Qualitätsmanagement und prekäre Beschäftigung in den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge


Trabajo Universitario, 2013

54 Páginas


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschung und Weiterbildung

3. Das System der Integrationskurse
3.1 Gesetzliche Grundlagen
3.2 Das Ziel der Integrationskurse
3.3 Der Umfang der Integrationskurse
3.4 Die Lehrkräfte

4. Die prekäre Beschäftigung in den Integrationskursen
4.1 Die Zone der Prekarität
4.2 Staatlich verordnete Prekarität
4.3 Die Auswirkungen der Prekarität auf Kurserfolg und Kursqualität

5. Das Qualitätsmanagement des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
5.1 Die Zulassung der Träger: Antrag und Punktekatalog
5.1.1 Rahmenbedingungen für den Unterricht
5.1.2 Die Vergütung im Zulassungsantrag
5.1.3 Das Qualitätsmanagement der Träger im Zulassungsverfahren
5.2 Plan und Markt in der Entwicklung der Integrationskurse
5.3 Die Bewertungskommission
5.3.1 Die Ziele der Kommission
5.3.2 Die Besetzung der Kommission
5.3.3 Das Thema Vergütung in den Sitzungen der Kommission
5.3.4 Wahres Wissen - opportunes Wissen

6. Die Evaluationen der Integrationskurse
6.1 Das Gutachten der Firma Rambell aus dem Jahr2006
6.2 Das Kurzgutachten zum Finanzierungssystem der Integrationskurse
6.3 Eine alternative Deutung
6.4 Das Integrationspanel
6.4.1 Die Fragestellungen des Panels
6.4.2 Die Erhebung der Daten
6.4.3 Selbst-Evaluation anstelle von Fremd-Evaluation
6.5 Die Messung der Erfolge der Integrationskurse
6.5.1 Der Output des Programms
6.5.2 Der Outcome der Integrationskurse

7. Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Abkürzungen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Eine „Erfolgsgeschichte“ - so bezeichnen die Verantwortlichen und Mitglieder der Bundesregierung regelmäßig das Programm der Integrationskurse für Zuwande­rer in Deutschland. Unter einem anderen Blickwinkel sehen das Programm die Lehrkräfte in diesen Deutschsprachkursen: Von „Hungerlöhnen“ ist die Rede (DaZ-Netzwerk NRW: 1). Diese Unstimmigkeit will die vorliegende Arbeit untersu­chen. Denn: Wie wäre eine beklagenswerte Bezahlung der Lehrkräfte mit einer erfolgreichen sprachlichen Bildung in den Deutschkursen für Migranten in Deutschland vereinbar?

Entweder ist die Bezahlung weniger beklagenswert als dargestellt oder die Erfolgsgeschichte ist lediglich eine Behauptung ohne sicheres Fundament. Denn unwahrscheinlich ist, dass Lehrkräfte in Sprachkursen mit einem Netto-Stunden- lohn von 3.50 Euro aufwärts (GEW 2012: 9) eine Erfolgsgeschichte hervorbrin­gen, die diese Bezeichnung verdient.

Gefragt werden soll also: Ist die Vergütung und die Beschäftigung der Lehr­kräfte so nachteilig, wie es ihre Vertreterinnen darstellen? Und sind die Integrati­onskurse erfolgreich und an welchem Kriterium misst sich dieser Erfolg? Ist es möglich, mit Monatsgehältern an der Armutsgrenze eine gute Bildungsarbeit zu leisten? Und was bedeutet „gut“ und „erfolgreich“ in diesem Zusammenhang? Diesen beiden Fragen will diese Arbeit in Ansätzen beantworten.

Dazu betrachtet die Arbeit das System der „Integrationskurse“ und versucht zunächst die Frage zu klären, inwieweit die Beschäftigungssituation der Lehr­kräfte unzureichend genannt werden kann.

In Bezug auf den Erfolg der Kurse wird das Qualitätsmanagement des verant­wortlichen Bundesamts für Migration dargestellt und sein Verhältnis zu der For­derung nach einer besseren Vergütung für die Lehrkräfte.

