Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg
2.1 Die Entstehung der Gewaltfreien Kommunikation
2.2 Das Grundmodell der Gewaltfreien Kommunikation
2.2.1 Die vier Komponenten
2.2.2 Empathie
2.3 Die Bedeutung des Gefühlswortschatzes
2.4 Die Bedeutung der Symbole von Wolf und Giraffe
3. Einflüsse auf die Methode der Gewaltfreien Kommunikation
3.1 Die Beeinflussung der Gewaltfreien Kommunikation laut Rosenberg
3.2 Die Beeinflussung der Gewaltfreien Kommunikation durch andere Kommunikationsmodelle
3.2.1 Übereinstimmungen mit Carl Rogers’ Werk
3.2.2 Übereinstimmungen mit Virginia Satirs Werk
3.2.3 Übereinstimmungen mit dem Neurolinguistischen Programmieren
3.2.4 Übereinstimmungen mit dem Vier-Seiten-Modell
von Friedemann Schulz von Thun
3.3 Zwischenfazit
4. Gefahren der Gewaltfreien Kommunikation
4.1 Die Dissonanztheorie nach Festinger
4.2 Übertragung der Dissonanztheorie auf die Gewaltfreie Kommunikation
4.2.1 Strategien zur Dissonanzreduktion
4.2.2 Die Strategien in Bezug auf Rosenbergs Vier-Komponenten-Modell
4.3 Gewaltfreie Kommunikation und Manipulation
4.4 Zweites Zwischenfazit
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Worte können Fenster sein – oder Mauern “[1]
Dr. Marshall B. Rosenberg
― Durch einfühlsames und partnerschaftliches Kommunizieren lässt sich tief in den anderen Menschen hinein blicken. Es wird eine Art Fenster zu den Gefühlen und Bedürfnissen seines Gegenübers geschaffen, denen respektvoll begegnet werden sollte. Verletzende oder vorwurfsvolle Äußerungen dagegen lösen schnell eine ablehnende, sich zurückziehende oder verteidigende Reaktion beim anderen aus. So ziehen die abwertenden Worte häufig eine Mauer zwischen den Gesprächspartnern hoch, die sich im Laufe der Zeit und bei weiterem Gebrauch einer urteilenden und diagnostizierenden Sprache nur verhärten wird. ―
Dies ist eine Deutungsmöglichkeit des Zitats von Dr. Marshall B. Rosenberg, dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GfK). Rosenberg verwendet diese Metapher in seinem Hauptwerk zur Gewaltfreien Kommunikation[2] in Anlehnung an einen Songtitel seiner Kollegin Ruth Bebermeyer, der ebenfalls in seinem Hauptwerk erwähnt wird.[3] Doch was genau bedeutet Gewaltfreie Kommunikation? Welche Intention liegt der GfK zugrunde? Wie ist sie entstanden?
Konflikte mit unseren Mitmenschen sind immer Teil des Zusammenlebens. Mittlerweile gibt es viele Ansätze zum Umgang mit Konflikten und zur Bewältigung von Differenzen. Doch gibt es bisher keine, die sich als einzig wahre Theorie durchsetzen konnte. Könnte dieser Anspruch möglicherweise für die GfK erhoben werden? Ist sie ein geeigneter Ansatz zur Konfliktbewältigung? Laut Rosenberg lässt sich GfK in den unterschiedlichsten Situationen erfolgreich anwenden. Dazu zählt er „enge Beziehungen, Familien, Schulen, Organisationen und Institutionen, Therapie und Beratung, diplomatische und geschäftliche Verhandlungen, Auseinandersetzungen und Konflikte aller Art.“[4]
Doch ist GfK ein Ansatz, der nicht nur als Theorie besteht, sondern gerade dort, wo Konflikte tatsächlich entstehen, im alltäglichen Umgang mit anderen, seine Wirkung zeigt? Und kann die GfK auch abseits von Konflikten den Menschen im Leben weiterhelfen? Rosenberg gibt an, das Ziel der GfK sei es, „Beziehungen aufzubauen, deren Basis Offenheit und Mitgefühl ist“.[5]
Aus diesen Überlegungen heraus ist eine übergeordnete Forschungsfrage entstanden: Ist Gewaltfreie Kommunikation alltagstauglich?[6] Bei der Untersuchung dieser Frage werde ich mich ausschließlich an dem originären Modell von Marshall B. Rosenberg und seiner Literatur orientieren. Zwar gibt es eine Vielzahl von Autoren, die teilweise zudem als GfK-Trainer tätig sind, die das Modell Rosenbergs weiterentwickeln und sich dabei auf bestimmte Anwendungsgebiete spezialisieren.[7] Um allerdings möglichst nah an der ursprünglichen GfK zu arbeiten, werde ich mich in dieser Arbeit auf Werke Rosenbergs beschränken.[8]
