Soziale Voraussetzungen und Dynamiken von Revolten und Protestbewegungen

Vergleichende Diskussion mit Bezug auf die theoretischen Ansätze von Albert O. Hirschman und Niklas Luhmann


Trabajo, 2012

21 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Albert O. Hirschman – Engagement und Enttäuschung
2.1. Die Theorie
2.2. Soziale Voraussetzungen und Dynamiken

3. Niklas Luhmann - Soziologie des Risikos
3.1. Die Theorie
3.2. Soziale Voraussetzungen und Dynamiken

4. Vergleichende Schlussbemerkungen

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Stuttgart 21, die Occupy-Bewegung, „stoppt ACTA“ und nicht zuletzt der sog. arabische Frühling - dies sind nur die aktuellsten Beispiele für Revolten und Protestbewegungen. Egal ob es sich um den Bau eines neuen Bahnhofs, Flugzeuglärm, Datenschutzgesetzte oder gar eine unterdrückende Regierung handelt: Proteste sind Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden.

Weltweit gehen Menschen auf die Straße um zu protestieren. Doch wodurch kommt es zum Protest? Genügt Unzufriedenheit oder Enttäuschung um Revolutionen zu starten? Was treibt Menschen an, auf diese Weise am öffentlichen Leben teilzunehmen?

Zur Beantwortung dieser Fragen sollen die Theorien zweier Autoren vorgestellt werden, die das Phänomen des Protests von ganz unterschiedlichen Ausgangs-punkten zu erklären versuchen. Beginnend mit Albert O. Hirschman, der in seinem Buch Engagement und Enttäuschung – Über das Schwanken der Bürger zwischen Privatwohl und Gemeinwohl wirtschaftliche Aspekte mit sozialwissenschaftlichen vereint, wird die These erläutert, dass eine zyklenähnliche Hinwendung vom privaten Konsum zur Teilnahme am öffentlichen Leben (unter anderem zum Protest) existiert, welche sich nicht zuletzt aufgrund von Enttäuschungen vollzieht. Nach dieser eher ökonomischen Analyse wird Niklas Luhmanns Kapitel über Protestbewegungen, aus dessen Buch Soziologie des Risikos, Einblicke in den systemtheoretischen Ansatz ermöglichen.

Diese ganz verschiedenen Sichtweisen sollen dem Leser dieser Hausarbeit einen Überblick darüber geben, welche sozialen Voraussetzungen für die Entstehung von Revolten und Protestbewegungen notwendig sind und welche Dynamiken sich aus ihnen entwickeln können.

2. Albert O. Hirschman – Engagement und Enttäuschung

Hirschmans Überlegungen wurden durch dessen Beobachtung motiviert, dass auf die Phase der intensiven öffentlichen Beteiligung, in Form von zahlreichen Streiks und Demonstrationen im Jahr 1968, ein Rückzug aus dem öffentlichen Leben und tendenziell wieder die Hinwendung zum privaten Konsum zu verzeichnen war, wie sie vor der 68er Bewegung ebenfalls stattgefunden hatte. Er schreibt dazu:

Wesentlicher Ausdruck für den »Zeitgeist von 1968« war das überraschend auftretende, überwältigende Interesse […] für die Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Diesem neu aufkommenden Interesse war eine langanhaltende Phase individuellen wirtschaftlichen Aufschwungs vorausgegangen […]. (Hirschman 1988, S.9)

Aufgrund dieser Beobachtungen stellt er sich die Frage, die zugleich These seines Buches ist - nämlich „ob unseren Gesellschaften diese Tendenz zu Schwankungen zwischen Phasen intensiver, vorrangiger Auseinandersetzung mit öffentlichen Fragen einerseits und nahezu ausschließlicher Konzentration auf individuelles Fortkommen und private Wohlfahrt andererseits in irgendeiner Weise inhärent ist“(Hirschman 1988, S.9 f.).

