Solidarität im Social Web? Eine Untersuchung zu der Bedeutung jüngster cybersozialer Bewegungen in Bangladesch


Master's Thesis, 2013

178 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I Abbildungsverzeichnis

II Tabellenverzeichnis

III Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Forschungsstand und Methodik
1.3 Aufbau der Arbeit

THEORETISCHER BEZUGSRAHMEN
2 Die Theorie
2.1 Der virtuelle Raum
2.2 Solidarität
2.2.1 Begriffsgeschichte der Solidarität
2.2.2 Solidaritätsverständnis der Wissenschaft
2.2.3 Solidarität im Internet
2.2.4 Solidarität in Südasien und Bangladesch
2.2.5 Solidaritätsverständnis dieser Arbeit
2.3 Social Web und cybersoziale Bewegungen
2.3.1 Social Web
2.3.2 Social Web Anwendungen
2.3.3 Social Web bei Protestbewegungen
2.3.4 Social Web bei Krisen und Katastrophen Exkurs: Ushahidi
2.3.5 Cybersoziale Bewegungen Zwischenfazit

METHODISCHER BEZUGSRAHMEN
3 Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit
3.1 Erarbeitung der Forschungshypothesen und der Forschungsfragen
3.2 Quantitative und qualitative Forschung
3.3 Methodische Vorgehensweise
3.3.1 Online-Umfrage
3.3.1.1 Abzufragende Aspekte
3.3.1.2 Die Datenauswertung
3.3.2 Semistrukturiertes Experteninterview mit Hilfe von Leitfaden
3.3.2.1 Abzufragende Aspekte
3.3.2.2 Die Erhebung
3.3.2.3 Die Auswertung
3.3.3 E-Mail-Survey mittels standardisiertem Fragebogen
3.3.4 Kritische Auseinandersetzung mit der gewählten Methodik

KONTEXTUELLER BEZUGSRAHMEN
4 Der Kontext: Das Fallbeispiel Bangladesch
4.1 Eckdaten Bangladeschs
4.1.1 Unabhängigkeit Bangladeschs
4.1.2 Die nationale Identität Bangladeschs
4.2 Medienlandschaft in Bangladesch
4.2.1 Presse- und Meinungsfreiheit in Bangladesch
4.2.2 Internet und Social Web in Bangladesch
4.2.2.1 Internet in Bangladesch
4.2.2.2 Social Web in Bangladesch
4.2.2.3 Bangladeschische Blogosphere
4.3 Die Shahbag-Protestbewegung
4.3.1 Das Kriegsverbrechertribunal
4.3.2 Die Shahbag-Proteste
4.3.3 Kritik an den Shahbag-Protesten
4.3.4 Der Tod des Bloggers Ahmed Rajib Haider
4.3.5 Die Hefazat-Bewegung
4.4 Die Industriekatastrophe in Savar
4.4.1 Die Textilbranche in Bangladesch
4.4.2 Der Einsturz des Rana Plaza in Savar
4.4.3 Der Aktivismus freiwilliger Helfer
4.5 Zusammenfassung der vorläufig wichtigsten Erkentnisse

EMPIRISCHER BEZUGSRAHMEN
5 Darstellung und Analyse der Untersuchungsergebnisse
5.1 Ergebnisse der Online-Umfrage
5.1.1 Soziodemographische Merkmale der Teilnehmer
5.1.2 Social Web Nutzung
5.1.3 Offline- und Online-Partizipation an den Shahbag-Protesten und Hilfsmaßnahmen für Savar
5.1.3.1 Offline-Partizipation 7
5.1.3.2 Online-Partizipation
5.1.3.3 Einfluss subjektiver Faktoren auf die Partizipation
5.1.3.4 Rückkopplung zwischen Online- und Offline-Partizipation
5.1.4 Geäußerte Bereitschaft zu Solidarität
5.2 Ergebnisse der semistrukturierten Experteninterviews und E-Mail-Surveys
5.2.1 Überblick über die Interviewpartner
5.2.2 Charakteristika des Social Webs
5.2.3 Charakteristika der Aktivisten
5.2.4. Rolle des Social Webs für die jüngsten cybersozialen Bewegungen in Bangladesch
5.2.4.1 Rolle des Social Webs für Shahbag
5.2.4.2 Rolle des Social Webs für Savar
5.2.5 Zusammenspiel zwischen Social Web und traditionellen Medien
5.2.5.1 Die Rolle lokaler Medien
5.2.5.2 Die Rolle internationaler Medien
5.3.5.3 Zensur
5.2.6 Bangladeschische Identität und Solidarität
5.2.6.1 Bangladeschische Identität
5.2.6.2 Bangladeschische Solidarität
5.2.7 Zukunftsperspektiven von Social Web Anwendungen für cybersoziale Bewegungen
5.3 Zusammenfassende Betrachtung und Interpretation der Ergebnisse
5.3.1 Probleme und Grenzen der Untersuchung
5.3.2 Zusammenführung und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
5.3.3 Interpretation der Ergebnisse
5.3.4 Empfehlungen für zukünftige Forschungen

