt der Geburtsvorgang selbst eine weniger starke Wirkung auf die Psyche der Frau als zunächst angenommen, zudem macht es keinen Unterschied, ob die Frau ein eheliches oder uneheliches Kind zur Welt bringe, da in beiden Fällen die gleichen hormonellen Veränderungen ablaufen, die auf die Gemütslage der Frau wirken. Bei der Tötung von Kindern kurz nach der Geburt kommt allerdings ein weiterer Aspekt zu tragen, der die Annahme eines Geburtsaffekts bei der Mutter weiterhin möglich erscheinen lässt. In diesen Fällen findet die Geburt häufig heimlich und ohne medizinische Betreuung statt, was die mit dieser nicht alltäglichen Situation überforderte Frau in eine Ausnahmesituation versetzt und die psychische Belastung verstärken kann.[15]

VII. Negierte Schwangerschaft

Eine negierte Schwangerschaft kann sowohl in Form einer unbewussten Verdrängung, einer bewussten Abwehr des Gedankens, als auch einer bewussten Verheimlichung der Schwangerschaft vorliegen. Subjektiv ist die Schwangere bei einer Verdrängung fest davon überzeugt, nicht schwanger zu sein. Mögliche Anzeichen einer Schwangerschaft werden durch andere Ursachen erklärt. Das soziale Verhalten, z.B. Schwimmbad- oder Arztbesuche, unterliegt keiner Veränderung, was ein Aufdecken der Schwangerschaft leicht ermöglichen könnte. Von Verdrängung spricht man, wenn die Schwangerschaft nicht vor der 20. Schwangerschaftswoche oder bis zur Geburt selbst erkannt wird.[16]

Wird die Schwangerschaft von der werdenden Mutter verheimlicht, ist sich diese ihrer Situation zwar bewusst, wehrt diesen Gedanken jedoch vehement ab. Sie versucht im Gegenteil die Schwangerschaft unter Verwendung von Hilfsmitteln, z.B. weiter Kleidung, zu verdecken. Nachfragen nach einer möglichen Schwangerschaft dementiert sie und findet andere Erklärungen für potentielle Anzeichen.

Da die Mutter in der Regel die Zukunft ausblendet, wird sie von der Geburt überrascht und ist bei dieser ohne Hilfe, was zu Überforderung und Ratlosigkeit in der Geburtssituation führen kann. Das Nichtauseinandersetzen mit dem Kind während der Schwangerschaft kann die Muttergefühle und Pflegebereitschaft so weit hemmen, dass das Neugeborene nicht als das eigene Kind angesehen wird. Die Tötung ist dann die letzte Konsequenz.

Partnerschaftskonflikte, Familienprobleme oder soziale Isolationen können als Ursachen der Negierung angeführt werden.[17]

Inwiefern die Schwangerschaftsanzeichen wirklich ignoriert werden können, war lange Zeit umstritten. Es ist jedoch medizinisch bewiesen, dass eine Schwangerschaft nicht immer mit den klassischen Schwangerschaftszeichen verlaufen muss. Gerade die auf Verdrängung ausgerichtete Psyche dieser Schwangeren bewirkt ein Fehlen bzw. eine schwächere Ausprägung von Schwangerschaftszeichen.[18]

F. Historische Entwicklung

Die Kindstötung bzw. der Kindsmord, wie es in früheren Zeiten unisono bezeichnet wurde, unterlag im Laufe der Jahrhunderte einer starken Entwicklung.

I. Römische Antike

Das römische Recht verlieh dem Vater die patria potestas, also eine uneingeschränkte Verfügungsgewalt über alle Familienangehörigen, zu denen auch die Söhne, deren Schwiegertöchter und Sklaven zählten. Diese Verfügungsgewalt beinhaltete auch das ius vitae et necis, das Recht über Leben und Tod der Kinder zu entscheiden. Ob die Kinder ehelich oder unehelich waren, war nicht von Belang.[19] Es mussten jedoch Voraussetzungen für eine Tötung erfüllt werden. Das Kind durfte nicht älter als drei Jahre sein und fünf Nachbarn mussten bestätigen, dass das Kind missgestaltet oder schwächlich ist. In der Zeit der römischen Republik wurden die Erfordernisse noch verschärft bis die Kindstötung um 300 v. Chr. schließlich ganz verboten wurde.[20]

Da der Mutter keine patria potestas zukam, wurde eine Kindstötung durch sie als parricidium, also Verwandtenmord, bestraft, was mit der Todesstrafe belegt war.[21]

[...]


[1] Michalik, S. 295; Kastner, NJW 1991, 1443, 1445.

[2] Weinschenk, S. 4; Höynck/Görgen, Kriminalsoziologie und Rechtssoziologie, 9, 20.

[3] Bozankaya, S. 26; Streb, S. 108; Höynck/Görgen, Kriminalsoziologie und Rechtssoziologie, 9, 30.

[4] Bozankaya, S. 26 f.

[5] Streb, S. 120; Höynck/Görgen, Kriminalsoziologie und Rechtssoziologie, 9, 23.

[6] Michalik, S. 95; Schmidt, S. 36; Weinschenk, S. 18.

[7] Streb, S. 122.

[8] Bozankaya, S. 38; Weinschenk, S. 21.

[9] Weinschenk, S. 195.

[10] Bozankaya, S. 37.

[11] Schmidt, S. 94 ff.; Streb, S. 126; Weinschenk, S. 22 f.

[12] Bozankaya, S. 40 f.; Streb, S. 126 f.

[13] Bozankaya, S. 43; Streb, S. 129.

[14] Bozankaya, S. 42.

[15] Weinschenk, S. 25 f.

[16] Bozankaya, S. 44; Streb, S. 132.

[17] Bozankaya, S. 46.

[18] Bozankaya, S. 47.

[19] Handke, S. 9.

[20] Handke, S. 7 f.; Streb, S. 41.

[21] Brambring, S. 8; Häßler/Häßler, in: Häßler/Schepker/Schläfke, S. 32.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Tötung von Kindern nach der Geburt
Sous-titre
Ein soziales Problem und seine rechtliche Würdigung im Lichte unterschiedlicher Reformen
Université
University of Bayreuth
Cours
Seminar: Leben und Sterben im Strafrecht
Note
11 Punkte
Auteur
Année
2012
Pages
24
N° de catalogue
V270053
ISBN (ebook)
9783656614500
ISBN (Livre)
9783656614449
Taille d'un fichier
503 KB
Langue
allemand
Mots clés
tötung, kindern, geburt, problem, würdigung, lichte, reformen
Citation du texte
Patricia Bernreuther (Auteur), 2012, Tötung von Kindern nach der Geburt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270053

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Tötung von Kindern nach der Geburt



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur