Leseprobe
Inhalt
1. Einführung in die Thematik
2. Motive der Einführung von Work-Life-Balance-Maßnahmen und Hemmnisse ihrer Realisierung
3. Allgemeine Auswirkungen von Work-Life-Balance- Maßnahmen auf Unternehmen und Beschäftigte
3.1. Ergebnisse der internationalen Forschung
3.2. Ergebnisse der deutschen Forschung
4. Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
1. Einführung in die Thematik
In dieser Arbeit geht es um Work-Life-Balance-Maßnahmen oder auch um Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben und nicht nur um Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn die zuerst genannten Begrifflichkeiten ermöglichen es, alle Beschäftigten mit einzubeziehen. Sie beschränken sich und begrenzen die vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen nicht nur auf Familien, wie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der familienfreundlichen Personalpolitik. Work-Life-Balance-Maßnahmen werden damit als Instrumente einer umfassenderen betrieblichen Personalpolitik verstanden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird als ein Teil der Work-Life-Balance-Thematik verstanden. Dies ist ebenfalls so zu begründen, dass bestimmte Maßnahmen, die oft ausschließlich als familienfreundlich eingestuft und untersucht werden, für alle Gruppen von Erwerbstätigen nützlich sein können, wenn sie schon für Beschäftigte mit Kindern vorteilhaft sind.
Work-Life-Balance-Maßnahmen werden unterschieden als alle Maßnahmen, die die Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben schaffen, bzw. unterstützen. Im Prinzip können dies daher sogar solche Maßnahmen sein, die eine besseren Balance, also einen besseren Ausgleich von Arbeit und Leben ermöglichen, aber ursprünglich nicht dafür eingeführt wurden, sondern beispielsweise aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Deshalb werden alle Maßnahmen eingeschlossen, die die Balance von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit, Privatleben, also auch Familie, Freizeit, individuelle Lebensplanung etc. betreffen: Im „Kern geht es dabei um personalpolitische Strategien zur besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben.“[1] Und man kann den Begriff noch weiter ausdehnen. Kastner (2004) hält es sogar für „sinnvoll, die Balance nicht nur auf den Ausgleich von Arbeits- und Privatleben zu beziehen, sondern auf das Austarieren von belastenden und erholenden Aktivitäten in beiden Handlungsbereichen“[2], also auf einen Ausgleich von Anspannung und Entspannung. Er hält die Unterscheidung von Investition und Konsum anstatt Arbeit und Freizeit für sinnvoller, und dann geht es um einen „Ausgleich von investiven und konsumtiven Tätigkeiten.“[3] Ein Arbeitsloser hätte damit keine Balance, weil er nicht einmal die Möglichkeit des Versuchs hat, einen Ausgleich zwischen Arbeit und Leben herzustellen. Letztendlich kommt es auf den einzelnen Beschäftigten an: Work-Life-Balance ist Work-Life-Balance, wenn das Verhältnis von Arbeit und Leben als balanciert empfunden wird.
Problematisch an dem Begriff der Work-Life-Balance ist zunächst einmal die implizite Trennung von Arbeit und Leben, als ob die Arbeit nicht zum Leben gehören würde. Doch auch die Arbeit gehört zum Leben, ob selbstbestimmt oder fremdbestimmt. Des Weiteren wird der Arbeitsbegriff oft unscharf benutzt und/oder sehr weit ausgeweitet, so dass auch das Leben zur Arbeit wird: „Die Gestaltung des Alltagslebens zu einer verlässlich funktionierenden Lebensführung ist zu einer komplexen, individuellen Leistung, zu einer Arbeit eigener Art geworden.“[4] Daher wird unter Arbeit im Folgenden Erwerbsarbeit verstanden und unter Leben das außerberufliche und außerbetriebliche Privatleben, das zwar beim Begriff der Work-Life-Balance hinter der Arbeit verortet wird, dessen Gegenwart aber doch implizit als zumindest gleichwertig angesetzt wird.
Es ist zu erwarten, dass Work-Life-Balance-Maßnahmen, zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit/Beruf und Leben/Familie, eine immer größer werdende Bedeutung zukommen wird und zwar sowohl für Unternehmen als auch für die Beschäftigten.