Zum Schluss werden als Teil des Qualitätsmanagements des Bundesamts drei Gutachten zum System der Integrationskurse ausführlich besprochen, um zu klären, wie erfolgreich die Integrationskurse und wie schwierig die Situation der Lehrkräfte sich in diesen Gutachten darstellen. So kann die Frage geklärt wer­den, ob mit einer von vielen Lehrkräften als unzureichend charakterisierten Ver­gütung ein erfolgreiches Programm sprachlicher Integration erwartet werden kann.

Mit dem Begriff „Integrationskurs“ ist in dieser Arbeit der Deutschkurs in dem System der Integrationskurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gemeint. Der sich an diese Sprachkurse anschließenden Orientierungskurs behandelt landeskundliche Fragen; dieser Orientierungskurs ist nicht Gegen­stand dieser Arbeit[1]. Ebenfalls ausgeschlossen sind die sogenannten Berufs-Inte­grationskurse, die aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert werden.

Mit „Qualitätsmanagement“ werden hier alle Maßnahmen gefasst, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Sicherung der Qualität in den Inte­grationskursen durchführt - also ein staatliches Regime von Kontrolle, Begutach­tung, Evaluation und Konzeption durch das BAMF. Das hat seinen Grund darin, dass das Bundesamt einem unabhängigen System von Qualitätsmanagement wenig Bedeutung zumisst und sein eigenes Qualitätsmanagement in den Vorder­grund stellt.

2. Forschung und Weiterbildung

Redet man von Bildung, ist Schluss. Denn der Begriff der Bildung garantiert nach Luhmann zuverlässig einen Reflexionstopp (Luhmann 2002: 186). Dieser Reflexionstopp schützt die Kommunikation im Erziehungssystem zuverlässig vor ausgreifenden Diskussionen und Erwägungen. Bildung ist - wie Gott in der Religion - nicht weiter zu erörtern, es sei denn, der Glaube daran fehle.

Der Reflexionstopp hat - zumal in Deutschland - lange dafür gesorgt, dass Systeme der Bildung, zumal der Schule und Hochschule, immunisiert waren gegen die Zumutungen anderer gesellschaftlicher Teilsysteme. Die Frage des Wirtschaftssystems nach den Kosten von Bildung spielten diese Systeme routi­niert mit dem Vorwurf einer zerstörerischen Ökonomisierung ihres Arbeitsberei­ches zurück; die Zumutungen der Politik auf die Vorwegnahme der lebenslangen Chancengleichheit schon in der Schule, wurden von den Eltern hingenommen, weil diese Zumutungen in der Praxis die stark sozialselektive Funktion der Bil­dung zwar schwächten, aber nicht ernsthaft außer Kraft setzen konnten (Becker: 160).

Affiziert von dem Heiligen des deutschen Bildungsbegriffs sind auch die ver­wandten Begriffe wie Weiterbildung, Erwachsenenbildung und lebenslanges Ler­nen. Man glaubt an sie; Fragen nach ihren Begründungen und ihrer Funktion sind möglich, werden aber nicht einmal in den Wissenschaften bis heute nachdrück­lich gestellt.

Mit der „zuckersüßen Kontingenzformel“ Bildung (Luhmann 2002: 188) sind also auch die Begriffe „Weiterbildung“ oder „Erwachsenenbildung“ angereichert. Aus diesem Grund werden in der öffentlichen Meinung auf diesen Arbeitsfeldern die dort vorherrschenden „hochgradig atypischen Beschäftigungsverhältnisse“ mit „prekären Beschäftigungslagen“ (Dobischat u. a.: 47) nicht in Verbindung gebracht[2]. Zu zeigen ist dies insbesondere für die Beschäftigungsverhältnisse in dem Bereich derWeiterbildung. Zu vermuten ist, dass auch hier derdeutsche Bil­dungsbegriff diesen Bereich des Erziehungssystems abschattend im Dunklen lässt: Schon Karl Kraus formulierte: „Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davor steht“ (Kraus:126).