6 Fazit und Ausblick

IV Literatur

V Anhang

Abstract

Bangladesh became independent from Pakistan in 1971. Since its inception, the country has been at odds with its national identity. Although most Bangladeshis are Muslims, Bangladesh's people also share the culture and language with the Bengalis living in West Bengal, a state in India. Bangladesh is a country that is politically unstable and vulnerable to disasters due to its physical geography. In early 2013, Social Web appeared as sine qua non for the mobilization of masses and the distribution of information in the course of social movements in Bangladesh. The study identifies and analyzes the societal use and importance of social web applications for cybersocial movements. The author argues that a societal phenomenon like solidarity can arise in the cyberspace provided by the social web. The study analyses the use of social web applications looking at two case studies: on the one hand, the Shahbag movement as an example for a protest movement and, on the other, the Savar Rana Plaza Building Collapse Disaster as an example for a disaster. The Shahbag movement was a complex protest movement whose followers demanded the death penalty for those who committed war crimes during the war of independence. They additionally called for ban of the political party Jamaat- e-Islami as well as for a secular Bangladesh. The events around Savar comprised relief efforts by volunteers for the victims of the building collapse of the Rana Plaza in Savar. Previous studies have focused either on the use of social web applications during protest movements or on the use of social web applications during crises and disasters. This study seeks to tie up both aspects by using the label cybersocial movements and to analyze both events at a macro level employing a mix of quantitative and qualitative research methods. These methods comprise an online survey, semi- structured focus interviews in Dhaka as well as email surveys conducted between July and September 2013. Among the key findings is that social web applications played a crucial role in spreading the word and mobilizing masses in both case studies. Online participation increases the likelihood of offline participation in movements. In the case of the rescue efforts in Savar, it has been proven that online and offline participation are not independent from each other. A relationship between online and offline participation in that case seems, therefore, likely. Furthermore, a spontaneous formation of solidarity has been observed in the social web. Various views on and expressions of solidarity were spread and social discourse was formed. Both movements share that they are led by youth activism and also the spirit of the urban youth. The conflict over national identity has been transferred to the cyberspace of the social web. Especially the group around the urban youth that can be considered the next generation of decision makers faces questions of its national identity in the virtual space. Whether those questions can be answered and if the formed online solidarity can persist in the long run has to be questioned.

Key words: Social Web, solidarity, participation, cybersocial movements, Bangladesh, Shahbag, Savar, urban youth, national identity, censorship, freedom of speech