Für die Beschäftigten wird die Herstellung einer Work-Life-Balance immer wichtiger, weil die Arbeit für einige Teile der Bevölkerung, nämlich für Vollzeitbeschäftigte, zunehmend das Leben dominiert. Für sie nimmt die Arbeit in ihrer Intensität stark zu, so stellt Opaschowski (2004) die Arbeitsformel: „0,5 x 2 x 3“ auf, „d.h. die Hälfte der Mitarbeiter verdient doppelt so viel und muss dafür dreimal so viel leisten wie früher.“[5] Die arbeitsfreie Zeit kann dann letztlich nur zur Reproduktion der Arbeitsfähigkeit genutzt werden. Das Verhältnis der Bereiche Arbeit und Leben wird dadurch immer spannungsreicher. Mit globalisierten Märkten und zunehmender Bedeutung von Technik und Information werden räumliche und zeitliche Grenzen immer unbedeutender. Um auf den Markt und den Kunden reagieren zu können, wird die Arbeitszeit immer flexibler gestaltet und ausgedehnt, außerdem kann und muss vieles gleichzeitig bearbeitet werden.
Die Anforderungen der Arbeit dehnen sich zunehmend in die angrenzenden Bereiche des Lebens aus. Beide Lebensbereiche Arbeit und Leben diffundieren. Das Privatleben wird in der Folge ebenfalls rationell eingerichtet, es wird an marktförmigen Rationalitäten orientiert oder anders: es kommt zu einer „Kolonialisierung der Lebenswelt.“[6]
Eine völlige Dominanz der Arbeit im Leben der Individuen, zu starker Stress und/oder Dauerstress im Beruf, eine permanente Überlastung[7] und die Angst vor Entlassung ermöglichen höchstens kurzfristig eine Mehrleistung von den ArbeitnehmerInnen, langfristig ist mit Fehlentscheidungen, Demotivation und innerer Kündigung zu rechnen. Soziale und partnerschaftliche Probleme, körperliche und psychische Störungen oder Krankheiten nehmen zu.
Die Work-Life-Balance-Problematik ist ebenfalls in Bezug auf Entwicklungen wie der Flexibilisierung der Arbeit,[8] die in aktuellen Diskursen mittels Konzepten wie der Entgrenzung[9] und der Subjektivierung[10] thematisiert wird, von Bedeutung. Denn gerade vor diesem Hintergrund wird eine erfolgreiche Work-Life-Balance, eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben verstärkt notwendig. Denn es wird für die Beschäftigten immer schwerer Arbeit und Leben/Freizeit/Familienzeit etc. abzugrenzen.
Für Unternehmen werden Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben ihrer Beschäftigten aus Gründen der demographischen Entwicklung ebenfalls zunehmend wichtiger. Um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen sie ihre Attraktivität bei qualifizierten Beschäftigten in einem immer enger werdenden Arbeitsmarkt erhalten. Aktuelle Forschungen rechnen nämlich mit einer Alterung der Gesellschaft. Prognosen zufolge kommt es zu einem Bevölkerungsrückgang bis zum Jahre 2050 von aktuell 82 Mio. auf ca. 70 Mio. bei einer Steigerung der Lebenserwartung. 2050 stehen doppelt so viele ältere Menschen wie heute Personen im Erwerbsalter gegenüber. Gleichzeitig ist mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotentials von aktuell ca. 42 Mio. auf 25 bis 35 Mio. zu rechnen, wodurch eine Erhöhung des Defizits an qualifizierten Fach- und Führungskräften zu erwarten ist.[11] Auch Veränderungen der Familienstrukturen, wie späte Familiengründungen und weniger kinderreiche Familien bei mehr Kinderlosen, verstärken diesen Effekt. Wenn Unternehmen als familienfreundliche Unternehmen gelten, indem sie eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ermöglichen, kann dies als Anreiz für qualifiziertes Personal gelten zu diesem Unternehmen zu gehen und sich an ebendieses zu binden.[12]
Weiterhin können Konflikte zwischen der Arbeit und dem Privatbereich die Mitarbeiter so belasten, dass Konflikte im Privatleben entstehen. Dies kann dann negative Konsequenzen für das Unternehmen nach sich ziehen. So kann vermehrter Stress auf der Arbeit auch Stress in der Partnerschaft begünstigen, der sich wiederum negativ auf die Arbeit auswirkt wie erhöhte Fehlzeiten und unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen. Schließlich könnte eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie das teilweise rückläufige Arbeitskräfteangebot durch verstärkte Erwerbstätigkeit von Frauen auffangen.