So wie die prekären Beschäftigungsverhältnisse ausgeblendet werden, so auch der Zusammenhang von prekärer Beschäftigung und Qualität im Bereich der Weiterbildung. So plausibel es scheint, dass kurzfristige, unsichere und unterdurchschnittlich bezahlte Arbeitsverhältnisse zulasten der Qualität dieser Arbeiten gehen müssen, so wenig findet sich in der wissenschaftlichen Literatur eine grundlegende Untersuchung der Auswirkungen von prekärer Arbeit im Bereich der Weiterbildung und der beruflichen Bildung. Prekäre Arbeit und atypi­sche Beschäftigungsverhältnisse haben weder einen Platz in Systemen des Qua­litätsmanagements noch in Studien zur beruflichen Weiterbildung. Den For­schungsstand zum Gesamtbereich der Beschäftigung in der Weiterbildung bezeichnen die Autoren der Expertise „Beschäftigung in der Weiterbildung“ als „hochgradig defizitär infolge einer fragmentarischen Datenlage“. (Dobischat u. a.: 48). Auch die Expertise von Dobischat kann für sich nur einen „explorativen exemplarischen Charakter“ (Dobischat u. a.: 5) in Anspruch nehmen und kontras­tiert vor allem die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in der allgemeinen Wei­terbildung mit denen dersogenannten Privatwirtschaft.

Eine defizitäre Datenlage, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und ein unge­sichertes Wissen, ob oder wie diese prekären Beschäftigungslagen die Qualität im Bereich der Weiterbildung beeinflussen, kennzeichnen also den Stand der Forschung. Es liegt nahe, sich insbesondere dem Bereich der öffentlich finanzier­ten Weiter- oder beruflichen Bildung zuzuwenden; hier sind die statistischen und evaluatorischen Erhebungen dokumentiert und können öffentlich eingesehen werden. Hier sind in der Regel auch standardisierte Verfahren der Qualitätssiche­rung etabliert, in denen eine systematische Reflexion der Lehrleistungen erfolgen soll. Hier ist analog zur Ansammlung von Benutzerdaten im Internet ein Bereich der „Big Data“ kostengünstig zu erschließen und auszuwerten.

Zu denken wäre an die mit öffentlichen Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten beruflichen Weiterbildungen, da diese regelmäßig von den Trägern im Rahmen ihres Qualitätsmanagements Evaluationen der Maßnahmen fordert und dokumentiert. Noch besser geeignet für eine erste Annäherung an den Zusammenhang von prekären Beschäftigungslagen und Qualität erscheint die Weiterbildung von Zuwanderern im Rahmen der Integrationskurse des Bundes­amts für Migration und Flüchtlinge.

Diese Deutschsprachkurse sind im Bereich Bildung angesiedelt, ihre Durch­führung obliegt einer Behörde des deutschen Innenministeriums, dem Bundes­amt für Migration und Flüchtlinge. Dieser Aspekt sichert eine genaue Dokumenta­tion der Unterrichtsleistungen, der Teilnahme der Lerner und der Leistungen der Kursleiter. Statistisch erfasst werden sowohl die Bedingungen, unter denen die Kurse stattfinden und ausgewertet werden als auch die Kursergebnisse im Rah­men einer am Kursende stattfindenden Zertifikatsprüfung mit bundeseinheitlichen Standards. Die genaue Erfassung jedes Kurses, jedes Kurseilnehmers und Kurs­leiters, jedes Kursraumes und jedes Trägers mitsamt seines Qualitätsmana­gement-Systems und seinen Honorarvergütungen generiert im Zulassungsver­fahren eine breite Datenbasis im internen System des BAMF. Hypothesen bei­spielsweise des Zusammenhangs von Honorarhöhe und Kurserfolg lassen sich hier statistisch leichter untersuchen.

3. Das System der Integrationskurse

Deutschsprachkurse für Zuwanderer sind in Deutschland nicht neu; allerdings wird für die Sprachkurse - wie schon in vielen europäischen Ländern - mit dem neuen Zuwanderungsgesetz im Jahr 2005 ein „ordnungspolitischer Akteur“. (Hartkopf: 124) zuständig: das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit dem Innenministerium als Aufsichtsbehörde, das bis zu diesem Zeitpunkt über keiner­lei Erfahrung mit Sprachkursen besaß.

