Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Gesellschaft und (Trink-) Kultur
1. Der Saloon
1. Aufstieg, Verbreitung und erste Gegner
2. Untergang
1. Der Saloon als „Sündenpfuhl“
2. Die „(un-)heilige Dreifaltigkeit“
3. Hinweise auf Widerstand?
2. Das „Speakeasy“
1. Aufstieg und Verbreitung
2. Unterschiede zum Saloon
3. Bewahrheitung der Hinweise
3. Wirtschaft
1. Alkoholproduktion
1. Erzwungene Neuorientierung
2. Illegalität und Einbußen
2. Organisierte Kriminalität
1. Herstellung
2. Vertrieb und Korruption
4. Gründe für die Auswirkungen
5. Fazit
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Literatur.
1. Einleitung
Die Alkoholprohibition in den USA der 1920er- und frühen 1930er-Jahre hat sich bis heute als gescheitertes „Nobles Experiment“ in die Köpfe der Menschen eingebrannt.[1] Korruption bis auf die höchsten politischen Ebenen, organisierte Kriminalität, die ein bis dahin ungeahntes Ausmaß annahm, sowie eine starke Wandlung der amerikanischen Kultur – all diese Faktoren tragen zum heutigen Image der Prohibition bei. Dem gegenüber stand ein neues amerikanisches Lebensgefühl, das sich besonders durch den Wunsch mit alten Traditionen zu brechen und den ersten Schritt in die Moderne zu tun charakterisieren lässt. Massenproduktion und -konsum, neue Technologien, starke gesellschaftliche Veränderungen[2] sowie wirtschaftliche und kulturelle Prosperität[3] bestimmten das amerikanische Leben in den 1920er-Jahren. Vor allem ließ sich dies in den Großstädten des Landes spüren. Kollektiv wird dieses Lebensgefühl als „(Spirit of the) Roaring Twenties“ bezeichnet. Die durch den 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten am 16. Januar 1920 in Kraft getretene Prohibition trug einen bedeutenden Teil zu diesem „Geist der Goldenen Zwanziger“ bei.
„We cannot shut out of view the fact, within the knowledge of all, that the public health, the public morals, and the public safety, may be endangered by the general use of intoxicating drinks; nor the fact established by statistics accessible to every one, that the idleness, disorder, pauperism and crime existing in the country, are, in some degree... traceable to this evil.“[4]
Dieses Zitat des Richters am amerikanischen Obersten Gerichtshof, John Marshall Harlan,[5] aus dem Jahr 1887 verdeutlicht exemplarisch die Absichten, die von Prohibitionsanhängern verfolgt wurden. Ihrem Ursprung entsprechend bezogen sich Argumente für die Durchsetzung des Alkoholverbotes primär auf folgende Bereiche: Moral, Glaube, Gesundheit, Familie, Kriminalität und Armut. Problemen auf diesen Ebenen sollten mit einer Reduzierung der konsumierten Alkoholmenge ein Ende gesetzt werden. Jedoch brachte diese Absicht selbst eine Schwierigkeit mit sich. Mit der Zeit entwickelte sich die Prohibition in den Köpfen der Menschen von einer moderaten Heilung für ein offensichtliches Problem zu einer Allzwecklösung für das gesamte gesellschaftliche Übel der USA.[6] Die Ansprüche an das Alkoholverbot waren folglich hoch. Im Juni 1932 summierte der amerikanische Finanzier, lebenslange Abstinenzler und Unterstützer der Prohibition, John D. Rockefeller Jr.,[7] die Auswirkungen der Prohibition folgendermaßen:
„When the Eighteenth Amendment was passed I earnestly hoped […] that it would be generally supported by public opinion [...]. That this has not been the result, but rather that drinking has generally increased; that the speakeasy has replaced the saloon, not only unit for unit, but probably two-fold if not three-fold; that a vast array of lawbreakers has been recruited and financed on a colossal scale; that many of our best citizens, piqued at what they regarded as an infringement of their private rights, have openly and unabashedly disregarded the Eighteenth Amendment; that as an inevitable result respect for all law has been greatly lessened; that crime has increased to an unprecedented degree – I have slowly and reluctantly come to believe.“[8]
Dieser Ausschnitt aus einem viel gelobten Brief Rockefellers, der auf der ersten Seite der New York Times veröffentlicht wurde, verdeutlicht die Stimmung, die zum Ende der Prohibition selbst bei ihren Unterstützern herrschte. Die Spanne zwischen Erwartungen und Realität war nach über einem Jahrzehnt so weit auseinandergegangen, dass man mit der Ratifizierung des „21. Amendment“ am 5. Dezember 1933 das „Noble Experiment“ offiziell für beendet erklärte. Der Kampf gegen den Teufel Alkohol hatte durch seine Übertreibung selbst mehrere Teufel mit sich gebracht.[9]
Heutzutage ist der Genuss von Alkohol jedem Menschen über 21 Jahren in den Vereinigten Staaten erlaubt. Wie Nikotin und Koffein gehört Alkohol mittlerweile zu den sogenannten „Volksdrogen“. In Anbetracht der Prohibition von Betäubungsmitteln wie Cannabis oder Opium bleibt das Experiment der 1920er-Jahre allerdings ein stark diskutiertes und relevantes Thema mit Gegenwartsbezug. Auch 80 Jahre nach seiner Abschaffung werden Erfolge und Misserfolge des Alkoholverbots als Argumente für Stellungnahmen genutzt. Arbeiten von Wissenschaftlern wie David Kyvig, Thomas Welskopp oder Mark Thornton zeugen davon, dass sich die Prohibition auch als fruchtbares Forschungsfeld erwiesen hat.