Work-Life-Balance-Maßnahmen sind also für Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen interessant, versprechen sie doch einerseits den Beschäftigten eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit/Beruf und Leben/Familie ermöglichen zu können und andererseits den Unternehmen Kosten zu vermeiden, die aus einer Dysbalance von Arbeit und Leben ihrer MitarbeiterInnen resultieren wie solche durch erhöhte Fehlzeiten, einen Arbeitsplatzwechseln usw. oder sogar einen darüber hinausgehenden Nutzen zu schaffen.
Ob Work-Life-Balance-Maßnahmen tatsächlich einen derartigen Nutzen bringen können, soll der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sein.
In Literaturarbeit soll der dokumentierte Stand der Forschung bezüglich Work-Life-Balance-Maßnahmen und ihrer Auswirkungen mittels aktueller und relevanter Studien dargestellt werden. Beachtet und analysiert werden dabei schwerpunktmäßig empirische Arbeiten, die sich mit vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen und familienfreundlicher Unternehmens- und Personalpolitik und ihren Auswirkungen beschäftigen.
Neben empirischen Studien aus Deutschland werden außerdem internationale Studien angeführt, allerdings eher zurückhaltend, aufgrund der problematischen Übertragbarkeit.[13]
Beachtet wurden generell nur als „wissenschaftlich“ einzustufende Arbeiten. Die vielen populärwissenschaftlichen Texte, oft mit konkreten Handlungsanweisungen für Betroffene, wurden bewusst ignoriert.
Es gibt viele Möglichkeiten und Ansätze sich der Work-Life-Balance-Thematik zu nähern, über die Genderproblematik,[14] über Arbeitslosenproblematik,[15] über den medizinischen Zugang,[16] über die Freizeitforschung[17] oder einen politischen Zugang[18] etc. Um zu untersuchen, ob Work-Life-Balance-Maßnahmen so nützliche Auswirkungen haben wie oben beschrieben, oder welche Auswirkungen sie überhaupt haben, sollten sie nicht nur auf ethische, moralische und politische Kriterien hin beobachtet und bewertet werden, sondern auf ihre wirtschaftlichen Auswirkungen, Vorteile und nutzenstiftenden Dimensionen im Allgemeinen und die Kosten und Nachteile, die aus ihnen folgen. So ist es vorteilhaft, die Auswirkungen von vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen auf die Unternehmen als betriebs-wirtschaftliche Kosten oder Nutzen zu unterscheiden. Gerade auch um sie für Organisationen, die betriebswirtschaftlichen Kalkülen unterliegen, bzw. auf betriebswirtschaftliche Kalküle hin ihre Umwelt beobachten und deren Entscheidungen daran ausgerichtet werden, in ihrer betriebswirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit darzustellen und interessant zu machen.[19]
Eine verbesserte Vereinbarkeit kann durch diverse Arbeitszeitmodelle, Veränderungen der Arbeitsorganisation und Arbeitsorte, Gesundheitsprogramme etc. hergestellt werden. Aus der Masse von Work-Life-Balance-Maßnahmen wurden für diese Arbeit nur solche herausgefiltert, die von Unternehmen praktiziert werden, die schon als außerordentlich familienfreundlich gelten und von der berufundfamilie gGmbH als solche „zertifiziert“ wurden.[20] Um die Maßnahmen auf ihre konkreten Auswirkungen hin besser analysieren zu können, ist es vorteilhaft diese in thematischen Kategorien zusammenzufassen. Zu unterschei-den sind im Folgenden drei Gruppen von Maßnahmen:
1. Primäre Maßnahmen: Als primäre Maßnahmen sollen solche unterschieden und verstanden werden, die direkt die Beschäftigten und ihre Arbeit betreffen. Also Faktoren wie die Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsabläufe, Arbeitsinhalte und Arbeits-organisation. Das wären beispielsweise Maßnahmen wie Jobsharing, Teamarbeit, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, wie Arbeitszeitmodelle, Telearbeit, also auch Maßnahmen für eine altersadäquate Arbeitszeit und solche für eine familienfreundliche Organisation der Arbeit