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Die Integrationskurse sind im Wesentlichen Deutschsprachkurse für Migrantinnen und Migranten in Deutschland; der anschließende Orientierungskurs umfasst noch einmal 45 Unterrichtstunden und soll über Politik, Gesellschaft, Staat, Geschichte und Kultur Deutschlands aufklären.

Die Integrationskurse sind verankert im Zuwanderungsgesetz (§ 43 ff.), das am 01.01.2005 in Kraft trat. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Sprachförderung im Sozialrecht, im Sozialgesetzbuch III in den Paragrafen zur Arbeitsförderung (§ 419 ff.) verankert; diese Förderung wird nun auch Bestandteil des Aufenthalts­rechts:

Der Integrationskurs ist ein feststehender Begriff, der durch seine Etablierung im Aufenthaltsgesetz ein spezifisches Angebot des Bundes zur Förderung der Integration von Zuwander/innen darstellt. In diesem Sinne ist der Integrationskurs ein Grundangebot des Bundes zur Erreichung des Sprachniveaus B1 und zur Erlangung von Wissen über Kultur, Geschichte und Recht in Deutschland und basiert auf der Philosophie des Förderns (Unterrichtsangebot) und Forderns [meine Hervorhebung] (Erwartung des Zielniveaus B1 in einer vorgegebenen Zeit, Eigenbeiträge bei der Finanzierung). Er ist ein eigenständiges und klar definiertes Angebot des Bundes, das unter eindeutig dargelegten Bedingungen umgesetzt wird (Bundesministerium des Innern 2006, 164-165).

Der hier formulierte Anspruch auf eine „Philosophie des Förderns und Forderns“ verweist auf die Reformen im Zuge der Agenda 2010, die unter dieser Maxime mit den sogenannten Hartzreformen das Problem der Massenerwerbslosigkeit zu lösen versucht. Mit dem Angebot der Integrationskurse wird die Bildungspflicht für Erwachsene fortgeführt; wie schon auf Grundlage des SGB III können nun Zuwanderer auch aufgrund des Zuwanderungsgesetzes zur Teilnahme am Sprachkurs verpflichtet werden. Dies betrifft zurzeit (2012) ca. 38 % der Teilneh­mer mit einer Verpflichtung nach dem Aufenthaltsgesetz. 15 % sind zur Teil nahme im Rahmen der Arbeitsförderung verpflichtet und ca. 1 % werden als so titulierte Altzuwanderer von den Ausländerbehörden zur Teilnahme verpflichtet.

Damit sind mehr als die Hälfte der Teilnehmer in den Kursen verpflichtet; diese Quote gilt für den gesamten Zeitraum seit der Einführung der Integrations­kurse (BAMF2012d:2).

3.2 Das Ziel der Integrationskurse

Das Ziel der Integrationskurse in der Bundesrepublik Deutschland wird im Aufenthaltsgesetz bestimmt:

Ziel der Integrationskurse ist, Zugewanderte an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte Deutschlands so heranzuführen, dass sie ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbstständig handeln können (§ 43 Abs. 2 AufenthG).

So äußerst umfassend -“in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens“, so unrealistisch erscheint deswegen hier ein Bildungsziel als ein gesetzli­cher Auftrag[3].

Dieser Überschätzung der Möglichkeiten von Lernprozessen und deren gesetzlichen Festlegung im Aufenthaltsgesetz folgt deren Relativierung in der Integrationskursverordnung des Bundesministerium des Innern:

(2) Über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nach Absatz 1 Nr. 1 verfügt, wer sich im täglichen Leben in seiner Umgebung selbstständig sprachlich zurechtfinden und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann (Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) (§ 3 Abs. 2 IntV).

Hier wird zwar der Unterschiedlichkeit der Zielgruppe Rechnung getragen („in seiner Umgebung“ und „entsprechend seinem Alter und Bildungsstand“), die umfassenden Bestimmungen aus dem Aufenthaltsgesetz werden jedoch durch das Ziel und Kriterium „Niveau B1“ unverrückbar festgeschrieben. An dieser Festschreibung, an der sich alle Integrationskurse ausrichten müssen, wird das umfassende Ziel aus dem Aufenthaltsgesetz in Frage gestellt.