Zu Beginn stellt Hirschman jedoch klar, dass es sich bei seinen Analysen nicht um Beweise handelt, welche oben gestellte Frage bejahend beantworten können. Die zyklischen Bewegungen die er zu erklären versucht, sind von zu langer Dauer, als dass man sie genau würde nachweisen können. Ebenso stellt er fest, dass „eine solche Theorie »endogen« sein [müsste], das heißt, es muß gezeigt werden können, daß eine bestimmte Phase sich mit Notwendigkeit aus der vorangehenden ergibt“(Hirschman 1988, S.10). Die hier untersuchten Bereiche, nämlich öffentliches Engagement auf der einen, und Rückzug ins Private auf der anderen Seite, lassen sich in der Regel auf äußere Einflüsse zurückführen: Militärische Ereignisse, Unterdrückung, Reformen und dergleichen führen eher zu öffentlicher Beteiligung - wirtschaftlicher Aufschwung, sowie Wirtschaftskrisen können eher zum Rückzug auf private Belange führen. Ebenso spielt das Risiko eine Rolle, welches man bei der Partizipation in Proteste eingeht. Alle diese Faktoren sind exogen. Üblicherweise werden diese exogenen Faktoren als ausschlaggebend angesehen, Hirschman hingegen richtet seine Aufmerksamkeit auf die endogenen Aspekte, die innere Motivation:

Der vorliegende Essay zielt, allgemein gesagt, darauf ab, den begrenzten exogenen Blickwinkel bisheriger Erklärungsansätze zu erweitern und zu zeigen, eine wie große Bedeutung dem kritischen Urteil der Menschen über ihre eigenen Erfahrungen und Entscheidungen bei der Bildung neuer und anderer Präferenzen zukommt. (Hirschman 1988, S.13)

Bevor nun zur konkreten Erläuterung von Hirschmans Theorien übergegangen werden kann, muss zunächst geklärt werden, wie die Begriffe öffentlich und privat in diesem Zusammenhang verstanden werden. „ Öffentliches Handeln, das öffentliche Interesse, das öffentliche Wohl – alle diese Begriffe beziehen sich auf Formen des Handelns im Bereich der Politik, auf die Teilnahme des Bürgers an Angelegenheiten des Staates oder des Gemeinwesens“(Hirschman 1988, S.13). Gleichzusetzen ist dieses Verständnis von Öffentlichkeit mit der von Aristoteles geprägten vita activa. Das Private hingegen betrachtet Hirschman nicht als Synonym zu Aristoteles’ vita contemplativa (den Rückzug aus dem politischen Leben), vielmehr untergliedert er das aktive Leben in zwei Bereiche: „Die eine ist die traditionelle vita activa, die ganz der politischen Arbeit gewidmet ist, die andere ist darauf gerichtet, sich selbst und der eigenen Familie ein besseres Leben schaffen zu wollen, wobei mit »besser« hier vor allem vermehrter materieller Wohlstand gemeint ist“(Hirschman 1988, S.13).

2.1. Die Theorie

Im Allgemeinen basiert Hirschmans Theorie auf dem Prinzip des Präferenzwandels. Wechselnde Präferenzen sind zwar vor allem in der Ökonomie ein wichtiger Bestandteil, jedoch wird nicht untersucht was diesen Wechsel zwischen verschiedenen Präferenzen herbeiführt – ob nun vom einen Gut hin zum anderen, oder eben vom Öffentlichen zum Privaten und umgekehrt. Hirschmans Antwort darauf ist simpel: Enttäuschung!

Handlungen des Konsums, wie ebenso Handlungen politischer Beteiligung, die um ihres erwarteten Befriedigungswertes willen unternommen werden, resultieren auch in Enttäuschung und Frustration. Dieses Ergebnis mag aus unterschiedlichen Gründen, auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße eintreten; doch sofern solche Enttäuschungen sich nicht vollständig in der Weise annullieren lassen, daß im gleichen Augenblick das Erwartungsniveau entsprechend gesenkt wird, trägt […] jede Form des Konsums und jede Art der Zeitverwendung den »Keim der eigenen Zerstörung« in sich. (Hirschman 1988, S.18 f.)

Die Hauptaussage besteht also darin, dass bei jeder Art von Aktivität (ob nun Konsum oder Beteiligung am öffentlichen Leben, z.B. in Form von Protest) früher oder später Enttäuschung oder Frustration einsetzt, was zu einem Wechsel der Präferenzen führt. Diese Enttäuschung basiert im Grundsatz auf der Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse. Kant formuliert dies so: „Man gebe dem Menschen alles, wonach er sich sehnt, und in demselben [sic!] Augenblikke, da er es erlangt, wird er empfinden, daß dieses Alles nicht alles sei“(Hirschman 1988, S.19; Zitat n. Karamzin 1966). Die Enttäuschung tritt immer dann ein, wenn die Erwartungs-haltung nicht mit der Realität übereinstimmt.

