Die attische Demokratie in der Leichenrede des Perikles auf die Gefallenen im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges (Thuk II,35-41)


Seminar Paper, 2003

17 Pages, Grade: 2,3


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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Zum historischen Wahrheitsgehalt der Leichenrede
1. Die Glaubwürdigkeit der Überlieferung des Thukydides
2. Zur Authentizität der dargestellten Sachverhalte

II. Zur Darstellung der attischen Demokratie in der Leichenrede des Perikles
1. Perikles‘ Einleitung (II,36)
2. Vorbemerkungen
3. Gesellschaftsordnung (II,37)
a) Rechtsgleichheit
b) Freiheit
4. Lebensqualität und Wirtschaft (II,38)
5. Militärische Leistung Athens im Vergleich mit Sparta (II,39)
6. Persönliche Qualitäten der Bürger (II,40)
a) Schönheitsliebe und Philosophie (40,1)
b) Verhältnis zum Geld (40,1)
c) Politische Aktivität und Verantwortlichkeit (40,2)
d) Urteilsvermögen und Entscheidungsfindung (40,2)
e) Opferbereitschaft in Kenntnis der Sachlage (40,3)
f) Hilfsbereitschaft und Freundschaft (40,4)
7. Zusammenfassung (II,40)

Schlussbemerkung

Benutzte Literatur

Einleitung

Das wohl berühmteste Selbstzeugnis der antiken Demokratie liefert uns der Geschichtsschreiber des Peloponnesischen Krieges, Thukydides, in Form einer Grabrede, die der Staatsmann Perikles auf die Gefallenen im ersten Jahr des Krieges in Athen gehalten haben soll (II,35-46). In dieser Rede beschreibt er die Merkmale und Vorteile der demokratischen Verfassung Athens in Gegenüberstellung zu Sparta, dem großen Gegner Athens[1]. Die Leichenfeier im Winter 431[2] wird bei Thukydides recht ausführlich beschrieben (II,34,1-7). Es war eine öffentliche Feierlichkeit, bei der ein berühmter Politiker, in diesem Fall Perikles[3], eine Rede hielt. Plutarch beschreibt Perikles als einen sehr begabten und für seine Redekunst berühmten[4], aber auch als „in den Feldzügen [...] tüchtige[n] die Gefahr liebende[n] Mann“[5]. Bei Thukydides sind vier Reden des Perikles überliefert[6]. In dieser Hausarbeit soll die berühmteste davon, der Epitaphios, behandelt werden, dessen Ziel offensichtlich war, „den Athenern die Grundlagen und das Wesen ihrer gesellschaftlichen und individuellen Existenz bewusst zu machen“[7], das Volk in seiner Motivation zum Kampf für diese großartige Stadt zu stärken, und „nach außen hin [...] eine propagandistische Wirkung zu erzielen.“[8] Eine ideologische Untermauerung der Kriegspolitik also, deren Nationalismus beachtenswert ist.

Nach einer Vorbemerkung (II,35), in der Perikles das Ziel seiner Rede nennt und die Glaubwürdigkeit des von ihm Gesagten bezeugt, hält er eine kurze Rückschau in die Vergangenheit (II,36) und geht dann zur Gegenwart über. Der erste Hauptteil (II,37-41) enthält das Lob der attischen Demokratie, im zweiten (II,42-46) greift Perikles die Gefallenen wieder auf und wendet sich mit Ermahnungen an die Lebenden. Diese Hausarbeit soll die Darstellung der demokratischen Verfassung Athens in dieser Rede interpretieren, weshalb dafür im Wesentlichen die Kapitel 37-41 von Bedeutung sind.