Denn das B1-Niveau als Zielmarke der Sprachkurse erlaubt eben dies nicht: „ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbstständig handeln können“ (§ 43 Abs. 2 AufenthG). Das Ziel B1 des Gemeinsamen Referenzrahmen (GER) des Europarats definiert ein unteres Mit­telmaß an sprachlichen Fertigkeiten:

B1: Ich kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Ich kann vielen Radio- oder Fernsehsendungen über aktuelle Ereignisse und über Themen aus meinem Berufs- oder Interessengebiet die Hauptinformation entnehmen, wenn relativ langsam und deutlich gesprochen wird (Langenscheidt-Verlag 2006: 2).

Kursteilnehmende, die das Sprachniveau B1 erreicht haben, können das Wichtigste verstehen, wenn einfache Sprache verwendet wird und es um vertraute Themen (Arbeit, Schule etc.) geht. Sie können außerdem einfach und zusammenhängend über vertraute Themen sprechen, über Erfahrungen, Ereignisse, Träume und Wünsche berichten und kurze Erklärungen geben (Europarat 2001b: 25).

Hier zeigt sich bereits die grundlegende Inkonsistenz des ganzen Verfahrens: Das Aufenthaltsgesetz setzt überfordernde Ziele, die Integrationskursverordnung relativiert diese Ansprüche in Hinblick auf Alter und Bildungsstand, um sie dann in ein objektives Lern- und Kursziel des sprachlichen Mittelmaßes zu überführen. Den anspruchsvollen Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes kann sie nicht gerecht werden und auch nicht den Unterschieden innerhalb der großen Gruppe von Zuwanderern, wenn sie ein Ziel für alle bindend vorschreibt[4]. Diese Inkonsis­tenz von überzogenen Ansprüchen und abstraktem Lernziel ohne Abschätzung der Möglichkeiten der Kursteilnehmer gilt in keinem anderen Bildungssystem. In den Integrationskursen wird Bildung verordnet, ohne Ansehen der Personen und auch ohne Einflussmöglichkeit der Zielgruppe auf die Lerninhalte und -ziele. Die Berücksichtigung des konkreten Umfelds in der Integrationsverordnung erscheint somit als bloße Semantik ohne formale Relevanz.

In diesem starren Rahmen bleiben die Erfolge interpretationsbedürftig: Das Gutachten der Firma Rambell im Jahr 2006 hielt langfristig eine Erfolgsquote von 60% der Kursteilnehmer (BAMF 2006: 175) für möglich. Die Integrationskurssta­tistik weist für das Jahr 2012 eine Quote von 61,6% aus; diese Quote bezieht sich allerdings auf die Prüfungskandidaten und nicht auf die Kursteilnehmer in diesem Zeitabschnitt.

Für die Zeiträume von 2005 bis 2012 ist die Erfolgsquote weniger überzeugend (BAMF 2008a: 14; BAMF 2008b: 12; BAMF 2010b: 11;BAMF 2012c: 12):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[5]

Der durchschnittliche Erfolg (gemessen am B1-Niveau) liegt also bei nur 53%; nimmt man die Gesamtzahl aller Teilnahmeberechtigten (917.503) in diesem Zeitraum (BAMF 2012c: 1), reduziert sich der Erfolg weiter auf 31%. Angesichts dieser Zahl wäre wohl kaum noch von einer „Erfolgsgeschichte“ zu reden.

3.3 Der Umfang der Integrationskurse

Die jährliche Integrationskursstatistik des Bundesamts für Migration und Flücht­linge gibt detailliert Auskunft über die Integrationskurse. Vom Beginn der Integra­tionskurse im Jahr 2005 bis heute haben ca. 1,1 Millionen Zuwanderer einen Integrationskurs besucht (BAMF 2012c: 2). Die vom BAMF ausgestellten Teilnah­meberechtigungen sanken dabei vom Jahr 2005 mit ca. 215.000 Berechtigungen jährlich auf ca. 120.000[6] im Jahr 2012 (BAMF 2012c: 3).