Was die Präferenzen und Bedürfnisse des Menschen anbelangt, so gibt es zahlreiche Modelle: Angefangen von der ökonomischen Theorie des Haushalts, bis hin zur Bedürfnispyramide der Sozialwissenschaften, nach der eine hierarchische Ordnung aller Bedürfnisse des Menschen existiert. Hirschman sind diese Theorien allerdings zu eng gefasst. Ihm zufolge „verfolgen [wir] zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens – und das kann auch für eine Gesellschaft insgesamt gelten – einige Ziele, welche dann durch andere jeweils verdrängt werden“(Hirschman 1988, S.30).

Zunächst beginnt er die genauere Ausführung der Enttäuschungen bezüglich des Konsums. Er schließt sich dabei der Aussage Simmels in dessen Philosophie des Geldes an, der zufolge das Geld als solches, frei von Enttäuschungen sei. Das Geld selbst sei ein „absolut qualitätsloses Ding“ das uns vollkommen vertraut ist und von dem man folglich auch nicht enttäuscht werden kann (vgl. Simmel 1907). Anders verhält es sich jedoch bei Gütern die man durch das Geld erwirbt. Hirschman unterscheidet weiter zwischen kurzlebigen Verbrauchsgütern, langlebigen Gebrauchsgütern und Dienstleistungen.

Hier bezieht er sich auch auf die Psychologie. Tibor Scitovsky hat in seiner Studie dazu folgendes herausgefunden:

Wenn der Grad der Erregung [des Nervensystems] zu hoch ist, führt er zu Unbehagen in Gestalt von Hunger, Durst oder körperlichem Schmerz, ist er hingegen zu niedrig, entsteht Langeweile – eine andere, eigentümlich menschliche Form von Unbehagen. Wird eine dieser beiden Arten von Unbehagen durch irgendwelche Konsumakte, die Bedürfnisse befriedigen oder Langeweile vertreiben sollen, behoben, so stellen sich sowohl » Lust empfindungen« wie auch solche des » Behagens « ein: »Lust« (pleasure) bezeichnet hier die Erfahrung des Übergangs von Unbehagen zu »Behagen« (comfort), während letzteres sich einstellt, nachdem dieser Übergang bereits vollzogen ist. Daraus ergibt sich ein gewisser Widerspruch zwischen Lust und Behagen: das Behagen muß zugunsten der Erfahrung von Lust zeitweise geopfert werden. (Hirschman 1988, S.35, Zitat n. Scitovsky 1977)

An dieser Stelle bringt Hirschman die Verbrauchsgüter ins Spiel. Damit sind all jene Güter gemeint, die durch ihren Konsum verbraucht werden, z.B. Nahrung zu Gunsten der Energiegewinnung. Diese Güter regen unentwegt lustvolle Gefühle an, da der Wunsch nach Essen immer wiederkehrt. Enttäuschungen sind hier also nicht zu erwarten. Anders verhält es sich bei den langlebigen Gebrauchsgütern: Diese erinnern durch ihr Herumstehen immer wieder daran, dass die an sie gerichtete Erwartungshaltung nicht erfüllt werden konnte. Diese Gebrauchgüter werden weiter in drei Unterkategorien aufgeteilt:

[...]

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Soziale Voraussetzungen und Dynamiken von Revolten und Protestbewegungen
Subtítulo
Vergleichende Diskussion mit Bezug auf die theoretischen Ansätze von Albert O. Hirschman und Niklas Luhmann
Universidad
University of Passau
Calificación
2,0
Autor
Año
2012
Páginas
21
No. de catálogo
V273463
ISBN (Ebook)
9783656652502
ISBN (Libro)
9783656652458
Tamaño de fichero
524 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
soziale, voraussetzungen, dynamiken, revolten, protestbewegungen, vergleichende, diskussion, bezug, ansätze, albert, hirschman, niklas, luhmann
Citar trabajo
Judith Kronschnabl (Autor), 2012, Soziale Voraussetzungen und Dynamiken von Revolten und Protestbewegungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273463

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