Effektivität von Stottertherapie

Darstellung und evidenzorientierte Einordnung systematisch recherchierter Evaluationsstudien von Gruppentherapien bei stotternden Jugendlichen und Erwachsenen.


Bachelorarbeit, 2011

76 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ZUSAMMENFASSUNG

ABSTRACT

INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Das Phänomen Stottern
2.1 Kern- und Begleitsymptomatik sowie Copingstrategien

3 Grundgedanken zu Diagnostik und Therapie
3.1 Diagnostik
3.2 Therapie des Stotterns
3.2.Therapierichtungen und Behandlungsformen
3.3 Stottern und die ICF

4 Rahmenbedingungen der Therapieforschung
4.1 Studientypen - Studienverlauf
4.2 Effektivität und evidenzbasierte Medizin
4.2.1 Evidenzklassifikation

5 Effektivität von Stottertherapie
5.1 Methodische Vorgehensweise
5.1.1 Einschlusskriterien
5.1.2 Suchmethoden für die Identifizierung von Studien
5.2 Darstellungen der Ergebnisse
5.2.1 Beschreibung der eingeschlossenen Studien

6 Diskussion der Ergebnisse und Einordnung der Studien in Evidenzklassen
6.1 Kritik der eigenen Studie

7 Zusammenfassung und Ausblick

LITERATURVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

ANHANGSVERZEICHNIS
ANHANG A
ANHANG B
ANHANG C
ANHANG D
ANHANG E
ANHANG F
ANHANG G
ANHANG H

EIDESSTATTLICHE VERSICHERUNG

1 Einleitung

Stottern ist eine Unterbrechung im Fluss des verbalen Ausdrucks, die charakterisiert ist durch unwillkürliche, hörbare oder stille Wiederholungen und Dehnungen bei der Äußerung kurzer Sprachelemente […]. Diese Unterbrechungen geschehen in der Regel häufig oder sind deutlich ausgeprägt und sind nicht ohne Weiteres kontrollierbar. (Windgate, 1964; zit. in Kuhr, 1991, S. 3)

Diese häufig verwendete deskriptive Definition für das Störungsbild Stottern gilt als sog. Standard Definition of Stuttering. In der Bundesrepublik Deutschland weisen 3-5 % aller Kinder eine Stottersymptomatik auf (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010). Diese tritt bei ca. 800.000 Personen noch im Erwachsenenalter auf, was mit einer Prävalenz von ca. 1% angegeben wird (Iven & Kleissendorf, 2010). Die Behandlungsmöglichkeiten für stotternde Kinder, Jugendliche und Erwachsene und die Veröffentlichungen zum Stottern nehmen stetig zu (Sandrieser & Schneider, 2008). So gibt es aktuell z. B. zahlreiche Veröffentlichungen evaluierter Verfahren in nationalen und internationalen Fachzeitschriften. Dies macht eine Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis möglich (Bürki, Kempe, Kohler & Steiner, 2011).

Die Internationale Klassifizierung zur Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), fasst das Syndrom unter dem Punkt „Funktionen des Redeflusses und Sprechrhythmus“ (b330) zusammen (WHO, 2001) und bietet sich als einheitlicher Rahmen für den Umgang mit der Redeflussstörung Stottern an. Damit konnte eine gemeinsame Grundlage zur interdisziplinären und internationalen Verständigung geschaffen werden, welche als wissenschaftliche Grundlage zur Konzeption und Evaluation von Behandlungsresultaten dient (Rapp, 2007).

Wirksamkeitsnachweise zielen durch Gegenüberstellung und Abwägen von Arbeits- und Verfahrensweisen, Strategien oder Sachverhalten darauf ab, Vorhersagen über die Aussicht auf Erfolge bzw. Verbesserungen zu erstellen (Bürki et al., 2011). Zum einen erhoffen sich Patienten, Angehörige und Eltern eine erfolgsversprechende Maßnahme. Zum anderen wünschen sich auch Therapeuten und Wissenschaftler Standards und Leitlinien. Hinzukommen die Kostenträger, die Berechtigungsnachweise für ihre Finanzierungen benötigen (Bürki et al., 2011). Diese aufgeführten Punkte führen zum Anspruch des Wirkungsnachweises. Dennoch ist „die Frage nach der Wirksamkeit in der Therapie als zu stark vereinfacht unzulässig" (Bürki et al., 2011, S. 30).

Eine systematische Recherche des Evaluationsangebotes bei Stotterbehandlung ermöglicht, Erfolge anhand verschiedener Kriterien einschätzbar zu machen und klinisch relevante Therapiemaßstäbe ansetzen zu können, die allen Beteiligten des therapeutischen Prozesses nutzen können (Renner, 1995). Aufgrund der Erhebung und evidenzorientierten Einordnung von systematisch recherchierten Evaluationsstudien zu Gruppentherapie können Inhalte dieser Bachelorarbeit dazu einen Beitrag leisten.

2 Das Phänomen Stottern

Eine allgemeine Abklärung der Symptome ist für die Behandlung des Stotterns unerlässlich (Natke & Alpermann, 2010). Entscheidend dafür, dass es sich um das Störungsbild Stottern handelt, ist die Anzahl und Beschaffenheit der symptomatischen Unflüssigkeit (Sandrieser & Schneider, 2008). Ein spezieller Verlauf des Stottergeschehens ist in Abbildung 1 dargestellt (s. Abbildung 1, Anhang A).

2.1 Kern- und Begleitsymptomatik sowie Copingstrategien

Geprägt durch Charles Van Riper (1973) werden symptomatische Unflüssigkeiten, wie Dehnungen von Lauten, Blockierungen sowie Wiederholungen von Lauten und einzelnen Silben, auch als Kernsymptome (core behavior) bezeichnet (Ochsenkühn et al., 2010).