Naemi Fast,

Frankenthal, den 18. März 2003

I. Zum historischen Wahrheitsgehalt der Leichenrede

1. Die Glaubwürdigkeit der Überlieferung des Thukydides

In dem sogenannten Methodenkapitel (I,22)[9] zu Beginn seines achtbändigen Werkes beschreibt Thukydides seine wissenschaftliche Vorgehensweise. Er erklärt, wie er zu seinen Erkenntnissen gelangt ist und dass er als Teilnehmer des Krieges das meiste Beschriebene selbst miterlebt hat. In Paragraph 1 geht er speziell auf die von ihm in wörtlicher Rede zitierten Ansprachen ein und räumt ein, dass er nicht den genauen Wortlaut der gehaltenen Reden wiedergibt, sondern nur den Inhalt aus seiner Erinnerung. Eine wörtliche Darstellung wäre im nachhinein schwierig zu liefern, er beruft sich dabei aber nicht nur auf sein eigenes Gedächtnis, sondern auch auf die Aussagen anderer Zeugen. Eine gewisse Subjektivität der Darstellung klingt bei seiner Erklärung doch an: „Wie aber meiner Meinung nach jeder Einzelne über den jeweils vorliegenden Fall am ehesten sprechen musste, so sind die Reden wiedergegeben“. Dann versichert er aber, dass die Niederschrift „in möglichst engem Anschluss an den Gesamtsinn des wirklich Gesagten“ geschehen ist. Viele Forscher sind sich darüber einig, dass die Rede des Perikles in der Form, wie Thukydides sie überliefert nicht gehalten worden sein kann und schreiben die Darstellung Athens deshalb eher Thukydides als Perikles zu.

In seinem Aufbau selbst weicht der Epitaphios ziemlich von dem üblichen Schema der Grabreden ab, vor allem da Perikles[10] hier mehr auf die Staatsverfassung, als auf die zu Bestattenden eingeht. Das muss aber noch nicht zwangsläufig ein Argument gegen die Historizität der Rede sprechen. Wichtiger als die Frage, ob die Rede nun tatsächlich in der Form gehalten wurde, ist sicherlich die Erwägung, ob das in ihr enthaltene Gedankengut charakteristisch für jene Zeit ist.[11]

2. Zur Authentizität der dargestellten Sachverhalte

Aus der großen zeitlichen Distanz und der gesellschaftlichen und sozialen Differenz, die wir zu den Tagen des Perikles und des Thukydides haben, ist es natürlich nicht leicht, abzuschätzen, ob der Patriotismus des Epitaphios der allgemeinen Volksstimmung jener Zeit entspricht, was genau die Ziele dieser Rede gewesen sind und wie sie bei den Zuhörern angekommen ist. Spontan denkt man beim Lesen der Rede vielleicht an die selbstverherrlichende Propaganda der totalitären nationalistischen und sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts, die nicht vorhandene Zustände und Tatsachen vortäuschte, um Loyalität im Volk hervorzurufen. G. P. Landmann spricht von den Vergleichen, die zu bestimmten Zeiten zwischen Perikles und Wilhelm II. oder Hitler gezogen wurden.[12] Konrad Geiser zählt einige Deutungsmöglichkeiten auf, die unter Historikern vertreten werden.[13] Dass die Verfassung Athens nach den Reformen Solons, Kleisthenes und Ephialtes schließlich eine demokratische war, ist heute allgemein akzeptiert, man muss aber bedenken, dass zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Ländern ein unterschiedliches Verständnis des Begriffes „Demokratie“ geherrscht hat. Thukydides liefert durch den Mund des Perikles eine Auffassung von der Verwirklichung einer demokratischen Verfassung und stellt diese als praktisch in Athen umgesetzt dar. Im Proömium der Rede (II,35) versucht der Redner durch mehrere geschickte rhetorische Kunstgriffe seine Zuhörer von der Wahrhaftigkeit seiner Aussagen zu überzeugen. Dazu stellt er zunächst Taten und Worte einander gegenüber und betont, dass ihm Taten wichtiger sind. Dann stellt er sein schon hier angekündigtes Lob dar als für den „Hörer, der die Zusammenhänge kennt“ ein als mangelhaft zu empfindendes „im Vergleich zu dem, was er will und weiß“, sagt damit also, dass er sogar noch untertreibe, um nicht zu viel zu sagen. Den Vorwurf der Übertreibung und des überhöhten Lobes könne ihm nur ein unkundiger Neider machen.

