Das Unheimliche in Tarkovskys "Stalker"


Dossier / Travail, 2011

12 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Andrej Tarkowskij
1.1 Leben und Werk
1.2 Bildwelten und Asthetik
1.3 Stalker (CTa^Kep)

2. Sigmund Freud und das Unheimliche
2.1 Das Vertraute
2.2 Das Verborgene
2.3 Die Angst

3. Das Unheimliche im Film
3.1 Fiktion und Asthetik
3.2 Erkenntnis und Natur
3.3 Melancholie
3.4 Intellektuelle Unsicherheit

4. Schlussbetrachtung

1. Andrej Tarkowskij

1.1 Leben und Werk

Wie viele Kunstler starb Andrej Tarkowskij zu fruh. Nach nur sieben Filmen verstarb der sowjetische Regisseur im Altervon 54Jahren an Lungenkrebs. Seine letzten Tage verbrachte er in Paris. Die rue Puvis-de-Chavannes Nr. 10 lag fernab von seiner Heimat, doch in der Sowjetunion konnten seine kunstlerischen und kritischen Filme nur nach zahlreichen Diskussionen und Schnitten veroffentlicht und gezeigt werden. Im Exil konnte Tarkowskij seine filmischen Ideen ohne Angst verwirklichen. Seine beiden letzten Filme entstanden im Ausland. „Nostalghia" aus dem Jahre 1983 wurde in Italien gedreht und zeigt einen melancholischen Blick auf die eigene Vergangenheit.1 Auch geht es um die verlorene Heimat, um die Obdachlosigkeit und die spirituelle Orientierungslosigkeit in einem fremden Land. Mit Offret drehte Tarkowskij 1986 seinen letzten Film. Auf der schwedischen Insel Gotland gedreht, kreist der Film erneut um die personliche Sinnsuche und entwickelt eine Szenerie des Untergangs. Es sind langsame Filme mit langen Einstellungen, vielen Naturaufnahmen und viel Stille. Tarkowskij setzt sich mit der Lebens- und Wirkungsgeschichte des Menschen auseinander, er reflektiert den Verfall der Geschichte und der Zivilisation.2 Tarkowskijs melancholischer Geschichtspessimismus geht dabei uber das Schicksal des Einzelnen hinaus und wird dabei allegorisch fur die gesamte menschliche Kultur.

1.2 Bildwelten und Asthetik

Tarkowskijs Filme folgen keiner gewohnlichen narrativen, szenischen Handlung, sondern die Charaktere werden in den bildgewaltigen Raum ihrer melancholischen Obdachlosigkeit ausgesetzt. Durch diese Verlorenheit treten Handlung und Charaktere in den Hintergrund und der Raum, die Landschaft mit ihrer Natur und ihren stimmungsvollen Lichtverhaltnissen tritt in den Vordergrund. Zeit, Gemut und Erinnerung entspringen somit nicht mehr der Person, sondern der Natur, welche die Personen in ihrer erhabenen Oberwaltigung verschlungen hat. Der menschliche Raum des Denkens, Handelns und Empfindens ist in den naturlichen Raum der Landschaft ubergangen, wodurch die Personen einer Orientierungslosigkeit erliegen, welche die Grenze von Identitat und umgebender Natur aufreiftt. Tarkowskij gelingt hier das Kunststuck Fragen bezuglich des menschlichen Daseins, seiner Kultur und seiner Stellung in der Natur aus der bloften Zurschaustellung eines naturlichen Raumes entstehen zu lassen. Die Signifikanz des naturlichen Raumes ordnet Tarkowskij weit uber die personliche Geschichte, Kultur und Identitat und lost somit eine handlungshemmende Ohnmacht aus, welche durch die intellektuelle Distanz des Zuschauers im Gefuhl des Unheimlichen mundet, da das Vertraute auf niederschmetternde Art und Weise eine unendliche GroRe angenommen hat. Es entsteht das Gefuhl der korperlichen Abwesenheit, der Bedrohung der physischen und letztendlich psychischen Existenz. Gegenstand dieser Hausarbeit ist die Frage nach dem Unheimlichen. Anhand der Schriften von Sigmund Freud uber das Unheimliche, sowie uberTrauer und Melancholie soll geklart werden, warum und auf welche Art und Weise die Filme von Andrej Tarkowskij ein Gefuhl des Unheimlichen erwecken. Besonderer Fokus liegt dabei auf seinem 1979 erschienenen Film Stalker (CTa^Kep).

1.3 Stalker (Cra^Kep)

Basierend auf dem Roman „Picknick am Wegesrand" von den Brudern Arkadi und Boris Strugazki schuf Andrej Tarkowskij 1978 mit Stalker seinen wohl bekanntesten Film. Unter der Anleitung des Straflings und Wiederholungstaters Stalker werden ein Professor und ein Literat in einen militarisch abgeriegelten Sperrbezirk gefuhrt. Die Zone ist ein Ort des Verfalls, des Untergangs und der Ruckeroberung durch die Natur. Verlassene Industrieanlagen tauchen im Nebel auf, Wracks von sowjetischen Panzern und Hubschraubern ragen ausverwilderten Wiesen hervor. Lagerhallen, Schornsteine, Bahnschienen, Burokomplexe; all das verschwindet unter der Vegetation, zeigt Risse und Verwahrlosung. Es ist eine Szenerie des Untergangs, eine Welt nach dem Menschen und seiner Kultur. Eine Welt, in der sich niemand mehr gegen die Natur stemmt, in der die Abgrenzung aufgehoben ist. Die Entstehung der Zone und ihrer gravitatischen Anomalien wird hierbei nicht weiter erlautert. Der Stalker, ein heimatloser, naturverbundener und spiritueller Mann fuhrt die beiden tief in die verbotene Zone. Was es in ihrer Welt nicht zu geben scheint, erhoffen sie sich hier zu finden. Der Literat sinniert in Monologen uber den Tod und die Sinnlosigkeit des Schreibens und dennoch hofft er innerhalb der Zone zuruck zu seinen Glauben zu finden. Der Professor sieht das Zurucksinken der Kultur in die Natur und will sich durch seine Forschung in der Zone einen Namen in der Wissenschaft machen. Die Zone wird somit zu einem Ort der Wunscherfullung. In seiner truben Dusternis und seinen melancholischen Ruinenlandschaften verbirgt sich in der Zone erneut Tarkowskijs Geschichtspessimismus. Der religiose Sinn zerfallt, die Trummer der Geschichte lassen keinen Platz fur eine eigene Identitat.3

