Der Abbau des präteritalen Numerusablauts im Frühneuhochdeutschen


Term Paper, 2013

12 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Was versteht man unter dem präteritalen Numerusausgleich?
2.1 Das Phänomen des präteritalen Numerusausgleichs
2.2 Verlauf und Verbreitung
2.3 Aufsplitterung der Ablautreihen

3. Gründe für den präteritalen Numerusausgleich
3.1 Der Ausgleich als Herbeiführung der Symmetrie von Ablaut- und Tempusstufen bei Temporalisierung des Ablauts?
3.2 Zu geringer Relevanzgrad der Numeruskategorie des Verbs nach der Relevanztheorie von BYBEE?
3.3 Der Numerusausgleich als Anpassung der starken an die schwachen Verben nach der Natürlichkeitstheorie?
3.4 Der Ausgleich des Numerus als Allomorphieabbau?

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Im Folgenden soll sich mit dem Phänomen des präteritalen Numerusausgleichs befasst wer- den. Dabei wird zunächst eine kurze Definition des präteritalen Numeruausgleichs gegeben, gefolgt von einer Darstellung des zeitlichen Verlaufs der Verbreitung. Anschließend werden die Entstehungsgründe näher behandelt. Dabei stützt sich die Darstellung vor allem auf die Erklärungen NÜBLINGS (NÜBLING 1998; NÜBLING 2010). Es werden auch die Überlegungen aus der aktuellen Forschung miteinbezogen. Darauf aufbauend wird die Bedeutung des präte- ritalen Numerusausgleichs auf die einzelnen Ablautreihen behandelt. Des Weiteren werden Einfluss und Bedeutung der Natürlichkeitstheorie, die sich mit dem Abbau von Allomorphie beschäftigt und die der Relevanztheorie, die die Schwächung des Numerus behandelt, thema- tisiert.

2. Was versteht man unter dem präteritalen Numerusausgleich?

2.1 Das Phänomen des präteritalen Numerusausgleichs

Bevor sich den Gründen des präteritalen Numerusausgleichs gewidmet werden kann, muss zunächst geklärt werden, um was es sich bei diesem grammatischen Phänomen eigentlich handelt. In manchen alten, heute noch gebräuchlichen Texten wird uns die alte präteritale Pluralform noch überliefert. So etwa in dem Lied Es ist ein Ros ’ entsprungen. Dort heißt es:

Es ist ein Ros ’ entsprungen

aus einer Wurzel zart,

wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art;

(EVANGELISCHES GESANGBUCH: LIED NR. 30)

Die Form sungen ist im heutigen Neuhochdeutschen (Nhd.) nicht mehr gebräuchlich, wird uns aber durch die Verankerung im Reimschema (NÜBLING 1998: 185) des Liedtextes über- liefert. Dabei handelt es sich um ein Überbleibsel aus dem Frühneuhochdeutschen (Frnhd.). Dort besaßen alle starken Verben der Ablautreihen I - V einen Numerusablaut im Präteritum. (NÜBLING 1998: 185) Die Ablautreihen VI und VII waren von diesem Phänomen nicht betrof- fen, da sie sich erst später, nach der indogermanischen (idg.) Phase entwickelten und daher niemals einen präteritalen Numerusablaut aufweisen konnten. (NÜBLING 2010: 206) Durch die systematische Entwicklung vereinfachte sich das Ablautsystem von vier auf drei Stufen. (NÜBLING 1998: 185) Von dieser Kürzung war immer eine der beiden mittleren Formen, also Stufe zwei oder drei, betroffen, die für die Anzeige des Numerus verantwortlich waren. Stufe zwei bildete im Althochdeutschen (Ahd.) und Mittelhochdeutschen (Mhd.) die Formen des Präteritums Indikativ Singular der 1. und 3. Person. Stufe drei bildete die Formen des Präteri- tums Indikativ Plural der 2. Person Singular und des Konjunktiv II. (NÜBLING 2010: 206)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Am Beispiel ist gut erkennbar wie sich die mhd. Formen half und hulfen bis zum Nhd. angli- chen, wobei in diesem Fall die Form der dritten Ablautstufe den Wurzelvokal a der zweiten Stufe übernahm. Dieses Phänomen wird von der aktuellen Forschung auch als epochendefi- nierend bezeichnet. (NÜBLING 1998: 185) Der Numerusablaut war ein Kennzeichen aller ger- manischen Sprachen und ist heute noch im Isländischen und Färöischen vollständig und im Niederländischen teilweise erhalten. (DAMMEL 2011: 205f.) Alle anderen Sprachen haben nach und nach einen gleichen Präteritalstamm eingeführt. (NÜBLING 1998: 186)