Als Begleitsymptome werden unbewusste Bewältigungsreaktionen bezeichnet, die aus dem Bedürfnis des Stotternden entstehen, die Kontrolle über seinen Sprechablauf wieder zu erlangen (Ochsenkühn et al., 2010). Begleitsymptome können sich auf der psychischen Ebene, den sozialen Einschränkungen, dem Sprechverhalten, der sprachliche Ebene, der Motorik und der vegetativen Ebene äußern (Ochsenkühn et al., 2010).

Im Gegensatz dazu, wird jegliches bewusste und absichtliche Bewältigungsverhalten als Copingstrategie bezeichnet (Ochsenkühn et al., 2010). Sandrieser und Schneider (2008) geben an, dass Copingstrategien dafür verwendet werden, um Kontroll- und Zeitverlust durch Stottern und Reaktionen des sozialen Umfeldes zu bewältigen.

3. Grundgedanken zu Diagnostik und Therapie

Es ist heute aufgrund geeigneter Untersuchungsverfahren möglich, festzustellen, ob eine Person zum momentanen Zeitpunkt stottert (Ambrose & Yairi, 1999). Dabei lässt sich die Sprechleistung nachvollziehbar messen und die Effizienz einer Therapiemaßnahme evaluieren. Die Behandlung des Stotterns erfolgt in den meisten Fällen durch die Stottermodifikation oder die Fluency-Shaping-Therapie in Form von Einzel- und Gruppentherapie.

Die Bedeutung von Kontextfaktoren für die Diagnostik und Therapie ist groß und findet in der ICF Berücksichtigung.

3.1 Diagnostik

Es gibt geeignete Diagnostikverfahren, um die Sprechleistung nachvollziehbar zu messen und die Effizienz einer Therapiemaßnahme zu evaluieren (AWMF, 2010). So dient z. B. das „Stuttering Severity Instrument (SSI)“ (1972) von G. D. Riley der quantitativen und teils qualitativen Erfassung flüssiger und unflüssiger Redeanteile.

Eine weitere Erfassungsmöglichkeit für die offensichtlichen Merkmale des Stotterns schafft die „Aachener Analyse unflüssigen Sprechens (AAUS)“ (Schneider & Zückner, 2008). Hiermit ist die quantitative und qualitative Analyse durch eine Videoaufzeichnung möglich.

Der Fragebogen ACES (Yaruss, Coleman, Quesal, 2006), welcher 2007 von Metten unter dem Namen „Abschätzung kindlicher Erfahrungen beim Stottern (AKES)” ins Deutsche übersetzt wurde, soll die Gesamtauswirkung des Stotterns auf das Leben des Patienten erfassen.

Der Fragebogen „Einstellung zur Kommunikation–S24“ (Erickson, 1969; Andrews & Cutler, 1974; übersetzt von Jehle, Kühn & Renner, 1989) hat sich zur Erfassung der Einstellungen zur sprachlichen Kommunikation als Standardskala bei Studien zur Stottertherapie durchgesetzt.

Die Vermeidung zu Sprechen gilt häufig als eine der essentiellen Bedingungen zur Aufrechterhaltung der Symptomatik und wird mit dem Fragebogen „Vermeiden-PSI-V“ (Woolf, 1967) erfasst.

3.2 Therapie des Stotterns

Ebenso vielfältig wie das Störungsbild Stottern ist auch das Therapieangebot. Denn bisher wurde keine, für alle stotternden Personen wirksame Universaltherapie (vgl. Weikert, 2003).

3.2.1 Therapierichtungen und Behandlungsformen

Favorisiert werden heutzutage zwei verhaltenstherapeutische direkte Behandlungsansätze, für die Peters und Guitar (1991) die Namen „stuttering modification therapy , auch Non-Avoidance-Ansatz genannt (z.B. Sheehan, 1970; Van Riper, 1973) und „fluency shaping therapy (z.B. Andrews, Cassar & Neilson, 1987) prägten. Fluency Shaping-Therapie bemüht sich um einen kontinuierlichen Sprechablauf, währenddessen die Stottermodifikationstherapie mehr auf die Vermeidungsreaktionen mit ihren Angstsymptomen achtet (Baumeister et al., 2003) (s. Tabelle 1, Anhang A).

Insgesamt schildert Wirth (1990) über 250 Therapievarianten, wovon nur sehr wenige wirklich evaluiert sind. Es besteht daher die Notwendigkeit, richtig wirksame Therapiemethoden zu erfassen (Baumeister et al., 2003). Oertle (1998), vertritt die Meinung, dass sich der Erfolg einer Therapie nicht nur an der verwendeten Methode messen lässt, sondern Art, Dauer und Häufigkeit berücksichtigt werden müssen.

In Deutschland werden Stottertherapien meist ambulant als Einzeltherapie in logopädischen oder sprachtherapeutischen Praxen durchgeführt (Sandrieser & Schneider, 2008). Die intensivtherapeutische Behandlungsform hingegen wird häufig als Intervalltherapie in einer Gruppe von stotternden Patienten für mindestens eine Woche durchgeführt (Oertle, 1998).

3.3 Stottern und die ICF

Neben den erwähnten Kern- und Begleitsymptomen kann Stottern auch ungünstige psychische und soziale Resultate bewirken und Tätigkeiten, Partizipation in der Gesellschaft und Zufriedenheit der Betroffenen einschränken (Iven & Kleissendorf, 2010). Damit schafft die ICF (WHO, 2001), neue Voraussetzungen für den Erkrankungsbezug und stellt neben der Funktionstüchtigkeit auch die anderen Potenziale und Fähigkeiten in den Fokus (Iven & Kleissendorf, 2010). Zur Beschreibung der Redeflussstörung nach dem Modell der ICF werden sowohl die Bereiche Körperstrukturen und Körperfunktionen untersucht, als auch Geschäftstüchtigkeit und die Mitwirkung in der Gesellschaft bewertet (Iven & Kleissendorf, 2010).

