Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation

Eine Analyse der Konsequenzen kollaborativer Gruppenarbeit auf Grundlage der Kommunikationstheorien von Karl Bühler, Vilém Flusser und Jürgen Habermas


Hausarbeit, 2014

27 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Computervermittelte Kommunikation (cvK) in virtuellen Lernumgebungen
2.1 Kollaborative und kooperative Gruppenarbeit
2.2 Synchrone und asynchrone Kommunikation
2.3 Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL)
2.4 Selbstgesteuertes Lernen im Kontext virtueller Gruppenarbeit
2.5 Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation

3 Kommunikationstheorien im Kontext kollaborativer Gruppenarbeit
3.1 Die Funktionen der Sprache – Karl Bühlers Organon-Modell
3.2 Kommunikologie nach Vilém Flusser
3.3 Die Theorie des kommunikativen Handelns - Jürgen Habermas

4 Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Anforderungen an Lernende im E-Learning (Reinmann-Rothmeier, 2002, zitiert nach Hinze, 2004)

Tab. 2: Merkmale von Lerngemeinschaften (Boos et al., 2009, S.31)

Abb. 1: Das Organon-Modell (Bühler, 1999, S. 28)

Abb. 2: Der Theaterdiskurs (Flusser, 2007, S. 21)

Abb. 3: Der Amphitheaterdiskurs (Flusser, 2007, S. 27)

Abb. 4: Der Kreisdialog (Flusser, 2007, S. 29)

Abb. 5: Der Netzdialog (Flusser, 2007, S. 32)

Tab. 3: Vier Bedingungen für eine ideale Sprechsituation (Eigene Darstellung in Anlehnung an Trültzsch, 2009, S. 107)

1 Einleitung

Von der Tafel über den Overhead-Projektor bis hin zur Wissensvermittlung durch das Bildungsfernsehen in den 1970er Jahren, führte die technische Entwicklung in den letzten Jahren dazu, dass Gegenstand und Mittel, Massenmedien und Einzelmedien zusammengewachsen sind (Nuissl, 1996, S. 7). Den genannten primären Visuali-sierungsmöglichkeiten der Vergangenheit folgte schließlich das Internet mit seinem enormen Informationsangebot und zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten. Be-züglich der Zukunft von Kommunikationstheorie erläutert McQuail (1999, p. 11) „New communication technology is making more things possible, new knowledge and culture accessible, and it is increasing the speed, power and efficiency of all organised activities.“ Nicht nur die Kommunikationstheorie hat sich demnach verändert, auch die Unterstützung der Didaktik durch Medien hat sich in den letzten 20 Jahren auf rasante Art und Weise entwickelt (Boos, 2009, S. 89). Kommunikation mittels Neuen Medien wird demzufolge für die Lehre zu immer größerer Bedeutung. Somit bietet sich Lernenden[1] gegenwärtig der Zugang in der virtuellen Welt der Medien, der Welt von Bildern und Informationen (Nuissl, 1996, S. 7), die Möglichkeit Wissen modern und innovativ zu erwerben. E-Learning hat im Hochschulsektor und Fernstudium in den vergangenen zehn Jahren eine enorme Entwicklung erfahren und ist im Mainstream angekommen (Zawacki-Richter, 2011, S. 5). Auch wenn der Einsatz von Multimedia zu einer Erhöhung der Qualität der Lehre führen kann, bringt nach Boos (2009, S. 90) der bloße Einsatz und die Verfügbarkeit von Multimedia und e-Learning noch keine didaktische Innovation. Ebenso vertritt Brandhofer (2012, S. 141) den Standpunkt das Technik alleine keinen pädagogischen Erfolg garantieren kann. „Das Lehren und Lernen über die Distanz erfordert grundsätzlich eine konzeptionelle Vorstellung davon, wie trotz fehlender räumlicher und sozialer Nähe gelehrt und gelernt werden kann“ (Dieckmann & Lehmann, 2011, S. 45). Neben einem fundierten Konzept sind Struktur und Dialog der Lernumgebung sowie eine aktive Beteiligung der Studierenden gemäß Dieckmann und Lehmann (2011, S. 45) unabdingbar für erfolgreiches Lernen im virtuellen Raum. Lernen als Individuum versus lernen in der Gruppe - Soziale Interaktion und Kommunikation sind maßgeblich für Lehr- und Lernkontexte. Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich sind Gruppenentscheidungen wesentlich, da diese eine größere Wissensbasis aufweisen als das einzelne Individuum. Wie im Diskurs mit anderen Studierenden in virtuellen Gruppen kollaboratives sowie kooperatives Zusammenarbeiten möglich ist und was die Besonderheiten dieser Kommunikationsmöglichkeit zur gemeinsamen Wissenskonstruktion durch Neue Medien charakterisiert, stellen ein Hauptmotiv der vorliegenden Hausarbeit mit dem Titel „Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation - Eine Analyse der Konsequenzen kollaborativer Gruppenarbeit auf Grundlage der Kommunikationstheorien von Bühler, Flusser und Habermas“ dar.