2.2. Verlauf und Verbreitung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anmerkungen: „AL“: Ablaut. Fettdruck: die sich im Frnhd. durchsetzende Ablaut-Stufe. Klammer: die im Frnhd. abgebaute Ablaut-Stufe. Abb. 1: Die mhd. Ablautreihen und die Richtungen des präteritalen Numerusausgleichs im Frnhd. (stark verein- facht)

NÜBLING 1998: 188

Die folgenden Ausführungen zum Verlauf und der Verbreitung des präteritalen Numerusaus- gleichs stützen sich zu großen Teilen auf die Ausführungen von NÜBLING (1998) und DAMMEL (2011). Des Weiteren werden verschiedene Aussagen durch die Tabelle visualisiert.

Der Fokus soll hier auf den Ablautreihen I - V liegen, da die Reihen VI und VII wie oben erwähnt noch nie einen präteritalen Numerusablaut besaßen. Nach ERBEN (1970: 422) hat sich die Vereinheitlichung des Präteritalstamms von diesen beiden Reihen, bzw. vor allem der Reihe VI (NÜBLING 1998: 186), zunächst auf die Ablautreihen IV und V ausgewirkt. Dies wird durch die beiden Pfeile aus Reihe VI und VII verdeutlich. Wie sich in der Zeitraumspalte gut erkennen lässt, beginnt in diesen beiden Reihen im 13. Jahrhundert der Ausgleich.

In Reihe V gehören Verben mit einfachem Konsonant (außer Liquid und Nasal) oder erst in der zweiten Lautverschiebung geminierte Konsonanten nach dem Wurzelvokal, wie in geben. In Reihe IV gehören Verben mit einfachem Nasal oder Liquid nach oder vor dem Wurzelvokal wie in stelen. (PAUL 2007: §M 79, S. 253)

Ab dem 15. Jahrhundert folgt der Beginn des Ausgleichs in Ablautreihe III. (CHIRITA 1988: 268) Zu dieser Klasse gehören im Mhd. Verben mit Nasal + Kons. (IIIa) oder Liquid + Kons. (III b) nach dem Wurzelvokal. In IIIa ist der Wurzelvokal im Präsens durchgehend i wie in binden. In IIIb tritt im Präsens ein Wechsel zwischen i und ε ein wie in helfen und hilfe. (PAUL 2007: §M 78, S. 252) Hier setzte sich das a der singulären Präteritumsform der zweiten Ab- lautstufe gegen das u der Pluralform der dritten Ablautstufe durch (NÜBLING 1998: 187), wie z.B. bei sang (2. Ablautstufe) und sungen (3. Ablautstufe), behält jedoch in der vierten Ab- lautstufe das u (IIIa) bzw. o. (IIIb). ERBEN (1970: 423) macht hierfür wiederum den Einfluss des a in Reihe IV und V verantwortlich, während HEMPEN (1988) schreibt, dass die dritte Ablautreihe deshalb so differenziert ausgebildet sei, weil deren Verben (z.B. singen, rinnen, schwimmen, gewinnen) besonders frequent seien. (HEMPEN 1988: 263) Zusätzlich wird der Singular häufiger gebraucht als der Plural und hätte daher ohnehin größere Chancen sich durchzusetzen.