Auch vor Einführung der ICF schafften vorhandene Fragenkataloge und Konzepte eine Übersicht über die psychosoziale Bürde von Betroffenen, jedoch fehlte es an standardisierten Instrumenten zur Diagnostik (Iven & Kleissendorf, 2010). Die ICF kann somit dazu beitragen, unbekannte Merkmale zu erfassen und so mit einer Feinsteuerung die Therapie des Stotterns bedürfnis- und zielorientierter auszuführen.

Somit haben einzelne Bemühungen im Rahmen der ICF keine Bedeutung, wenn sie nicht auch zu einer Optimierung der Geschäftstüchtigkeit, und damit zu verbesserter Mitwirkung in der Gesellschaft und Zufriedenheit beitragen (Iven & Kleissendorf, 2010).

4. Rahmenbedingungen der Therapieforschung

Die Wahl des geeigneten Studiendesigns entscheidet über Qualität, Beweiskraft und Herausgabewürdigkeit einer Studie. Im Folgenden werden die Studientypen, die Bestandteil des Studiendesigns sind, vorgestellt und anhand der methodischen Charakteristika den jeweiligen Evidenzklassifikationen zur Bewertung der Studien, zugeordnet.

4.1 Studientypen – Studienverlauf

Die Studientypen lassen sich in qualitative und quantitative Studien unterteilen.

Bei qualitativen Studien stehen das Darlegen, Erklären und Erfassen von Korrelationen im Vordergrund (Lauer WS 10/11). Diesbezüglich erfolgt gegebenenfalls die Vorbereitung auf quantitative Studien. Fragegespräche mit Einzelnen, Gruppengespräche, bis hin zu Feldforschung über selbst gemachte Observation stellen typische Formen dieses Studientyps dar (Lauer WS 10/11).

Kontrollierte, randomisierte, beobachtende Studien und systematische Reviews sowie Meta-Analysen zählen zu den quantitativen Studien (Scherfer, 2003).

Beobachtungsstudien (Observationsstudien)

Beobachtungsstudien umfassen verschiedene Studien wie Fallberichte, Anwendungsbeobachtungen, analytische Längsschnittstudien, Kohortenstudien und Fall-Kohorten-Studien. Allgemein werden Patientengruppen (Kohorten) durch Observation und Dokumentation über eine gewisse Zeitspanne erforscht (Labenz & Kunz, 2010). Die Studie kann im Vorfeld geplant werden und prospektiv erfolgen oder im Nachhinein retrospektiv analysiert werden (Labenz & Kunz, 2010). Bei der Fall-Kohorten-Studie, welche meist retrospektiv angelegt ist, wird eine Fall-Patientengruppe mit einer Kontrollgruppe gegenübergestellt. Allgemein tragen Beobachtungsstudien tragen maßgeblich zur Abklärung der Epidemiologie und zum Erkennen der Krankheitsursache bei. Zur genauen Evaluation von Therapiewirkungen sind sie aber nur eingeschränkt geeignet. Demzufolge ist die Gewichtung der Beweise bei diesen Studien geringer, als die einer randomisierten Studie (Labenz & Kunz, 2010).

Kontrollierte Studien

Bei einer kontrollierten Studie, welche zu den experimentellen Studien zählt, werden zwei Gruppen untersucht. Die eine Gruppe, auch Experimentalgruppe (EG) genannt, erhält die neue Therapiemethode und die andere Gruppe, Kontrollgruppe (KG) genannt, nicht (Labenz & Kunz, 2010). Die Gruppen unterscheiden sich nur hinsichtlich der angebotenen Therapie. Ansonsten herrschen die gleichen Rahmenbedingungen vor (Labenz & Kunz, 2010). Wenn keine KG vorliegt, kann es zu einer Überbewertung der vorliegenden klinischen Bedeutung der neuen Intervention kommen. Die kontrollierte Studie kann in verschiedenen Formen stattfinden (Labenz & Kunz, 2010):

Randomisierte Studien

Bei einer randomisierten Studie werden ausgesuchte Studienteilnehmer nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung) auf die EG und KG verteilt (Labenz & Kunz, 2010). Durch eine große Teilnehmeranzahl können die Gruppen bezüglich klinischer und demographischer Charakterisierung miteinander verglichen werden. Die randomisierte kontrollierte Studie (RCT: „randomized controlled trial“) bildet den Goldstandard der klinischen experimentellen Studie (Labenz & Kunz, 2010).

Systematische Übersichten (Reviews) und Meta-Analysen

Systematische Reviews und Meta-Analysen sind kombinierbar und fassen den aktuellen Stand der Forschung zusammen. Sie beleuchten durch Prüfung der vorhandenen Einzelstudien auch eine uneinheitliche Datenlage. Dies ermöglicht eine hinreichende Einsicht über den wissenschaftlichen Sachverhalt (Labenz & Kunz, 2010).

Eine Meta-Analyse entspricht einer Sekundärstudie mit quantitativer Untersuchung von Studien im Primärdesign (Lauer, WS 2010/2011).

Systematische Reviews hingegen stellen eine Sekundärstudie dar, die Primärstudien qualitativ analysiert, aber auch quantitative Ergebnisse mit berücksichtigt (Lauer, WS 2010/2011).

4.2 Effektivität und evidenzbasierte Medizin

Die Ermittlung der Wirksamkeit von Stottertherapie nimmt ebenso Bezug auf Fragestellung nach dem Therapieziel (Natke & Alpermann, 2010). Bei stotternden Kindern ist Heilung, also spontan flüssiges Sprechen in allen Situationen, oft möglich. Bei Erwachsenen hingegen ist oft nur eine Verbesserung hinsichtlich eines beherrschten flüssigen Sprechens oder eines angenehmeren Stotterns erreichbar (Natke & Alpermann, 2010) und eine absolute Besserung nur in Sonderfällen möglich (Bloodstein & Bernstein Ratner, 2008).