2.1 Das Vertraute

In seiner Abhandlung uber das Unheimliche geht Sigmund Freud zuerst auf die asthetische Qualitat des Angst- und Grauenerregenden ein.4 Anhand der psychologischen Abhandlung von E. Jentsch beginnt Freud eine etymologische Erorterung uber den Begriff des Unheimlichen und sucht nach dem Kern des Unheimlichen, deralle Eindrucke, Gefuhle und Situationen in seinem Grundcharakterverbindet.5 Freud behauptet letztendlich das Unheimliche sei jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Langstvertraute zuruckgeht."6

Somit kann das Unheimliche nur aus dem Heimlichen, dem vertrauten Zuhause entstehen, wohl aber auch aus der vertrauten Umwelt und Natur. Doch es bedarf einer Verzerrung, einer Entfremdet des Vertrauten, damit sich das Gefuhl des Unheimlichen einstellen kann.

„Zum Neuen und Nichtvertrauten muss erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen macht."7

Genau das passiert bei Tarkowskijs Stalker. Aus der Industrielandschaft wird die Zone. Zu den verschmutzten Waldern und Wiesen kommt etwas Neues hinzu, dazu aber spater mehr. Jentsch Auffassung, dass das Unheimliche aus einem Gefuhl der intellektuellen Unsicherheit entspricht unterstutzt Freud nicht. Jentsch behauptet, dass

„Je besser ein Mensch in der Umwelt orientiert ist, desto weniger leicht wird er von den Dingen und Vorfallen in ihr Eindruck und Unheimlichkeit empfangen."8

2.2 Das Verborgene

Freud geht in seiner Abhandlung weiter und spricht dem Unheimlichen etwas Verstecktes, etwas Geheimnisvolles und Verborgengehaltenes zu. Somit wohnt dem Vertrauten, dem altbekannten Heim etwas Anderes inne. Offen bleibt hierbei jedoch, ob es sich um eine materielle Entitat handelt, oder ob sich dieses Verborgengehaltene auf eine subjektive geistliche Natur wie Assoziationen und Erinnerungen stutzt.9

„Unheimlich sei alles, was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist."10 (S. 236)

Anhand der Erzahlung von ETA Hoffmann „Der Sandmann" behandelt Freud die Frage nach der Beseeltheit und Unbeseeltheit von leblosen Objekten und schreibt dieser Unsicherheit ein Gefuhl des Unheimlichen zu.11 Freud stellt die Frage nach der realen und der phantastischen Welt leitet daraus die Gefuhle des Unheimlichen in der Realitat und der Fiktion ab. Gleichzeitig zeigt er auf, dass das Gefuhl der intellektuellen Unsicherheit, wie Jentsch es definiert, alleine nicht ausreichend ist um ein Gefuhl des Unheimlichen entstehen zu lassen.

„Eine intellektuelle Unsicherheit leistet uns also nichts fur das Verstandnis dieser unheimlichen Wirkung."12

2.3 Die Angst

Freud verfahrt weiter mit seinen Motiven der Kastrationsangst, der zufalligen Wiederholung des Gleichartigen und der Analyse von ETA Hoffmanns Sandmann. Erorterungen, die fur diese Ausarbeitung jedoch nicht weiter relevant sind. Interessant wird es spater als Freud auf die kindlichen Angste zu sprechen kommt.

„Wie das Unheimliche der gleichartigen Wiederkehr aus dem infantilen Seelenleben abzuleiten ist, kann ich hier nur andeuten..."13

[...]


1 Vgl. Tarkowskij, Andre: Sculpting in Time S. 202

2 Vgl. Tarkowskij, Andre: Sculpting in Time S. 203ff

3 Vgl. Tarkowskij, Andre: Stalker DVD

4 Vgl. Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 229

5 Vgl. Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 230, 231

6 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 231

7 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 231

8 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 231

9 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 235

10 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 236

11 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 237, 238

12 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 242, 243

13 Freud, Sigmund: Das Unheimliche S. 251

Fin de l'extrait de 12 pages

Résumé des informations

Titre
Das Unheimliche in Tarkovskys "Stalker"
Université
Leuphana Universität Lüneburg  (Kulturwissenschaften)
Cours
Psychoanalytische Literatur- und Filmtheorien
Note
1,3
Auteur
Année
2011
Pages
12
N° de catalogue
V273221
ISBN (ebook)
9783656653301
ISBN (Livre)
9783656653288
Taille d'un fichier
474 KB
Langue
allemand
Mots clés
Stalker, Film, Tarkowskij, Russland, Ästhetik, Freud, Sigmund, Unheimlich, Theorie, Natur, Mystik
Citation du texte
Matthias Jessen (Auteur), 2011, Das Unheimliche in Tarkovskys "Stalker", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273221

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