Doch was war in den fast vierzehn Jahren der Prohibition geschehen, das einen loyalen Befürworter wie Rockefeller zu einem solchen Fazit bewegt hatte? Wo lagen die Gründe für das Ausmaß der negativen Auswirkungen? Und inwiefern ist der Forschung zuzustimmen, dass die Prohibition lediglich ein gescheitertes nobles Experiment war? Diese Fragen zu beantworten wird meine Aufgabe in dieser grundlegend dreigeteilten Arbeit sein. Zu Beginn werde ich dazu die gesellschaftlich/ (trink-)kulturelle Sicht auf die Prohibition mittels einer kritischen Analyse des Saloons und des Speakeasys darstellen. Danach möchte ich mich mit der Bedeutung des Alkoholverbots für die Wirtschaft der USA auseinandersetzen. Dies wird anhand der zwei Faktoren Alkoholproduktion und organisierte Kriminalität geschehen. Anschließend werde ich die zuvor gewonnenen Erkenntnisse miteinander konfrontieren und wesentliche Gründe für die negativen Auswirkungen der Prohibition herausarbeiten. Zum Abschluss werde ich mich der Frage widmen, inwiefern das „Noble Experiment“ scheiterte.
2. Gesellschaft und (Trink-)Kultur
2.1. Der Saloon
Noch heute ist der Saloon gleichbedeutend mit der amerikanischen (Trink-)Kultur Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Während eines der ersten Wirtshäuser dieser Art auf das Jahr 1822 zurückgeführt wird,[10] wurde sein Name ursprünglich als selbstironische Anspielung auf das deutsche Wort „Salon“ gewählt. Dieses bezeichnete das repräsentative Wohnzimmer des Großbürgertums und Adels. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Saloon zu einem zentralen Bestandteil des amerikanischen Alltags. Sein Verbot durch die Prohibition beeinflusste die amerikanische Kultur und Gesellschaft stark. Um einen umfassenden Überblick über die Gründe für die negativen Prohibitionsauswirkungen zu gewinnen, ist es notwendig den Aufstieg und Untergang des Saloons zu analysieren.