Im Zeitraum 2005 bis 2012 wurde ca. 65.000 Integrationskurse begonnen und ca. 40.000 beendet (BAMF 2012c: 9) die Zahl der Kursträger beträgt zu Zeit ca. 1.300 (BAMF 2012c: 14).

Die mit den Integrationskursen beauftragten Träger sind zu ca. einem Drittel Volkshochschulen, ein Fünftel sind Sprach- und Fachschulen und ein Zehntel Bil­dungswerke oder Bildungswerkstätten (BAMF 2012c: 8); ein Hinweis auf eine möglicherweise hohe Fluktuation unter den Trägern findet sich für das Jahr 2007: 512 der zugelassenen Träger haben in diesem Jahr keinen Integrationskurs durchgeführt und verloren ihre Zulassung (BAMF 2008a: 3).

Die mittlerweile etablierten verschiedenen Integrationskursarten verteilen sich wie folgt: Ca. drei Viertel sind allgemeine Integrationskurse, ein Zehntel sind Alphabetisierungskurse, in denen Deutsch und das lateinische Alphabet vermit- -11- telt werden soll, etwas ein Zehntel besteht aus Frauen- und Elternintegrationskur­sen. Die restlichen Kursarten (Förder-, Intensiv- und Jugendintegrationskurse) machen für den gesamten Zeitraum nurje etwa 1 Prozent aus (BAMF 2012c: 4).

Die Kurse weisen mit einem Frauenanteil von ca. 66% für das Jahr 2012 eine deutliche Tendenz auf (BAMF 2012c: 5). Bis Ende September 2012 verzeichnete die Statistik 854.000 Kursteilnehmer, ca. 1.130.000 Zuwanderer hatten bis dahin Teilnahmeberechtigungen erhalten (BAMF 2012c: 2-3); ein Viertel der Berechtig­ten hatte demnach keinen Kurs belegt.

3.4 Die Lehrkräfte

Die Lehrkräfte sind in der Integrationskursstatistik des BAMF nicht aufgeführt. Die Daten über die Lehrkräfte sind spärlich. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ im Jahr 2010 wird die Zahl der Lehr­kräfte mit 15.683 angegeben, 13310 (85%) davon seien weiblich; 12.077 (77%) Lehrkräfte besäßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Wie viele davon ergän­zenden Leistungen aus dem Bereich des Sozialgesetzbuches II erhielten, sei unbekannt (Deutscher Bundestag 2010: 12).

Die Studie des Bundesamts aus dem Jahr 2011 (Schuller u. a.) weist ähnliche Zahlen vor: Der Anteil der weiblichen Lehrkräfte betrage 80% in den Kursen, das Durchschnittsalter liege bei 45 Jahren und 36 Prozent der Lehrkräfte stamme nicht aus Deutschland (Schuller u. a.: 81). 68 Prozent der Kursleiterinnen spre­chen als Erstsprache Deutsch (Schuller u. a.: 81). Die Kursleiterinnen besitzen als Hochschulabschluss zu 15 Prozent das 2. Staatsexamen oder eine vergleich­bare Lehrbefähigung (Schuller u. a.: 82).

Ansonsten bleibt die die Sozialstruktur der Lehrkräfte im Dunkeln; zwar diffe­renziert das Kurzgutachten der Firma Rambell (BAMF 2009) die Gruppe in Leh­rerinnen, Freiberuflerinnen und Absolventinnen verschiedener Fachrichtungen und spricht recht ungenau davon, „dass es sich bei der Mehrzahl der Lehrkräfte um Frauen handelt, die mit ihrer Tätigkeit einen ergänzenden Beitrag zum Haus­haltseinkommen leisten, bzw. eine weitere ... Tätigkeit finanziell »unterfüttern«“ (BAMF 2009: 8). Konkrete Zahlen nennt das Gutachten nicht; bemerkenswert ist auch, dass das Gutachten außer dem Hinweis, dass man diese Angaben aus Gesprächen gewonnen habe, keine weiteren Zahlen zum Umfang der Beschäfti­gung in den Kursen gibt. Auch das Bundesamt erhebt keine Daten zu der Art der Beschäftigungsverhältnisse der Lehrkräfte (Bundestag 2011b: 3). Wie auch schon im Gutachten von 2006 (BMI 2006) sind die Lehrkräfte nicht Gegenstand einer statistischen oder sozialstrukturellen wissenschaftlichen Befassung, obwohl sie im Gutachten aus dem Jahr 2006 als einer der wichtigsten Faktoren für den Kurserfolg gewertet werden (BMI 2006: 147).