Im ersten Teil (Kap. 2) der Hausarbeit wird zunächst ein Überblick über den Gegenstand computervermittelter Kommunikation (cvK) in virtuellen Lernumgebungen gegeben. Danach wird der Unterschied zwischen kollaborativer und kooperativer Gruppenarbeit sowie synchroner und asynchroner Kommunikation definiert. Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) und die Bedeutung von selbstgesteuertem Lernen wird in den beiden darauffolgenden Kapiteln dargestellt. Nachdem sich versierte computervermittelte Kommunikation in der Praxis als eher komplex charakterisiert, stellt sich indes die Frage welche Kriterien beachtet werden müssen und welche Kompetenzen erforderlich sind, damit virtuelle Gruppenkommunikation bestmöglich funktionieren kann. Am Ende des zweiten Kapitels wird umfassend auf die wesentlichen Eigenschaften um nicht zu sagen Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation eingegangen. Den Fokus des zweiten Teils (Kap. 3) der vorliegenden Arbeit bilden die drei Kommunikations-theorien von Karl Bühler, Vilém Flusser und Jürgen Habermas. Dabei handelt es sich zuallererst um Bühlers Sprachtheorie welche er in seinem Grundmodell der Kommunikation ergründet. Sein sogenanntes Organon-Modell skizziert Grund-funktionen der sprachlichen Kommunikation. Danach wird auf Flussers Theorie der „Kommunikologie“ eingegangen welche primär von Problemen der Kommunikation handelt. Habermas Theorie des kommunikativen Handelns bildet die letzte der drei thematisierten Kommunikationstheorien. Im Zuge dessen werden Aspekte der dargelegten Kommunikationstheorien auf ein neues Verständnis von Kommunikation übertragen. Die Hausarbeit schließt mit einem Fazit, das eine zusammenfassende Bewertung und einen kurzen Ausblick beinhaltet.

2 Computervermittelte Kommunikation (cvK) in virtuellen Lern-umgebungen

Die Inhalte dieses Kapitels beruhen im Wesentlichen auf Grundlagen von cvK in virtuellen Lernumgebungen. Zu Beginn wird kollaborative und kooperative Grup-penarbeit sowie synchrone und asynchrone Kommunikation definiert. Nachfolgend wird auf Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) und selbstgesteuertes Lernen Bezug genommen. Das Kapitel befasst sich indes mit Kriterien und Rahmen-bedingungen virtueller Gruppenkommunikation und hat u.a. die Fragestellung „was beachtet werden muss damit virtuelle Gruppenkommunikation in der Praxis best-möglich funktionieren kann“ zum Thema. Im Laufe des Kapitels ist der Gegen-stand von Besonderheiten cvK stets im Fokus welcher im letzten Punkt des Kapitels respektive dargelegt wird.

2.1 Kollaborative und kooperative Gruppenarbeit

Da die zwei Begriffe „kollaborativ“ und „kooperativ“ gemäß Arnold (2003, S. 33) im deutschsprachigen Raum zumeist synonym verwendet werden (im Gegensatz differenziert man im englischen Sprachraum zwischen „collaborative learning“ und „cooperative learning“), wird im Nachfolgenden die Bedeutung der beiden Begriffe er-läutert, um ev. aufkommenden Missverständnissen im Laufe der Arbeit vorzubeugen.