2.1.1. Aufstieg, Verbreitung und erste Gegner
Ursprünglich war diese amerikanische Form der Kneipe als Treffpunkt für Männer gedacht, die von der Arbeit kamen.[11] So richtete sich einer der ersten Saloons in Wyoming an die vielen Pelzjäger der Gegend.[12] Hier trafen sie auf Freunde und Bekannte, spendierten einander Runden und entspannten nach einem arbeitsreichen Tag in „trauter Atmosphäre“. Oft taten sie dies bis spät in die Nacht hinein. Innerhalb kürzester Zeit verbreitete sich das Konzept des Saloons vom Westen aus über den gesamten nordamerikanischen Kontinent. Besonders Großstädte erwiesen sich aufgrund ihrer Ballung von Arbeitersiedlungen als prädestiniert. Rückzugsräume zum Entspannen nach einer langen Schicht waren hier spärlich gesät. Dies führte zu einer ungleichen Verteilung der Saloons. Besonders in den Vierteln der unteren sozialen Klassen schien Ende des 19. Jahrhunderts nichts das Voranschreiten des „amerikanischen Salons“ aufhalten zu können. Die Zahl der Saloons lässt vermuten, welche Bedeutung sie innerhalb von einigen Jahrzehnten in der amerikanischen Kultur und Gesellschaft gewonnen hatten. 1890 wurde konstatiert, dass in den Großstädten der USA mindestens ein Saloon auf jeweils 250 Einwohner kam.[13]
Die Tatsache, dass viele Männer mehr Zeit im Saloon als zu Hause bei ihrer Familie verbrachten, wurde mit kritischen Augen gesehen. Die wohl prominentesten Gegner der amerikanischen Kneipe – die Mitglieder der „Anti-Saloon-League“ (ASL) – versuchten diese durch rechtliche Schritte abzuschaffen. Gleichzeitig sah die Katholische Kirche in den Wirtshäusern einen gefährlichen Konkurrenten im Kampf um die eigenen Mitglieder.[14] Tatsächlich wiesen beide Seiten gewisse Ähnlichkeiten auf. Sowohl die Kirche als auch der Saloon boten Trost und Flucht aus der Realität. Sogar Barkeeper und Pfarrer ließen sich in ihrer Funktion als Ratgeber miteinander vergleichen. Die Sünde des Saloons bestand laut der Kirche darin, unkontrolliert Alkohol auszuschenken und die Männer von ihrem zu Hause und ihrer Familie fernzuhalten. Dagegen wurde argumentiert, dass der Saloon im Leben vieler Männer von großer Wichtigkeit war.[15] Nirgendwo sonst konnten sie sich mit Gleichgesinnten zurückziehen und derart unbeschwert über die Sorgen des Alltags reden. Während in der Kirche sonntags jemand ein offenes Ohr hatte, so wurde dem Mann im Saloon jeden Tag zugehört. Hier bekam er Essen umsonst zum Bier sowie diverse Freizeitaktivitäten[16] geboten. Obendrein war der „amerikanische Salon“ in den meisten Städten der zentrale Sammelpunkt für alle Neuigkeiten aus der Umgebung.
[...]
[1] Vgl. etwa: WHIPPLE, Sidney B., Noble Experiment. A Portrait of America Under Prohibition, London 1934.
[2] Das Ideal der „New Woman“ und die „Harlem Renaissance“ wären hier zu nennen.
[3] Beispielsweise: Das Aufkommen des Jazz, neue Architekturformen wie das „Art Deco“ oder auch die Anfänge des modernen Kinos.
[4] Zitiert nach: HOPKINS, Richard J., The Prohibition and Crime, in: The North American Review 222 (1925), S. 41.
[5] Geboren: 1833 in Boyle County (Kentucky), gestorben: 1911 in Washington (D.C.)
[6] Vgl. SINCLAIR, Andrew, Prohibition. The Era of Excess, Boston (Massachusetts) 1962, S. 28.
[7] Geboren: 1874 in Cleveland (Ohio), gestorben: 1960 in Tucson (Arizona)
[8] Zitiert nach: KYVIG, David E., Repealing National Prohibition, Chicago (Illinois) 1979, S. 152.
[9] Vgl. SINCLAIR, Andrew, Prohibition, S. 29.
[10] Einer der ersten Saloons wurde in Brown's Hole, Wyoming im Jahre 1822 eröffnet. (Vgl. LANIER, Clint, HEMBREE, Derek, Bucket List Bars. Historic Saloons, Pubs, and Dives of America, Austin (Texas) 2013, S. 10.)
[11] Vgl. WELSKOPP, Thomas, Bottom of the Barrel. The US Brewing Industry and Saloon Culture Before and During National Prohibition, 1900-1933, in: PAUL, Axel T. (Hg.), Illegale Märkte, kriminelle Organisationen und politische Gewalt (Behemoth. A Journal on Civilisation, 6, 1) (2013), S. 28.
[12] Vgl. LANIER, Clint, HEMBREE, Derek, Bucket List Bars, S. 10.
[13] Vgl. HAMM, Richard F., Short Euphorias Followed by Long Hangovers. Unintended Consequences of the Eighteenth and Twenty-first Amendments, in: KYVIG, David E. (Hg.), Unintended Consequences of Constitutional Amendment, Athens (Georgia) 2000, S. 167.
[14] Vgl. SINCLAIR, Andrew, Prohibition, S. 73.
[15] Vgl. Ebd., S. 75.
[16] Beispielsweise: Billard, Bowling und Kartenspiele.