Zum besseren Verständnis sollen im ersten Teil der Arbeit zunächst die Grundannahmen der GfK, ihre Entstehung und Funktionsweise sowie ihre Besonderheiten ausführlich herausgestellt werden. Zur weiteren Veranschaulichung der GfK werde ich vier andere Kommunikationsmodelle[9] heranziehen; auf diesem Teil der Arbeit wird ihr Hauptakzent liegen. Elemente aus den Arbeiten von Carl Rogers, Virginia Satir und Friedemann Schulz von Thun sowie aus dem Modell des Neurolinguistischen Programmierens (NLP) sollen aufzeigen, inwiefern Rosenberg bei der Entwicklung der GfK von anderen Modellen beeinflusst wurde. Anhand dieser Modelle, die wegen ihrer Bekanntheit und ihres anerkannten Erfolges ausgewählt wurden, soll auch über die Alltagstauglichkeit von GfK diskutiert werden.
Anschließend soll die GfK auf Gefahren hin untersucht werden. Dies wird einerseits über die Theorie der kognitiven Dissonanz geschehen, andererseits wird der Aspekt der Manipulation mit einbezogen werden.
Während der Recherche über das Gebiet der GfK fiel allerdings auf, dass bisher ausschließlich Bücher und Internetquellen existieren, die von Verfechtern der GfK veröffentlicht wurden und die sie insofern nur in einem positiven Licht darstellen. Somit steht bislang zwar reichlich Material zur Verfügung, das von GfK handelt, aber keines, das über GfK verfasst wurde. Dieser Mangel an Sekundärliteratur lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass die GfK als Kommunikationsmodell noch relativ jung ist. Doch im Folgenden soll die GfK nicht einfach nur hingenommen werden, sondern kritisch betrachtet werden. Zwar kann im Rahmen dieser Arbeit keine vollständige Abhandlung über sämtliche Kritikpunkte an der GfK geleistet werden; doch sie liefert verschiedene Ansätze, um aufmerksam zu machen. Diese Arbeit verdichtet daher komprimiert erste unterschiedliche Ansatzpunkte, die in späterer Forschungsarbeit vertieft werden können. Der thematische Zusammenhang ist gegeben durch das Ziel, die Zusammensetzung und die Alltagstauglichkeit von GfK zu untersuchen.
2. Die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg
Da die GfK unbekannter ist als manch andere Kommunikationstheorie, sollen im Folgenden die Grundannahmen der GfK, ihre Entstehung und Funktionsweise sowie ihre Besonderheiten erläutert werden.
2.1 Die Entstehung der Gewaltfreien Kommunikation
Die Entwicklung der Gewaltfreien Kommunikation geht auf den jüdischstämmigen Amerikaner Dr. Marshall B. Rosenberg zurück. Ihre Geschichte beginnt im Sommer 1943, als der achtjährige Rosenberg zusammen mit seiner Familie nach Detroit, Michigan umzieht. Zu dieser Zeit entbrennt in der Stadt ein Rassenkrieg, der viele Opfer fordert. Als Rosenberg nach dem Rassenkrieg die für ihn neue Schule besucht, wird er aufgrund seines Namens und seiner Abstammung von Mitschülern verprügelt.[10] Dieses Ereignis lässt Rosenberg zwei Fragen nachgehen, die seit diesem Zeitpunkt sein Leben bestimmen:
Was geschieht genau, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur verlieren und uns schließlich gewalttätig und ausbeuterisch verhalten? Und umgekehrt, was macht es manchen Menschen möglich, selbst unter den schwierigsten Bedingungen mit ihrem einfühlsamen Wesen in Kontakt zu bleiben?[11]
Seither sucht Rosenberg nach der Erkenntnis, warum Menschen sich gewalttätig verhalten und wie andere es wiederum schaffen, in noch so herausfordernden Situationen auf Gewalt verzichten zu können.