Da sich jedoch weder Einigkeit über das Therapieziel noch über die Definition von Stotterschwere finden lässt, kann auch die Wirksamkeit von Stottertherapie nur unter Vorbehalt eingeschätzt werden (Natke & Alpermann, 2010).

Ingham und Cordes (1999) beanstanden, dass oft Therapieverfahren präsentiert und idealisiert würden, ohne dass Informationen über deren Wirksamkeit vorlägen (Natke & Alpermann, 2010).

Starkweather (1999) bezweifelt allerdings, dass die Wirksamkeit von Stottertherapien allgemein wissenschaftlich validierbar ist, denn beispielsweise würden Resultate aus Gruppenanalysen nicht gewährleisten, dass diese Behandlung bei einem einzelnen Betroffenen wirkungsvoll ist (Natke & Alpermann, 2010).

Im Kontext der evidenzbasierten Medizin (EbM) versteht man unter Evidenz (engl. Evidence = Aussage, Beweis; Ergebnis, Beleg) sinngemäß das Zusammentragen von Daten aus wissenschaftlichen Analysen und die systematische klinische Aufarbeitung von Praxiserfahrungen, die einen Sachverhalt verstärken oder entkräften (AWMF und ÄZQ, 2007).

Die aktuellen Publikationen sind richtungsweisend dafür, dass ein Wandel von auffassungs- zu evidenzbasierter Therapie stattfindet (vgl. Bothe, 2003; Finn, 2003; Ingham, 2003; Langevin & Kully, 2003; Onslow, 2003). Mit den Richtwerten und Qualitätsmerkmalen der EbM und ihrer Anwendung, der evidenzbasierten Therapie, wurden erstmals international gültige Rahmenbedingungen festgelegt, nach denen Behandlungen in den unterschiedlichen Entwicklungsstörungen verallgemeinert werden (Labenz & Kunz, 2010).

Evidenzbasierter wissenschaftlicher Fortschritt erfordert, dass standardisierte Behandlungsformen verfahrenstreu durchgeführt werden, weil nur so Vergleichbarkeit ermöglicht wird. Die Therapiemaßnahme kann nur dann nach ihrer Wirksamkeit beurteilt werden, wenn sie auch unabhängig von der Therapeutenpersönlichkeit gleiche Effekte zeigt. Diesbezüglich haben die Library der Cochrane Collaboration und medizinische Fachgesellschaften Kriterien, wie Gültigkeit, Ausmaß, Genauigkeit sowie Übertragbarkeit und Praktikabilität der Ergebnisse aufgestellt. Die Studien werden nach unterschiedlichen Ansätzen zur Klassifikation eingestuft. An bedeutendster Stelle steht dabei die wissenschaftliche Übersicht von Sackett et al. (1997), in der die levels of evidence (Evidenzstufen) als empirisch validierte Therapiemöglichkeiten dargestellt sind.

Die Einordnung in diverse Evidenzstufen zeigt abschließend das Maß der Wirksamkeit einer angewandten Therapie und die Wertigkeit der erhobenen Datensätze. Im normalen Praxisalltag ist eine umfassende und objektive Einschätzung des Therapieerfolges im individuellen Fall dennoch problematisch und mühsam. Deshalb ist die Bereitstellung von evidenzbewerteten und standardisierten Therapien unbedingt erforderlich. In der Stotterforschung besteht diesbezüglich enormer Nachholbedarf, besonders im deutschsprachigen Raum (Euler, Wolff v. Gudenberg, Jung & Neumann, 2009).

4.2.1 Evidenzklassifikation

Unter Evidenzklassifikation wird die hierarchische Aufstellung von Studientypen verstanden in Bezug auf methodische Charakteristika zur Bewertung der Bedeutung von Studien entsprechend der (internen) Validität (AWMF und ÄZQ, 2007).

Momentan gibt es eine große Menge konkurrierender Klassifizierungsmodelle. Jedoch hat sich kein spezielles Verfahren als dominierend erwiesen (AWMF und ÄZQ, 2007, S. 42). Bei therapeutischen Maßnahmen stehen systematische Berichte und randomisierte kontrollierte Studien ganz oben in der hierarchischen Anordnung. Andererseits stehen Expertenmeinungen ganz unten in der Hierarchie (DCZ, 2011).

Evidenz-Stufen

Erstmals entwickelt wurde die Hierarchie der Evidenz von der „Canadian Task Force on the Periodic Health Examination“ (1994). Die kanadischen Evidenzlevel werden vielfach auch in deutschsprachigen Ländern. Die Unterscheidung nach Fragestellungen und bestimmten Merkmalen für voraussagende und diagnostische Untersuchungen bezieht sich auf Tätigkeiten des Teams um David Sackett. Diese Vorgehensweise wurde seither weiterentwickelt und somit zum Standard bei der Bewertung von medizinischen Technologien (Perleth & Raspe, 2000). Zur Evidenzklassifikation in dieser Bachelorarbeit wird das Modell der Evidenzlevel nach Haeske-Seeberg & Wieck et al. genutzt, wie es in Tabelle 1 dargestellt ist.

Tabelle 1

Hierarchie der Evidenz (Haeske-Seeberg, 2001 & Wieck et al., 2005; zit. in Lauer WS 2010/2011, S. 27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Empfehlungsklassen

Zusätzlich zu den Evidenzgraden I-IV wird auch die Stärke des Konsens in der Leitliniengruppe bei den Empfehlungen angegeben, wie Tabelle 2 zeigt (Lauer, WS 2010/2011; zit. nach Ollenschläger et al., 1998).