Nach NÜBLING (1998: 187) ist hervorzuheben, wie lange sich in der dritten Ablautreihe der Numerusausgleich vollzog, nämlich noch bis ins 19. Jhd. hinein. Dieser Prozess vollzog sich in den Ablautreihen wesentlich schneller. Ungefähr zeitgleich mit der dritten Ablautreihe be- ginnen auch die erste und zweite Reihe mir dem Numerusausgleich. Die zweite Reihe hatte im Mhd. ie als Wurzelvokal haben wie in bieten. (PAUL 2007: §M 77, S. 251) Dort setzt sich wie in der dritten Reihe die zweite Ablautstufe zugunsten des o durch, wie z.B. in bieten - b ô t. Unterstützend wird hier die mitteldeutsche Senkung von u > o erachtet . (NÜBLING 1998: 187) Die Verben der ersten Ablautreihe besaßen den Wurzelvokal î wie in r î ten (PAUL 2007: §M 76, S. 250) Dass die erste Ablautreihe die Form der dritten Ablautstufe bevorzugt hat, liegt an der durch Lautgesetze bestimmten Homonymie der ersten und zweiten Ablautstufe.

(NÜBLING 1998: 187) Bis 1750 hatte sich hier mit kleineren Ausnahmen der Pluralvokal gegen

Singularvokal durchgesetzt. (CHIRITA 1988: 98)

Eine Gruppe besonderer Verben ist in der letzten Reihe der Tabelle erkennbar. Dabei handelt es sich um Verben wie melken, fechten, heben oder schmelzen (für weitere Verben dieser Art siehe REICHMANN/WEGERA 1993: §M 113, S. 270). Sie haben ihre eigentliche Ablautreihe verlassen und das lange oder kurze o fest in ihr Präteritum und ihr Partizip Perfekt übernom- men. (HEMPEN 1988: 261) So z.B. scheren - schor - geschoren. Dieses Ablautprinzip hat bis zum Nhd. eine hierarchische Dominanz aufgebaut, wobei sogar analoge Übertragungen auf schwache Verben möglich sind. (REICHMANN/WEGERA 1993: §M 113, S. 271)

Zusammenfassend lassen sich nach HARTWEG/WEGERA (2005: 163) drei Typen des Numerusausgleichs unterscheiden1:

(a) Der Prät. Sg.- Vokal wird zum Tempusvokal des Prät. (in den Klassen II, III außer werden und schinden und die Ausnahmen in (c)
(b) Der Prät. Pl.- Vokal wird zum Tempusvokal des Prät. (in den Klassen I, IV, V und werden, schinden)
(c) o wird als Tempusvokal für Sg. Und Pl. übernommen.

2.3 Aufsplitterung der Ablautreihen

Der Abbau des präteritalen Numerusablauts war eine Ausgleichbewegung. Trotzdem kam es innerhalb der einzelnen Ablautreihen manchmal zu unterschiedlichen Ergebnissen. (NÜBLING 1998: 190) Dieses Phänomen hat verschiedene Gründe. Zu einem Großteil ist es der nicht einheitlich durchgeführten Dehnung von Kurzvokalen in einer offenen Tonsilbe verschuldet, was oft aus positionellen Gründen geschah. (NÜBLING 1998: 189)

So wurde z.B. kurzes, mhd. i in den beiden letzten Ablautstufen von Ablautreihe 1 im Paradigma von schreiben regulär gedehnt (s. nhd. schreiben - schrieb [i:] - geschrie- ben [i:]), während die Dehnung gerade vor [t] meist unterblieb (s. nhd. reiten - ritt [I]

- geritten [I]). Bei nehmen unterblieb die Dehnung ausnahmsweise im Partizip ge- nommen, was zur singulären Alternanz [e:] - [a:] - [ә] geführt hat. Auf Assimilationen

- nämlich die Labialisierung von kwe - > ko - - geht die singuläre Alternanz [ә - a: - ә] in kommen - kam - gekommen zurück.

(NÜBLING 1998: 190)

[...]


1 Zur genauen Aufsplitterung der Verbreitung und Durchsetzung des präteritalen Ablauts starker Verben in verschiedenen Schriftdialekten siehe ALM 1936.

Excerpt out of 12 pages

Details

Title
Der Abbau des präteritalen Numerusablauts im Frühneuhochdeutschen
College
Johannes Gutenberg University Mainz
Grade
1,3
Author
Year
2013
Pages
12
Catalog Number
V270311
ISBN (eBook)
9783656616603
ISBN (Book)
9783656616573
File size
500 KB
Language
German
Keywords
abbau, numerusablauts, frühneuhochdeutschen
Quote paper
Julia Haase (Author), 2013, Der Abbau des präteritalen Numerusablauts im Frühneuhochdeutschen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270311

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