Auf seinem Bildungsweg studiert Rosenberg zunächst klinische Psychologie, um der Klärung seiner beiden lebensbestimmenden Fragen näher zu kommen[12] und promoviert im Jahr 1961 an der Universität von Wisconsin.[13] Anschließend nimmt er das Studium der vergleichenden Religionswissenschaften auf[14], wird 1966 mit Anfang 30 jedoch zum offiziellen Prüfer in klinischer Psychologie ernannt.[15] Zu der Zeit, als er in St. Louis eine psychologische Praxis leitet, beginnt seine konkrete Arbeit an der GfK.[16] Seine Tätigkeit in der Praxis bricht er zwischenzeitlich jedoch ab, als er sich nicht länger mit dem Zwang, Patientenberichte zu verfassen, abfinden kann. Er kündigt und ist eine Zeit lang als Taxifahrer tätig.[17]
Bei der Erforschung seiner Fragen stößt Rosenberg auf den enormen Einfluss der Sprache und des Gebrauchs von Wörtern auf die Fähigkeit, einfühlsam zu bleiben.[18] Mit dem Bewusstsein, welch große Rolle Kommunikation in Konfliktsituationen spielt, entwickelt er im Lauf der Jahrzehnte seine eigene Art des Sprechens und Zuhörens, die uns „dazu führt, von Herzen zu geben, indem wir mit uns selbst und mit anderen auf eine Weise in Kontakt kommen, die unser natürliches Einfühlungsvermögen zum Ausdruck bringt.“[19] Diese Methode bezeichnet er als Gewaltfreie Kommunikation auf der Basis des Begriffs ‚Gewaltfreiheit’, wie Gandhi ihn versteht:[20] Demnach entfaltet sich unser einfühlendes Wesen, „wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt“[21]. Denn Rosenberg empfindet die menschliche Sprechweise oft als gewalttätig, da sie häufig zum eigenen Leid oder zur Verletzung anderer führt.[22]
Mit den Jahren findet eine stetige Weiterentwicklung der GfK statt, sodass die in den 60er Jahren folgenden GfK-Trainings, die Rosenberg zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit durchführt[23] sowie die weitere jahrelange Erfahrung 1984 schließlich zur Gründung des Center for Nonviolent Communication (CNVC) in Sherman, Texas führen. Mittlerweile, mithilfe einer Vielzahl an Trainerteams und Organisatoren, hat sich das CNVC ein weltweit angewandtes Ausbildungsprogramm aufgebaut.[24]
Dieser Entwicklung liegt die Absicht zugrunde, die Kommunikation der Menschen untereinander zu verbessern, um ein friedlicheres Zusammenleben und Lösen von Konflikten zu ermöglichen.[25] Die im Laufe der Jahre gefestigten Kommunikationsprobleme der Menschen, ob im Zweierkonflikt, im Streit in einer Gruppe oder zwischen ganzen Nationen, sollen einer Sprache, die vom Herzen aus spricht[26], weichen. Rosenberg sieht es dabei als seine Mission an, „eine Welt zu schaffen, in der jedermanns Bedürfnisse erfüllt sind“[27]. Sein Konzept beruht dabei auf der Überzeugung, dass Menschen nicht von Natur aus gewalttätig sind.[28]
2.2 Das Grundmodell der Gewaltfreien Kommunikation
Das Grundmodell der GfK basiert auf einem humanistischen Menschenbild, wonach alle Menschen grundsätzlich als gut angesehen werden und im Grunde die gleichen Bedürfnisse haben[29]. In der Hauptsache wollen sie zum Wohlergehen anderer beitragen, solange sie dieses freiwillig tun können.[30] „Nicht die unterschiedlichen menschlichen Bedürfnisse sind im Konflikt miteinander, sondern die Strategien, die wir einsetzen, um sie zu erfüllen“[31], sagt Rosenberg. Demnach gibt es keine schlechten Menschen, sondern ihre Taten drücken lediglich ihre unerfüllten Bedürfnisse aus.