Kurzzusammenfassung

Bangladesch wurde im Jahr 1971 unabhängig von Pakistan. Seit der Geburt des Landes steht Bangladesch in einem Konflikt mit der nationalen Identität. Obwohl die Mehrheit der Bangladescher muslimisch ist, teilt die Bevölkerung Bangladeschs die Kultur und Sprache mit den Bengalen in Westbengalen, Indien. Bangladesch ist ein politisches instabiles Land, das auf Grund seiner physischen Geographie sehr anfällig für Katastrophen ist. Anfang des Jahres 2013 spielte das Social Web eine Schlüsselrolle für die Mobilisierung von Massen und die Informationsverbreitung im Zuge sozialer Bewegungen in Bangladesch. Die Untersuchung analysiert den gesellschaftlichen Gebrauch und die Bedeutung von Social Web Anwendungen für cybersoziale Bewegungen. Es wird untersucht, ob ein gesellschaftliches Phänomen, wie das der Solidarität, im virtuellen Raum Social Web ent­stehen kann. Dazu werden zwei Fallbeispiele aus Bangladesch herangezogen: die Shahbag-Bewegung als Beispiel für eine Protestbewegung und die Hilfsmaßnahmen für den Einsturz des Savar Rana Plaza Gebäudes in Savar bei Dhaka als Beispiel für eine Krise und Katastrophe. Die Shahbag-Bewegung war eine komplexe Protestbewegung, welche die Todesstrafe für die Kriegsverbrecher des Unabhängig­keitskrieges, ein Verbot der Partei Jamaat-e-Islami sowie ein säkulares Bangladesch forderte. Die Ereignisse um Savar waren Hilfs- und Rettungsmaßnahmen Freiwilliger für die Opfer des Rana Plaza Einsturzes in Savar. Frühere Untersuchungen fokussieren sich entweder auf den Gebrauch von Social Web Anwendungen im Kontext von Protestbewegungen oder in Bezug auf Krisen und Katastrophen. Die vorliegende Arbeit knüpft hier an, indem beide Fallbeispiele unter dem Namen cybersoziale Bewegungen zusammengefasst und mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Methoden auf der Makroebene analysiert werden: eine Online-Umfrage, semistrukturierte Expertengespräche sowie E­Mail-Surveys wurden im Zeitraum zwischen Juli und September 2013 durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass Social Web Anwendungen eine entscheidende Rolle für die Mobilisierung von Massen und Informationsverbreitung für beide Ereignisse gespielt haben. Online-Partizipation erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Offline-Partizipation an Bewegungen. Für die Hilfsmaßnahmen für Savar konnte bewiesen werden, dass Online- und Offline-Partizipation nicht unabhängig voneinander sind. Rückkopplungseffekte zwischen Online- und Offline-Partizipation sind daher wahrscheinlich. Darüber hinaus konnte die spontane Bildung von Solidarität im Social Web beobachtet werden. Verschiedene Ansichten und Solidaritätsausdrücke wurden verbreitet, sodass sich ein sozialer Diskurs bilden konnte. Beide Fallbeispiele verbindet der Aktivismus der Urban Youth. Der Konflikt um die nationale Identitätsfindung hat sich auf den virtuellen Raum des Social Webs übertragen. Insbesondere die Gruppe der Urban Youth, welche die Funktion der kommenden Entscheidungsträger des Landes zukommt, sieht sich im Social Web mit Fragen der nationalen Identität konfrontiert. Ob die entstandenen Fragen beantwortet werden können und ob sich die spontan im Social Web entstandene Solidarität nachhaltig halten kann, muss hinterfragt werden.

Schlagwörter: Social Web, Solidarität, Partizipation, Cybersoziale Bewegungen, Bangladesch, Shahbag, Savar, Urban Youth, Nationale Identität, Zensur, Presse- und Meinungsfreiheit

I Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Untersuchungsansatz der Arbeit

Abb. 2: Solidaritätsverständnis in der Wissenschaft

Abb. 3: Die wichtigsten Merkmale des Social Webs

Abb. 4: Dreiecksmodell des Social Webs

Abb. 5: Das Plakat „Facebook against every unjustice" während den Protesten in Ägypten 2011

Abb. 6: Ushahidi und die Möglichkeiten der crowdsourced crisis reports

Abb. 7: Ein Jahrzehnt digitalen Wachstums

Abb. 8: Eindrücke der Shahbag-Proteste I

Abb. 9: Eindrücke der Shahbag-Proteste II

Abb. 10: Das Bild des blutigen Preisschildes „Made in Bangladesh"

Abb. 11: Geschlechterverteilung der Teilnehmer

Abb. 12: Altersgruppen der Teilnehmer

Abb. 13: Höchster Bildungsabschluss der Teilnehmer

Abb. 14: Heimatländer der Teilnehmer

Abb. 15: Wohnorte der Teilnehmer

Abb. 16: Gebrauch von Social Web Anwendungen

Abb. 17: Art der Hauptinternetnutzung

Abb. 18: Erste Informationsquelle über die Shahbag-Proteste

Abb. 19: Erste Informationsquelle überden Savar-Hauseinsturz

Abb. 20: Teilhabe an Ereignissen in Echtzeit durch Social Web

Abb. 21: Teilnahme an den Shahbag-Protesten 1

Abb. 22: Teilnahme an den Shahbag-Protesten II

Abb. 23: Teilnahme an den Hilfsaktionen für den Savar-Hauseinsturz

Abb. 24: Offline-Partizipation an beiden Ereignissen

Abb. 25: Online-Posts über die Shahbag-Proteste

Abb. 26: Motivation zur Teilnahme an den Protesten durch Social Web im Falle der Unterstützung und Offline-Teilnahme an den Shahbag-Protesten