Bei kollaborativer und kooperativer Gruppenarbeit handelt es sich um zwei differente Lernformen, welche sich deutlich voneinander abgrenzen. Bearbeiten bei kollaborativer Gruppenarbeit alle Mitglieder der Arbeitsgruppe gleichzeitig ein und dieselbe Aufgabe wird hingegen bei kooperativer Gruppenarbeit die Aufgabe in divergierende Teilschritte aufgegliedert, welche von den einzelnen Mitgliedern individuell bearbeitet und zum Schluss zusammengebracht werden (e-teaching.org, 2014).

Dillenbourg (1999) erläutert vielmehr das kollaboratives Lernen eine Situation darstellt, in welcher zwei oder mehrere Leute lernen bzw. sich bemühen etwas gemeinsam zu erlernen. Die Lernenden arbeiten demnach in der virtuellen Lernumgebung von Beginn an gemeinsam an einer Arbeitsaufgabe – diese wird nicht aufgeteilt wie es bspw. bei kooperativem Lernen der Fall ist. Dillenbourg zergliedert seine Definition kollaborativen Lernens und interpretiert sie folgend: Zwei oder mehrere („two or more“) können sowohl ein Paar, eine kleine Gruppe von drei bis fünf Teilnehmern, eine Klasse, eine Gemeinschaft als auch eine Gesellschaft von einigen tausend oder Millionen von Leuten mittleren Niveaus darstellen. Etwas lernen („learn something“) bedeutet gemäß Dillenbourg einem Kurs zu folgen, Kursmaterial zu stu-dieren oder Lernaktivitäten auszuüben. Seine Explikation von „gemeinsam“ („to-gether“) wird von Arnold (2003, S. 34) als „[...]Schattierungen zwischen sehr enger, fast zeitgleicher bis hin zu stark arbeitsteiliger, zeitversetzter Zusammenarbeit[...]“ resümiert. In Bezug auf gemeinsames Lernen in der Gruppe weist Zumbach (2008, S. 13) auf die Grenze hin, wenn sich die Zahl von ca. 20 Studierenden pro Lehrenden überschreitet. Hiernach appelliert er an der zusätzlichen Heranziehung von E-Tutoren. Aufgrund dargestellter Divergenz kollaborativen und kooperativen Lernens sollte bei der Konzipierung von virtuellen (Gruppen-)Lernprozessen stets die geeignetste Lernform an den Kontext abgestimmt werden, da im Hinblick auf Kommunikation des weiteren zwischen synchronen und asynchronen Kommunikationsprozessen differenziert werden muss. Nachfolgend wird auf den Kontext synchroner und asynchroner Kommunikation eingegangen, welcher im Besonderen für die Gestaltung und Entwicklung virtueller Lernumgebungen wesentlich ist.

2.2 Synchrone und asynchrone Kommunikation

Nachdem sich das Informationsangebot von Medien in den letzten Jahrzehnten vervielfacht hat (Röttger, 2005, S. 44), bietet das Internet nicht nur zahlreiche Kommunikationsmöglichkeiten, sondern ermöglicht im Bereich der Lehre zunehmend die Zusammenarbeit von Lernenden wie auch Lehrenden in virtuellem Raum. Auch wenn laut Junge, Klebl und Mengel (2011, S. 7) soziale Eingebundenheit, der persönliche Bezug und das Lernen im Diskurs mit Kommilitonen relevante Argumente für synchrone Online-Lernszenarien darstellen, haben sich seit Längerem in demselben Maße asynchrone Kommunikationsformen in der Lehre etabliert. Die Lehre lässt synchrone Kommunikationstechniken jedoch nicht außer Acht. Durchaus sind ergänzende Präsenzveranstaltungen im Rahmen von Fernstudien möglich. Synchrone Kommunikation ermöglicht Lernenden zeitgleich miteinander zu interagieren. Wenngleich eine große räumliche Distanz die in Kontakt stehenden Lernenden trennt, wird ihnen durch synchrone Kommunikationsmedien ein direkter Austausch ermöglicht. Bei den Medien für synchrone cvK unterscheidet man zwischen der Nachrichtenfunktion, der Anruffunktion sowie der Videofunktion. Nennenswert ist an dieser Stelle die bewährte Freeware „Skype“, welche neben Instant Messaging auch Internettelefonie und Konferenzschaltungen mit bis zu 25 Teilnehmern realisieren kann (skype.de, 2014). Erfolgte Interaktion in den Anfängen von E-Learning gemäß Junge et al. (2011) mittels E-Mail und Online-Foren vorwiegend textbasiert und asynchron, sind Online-Konversationen mit Skype und Twitter in der Zwischenzeit stark verbreitet und auch die gemeinsame und zeitgleiche Bearbeitung von Dokumenten, z. B. mit dem signifikanten Kollaborationstool Google-Docs, wird immer selbstverständlicher. Als asynchrone Kommunikation bezeichnet man die Zusammenarbeit im "different time, different place" Modus. Ergo bedeutet es, dass einzelne Beiträge, also das Lernen, zeitlich versetzt stattfindet. Lernende haben im Gegensatz zu synchroner Kommunikation keinen direkten Kontakt zueinander, sind jedoch zeitlich flexibler. E-Mails, Online-Foren (z. B. in Moodle), Wikis, Newsgroups und Mailinglisten sind Beispiele für Tools asynchroner cvK.