Tabelle 2

Einteilung Evidenz-basierter Leitlinien nach Empfehlungsklassen (Ollenschläger et al., 1998 zit. in Lauer WS 2010/2011, S. 27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Weitere Systeme

Ein weiteres System zur Einstufung von Qualität und Empfehlungsstärke ist unter anderem das „Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation-System“ (GRADE-System), welches vorhandene Systeme zuordnet und weitere vorrangige Gesichtspunkte wie Relevanz und Ausführbarkeit berücksichtigt (Kunz, Burnand & Schünemann, 2008). Zum Anderen haben Bloodstein und Bernstein Ratner (2008) zur Messung der Effektivität 12 Kriterien erstellt, an denen sich eine Stottertherapie messen lässt, um als erfolgreich oder weniger erfolgreich zu gelten (s. Abbildung 1, Anhang B).

5. Effektivität von Gruppenstottertherapie

Ziel der Bachelorarbeit ist es, wesentliche Studien darzulegen und nach Evidenzstufen einzuordnen, die sich mit Gruppentherapien im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum bei stotternden Jugendlichen und Erwachsenen beschäftigt haben. Der Bereich der Gruppentherapie wurde deswegen ausgewählt, da verschiedene Autoren wie beispielsweise Johannsen (2006) und Sandrieser & Schneider (2008) die Meinung vertreten, dass Erfolge bei Gruppentherapien größer sind als bei Einzeltherapie. Daher war es interessant zu erfahren welche Evidenzlage diesbezüglich vorliegt und wie die Autoren bei der Studie vorgegangen sind. Beschränkt wurde sich auf die Altersgruppe der Jugendlichen und Erwachsenen, da dort z.B. laut Starke (2002) die Auswirkungen der Therapie eine größere Tragweite haben, als bei Kindern.

5.1 Methodische Vorgehensweise

Diese Bachelorarbeit basiert auf den Leitlinien zur Erstellung von Bachelorarbeiten der Hochschule Fresenius und wird unter den Richtlinien zur Manuskriptgestaltung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie formal gestaltet (DGP, 2007).

5.1.1 Einschlusskriterien

Das methodische Vorgehen beruht auf den Erklärungen aus dem „Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions“ (Higgins & Green, 2009).

Anfangs wurden bestimmte Einschlusskriterien zur Auswahl brauchbarer Studien festgelegt, die sich an dem PICO-(Participant Problem, Intervention, Comparison und Outcome) Modell (Schardt, Adams, Owens, Keitz & Fontelo, 2007) orientierten. Darauf aufbauend wurden passende Schlüsselwörter mit deutschen und englischen Synonymen bestimmt. Um analysieren zu können, welche Studien es im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum gibt, wurde der Einsatzbereich zunächst auf die Gruppentherapie beschränkt. Im weiteren Analyseverlauf wurde dieser Bereich speziell auf die Therapie innerhalb einer Gruppe mit Jugendlichen und Erwachsenen erweitert. Die Gruppe der Jugendlichen wurde auf das Alter ab 14 Jahren festgelegt, da dieses Alter auch im StGB kennzeichnend für die (strafrechtliche) Verantwortlichkeit ist (Fischer, 2008). Ein weiteres wichtiges Einschlusskriterium war das Vorhandensein von Datenerhebungen auch nach Abschluss der Post-Messung direkt am Ende der Therapie. Laut Natke, Alpermann, Heil, Kuckenberg und Zückner (2010) sowie Bloodstein und Bernstein Ratner (2008) ist eine Stottertherapie erst dann aussagekräftig, wenn langfristige Ergebnisse vorliegen. Aufgrund der wissenschaftlichen Vorgaben einer Bachelorarbeit wurde zudem die Aktualität der Studien berücksichtigt. Um daher die aktuellen Schriften in ausreichendem Maße zu berücksichtigen, wurden Studien ausgeschlossen, die älter als 20 Jahre waren.

Bezugnehmend auf das Studiendesign wurden zu Beginn jedoch keine genauen Vorgaben festgelegt, damit sehr viele Studien gefunden werden konnten. Letztendlich sollten aber nur Studien mit Langzeitdaten und mit einem Evidenzlevel von II und höher, berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass Beobachtungs-, Einzelfall- und Präventionsstudien ausgeschlossen wurden. Für die Einordnung der Studien und die Möglichkeit der Qualitätsbewertung der Evidenz und der Evidenz-Graduierung wurden die Evidenzstufen nach dem Modell von Haeske-Seeberg (2001), Wieck et al. (2005) und Ollenschläger et al. (1998) dargestellt und verwendet. Diese Modelle waren, durch die Präsentation im Fach QUA/EBP, am Vertrautesten und orientieren sich zudem an anderen Grundmodellen für die Darstellung einer aktuelle Übersicht.

5.1.2 Suchmethoden für die Identifizierung von Studien

Recherchiert wurde nach Titel und/oder Schlüsselwörtern in den Datenbanken ERIC, PubMed, Cochraine Libary sowie DIMDI von 1991 bis 2011. Zum Zweck der Berücksichtigung verschiedener Schreibweisen der wichtigsten Wörter wurden zudem Umschreibungen dieser Schlüsselwörter verwendet. Die Zuordnung dieser so gefundenen Studien wurde entsprechend Titel bzw. Inhalt nach den verschiedenen monometrischen Ansätzen geordnet. Studien, die monometrische Ansätze untersuchten und die richtigen Kriterien für Studiendesign und Evidenzlevel einschlossen, wurden bevorzugt.

Diese Studien wurden den elektronischen Zeitschriften der Hochschule Fresenius Idstein sowie der Universitätsbibliothek Mainz entnommen oder per Fernleihe besorgt.

Weitere Literaturrecherchen wurden in Bezug auf die entsprechenden Schlüsselwörter durchgeführt.

Ziel dieser Recherchen waren genaue Ergebnisse ohne Fehler und Einseitigkeit, wozu eine akribische und objektive Literatursuche nötig war.