Im Zentrum der GfK stehen zwei Fragen, die sich die Menschen, wie Rosenberg annimmt, immer wieder stellen: „Was ist in uns lebendig?“[32] und „Was können wir tun, um das Leben schöner zu machen?“[33] An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass es in der GfK nicht darum geht, seine Ziele zu erreichen oder Konfliktlösungen herbeizuführen, sondern mit sich selbst und anderen in einen herzlichen, intensiven Kontakt zu treten und zwischenmenschliche Beziehungen zu verbessern. In folgendem Zitat wird diese Absicht nochmals verdeutlicht:
Unser Ziel und das Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist nicht, zu bekommen, was wir wollen, sondern Verbundenheit zwischen Menschen herzustellen, die dazu führt, daß [sic] die Bedürfnisse aller berücksichtigt werden. So einfach und gleichzeitig so komplex ist das.[34]
Das Grundmodell der GfK, das anfangs durch seine Einfachheit besticht, dann aber in der Umsetzung die eigentliche Schwierigkeit erkennen lässt,[35] besteht zunächst aus zwei Teilen: Im ersten Teil geht es um das eigene offene Ausdrücken, um das Ich in der Methode. Der zweite Teil beinhaltet das empathische Aufnehmen des anderen, die Seite des Du.[36] Durch dieses abwechselnde Geben und Nehmen innerhalb des Vorganges entsteht ein Kommunikationsfluss, der die GfK zu einer prozessorientierten[37] Kommunikationstechnik macht.[38] Dabei werden moralische Urteile, Kritik, Bewertungen und Vergleiche ausgelassen, da Rosenberg von ihnen glaubt, sie trügen zu gewalttätigem Verhalten bei.[39] Außerdem sieht Rosenberg Urteile, Kritik, Diagnosen und Interpretationen des Verhaltens anderer Menschen als „entfremdete Äußerungen unserer eigenen, unerfüllten Bedürfnisse“[40] an. Wirft eine Frau ihrem Mann beispielsweise vor: „Du liebst deine Arbeit mehr als mich“, so kann hinter dieser Äußerung ein unerfülltes Bedürfnis nach Nähe stecken.[41] Er bezeichnet die Art von Kommunikation, die ein Denken in Kategorien wie ‚richtig/falsch’ über andere Menschen impliziert, als „lebensentfremdende Kommunikation“[42]. Der Mensch soll nicht aus Angst, Scham, Schuld- oder Pflichtgefühl heraus handeln[43], sondern weil er seinen Mitmenschen Gutes tun will, „aus dem Wunsch heraus, von Herzen zu geben“[44]. Daher werden in der GfK weder Strafen, noch Lob oder Komplimente ausgesprochen.[45] Zudem soll sich der Mensch seiner alltäglichen Wahlmöglichkeiten bewusst werden, anstatt sie durch die so genannte Traumtötersprache, die Wörter wie ‚müssen’ und ‚sollte’ enthält, zu verschleiern.[46] Auch auf Analysen und Etikettierungen anderer Menschen soll in der GfK verzichtet werden, da sie angeblich lediglich zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen führen.[47] Stattdessen formuliert Rosenberg seine Motivation zu „lebensbereichernden Interaktionen“[48] folgendermaßen:
Wenn wir von Herzen schenken, dann tun wir das aus der Freude heraus, die immer dann entsteht, wenn wir das Leben eines anderen Menschen bewußt [sic] bereichern.[49]
2.2.1 Die vier Komponenten
Damit die GfK von ihren Nutzern erfolgreich angewendet werden kann, gibt Rosenberg einzelne Komponenten vor, die das Gespräch gewaltfrei verlaufen lassen sollen. Diese beziehen sich auf den bereits erwähnten ersten Teil der GfK; es handelt sich dabei im Einzelnen um folgende Bestandteile:
1. Beobachtung
2. Gefühl
3. Bedürfnis
4. Bitte[50]
Diese vier Komponenten können somit als Grundgerüst der GfK verstanden werden.
Im ersten Schritt wird dabei eine Beobachtung, z.B. darüber, was der andere gesagt oder getan hat, was einen selbst stört oder aber was gefällt, geäußert. Dabei kommt es darauf an, diese Beobachtung nicht mit einer Bewertung oder Beurteilung zu vermischen.[51] Eine beobachtende Äußerung wäre z.B.: „Du kommst eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit.“ Wohingegen eine bewertende Pauschalisierung so lauten könnte: „Du kommst immer zu spät!“ Diese Äußerung kann nach Rosenberg schnell zu einer Abwehrhaltung der kritisierten Person führen[52], sodass die Entstehung eines Kommunikationsflusses beeinträchtigen werden kann. Die Beobachtung sollte sich daher immer auf einen bestimmten Zeitrahmen und einen konkreten Zusammenhang beziehen[53], um eine wahre und nicht verallgemeinernde Aussage zu tätigen.