2.3 Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL)

Das Zusammenarbeiten von Lernenden ist mit Hilfe von kollaborativer Software über geografische Grenzen hinweg in Echtzeit, in sogenannten virtuellen Arbeitsräumen, möglich geworden (Andriessen & Vartiainen, 2006, p. 7). Vor diesem Hintergrund hat sich zur Kommunikation in virtuellen Lernumgebungen, computergestütztes kooperatives Lernen (engl.: Computer-Supported Collaborative Learning) längst manifestiert. Bei CSCL arbeiten die Lernenden kollaborativ in Gruppen zusammen. Auf Grundlage der Anwendung von Kollaborationstools (vgl. Kap. 2.2) werden Kenntnisse der Lernenden ergänzt und Wissen wird gemeinsam generiert. Zudem ermöglicht CSCL neben der Kommunikation von Lernenden untereinander auch das Interagieren von Lehrenden mit Lernenden. Somit besteht ferner die Möglichkeit, dass Lernende während ihrer Lernprozesse von ihren Lehrenden unterstützend begleitet werden. Demnach fungieren Lehrende im Gegensatz zu face-to-face (ftf)-Situationen im klassischen Unterricht, in virtuellen Lernumgebungen als sogenannte E-Moderatoren. Hinze (2004, S. 15) beschreibt, dass sich E-Moderation für Lernende in virtuellen Lerngemeinschaften (in sog. betreuten virtuellen Gruppen) nicht nur als ungemein effektiv darstellt, sondern dass virtuelle Lernprozesse durch die Betreuungskomponente entschieden verbessert werden können. Werden Lernende von E-Moderatoren intensiver betreut, können geläufige Probleme des Lernens in der Gruppe wie z. B. „Trittbrettfahren“ ziemlich schnell erkannt und vermieden werden (Zumbach, 2008, S. 13). Hinze deklariert wiederum die Notwendigkeit das Lernende im Zuge von CSCL sowohl selbst aktiv werden als auch ein ziemlich hohes Maß an Selbstorganisation und Selbststeuerung aufbringen müssen. Er gibt an das in CSCL von Lernenden gefordert wird, dass diese Lernstrategien entwickeln, ihre Zeiteinteilung planen, soziale Interaktion unter den Prämissen von CMC ausüben, Lernvoraussetzungen klarlegen und Lernprozesse forcieren, adäquate Lernressourcen aus dem Internet heranziehen und abschließend Schwierigkeiten und Hindernisse im Lernprozess lokalisieren und personelle und materielle Hilfen zu ihrer Überwindung organisieren. Auch wenn von Lernenden bei CSCL im Gegensatz zu anderen E-Learning-Formen verhältnismäßig hohe Kompetenzen erforderlich sind (Tabelle 1), gilt computergestütztes kooperatives Lernen aufgrund des Vorteils kollaborativer Wissenskonstruktion als eine der vielversprechendsten E-Learning Innovationen der virtuellen Lehre zum aktuellen Zeitpunkt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Anforderungen an Lernende im E-Learning (Reinmann-Rothmeier, 2002, zitiert nach Hinze, 2004).