Die ursprüngliche Zahl der Studien von 318 minimierte sich so im weiteren Verlauf des Selektionsprozesses auf 121. Im nächsten Schritt wurden diejenigen Merkmale angewandt, anhand derer die Studien zwecks Beantwortung der Fragestellungen gegenübergestellt werden sollten: Autoren und Publikationsdatum, angewandtes Verfahren und zugrundeliegendes theoretisches Konzept, Studiendesign unter Angabe der Stichprobe und dem zugeordneten Evidenzlevel.

5.2 Darstellungen der Ergebnisse

121 Literaturreferenzen ergaben sich bei der ersten Suche zum Thema Gruppentherapie. Nachfolgend wurde der Interventionsbereich auf Jugendliche und Erwachsene im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum beschränkt unter Zuhilfenahme neuer Einschlusskriterien, also sortiert nach Titel und Inhaltsangabe, wodurch eine weitere Studienanzahl von 54 verworfen werden konnte. Nach weiteren Ausschlusskriterien in Bezug auf die Evidenzklasse, die Aktualität sowie das Vorhandensein von Langzeitergebnissen erwiesen sich dann zum dem Thema und der Fragestellung, welche Studien es im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum zu Gruppentherapie bei Jugendlichen und Erwachsenen gibt, nur noch 7 Studien als nützlich.

5.2.1 Beschreibung der eingeschlossenen Studien

Es gibt mehrheitlich Veröffentlichungen, die sich mit Effektivitätsnachweisen einzelner Methoden oder Therapieangeboten beschäftigen (Iven & Kleissendorf, 2010). Im Folgenden sollen schließlich die Ergebnisse zur Gruppentherapie bei stotternden Jugendlichen und Erwachsenen im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum, nach den verschiedenen Konzepten unterteilt, dargestellt werden.

Successful Stuttering Management

Das im Jahr 1989 erstmals dargestellte „Successful Stuttering Management Program“ (SSMP) von Breitenfeld und Lorenz ist eine Stottermodifikationstherapie und wurde 1998 (Eichstädt, Watt & Girson) und 2005 (Blomgren, Roy, Callister & Merrill) evaluiert. Das Ziel dieser Therapie ist eine Reduktion der Begleitsymptomatiken sowie eine Kontrolle der verbleibenden Stottersymptomatik (Eichstädt et al., 1998). SSMP wird an der Eastern Washington University in Cheney bereits seit 1962 durchgeführt, jedoch ist dessen Effektivität noch nicht empirisch nachgewiesen (Blomgrenet al., 2005, S. 510). In der 1998 veröffentlichten Studie von Eichstädt et al. wurde die Methode als Gruppentherapie mit 3½-wöchiger Intensivphase im Jahre 1994 durchgeführt. Aufgrund der Datenerhebung von fünf Patienten wurden die Daten als Einzelfallstudie analysiert, was nicht den Einschlusskriterien der eingeschlossenen Studien entspricht.

In späteren Jahren veröffentlichten Blomgren et al. 2005 eine Studie zum SSMP, mit dem vorrangigen Ziel, die Auswahl an relevanten Ergebnissen zu beurteilen einschließlich der Stottermaßnahmen bezüglich der objektiven Maße, der Stottermaßnahmen bezüglich der subjektiven Maße und die Maßnahmen bezüglich der affektiven Arbeitsweisen. Dabei wurden 19 Personen, die sich aus 15 männlichen und 4 weiblichen Stotterern im Alter von 16 bis 52 (M=26,3 Jahre) zusammensetzten, aus zwei aufeinanderfolgenden Therapiegruppen ausgewählt (Blomgren et al., 2005). Sieben dieser Probanden hatten bereits Therapien nach dem Fluency-Shaping-Ansatz und einer nach dem Non-Avoidance-Ansatz. Die Therapie wurde 3½ Wochen täglich (Mo-Fr) 3,5 Stunden durchgeführt. Zur Datenerhebung wurden folgende Maße eingesetzt:

- Stotterfrequenzmessung
- Stuttering Severity Instrument (SSI-3; Riley, 1994)
- Selbsteinschätzung des Stotterschweregrades
- Perception of Stuttering Inventory (PSI; Woolf, 1967)
- Locus of Control of Behavior Skala (LCB; Craig, Franklin & Andrews, 1984)
- Beck Depression Inventory (BDI; Beck & Steer, 1993; Beck, Ward, Mendelson, Mock & Erbaugh, 1961)
- Multicomponent Anxiety Inventory IV (MCAI-IV; Schalling, Chronholm, Asberg & Espmark, 1973)
- State-Trait Anxienty Inventory (STAI, Spielberger, Gorusch, Lushene, Vagg & Jacobs, 1983)

Die Daten wurden vor, nach dem Intensivkurs, sowie 6 Monate nach Therapieende mit Hilfe einer Audio- und Videoaufnahme bzw. eines Fragebogens erhoben (Blomgren et al., 2005). Die Patienten sollten in Anwesenheit des Interviewers und auch einen spontanen Monolog halten, als auch den Text „The Grandfather Passage“ (Darley, Aronson & Brown, 1975) vortragen (Blomgren et al., 2005).

Für die meisten Ergebnisse zeigte sich eine Abnahme der zu untersuchenden Variablen von vor der Therapie, zum Zeitpunkt nach der Therapie, sowie ein Anstieg sechs Monate nach Therapieende (Blomgren et al., 2005) (s. Tabelle 1, Anhang C). Ausnahmen lagen in den Maßen MCAI-IV sowie beiden Skalen der STAI in Bezug auf die psychischen und körperlichen Ängste bzw. dem Unbehagen vor. Dabei zeigte sich sowohl direkt nach der Therapie, als auch 6 Monate später, stets eine Abnahme dieser Ängste (Blomgren et al., 2005). Das SSMP erzeugte einige angstlösende Effekte. Dennoch zeigte sich das Konzept ineffektiv in Bezug auf die Kernsymptomatik, wie der Stotterhäufigkeit und –schwere (Blomgren, 2005).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Ergebnisse des SSMP auf eine qualifizierte Unterstützung der gefühlsbetonten Funktionen hinweist, aber nur geringfügige Verbesserungen in der Kern- sowie in der Begleitsymptomatik zum Vorschein kamen.