Im nächsten Schritt werden die eigenen Gefühle in Bezug zu dem, was beobachtet wird, ausgedrückt. Hier ist es wichtig zu beachten, dass in der GfK erfüllte oder nicht erfüllte Bedürfnisse die Ursache für die eigenen Gefühle sind. Das Verhalten des anderen kann ein Auslöser sein, der auf die eigenen Bedürfnisse hinweist, nie aber kann das Handeln des Gegenübers verantwortlich sein für diese Gefühle.[54] Besonders wichtig ist es nach Rosenberg, seine eigenen Gefühle statt so genannter „’Nicht’-Gefühle“[55] oder Interpretationen über das Verhalten anderer mitzuteilen. Das ehrliche Ausdrücken der eigenen Gefühle bedeutet letztlich auch Verletzlichkeit, die ein wichtiges Element der GfK darstellt.[56] Um seine Gefühle klar und deutlich beschreiben zu können, kann es demnach hilfreich sein, sich seinen eigenen „Gefühlswortschatz“[57] aufzubauen.[58]
Als Drittes werden die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen, aus denen bestimmte Gefühle resultieren, ausgesprochen. Der Sprecher legt dar, was er braucht oder was ihm wichtig ist, das die zuvor genannten Gefühle verursacht. Hier zeigt es sich, ob der Sprecher Verantwortung für seine Gefühle übernimmt und seine dahinter stehenden Bedürfnisse erkennt.[59] So wäre an der Aussage „Du machst mich wütend, wenn du überall deine Sachen herumliegen lässt“ zu bemängeln, dass einerseits die Schuld – und damit auch die Verantwortung für die eigenen Gefühle – auf jemand anderes geschoben und andererseits durch „Sachen“ und „überall“ verallgemeinert wird. Ein klarer, konkreter Ausdruck der eigenen Gefühle und Bedürfnisse auf der Grundlage einer beobachteten Situation könnte dagegen lauten: „Ich bin wütend, wenn deine Bücher im Wohnzimmer auf dem Boden liegen, weil mir in gemeinsam genutzten Räumen Ordnung wichtig ist.“
Abschließend wird eine Bitte an den anderen ausgesprochen. Diese soll in positiver Handlungssprache ausgedrückt werden, d.h. zum einen soll dem anderen in einer positiven Formulierung erläutert werden, was gewollt wird und nicht das, was nicht gewollt wird.[60] Zum anderen sollen konkrete Handlungen beschrieben werden, die in die Tat umgesetzt werden sollen. Vage, abstrakte und zweideutige Aussagen sollen vermieden werden.[61] Dabei ist zu beachten, die Bitte nicht mit einer Forderung zu verwechseln. Anhand der Formulierung oder des Tonfalls kann man nicht heraushören, ob es sich um eine Bitte oder eine Forderung handelt.[62] Entscheidend ist die Reaktion des Bittenden, falls der andere nicht bereit ist, die Bitte zu erfüllen. Denn bei einer Bitte soll dem anderen immer die Möglichkeit gegeben werden, sie umzusetzen oder nicht[63], während das Verweigern einer Forderung dagegen oft Konsequenzen wie Bestrafung oder Tadel nach sich zieht.[64]
Statt der Forderung „Ich will nicht, dass du so viel Zeit mit deinen Freunden verbringst“ könnte die Bitte in positiver Handlungssprache etwa so klingen: „Ich möchte, dass wir mindestens drei gemeinsame Abende in der Woche miteinander verbringen.“ Dem anderen steht es nun offen, dieser Bitte nachzugehen oder nicht. Das Ziel, das mit dem Äußern einer Bitte verfolgt wird, sollte allerdings nicht darin bestehen, „andere Leute und ihr Verhalten zu ändern oder unseren Willen durchzusetzen“[65]. Vielmehr soll der Angesprochene darauf vertrauen können, dass es dem Bittenden in erster Linie um eine Verbesserung der Beziehungs- und Lebensqualität geht; es ist ihm vorbehalten, die Bitte ausschließlich auf freiwilliger Basis in die Tat umzusetzen, nämlich wenn er die Bedürfnisse des anderen erfüllen möchte.[66]