Dennoch wird Lehren und Lernen nach Vopel und Kirsten (1988) in der Gruppe erst schöpferisch und motivierend wenn Erwerb von Sachwissen und die Lösung von Problemen von lebendiger Interaktion zwischen allen Gruppenmitgliedern begleitet wird. Der alleinige Prozess der Kommunikation in virtuellen Lerngemeinschaften kann zwar als enormer Anreiz erachtet werden, dieser ist aber ohne gemeinsamen Wissenstransfer für die zentrale kollaborative Wissenskonstruktion nicht ausreichend. Erfolgreicher, kollaborativer Gruppenarbeit geht voran, dass jedes Individuum der Gruppe in der Lage und entschlossen ist sich selbst zu motivieren ergo ihr Bestes zu tun um den Anforderungen der Gruppe gerecht zu werden. Zur Bedeutsamkeit von selbstgesteuertem Lernen wird im nächsten Kapitel Stellung genommen.

2.4 Selbstgesteuertes Lernen im Kontext virtueller Gruppenarbeit

Lernen wird im Konstruktivismus als aktiv konstruktiver, situativer, sozialer aber auch als selbst gesteuerter Prozess beschrieben (Czerwionka & de Witt, 2006, S. 121). Selbstgesteuertes Lernen (SGL) ist die Grundlage für Lernprozesse in traditionellen wie auch in virtuellen Lernumgebungen. Zumbach (2008, S. 11) betont die Relevanz des individuellen Studiums, zumal für den Lernerfolg virtueller Gruppenarbeit, insbesondere die Eigenverantwortung und die hohe Leistungsbereitschaft der Studierenden ausschlaggebend ist. „Die Konstruktion von Anwendungswissen gelingt am besten, wenn die Lernenden neues Wissen selbstständig erarbeiten, individuell an ihr Vorwissen anknüpfen und das neu zu erwerbende Wissen in die bereits vorhandenen Strukturen integrieren“ (Hagenauer, 2008, S. 50). Jedes Individuum muss gemäß Hinze (2004, S. 113) neben kognitiven und technischen Kompetenzen folgende Voraussetzungen erfüllen, um gemeinschaftliches Lernen in virtuellem Kontext kompetent durchführen zu können:

-Die Fähigkeit zur Eigenmotivation
-Zeitmanagement,
-Planung, Organisation und aktive Steuerung des Lernens,
-Wissen um die Strategien des eigenen Lernens und die
-Fähigkeit zur Kontrolle des eigenen Lernfortschritts.

Hinsichtlich des Aspekts individuellen Lernens gliedert er sein sog. „Konstrukt der Selbstlernkompetenz“ in die vier voneinander abhängenden Bereiche Fachkompetenz, Methodenkompetenz, personale Kompetenz und Sozialkompetenz. Nachdem hoch-qualifiziertes Lernen nur durch ein vom individuellen Selbst ausgehendes Engagement erreicht werden kann und demgemäß effektives Lernen intrinsische Motivation erfordert (Deci & Ryan, 1993, S. 233), spielt hinsichtlich der Fähigkeit zur Eigenmoti-vation bei CSCL insbesondere die intrinsische Motivation der Lernenden eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur extrinsischen Motivation die meist durch positive Verstär-kung (Belohnung) bzw. negative Verstärkung (Zwang) verursacht wird bedeutet intrin-sische Motivation den Anlass aus eigenem Antrieb, Interesse, zum eigenen Wissens-erwerb oder aus Neugier etwas lernen zu wollen. Demzufolge ist für den Wissens-erwerb im Kontext von (virtueller) Gruppenarbeit die richtige Motivation und auch Selbstdisziplin jedes einzelnen Lernenden unabdingbar. Auch wenn selbstgesteuertes Lernen maßgebend für die individuelle Wissensaneignung ist, sehen Boos et al (2009, S. 30) die Verankerung von individuellem Lernen im sozialen Kontext als förderlich für das Problemlösen und die gemeinsame Wissenskonstruktion. Im Folgenden wird demzufolge auf besondere Merkmale virtueller Gruppenkommunikation eingegangen.