Sommercamp der Therapie Cook

Im Jahre 2004/2005 untersuchten Metten, Zückner und Rosenberger in ihrer Studie die Wirksamkeit des Sommercamps der Therapie Cook und die Verwendung eines neuen Fragebogens bei Kindern und Jugendlichen (2007). Insgesamt wurde die Studie vom 26.07.2004 bis zum 14.05.2005 mit 21 Teilnehmern durchgeführt, wobei 19 Jugendliche während der gesamten Studienzeit die Therapie absolvierten: 5 Mädchen und 14 Jungen im Alter von 9 bis 19 Jahren (Metten et al., 2007).

Die Teilnehmer wurden hierbei in Anlehnung an das Therapiekonzept von Charles Van Riper therapiert. Zudem wurden noch das klangvolle Sprechen nach Franz Herziger, Teile des SSMP von Breitenfeldt und Lorenz (1989) sowie Wahrnehmungsübungen nach Susanne Rosenberger (2002) berücksichtigt (Metten et al. 2007). Insgesamt gab es vier verschiedene Messzeitpunkte (Metten et al., 2007): erster und letzter Tag des Sommercamps mit einer Spanne von 3 Wochen, sowie der erste Tag des 2½ Monate später stattfindenden Nachsorgewochenendes und der erste Tag am zweiten Nachsorgewochenende, welche 10 Monate nach der ersten Datenerhebung stattfand.

Das „Stuttering Severity Instrument“ (SSI-3) von Riley (1994) wurde zur objektiven Messmethode für die Ermittlung des Schweregrades verwendet (Metten et al., 2007). Dabei wurden jeweils zwei Sprechsituationen (Vorlesen eines unbekannten Textes und 10-minütiges Gespräch zu verschiedenen Themen) per Video bzw. Audio aufgenommen und ca. 200 Silben oder mehr jeder Sprechprobe nach den Vorgaben des SSI-3 analysiert, um die Häufigkeit der Symptomatik zu ermitteln (Metten et al., 2007). Durch die Videoaufnahmen wurden Begleiterscheinungen in der Motorik festgehalten. Die von den drei Parametern erhaltenen Punktwerte wurden dann addiert und dann einem von fünf Schweregraden des SSI-3 zugeordnet: sehr leicht, leicht, mittelschwer, schwer sowie sehr schwer (Metten et al., 2007). Als subjektive Maße zur Bestimmung wichtiger Funktionsbeeinträchtigungen, Einflussfaktoren und Beeinträchtigungen im täglichen Leben wurde der Fragebogen „Abschätzung kindlicher Erfahrungen bei Stottern“ (AKES) genutzt, welcher von Yaruss, Coleman und Quesal basierend auf der ICF entwickelt wurde (2006). Dabei sollten die Jugendlichen den Fragebogen selbstständig ausfüllen (Metten et al., 2007, S. 74).

Bei beiden Tests ist zu erkennen, dass sich die Teilnehmer zu Beginn der Gruppentherapie am negativsten einschätzten (hoher Rohwert) und am Ende des Camps subjektiv am Besten. Zum letzen Messzeitpunkt ergibt sich dann ein Ergebnis, das zwischen den Messpunkten liegt (Metten et al., 2007).

Vor allem die jüngeren Teilnehmer wiesen Schwankungen auf (s. Abbildung 1, Anhang D). Zudem korrelierte die subjektive Wahrnehmung des eigenen Stotterns nicht mit dem realen Stotterschweregrad (Metten et al., 2007) (s. Abbildung 2, Anhang D). Die Punktwerte des SSI-3 zeigen den höchsten mittleren Rang vor der Campphase, was bedeutet, dass der Stotterschweregrad am ersten Tag des Camps am erheblichsten war (Metten et al., 2007). Auch beim SSI-3 ist zu erkennen, dass der Stotterschweregrad einige Zeit nach der Intensivbehandlung wesentlich geringer war, als vor der Therapie. Es ist zu erkennen, dass die Probanden in Bezug auf den Stotterschweregrad gleichmäßig betroffen sind (Metten et al., 2007). Betrachtet man jedoch die Therapie über ein Jahr, zeigen sich Fluktuationen inmitten der Gruppe (Metten et al., 2007) (s. Tabelle 1, Anhang D). Aus einer Einzelfalldarstellung geht hervor, dass es besondere Probanden mit gewaltigen Änderungen des Schweregrades gab (Metten et al., 2007) (s. Abbildung 3, Anhang D).

Resümierend ist eine Übereinstimmung subjektiver und objektiver Therapiemaße zu erkennen, da AKES und SSI-3 zu gleichen Ergebnissen kommen. In beiden Testangaben sind die Werte signifikant gleich und zwar in dem Maße, dass diese vor dem Sommercamp schlechter sind als alle Werte, die zehn Monate nach der Intensivphase festgestellt wurden (Metten et al., 2007). Therapien konnten also bei den Jugendlichen zu deutlichen Verbesserungen der Stotterereignisse führen. Der Stotterschweregrad und die eigene Einstellung dazu konnten sich maßgeblich bessern (Metten et al., 2007).

Auch die Studie zum Stottertherapie-Sommercamp von 2000 unter der therapeutischen Leitung von F. Herziger bestärkt diese positiven Ergebnisse (Baumeister et al., 2003). Die Darstellung der Studie bleibt in dieser Bachelorarbeit unberücksichtigt, da die Teilnehmer ein Durchschnittsalter von 13,4 Jahre hatten und zu den Ergebnissen keine Langzeiterfolge vorliegen und somit das aufgestellte Studiendesign bezüglich des Jugendalters und der Aussage über die Wirksamkeit nicht erfüllt wurde.