Zusammenfassend wäre die typische Lehrkraft in einem Integrationskurs weiblich, würde in 2 von 3 Fällen als Erstsprache Deutsch sprechen und wäre 45 Jahre alt. Über ihren familiären, finanziellen und sozialen Status erfahren wir nichts.

In dieser systematisch analytischen Vernachlässigung der Lehrkräfte zeigt sich das staatliche Qualitätsmanagement des Bundesamts konsequent: So führt das BAMF auch keine Erhebungen über die Fluktuation der Lehrkräfte in den Kursen durch (Deutscher Bundestag 2011: 18), obgleich dies anhand der umfangreichen Daten des Bundesamts vergleichsweise unkompliziert möglich wäre. Dies würde einen Anhaltspunkt über die Attraktivität der Beschäftigung lie­fern.

Es entsteht somit bei der Lektüre der Evaluationen der Eindruck, dass alles vermieden wird, die Lehrkräfte in die Nähe problematischer Beschäftigungsver­hältnisse zu rücken, in der sie aber durchaus zu verorten sind, wie im folgenden Kapitel 4 gezeigt wird.

4. Die prekäre Beschäftigung in den Integrationskursen

Die Begriffe „prekär“, „Prekarität“ und „Prekariat“ stammen aus einer sich kritisch verstehenden Gesellschaftswissenschaft. Mit dem Ausdruck „prekäre Beschäfti­gung“ ist im Wesentlichen ein von Unsicherheiten bedrohtes Arbeitsverhältnis gemeint: Prekär sind Beschäftigungsverhältnisse, wenn sie unterdurchschnittlich bezahlt, rechtsunsicher und von deutlicher Perspektivlosigkeit durch fehlende Rechtsansprüche und Sicherheitsgarantien geprägt sind (Brinkmann u. a.: 17).

Mit dem Begriff „prekäre Lebenslage“ (Kraemer: 243) ergibt sich eine umfas­sendere Beschreibung einer Lebenssituation, die sich aus einer prekären Beschäftigung ergeben kann, aber nicht ergeben muss. Der Begriff „prekäre Beschäftigung“ ist umfangreicher als „atypische Beschäftigungen“ oder „unterbe­zahlte Arbeit“. Er umfasst Arbeits- und Lebenslagen unter der Bedrohung des sozialen Ausschlusses und dem Bewusstsein einer ungewissen und ungesicher­ten Zukunft. (Kraemer: 245).

Aus diesem Grund widersetzt sich der Begriff einer einfachen Objektivierbar- keit. Prekär ist nicht arm, sondern eher ein Schwebezustand zwischen Armut und Wohlstand, er korrespondiert auch nicht direkt mit Strukturen sozialer Ungleich­heit und verweist in seiner subjektiven Dimension auf eine gefühlte Prekarität, die mittlerweile auch Teile des wohlhabenden Mittelstands erfasst. Wenn so zwi­schen einer prekären Erwerbslage und einer prekären Lebenslage unterschieden werden kann, so machten gerade die subjektiven Bestimmungen einer gefühlten Prekarität die prekären Beschäftigungsverhältnisse aus: Gerade die Rechts- und Perspektivenunsicherheit einer prekären Beschäftigung lassen die Beschäftigten nicht unbeeindruckt außerhalb ihrer eigentlichen Tätigkeit; und auch eine Entloh­nung oberhalb der Armutsgrenze kann die Lebenslage eines Beschäftigten nach­haltig zu einer prekären machen, wenn diese Tätigkeit zeitlich begrenzt und eine berufliche Anschlussmöglichkeit nicht gegeben ist (Kraemer: 250-252).