2.5 Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation

Um konstruktive Gruppenarbeit in Online-Umgebungen durchführen zu können sind laut Bastiaens, Schrader und Deimann (2011, S. 27) zur adäquaten Nutzung spezi-fische Fähigkeiten notwendig die mit dem Begriff Medienkompetenz bzw. „digital literacy“ konzeptualisiert werden. Im englischen Sprachraum wird zudem von „media literacy“ ergo Medienbildung gesprochen (Reich, 2009, S. 76). Ein versierter Umgang mit neuen Medien ist nicht obligatorisch, stellt aber insbesondere bei kollaborativer Arbeit in online Lehr- und Lernprozessen einen Vorteil dar. Auch Spendrin (2013, S. 17) geht mit dem Standpunkt von Bastianes et al. hinsichtlich konstruktiver Gruppen-arbeit konform, zumal sie verdeutlicht, dass in kooperativen und kollaborativen Lern-szenarien, Kommunikationsformen entsprechend der technischen Möglichkeiten und medienbezogenen Ausgangssituation der Lernenden ausgewählt werden müssen. Roth-Ebner (2013, S. 36) betont ferner, dass für ein konstruktives Miteinander neben tech-nologischen Rahmenbedingungen vor allem soziale Kompetenzen (einschl. kommu-nikativer und transkulturaler Kompetenzen) grundlegend sind. Bezüglicher der poten-ziellen Leistungsfähigkeit in Gruppen hängt diese gemäß Steiner (1972) vielmehr von den Anforderungen der Aufgabe und den Ressourcen der Gruppenmitglieder ab. Um jedoch die eigentliche Leistung von Gruppen in virtuellen Lernumgebungen bestim-men zu können determinieren Boos et al. (2009, S. 31f) die Berücksichtigung von so-zialen Prozessen und führen zur Kalkulation der tatsächlichen Gruppenleistung Stei-ners (1972) Formel an die verdeutlicht, dass sich diese erst ergibt wenn Prozessver-luste (u.a. der Motivationsverlust, vgl. Kapitel 2.4) von potenzieller Leistung abgezo-gen werden. Galt als Hauptvorteil cvK bislang vor allem die unkomplizierte Beschaf-fung von Informationen gefolgt von der Steigerung von Medienkompetenz der Lernen-den, die im Zuge virtueller Gruppenarbeit angeeignet wird, stellten vor allem die technikbedingten sozialen Defizite einen großen Nachteil von cvK im Vergleich zu ftf-Kommunikation dar, da bspw. bei getipptem Text eine Vielzahl der Sinnesmodalitäten ausgeschlossen sind (Döring, 2000, S. 354). Döring beschreibt, dass mediale Telekom-munikation kein Äquivalent zur Kopräsenz entspricht und führt das Motiv mit Hilfe von cvK „Raum, Zeit und Materie ‚zum Verschwinden’ zu bringen oder ‚aufzuheben’“ als paradox an, wenngleich dieses Motiv eines der wichtigsten Ziele der Optimierung von cvK in virtuellen Lehr-/Lernprozessen darstellt. Auch Boos (2009, S. 29) akzen-tuiert die Relevanz, Lernenden in virtuellen Lernumgebungen ein Gefühl von Wirklichkeit zu vermitteln und „die vermittelnden Interaktionen so lebensnah und attraktiv wie möglich zu gestalten“. Denn gemäß Boos sollen die Lernenden das Empfinden haben, „Raum und Zeit seien aufgehoben“. Mit der Problemstellung, das im Gegensatz zu ftf-Konversationen in computergestützter textbasierter Kommunikation (zu engl. computer-mediated communication; CMC) nonverbale Informationen kaum kommuniziert werden, befasste sich bereits der reduced social cues-Ansatz von Kiesler, Siegel und McGuire (1984). Ihr Modell der cvK geht davon aus, dass durch Fehlen bzw. die Reduzierung sozialer und kontextueller Hinweisreize die Anonymität der Lernenden erhöht wird und sich die Eindrucksbildung der Kommunikationspartner dadurch beeinträchtigt. Deshalb wird versucht die fehlenden nonverbalen Signale mit Hilfe von paralinguistischen Möglichkeiten zu ersetzten. Hierzu werden Akronyme, Emoticons, und in Asteriske eingebettete Aktionswörter zur Darstellung von Zustands- und Gefühlsäußerungen angewandt (Hinze, 2004, S. 74). Kiesler et al. betonen, dass insbesondere fehlende nonverbale Informationen zu Missverständnissen in CMC führen können. Ungeachtet dessen muss darauf hingewiesen werden, dass der reduced social cues-Ansatz der 90er Jahre mit den jetzigen (technischen) Bedingungen cvK nicht mehr durchgehend konvergierend ist.