In der Forschung zweifelt man nicht daran, dass die Rede auf keinen Fall ein objektives Bild der Wirklichkeit in Athen bietet[14], sondern eher ein Idealbild, eine geltende Norm und „ein Bild von ihr, wie sie gesehen werden sollte“[15]. Inwiefern die einzelnen in der Rede angesprochenen Punkte der Realität entsprachen, ist an den betreffenden Stellen der folgenden Interpretation kurz erläutert.

II. Zur Darstellung der attischen Demokratie in der Leichenrede des Perikles

1. Perikles‘ Einleitung (II,36)

In der Einleitung würdigt Perikles die Verdienste der Toten und der Lebenden für die Stadt Athens. Er benennt dabei drei Gruppen: die Vorfahren, die Väter und die gegenwärtige Generation. Den Vorfahren (36,1) hat Athen nach seinen Worten die individuelle und staatliche Unabhängigkeit zu verdanken. Dabei betont er, dass dieses „in der Aufeinanderfolge der Geschlechter“ geschehen ist, dass er und seine Zeitgenossen also direkte Nachfahren jener ehrwürdigen Generationen sind, von denen sie dieses Land geerbt haben. Danach geht Perikles auf die Vätergeneration (36,2) ein, die noch mehr zu rühmen ist, weil sie „zu dem Ererbten“ das jetzige Reich erworben hat, womit er auf die Siege in den Perserkriegen und auf die militärischen Erfolge des delisch-attischen Seebundes anspielt. Als höchste Steigerung nennt Perikles schließlich „die jetzt Lebenden“ (36,3), denen er zugute hält, dass sie „die Stadt in allem so gerüstet“ haben, dass sie „im Krieg und im Frieden völlig auf sich selbst stehen kann“. Damit ist zu der von den vorhergehenden Generationen erworbenen Eleuteria die Autarkie dazugekommen. In einem Satz erwähnt Perikles dann die großen Kriegserfolge der Athener gegen „Barbaren und Hellenen“ (36,4), auf die er nicht näher eingehen will, da sie jedem hinreichend bekannt sind. Dann leitet er zu seinem Hauptthema über, der Besonderheit des attischen Staates, dessen Einzigartigkeit er in der „Grundhaltung“, der „Verfassung“ und der „Sinnesart“ sieht. Diese drei Begriffe sind in der Rede des Perikles kaum voneinander zu trennen, da sie im Zusammenspiel erst das Gebilde ergeben, das der Redner im folgenden näher beschreibt.

2. Vorbemerkungen

Zunächst rückt Perikles die Neuartigkeit der attischen Verfassung in den Vordergrund (37,1), womit er eine Betonung auf die Autonomie seiner Polis legt. Diese Verfassung folgt keinem fremden Beispiel, sondern dient sogar anderen Staaten als Vorbild. Man kann diese Feststellung nicht nur als Seitenhieb auf Sparta sehen, deren Verfassung sich von den kretischen Doriern ableitet,[16] sie bezieht sich sicher auch auf die mehreren griechischen Staaten, die nach der Reform des Ephialtes (462/1) tatsächlich demokratische Verfassungen annahmen, oft allerdings unter dem Druck Athens, das zum immer stärker werdenden Hegemon im delisch-attischen Seebund aufstieg.[17]

Perikles bezeichnet die attische Staatsform als Demokratie[18], weil „die Staatsverwaltung nicht auf wenige, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“ Der Begriff „Demokratie“ – Herrschaft des Volkes - wird als Abgrenzung gegen die Herrschaftsform der „Oligarchie“ - Regierung der Wenigen - benutzt. Perikles stellt die attische Demokratie voller Stolz als verwirklicht dar, was nach Thukydides‘ Erklärung zur Beschwichtigung des aufgebrachten Volkes dienen sollte (siehe II,65,1-3). Die Demokratisierung Athens befand sich zu jenem Zeitpunkt eher auf dem Abstieg, was durch die spätere Entwicklung deutlich wird. Das Urteil des Thukydides über das perikleische Zeitalter lautet: „So war es dem Namen nach Demokratie, in Wirklichkeit aber Herrschaft des ersten Mannes“ (II,65,9).