An dieser Stelle soll zunächst gefragt werden, wie sich die Situation der Lehr­kräfte in den Integrationskursen in die Beschreibung einer prekären Beschäfti­gung einordnen lässt, um dann fragen zu können, welche Konsequenzen prekäre Beschäftigung und prekäre Lebenslagen auf die Qualität des Unterrichts und damit auf die Qualität der Integrationskurse haben könnten. In den Studien und Stellungnahmen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird der Begriff „prekär“ nicht benutzt; denn defizitäre Arbeitsbedingungen angesichts der Auf­gabe der sprachlichen Integration von bisher über eine Millionen Zuwanderern würde das Kursangebot wohl in die Nähe der strukturellen Diskriminierung von Zuwanderern rücken[7].

4.1 Die Zone der Prekarität

Von prekärer Beschäftigung waren 2005 in der Bundesrepublik Deutschland ca. jeder sechste Arbeitnehmer betroffen. Die „Zone der Prekärität“ stellen sich nach Brinkmann wie folgt da (Brinkmann u. a.: 57) :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Zone der prekären Beschäftigung (Brinkmann u.a.: 57)

Die einzelnen Felder der Prekarität sind hier doppelt bestimmt: einmal über die absolute Höhe des Monatseinkommens und noch einmal über die Gefühle als Reaktion auf ein ungesichertes Arbeitsverhältnis („keine/keine anhaltenden/Frus­trationsgefühle“).

Die Einordnung der Lehrkräfte in den Integrationskursen mithilfe der Höhe des monatlichen Einkommens der Lehrkräfte in Integrationskursen fällt eindeutig aus. Das Kurzgutachten von Ramb0ll Deutschland hatte für das Jahr 2009 fol­gende Berechnung aufgestellt (BAMF 2009: 15):

[...]


[1] Kritisch zur Praxis und den Resultaten der Orientierungskurse: Hartkopf (2010) und Kaden (2012).

[2] Genauso prekär ist der gesamte Weiterbildungsbereich: Nur 14 % (142.000 Perso­nen) verfügen über ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Über 74 % (771.000 Personen) sind in diesem Sektor als Honorarkräfte oder Selbständige tätig (Dörre 52).

[3] Instruktiv hier die Frage nach der Übertragung auf die hier Geborenen: Welcher Mut­tersprachler würde beispielsweise „ohne Hilfe Dritter“ das deutsche Steuerrecht oder die Allgemeines Geschäftsbedingungen eines Versandhändlers verstehen?

[4] Im Zusammenhang mit den Integrationskurse ist auch hier instruktiv ein hypotheti­scher Vergleich mit den bundesrepublikanischen Verhältnissen. Was würde die Öffentlichkeit in Deutschland sagen, wenn ein Bildungsministerium als Ziel die mittlere Reife für alle Bundesbürger bis zum 18. Lebensjahr festlegen würde?

[5] 01.-09.2012- nur die ersten drei Quartale des Jahres sind bis heute statistisch ausge­wiesen

[6] extrapoliert: Vom 01.01 .-20.09.2012 beträgt die Zahl ca. 90 Tausend

[7] Die Frage, ob prekär beschäftigte Kursleitende nicht in Widerspruch zu der von der Politik geforderten Willkommenskultur stehen, ist bislang in der Öffentlichkeit undebat- tiert geblieben.

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Detalles

Título
Qualitätsmanagement und prekäre Beschäftigung in den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Curso
Qualitätsmanagement, prekäre Beschäftigung, Integrationskurse, Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Autor
Año
2013
Páginas
54
No. de catálogo
V273455
ISBN (Ebook)
9783656656678
ISBN (Libro)
9783656656661
Tamaño de fichero
759 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
qualitätsmanagement, beschäftigung, integrationskursen, bundesamtes, migration, flüchtlinge
Citar trabajo
Günter Riecke (Autor), 2013, Qualitätsmanagement und prekäre Beschäftigung in den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273455

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