Intensiv-Modifikation Stottern

Eine Evaluationsstudie, die 2009 zur Intensiv-Modifikation Stottern durchgeführt wurde, beruht zum Beispiel auf den Grundlagen des SSMP (Natke, Alpermann, Heil, Kuckenberg & Zückner, 2010).

In dieser Evaluationsstudie sind die Therapieabläufe und –resultate von 18 Teilnehmern aus drei nacheinander stattfindenden Kursen zusammengestellt und noch 2 Jahre danach in die Betrachtung mit einbezogen worden (Natke & Alpermann, 2010). Die Teilnehmer setzten sich aus 2 Frauen und 16 Männer zusammen im Alter zwischen 16,1 und 61,8 Jahren (M=31,7 Jahre). Letztendlich sollten die Langzeitwirksamkeit einer Intensivtherapie nach den Richtlinien der Stottermodifikation von Van Riper, Breitenfeldt und Lorenz bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Stottersymptomatik aufgezeigt werden (Natke et al., 2010). Vier Messzeitpunkte zur Datenerhebung bei Telefonaten bzw. aus Fragebögen wurden festgelegt: direkt vor Beginn der Therapie (pre), nach Abschluss der einjährigen Intensivphase (post), 1 Jahr nach Ende der Intensivphaphase (Follow up 1) und 2 Jahre nach Abschluss der Intensivphase (Follow up 2) (s. Abbildung 1, Anhang E). Der gesamte Therapieumfang betrug 120 Therapieeinheiten.

Mit Hilfe der „Percentage of Discontinous Speech Time” (PDST) konnte einer Über-

tragung der Dauer des Stottergeschehens in ein Messmaß der Sprechflüssigkeit statt-

finden (Natke et al., 2010).

Die Ergebnisse der Studie zeigen eine Reduktion des unflüssigen Sprechens umgehend nach der Therapie dazu einen wiederholten Anstieg 1 bzw. 2 Jahre nach Ende der Therapie (s. Abbildung 2, Anhang E). Der Teil des unflüssigen Sprechens lag auch 2 Jahre danach erheblich unterhalb des Ausgangswertes zu Therapiebeginn (Natke & Alpermann, 2010).

Die Ergebnisse der Zeitintervall-Messung, mit der sowohl Sprechanteile eingeteilt werden, als auch die Sprechtechniken aufgeführt werden können, (Natke et al., 2010) zeigen, dass der Haupteffekt bezüglich der flüssigen Redeanteile signifikant ist und auch langfristig weit unter dem Anfangswert (vor Therapiebeginn) liegt (s. Abbildung 3, Anhang E). So zeigt sich ein Anstieg bei der Verwendung von Sprechtechniken über die abgeänderte Zeit-Intervall-Methode nach Therapieende, jedoch nicht langfristig.

Als Spekulation bezeichnen die Autoren ihre Annahme, dass sich bei den Probanden die Ansicht zum Stottern verändert hat bzw. eventuell auch die verbesserte Sprechfähigkeit dazu führte, dass weniger Modifikationstechniken angewandt wurden (Natke & Alpermann, 2010). Mithilfe von Fragebögen sollten die Probanden ihre Emotionen und Einstellungen bezüglich des Sprechens und ihr Vermeidungsverhalten in Bezug auf das Stottern darstellen (Natke et al., 2010). Eine modifizierte „Erickson Skala“ (S24) wurde zur Erfassung der Einstellung zur Kommunikation eingesetzt. Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vermeidungsverhaltens wurde die Vermeidungsskala aus dem „Perception of Stuttering Inventory“ (PSI-V) verwendet. Bei einem Fragebogen zu Gefühlen, Einstellungen und Verhalten handelt es sich um eine Übersetzung aus dem „Functional Outcome Assessment Instrument“. Zudem wurden Selbsteinschätzungsfragebögen zu den Bereichen Sprechflüssigkeit, Schweregrad des Stotterns sowie Kommunikationsfähigkeit ausgegeben (Natke et al., 2010).

Die Ergebnisse der Studie, erhoben mittels Fragebogen zeigen, dass sich bei den Einstellungen und Emotionen bezüglich des Sprechflusses und beim Versuch der Vermeidung des Stotterns deutliche Verbesserungen nach der Therapie ergaben, die auch nach 2 Jahren noch anhielten (Natke & Alpermann, 2010) (s. Abbildung 4, Anhang E).

Alles in Allem zeigt die IMS, dass über einen längeren Zeitraum betrachtet, durchaus positive Therapieeffekte in Bezug auf Sprechflüssigkeit, Gesprächseinstellungen, Grad der Vermeidung und subjektive Empfindungen erreicht werden (Natka et al., 2010). Die Resultate dieser Langzeitstudie zeigten, dass die Größe der Therapieeffektivität anhaltend gleich blieb in Bezug auf Gesprächseinstellung, Grad der Vermeidung und subjektiven Empfindungen. In den anderen Bereichen lagen die Effektgrößen im mittleren Bereich (Natke et al., 2010). Die Daten zur Selbsteinschätzung zeigen eine Übereinstimmung mit den objektiven Kriterien. Insgesamt konnten die Ziele im Hinblick auf die Anforderungen an eine Stottermodifikationstherapie erreicht werden.

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Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Effektivität von Stottertherapie
Untertitel
Darstellung und evidenzorientierte Einordnung systematisch recherchierter Evaluationsstudien von Gruppentherapien bei stotternden Jugendlichen und Erwachsenen.
Hochschule
Hochschule Fresenius Idstein
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
76
Katalognummer
V272058
ISBN (eBook)
9783656631835
ISBN (Buch)
9783656631804
Dateigröße
2781 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
effektivität, stottertherapie, darstellung, einordnung, evaluationsstudien, gruppentherapien, jugendlichen, erwachsenen
Arbeit zitieren
Juana Golla (Autor:in), 2011, Effektivität von Stottertherapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272058

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