2. Sekundäre Maßnahmen: Sekundäre Maßnahmen sind solche, die wichtig für die zweckvolle Umsetzung primärer Maßnahmen sind und Einfluss auf diese haben oder auch nach dem Einsatz primärer Maßnahmen eingesetzt werden, etwa zur Wiedereingliederung. So ist eine Informations- und Kommunikationspolitik mit ihrer Information über angebotene Maßnahmen, die Unternehmensphilosophie mit der grundlegenden Haltung des Unternehmens und die Führungskompetenz entscheidend am Erfolg und der Umsetzung der Maßnahmen beteiligt. Durch Personalentwicklungs-maßnahmen, wie Wiedereingliederungsmaßnahmen, werden die Qualifikationen der Beschäftigten nach Work-Life-Balance-Gesichtspunkten an betriebliche Bedürfnisse angepasst und der Wiedereinstieg erleichtert. Diese Gruppe von Maßnahmen ist also eher Mittel zum Zweck der optimalen Umsetzung der primären Maßnahmen
3. Unterstützende Maßnahmen: Zu dieser Gruppe gehören Maßnahmen zur finanziellen und sozialen Unterstützung der Mitarbeiter wie Kinderbonusgeld, Kinderbetreuungs-möglichkeiten, Gesundheitsprogramme und Haushaltsservice. Diese Maßnahmen betreffen nicht direkt die Arbeit. Sie haben ergänzenden Charakter und eine unterstützende Wirkung.
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[1] Badura et al., 2004: S. V
[2] Kastner, 2004: S. 3
[3] Kastner, 2004: S. 8
[4] Kudera, 2000: S. 83
[5] Opaschowski, 2004: S. 438
[6] Habermas, 1981
[7] Teilweise auch durch Total Quality und Just-in-Time-Produktion, wenn diese ein Betriebsklima schaffen, das von ständig anhaltendem Alarm und Notfall geprägt ist.
[8] Vgl. allgemein Sennett, 2000
[9] Vgl. Gottschall & Voß, 2003 auch Kratzer, 2003
[10] Vgl. Moldaschl & Voß, 2002
[11] Vgl. Rost, 2004: S. 16f. auch Engelbrech, 2002
[12] Vgl. Rost, 2004: S.16
[13] Siehe dazu auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend u. a., 2003a: S.11
[14] Vgl. Metz-Göckel, 2004
[15] Vgl. Kuhnert, 2004
[16] Vgl. Lümkemann, 2004
[17] Vgl. Opaschowski, 2004
[18] Vgl. Kuhn, 2004
[19] Dies scheint besonders in einer Zeit wichtig zu sein, in der wirtschaftliche Kriterien alle anderen Gründe zu dominieren scheinen, so geben 44 % der im Auftrag der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung (2003) befragten Unternehmen fehlende finanzielle Mittel als Hindernis zur Einführung von familienfreundlichen Maßnahmen an, weitere Hemmnisse sind die konjunkturelle Krise und mangelnde Zeit und das obwohl 90 % der Unternehmen an der Thematik interessiert sind (Vgl. Gemeinnützige Hertie-Stiftung, 2003: S. 28).
[20] Zu solchen Unternehmen gehören Adidas-Salomon AG, Standort Herzogenaurach, Commerzbank, DaimlerChrysler AG, Werk Wörth, Dresdner Bank, Echter GmbH, Gerhard Rösch, INOSOFT AG, Techniker Krankenkasse als Beispiele von Unternehmen, die ein Zertifikat besitzen, was über das Grundzertifikat hinausgeht, dass heißt die Umsetzung ihrer Zielvorgaben wurde nach einem 3 jährigen Prozess überprüft. Daraufhin wurden sie Re-Auditiert und besitzen das Zertifikat zum Audit berufundfamilie, mit dem ihnen bestätigt wird, dass sie eine familienbewusste Personalpolitik praktizieren und um eine Balance von Beruf und Familie bemüht sind. Im Grundzertifikat dagegen wurde die Auditierung erfolgreich durchgeführt und ein Prozess angestoßen um weiterführende Zielvorgaben zu erreichen. Eine Liste zertifizierter Unternehmen findet sich unter http://www.beruf-und-familie.de/index.php?c=audit.unternehmen