[...]


[1] Der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.), entsprang aus einem langen Konkurrenzkampf der Bündnissysteme beider Poleis im 5. Jahrhundert. Athen und Sparta schlossen zwar 446/5 einen 30-jährigen Frieden, dieser war aber aufgrund zahlreicher politischer Konflikte ziemlich instabil und wurde von Sparta schon im Herbst 432, nach einigen Auseinandersetzungen als gebrochen angesehen. Nach einigen gegenseitigen Forderungen und Protesten zwischen den beiden Poleis beschlossen auch die Athener den Krieg, der dann im Sommer 431 begann.

[2] Alle Zeitangaben gehören selbstverständlich in die Zeit vor Christus, was ich deswegen nicht zu den einzelnen Jahresangaben dazugeschrieben habe.

[3] Perikles hatte seine politische Laufbahn 462 nach dem Tode des Ephialtes begonnen, war ein hoch angesehener Staatsmann, Sohn berühmter Eltern. Sein Vater Xanthippos besiegte 479 das persische Heer in der Landschlacht bei Mykale, seine Mutter Achariste war die Enkelin des Kleisthenes. Zu Herkunft und Familie des Perikles siehe Plutarch, Perikles III, 1., Leipzig, S. 5.

[4] Siehe Plut. Per. VII, 1 und VIII.

[5] Plut. Per. VII, 1, S. 12.

[6] Die Kriegsrede vor den Athenern (I,140-144), die Rede im Sommer des ersten Kriegsjahres (II,13) in indirekter Form, der berühmte Epitaphios (II,35-46) und die Verteidigungsrede vor den Athenern (II, 59-64).

[7] Nickel, Leitbild, S. 169.

[8] Nickel, Leitbild, S. 169.

[9] Die einzelnen Textstellen, auf die ich mich bei der Interpretation beziehe, zitiere ich nicht jedesmal wörtlich, sondern weise nur auf die Nummer der Kapitel und Unterabschnitte hin, unter denen sie zu finden sind.

[10] Wenn ich schreibe: „Perikles sagt“ u. ä., meine ich selbstverständlich nicht das tatsächlich von Perikles Gesagte, sondern das, was durch Thukydides überliefert ist.

[11] Siehe Nickel, Leitbild, S. 169.

[12] Siehe Landmann, Leitbild, S. 94-95.

[13] Dazu siehe Geiser, Staatsmodell, S. 19.

[14] Siehe Geiser, Staatsmodell, S. 17-23.

[15] Nickel, Leitbild, S. 170.

[16] Siehe Landmann, Lob Athens, S. 79-80.

[17] Siehe Cartwright, David: A historical commentary on Thukydides, University of Michigan 1997, S. 108.

[18] Der Begriff „Demokratie“ taucht zum ersten Mal in Athen um 460 auf, seine Bestandteile bedeuten: kratos – Macht, demos – Volk. Siehe: - Sinclair,: Democracy and Participation in Athens, Cambridge 1989, S. 1.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Die attische Demokratie in der Leichenrede des Perikles auf die Gefallenen im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges (Thuk II,35-41)
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Insitut für Alte Geschichte)
Course
Proseminar Griechische Geschichte im Zeitalter des Perikles
Grade
2,3
Author
Year
2003
Pages
17
Catalog Number
V27261
ISBN (eBook)
9783638293563
File size
538 KB
Language
German
Notes
Die Arbeit behandelt die einzelnen Aspekte der attischen Demokratie anhand der Rede des Perikles.
Keywords
Demokratie, Leichenrede, Perikles, Gefallenen, Jahr, Peloponnesischen, Krieges, Proseminar, Griechische, Geschichte, Zeitalter, Perikles
Quote paper
Naemi Fast (Author), 2003, Die attische Demokratie in der Leichenrede des Perikles auf die Gefallenen im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges (Thuk II,35-41), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27261

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