Um eine komplette Äußerung im Sinne der GfK zu tätigen, ist eine Orientierung an folgendem Satzschema möglich: „Wenn a, dann fühle ich mich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“[67] Diese Äußerung könnte so in etwa aussehen: „Wenn du versprichst, dass du mich besuchst, dann aber doch nicht vorbeikommst, bin ich frustriert, weil mir Zuverlässigkeit wichtig ist und ich mich auf deine Zusagen verlassen möchte. Könntest du mir beim nächsten Mal bitte Bescheid sagen, wenn du den Termin nicht einhalten kannst?“
2.2.2 Empathie
Den zweiten Teil der GfK bildet das empathische Aufnehmen des anderen. „Empathie bedeutet ein respektvolles Verstehen der Erfahrungen anderer Menschen.“[68] Drücken andere Menschen ihre Anliegen aus, auch wenn es sich dabei scheinbar um Beleidigungen, Anschuldigungen, Kritisierungen etc. handelt, soll die Aufmerksamkeit des Zuhörenden jedoch auf die Gefühle und Bedürfnisse des Sprechenden gerichtet werden, anstatt die Vorwürfe persönlich zu nehmen.[69] Hier ist wieder eine Orientierung an den vier Komponenten, am Grundgerüst der GfK, möglich: „Egal was jemand sagt, wir hören nur darauf, was er a) beobachtet, b) fühlt, c) braucht und d) erbittet.“[70]
Die wertvollste Art von Empathie, die man einem anderen Menschen gegenüber aufbringen kann, ist nach Rosenberg aber die Fähigkeit, präsent zu sein.[71] Präsenz ermöglicht das Hören von Gefühlen und Bedürfnissen des anderen, sogar wenn sie schweigend ausgedrückt werden:[72] Im Gegensatz dazu bedeutet Empathie nicht vernunftmäßiges Verstehen[73] oder das Zeigen von Sympathie im Sinne von Zustimmung oder Mitleid.[74] Für den Zuhörer kann es hilfreich sein, das Verstandene zu paraphrasieren und mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Durch das Paraphrasieren können Missverständnisse im Ansatz vermieden werden; somit kann durch diesen zunächst umständlich erscheinenden Vorgang doch Zeit gespart werden.[75] Ziel des Paraphrasierens ist wiederum die empathische Verbindung.[76]
[...]
[1] Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation: Aufrichtig und einfühlsam miteinander
sprechen. Neue Wege in der Mediation und im Umgang mit Konflikten. 4. Auflage. Paderborn:
Junfermann 2003. Buchrückseite.
[2] Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation: Aufrichtig und einfühlsam miteinander
sprechen. Neue Wege in der Mediation und im Umgang mit Konflikten. 4. Auflage. Paderborn:
Junfermann 2003.
[3] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 14. Bei Bebermeyer lautet es „Worte sind
Fenster (Oder sie sind Mauern)“.
[4] Ebd. S. 23.
[5] Ebd. S. 94.
[6] ‚Alltagstauglich’ soll hier und in der gesamten übrigen Arbeit als alltäglich anwendbar und den
Ansprüchen des Alltags entsprechend verstanden werden. Eine neue alltagstaugliche
Kommunikationsform muss demnach dazu geeignet sein, den Platz herkömmlicher, bisheriger
Sprechweisen einnehmen können.
[7] Z.B. Pásztor, Susann, Klaus-Dieter Gens: Ich höre was, das du nicht sagst. Gewaltfreie
Kommunikation in Beziehungen. Paderborn: Junfermann 2004 (=gewaltfrei leben).
Hart, Sura, Victoria Kindle Hodson: Empathie im Klassenzimmer. Gewaltfreie Kommunikation
im Unterricht. Ein Lehren und Lernen, das zwischenmenschliche Beziehungen in den
Mittelpunkt stellt. Paderborn: Junfermann 2006.
[8] Es werden auch aus anderen Büchern zitiert, soweit sich diese Stellen auf die GfK nach
Rosenberg beziehen.
[9] Es ist anzumerken, dass hier und in der gesamten übrigen Arbeit Begriffe wie
‚Kommunikationsmodell’, ‚Kommunikationsform’ oder ‚Kommunikationstheorie’ nicht zu eng
verstanden werden dürfen. Es sind damit jegliche Formen von Werken gemeint, die von
Annahmen, Ratschlägen, Meinungen, Verhaltensweisen etc. bezüglich menschlicher
Kommunikation handeln.