Das Community of Inquiry-Konzept (Konzept der lernenden Gemeinschaft) von Garrison, Anderson und Archer (2000) stellt wiederum Faktoren dar, die für das Ge-lingen von Lehr- und Lernprozessen cvK maßgebend sind. Laut ihrem Modell kann eine entsprechende Lehr-/Lernerfahrung nur dann entstehen wenn das angewandte Medium social presence, cognitive presence und teaching presence gewährleistet.

In ftf-Situationen oder vielseitigen Medien, welche Kopräsenz legitimieren, kann sich aus non- und paraverbalen Informationen des „Gegenübers“ (bspw. aus dem Erschei-nungsbild, der Stimme und weiteren persönliche Eigenschaften) ein Bild gemacht werden. Aber auch in Lehr-/Lernkontexten cvK besteht die Möglichkeit personen-bezogene Informationen zu vermitteln und subjektive Bezüge herzustellen (Boos, 2009). Denn hat im Kontext herkömmlichen Lernens der soziale und kommunikative Aspekt eine bedeutende Rolle, ist dieser besonders in virtuellen Lernumgebungen für gemeinsamen Wissensaustausch und erfolgreiche Wissenskonstruktion ausschlag-gebend. Hinzes (2004, S. 77) Erkenntnis das soziale Kommunikation für einen bes-seren Zusammenhalt in Gruppen notwendig ist bestätigen auch Junge et al. (2011, S. 13) mit ihrer Aussage, dass ein Gefühl sozialer Eingebundenheit maßgeblich für die Motivation und den Lernerfolg von Lernenden ist. Boos, Müller und Cornelius (2009, S. 30) belegen ergänzend, dass durch sozio-kognitive Konflikte, Internalisierung von Gruppenstrategien, Beobachtungslernen sowie Abstraktion der individuelle Wissens-zuwachs gefördert wird. Sie führen außerdem an, dass Gruppen mit Hilfe von Lehren-den oder erfahrenen Mitlernenden sogar dazu befähigt sein können Leistungen zu er-zielen, welche außerhalb ihrer individuellen Leistungsfähigkeit liegen. Zur Zielsetzung von Problemlösung und kooperativem Lernen ist es demnach wesentlich individuelles Lernen in sozialen Kontexten zu verankern, da gemäß Boos et al. (2009, S. 31) Menschen mit verschiedenen Zielen, Wissensbeständen und Erfahrungshintergründen voneinander lernen können. Welche Merkmale solche Lerngruppen erfüllen verdeutlicht die anschließende Tabelle:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Merkmale von Lerngemeinschaften (Boos et al., 2009, S.31).

[...]


[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit bedient sich die vorliegende Arbeit männlicher Substantive, die weibliche Form der Begriffe ist stets mit eingeschlossen. Wenn möglich werden neutrale Bezeichnungen verwendet.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation
Untertitel
Eine Analyse der Konsequenzen kollaborativer Gruppenarbeit auf Grundlage der Kommunikationstheorien von Karl Bühler, Vilém Flusser und Jürgen Habermas
Hochschule
FernUniversität Hagen
Veranstaltung
(Bildungswissenschaftliche) Voraussetzungen für den Einsatz von neuen Lehr- und Lernformen
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
27
Katalognummer
V271585
ISBN (eBook)
9783656633808
ISBN (Buch)
9783656633792
Dateigröße
621 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar zur schriftlichen Hausarbeit im Master "Bildung und Medien - eEducation": "Die Einleitung schafft eine gute Heranführung an das Thema und zeigt den Verlauf der Arbeit auf. Im zweiten Kapitel über cvK in virtuellen Lernumgebungen wird zunächst eine allgemeine Einführung formuliert. Im dritten Kapitel werden die Theorien von Bühler, Flusser u Habermas knapp vorgestellt u auf virtuelle Gruppenarbeit angewendet. Insgesamt zeigt sich, dass die Autorin sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt hat und in der Lage ist sich Theorien über Primär- und Sekundärliteratur zu erarbeiten ..."
Schlagworte
Vilém Flusser, Karl Bühler, Jürgen Habermas, virtuelle Gruppenkommunikation, cvK, CSCL, synchrone und asynchrone Kommunikation, selbstgesteuertes Lernen, Organonmodell, kommunikatives Handeln, Theaterdiskurs, Amphitheaterdiskurs, Kreisdialog, Netzdialog, Sprechsituation
Arbeit zitieren
BEd Nora Ulbing (Autor:in), 2014, Besonderheiten virtueller Gruppenkommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271585

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