[10] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 17.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Rosenberg, Marshall B.: Die Sprache des Friedens sprechen – in einer konfliktreichen
Welt. Was Sie als Nächstes sagen, wird Ihre Welt verändern. Paderborn: Junfermann 2006.
S. 15.
[13] Vgl. Pásztor, S., K.-D. Gens: Ich höre was, das du nicht sagst. S. 93.
[14] Vgl. Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 16.
[15] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 201.
[16] Vgl. Rosenberg, Marshall B.: Erziehung, die das Leben bereichert. Wie gewaltfreie
Kommunikation (GFK) im Schulalltag dazu beiträgt, die Leistungsfähigkeit zu verbessern,
Konfliktpotenziale abzubauen und Beziehungen zu fördern. Paderborn: Junfermann 2004.
S. 19.
[17] Vgl. Rosenberg, Marshall B.: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein
Gespräch mit Gabriele Seils. 5. Auflage. Freiburg: Herder 2005 (= Herder spektrum 5447).
S. 42.
[18] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 18.
[19] Ebd.
[20] Vgl. ebd.
[21] Ebd.
[22] Vgl. ebd.
[23] Vgl. Rosenberg, Marshall B.: Kinder einfühlend unterrichten. Wie SchülerInnen und
LehrerInnen durch gegenseitiges Verständnis Erfolg haben können. Paderborn:
Junfermann 2005 (= Gewaltfreie Kommunikation: Die Ideen & ihre Anwendung). S. 64.
[24] Vgl. Pásztor, S., K.-D. Gens: Ich höre was, das du nicht sagst. S. 93.
[25] Vgl. Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 1.
[26] Vgl. ebd. S. 10.
[27] Pásztor, Susann: Eine Sprache des Lebens. Ein Interview mit Marshall B. Rosenberg.
Paderborn: Junfermann 2004 (= active-books). S. 4.
[28] Vgl. Pásztor, S., K.-D. Gens: Ich höre was, das du nicht sagst. S. 93.
[29] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 68.
[30] Vgl. Rosenberg, M.: Kinder einfühlend unterrichten. S. 1.
[31] Pásztor, S.: Eine Sprache des Lebens. S. 2.
[32] Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 23.
[33] Dazu gehören auch die Fragen: „Was kannst du tun, um das Leben für mich schöner zu
machen? Was kann ich tun, um das Leben für dich schöner zu machen?“; ebd.
[34] Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 37.
[35] Vgl. Rosenberg, M.: Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. S. 12.
[36] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 101.
[37] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 27.
[38] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 22.
[39] Vgl. ebd. S. 31.
[40] Ebd. S. 67.
[41] Vgl. ebd.
[42] Ebd. S. 31.
[43] Vgl. ebd. S. 32.
[44] Ebd.
[45] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 35f.
[46] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 176.
[47] Vgl. Rosenberg, M.: Die Sprache des Friedens sprechen. S. 25.
[48] Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 94.
[49] Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 20.
[50] Vgl. ebd. S. 21.
[51] Vgl. ebd.
[52] Vgl. ebd. S. 41.
[53] Vgl. ebd. S. 47.
[54] Vgl. ebd. S. 63.
[55] Ebd. S. 54.
[56] Vgl. ebd. S. 59.
[57] Ebd. S. 56.
[58] Näheres dazu unter Kapitel 2.3 (Die Bedeutung des Gefühlswortschatzes ).
[59] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 75.
[60] Vgl. ebd. S. 81.
[61] Vgl. ebd. S. 82f.
[62] Vgl. ebd. S. 91.
[63] Vgl. ebd.
[64] Vgl. ebd. S. 98.
[65] Ebd. S. 94.
[66] Vgl. ebd.
[67] Ebd. S. 166.
[68] Ebd. S. 103.
[69] Vgl. ebd. S. 106.
[70] Ebd. S. 105.
[71] Vgl. ebd.
[72] Vgl. ebd. S. 133.
[73] Vgl. ebd. S. 105.
[74] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 72.
[75] Vgl. Rosenberg, M.: Gewaltfreie Kommunikation. S. 111f.
[76] Vgl. Rosenberg, M.: Erziehung, die das Leben bereichert. S. 77.