Abb. 27: Online-Posts über den Savar-Hauseinsturz

Abb. 28: Motivation zu Hilfs-/Rettungsmaßnahmen für Savar durch Social Web

Abb. 29: Online-Partizipation an beiden Ereignissen

Abb. 30: Einschätzung der Rolle des Social Webs für cybersoziale Bewegungen

Abb. 31: Glaube an eine faire Welt

Abb. 32: Zufriedenheit der Teilnehmer

Abb. 33: Zukunftsangst unter den Teilnehmern

Abb. 34: Streben nach staatlicher sozialer Gerechtigkeit

Abb. 35: Mitleidsempfinden unter den Teilnehmern

Abb. 36: Partizipation an den Protesten bei den Teilnehmern, die online darüber berichtet haben und Shahbag ganz oder teilweise befürworten

Abb. 37: Partizipation an den Hilfs- und Rettungsmaßnahmen für die Opfer von Savar nach Verfassen von Online-Posts

Abb. 38: Partizipation an den Hilfs- und Rettungsmaßnahmen für die Opfer von Savar nach Online­Motivation

Abb. 39: Anteil von Online-Posts nach Offline-Partizipation an den Shahbag-Protesten

Abb. 40: Anteil von Online-Posts nach Offline-Partizipation an den Hilfsmaßnahmen für Savar

Abb. 41: Hilfe und Unterstützung im Falle eines Notfalls I

Abb. 42: Hilfe und Unterstützung im Falle eines Notfalls II

Abb. 43: Verantwortungsbewusstsein für verschiedene Bevölkerungsgruppen

Abb. 44: Spenden

Abb. 45: Motivation zur Teilnahme an den Shahbag-Protesten durch Social Web im Falle einer Befürwortung der Proteste

Abb. 46: Hilfsaufrufe für die Opfer von Savar über das Social Web

Abb. 47: Hilfsaufrufe im Social Web nach Offline-Partizipation

Abb. 48: Delwar Hossain Sayeedi auf dem Mond

Abb. 49: Beispiel für die Organisation der Proteste über Facebook

Abb. 50: Beispiele für die Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Savar über Facebook

Abb. 51: Modellhafter Ansatz zu den Sozialräumen der Urban Youth Bangladeschs

II Tabellenverzeichnis c

Tab. 1: Die verschiedenen Social Web Anwendungen im Überblick

Tab. 2: Ein Vergleich von quantitativen und qualitativen Methoden

Tab. 3: Kodierschema der semistrukturierten Experteninterviews und E-Mail-Surveys der vorliegenden Arbeit

Tab. 4: Unterstützung der Shahbag-Proteste

Tab. 5: Teilnahme an den Hilfsaktionen für den Savar-Hauseinsturz

Tab. 6: Online-Posts über die Shahbag-Proteste

Tab. 7: Social Web Anwendung als Instrument zur Motivation zur Offline-Partizipation

Tab. 8: Online-Posts über den Savar-Hauseinsturz

Tab. 9: Hilfsaufrufe für Savar über das Social Web

Tab 10: Chi-Quadrat-Test zur Bestimmung einer Abhängigkeit zwischen Online- und Offline- Partizipation bei den Shahbag-Protesten

Tab. 11: Chi-Quadrat-Test zur Bestimmung einer Abhängigkeit zwischen Online- und Offline- Partizipation bei dem Hauseinsturz in Savar

Tab. 12: Freiwilligen- bzw. ehrenamtliche Tätigkeit

Tab. 13: Spenden

Tab. 14: Überblick über die Interviewpartner

III Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Seit dem Aufkommen des Phänomens Social Web fanden in der Wissenschaft, aber auch in der Bevölkerung ausgiebige Diskussionen über mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft statt (Breitenbruch 2011: 32). Gleichzeitig brachte das Aufkommen der neuen Medien auch das Versprechen einer höheren Partizipation für Regierungen, bürgerliches Engagement, neue soziale Dynamiken und die Zivilgesellschaft mit sich. Heute sind die neuen Medien aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken und stellen für viele ein Hauptkommunikationsmittel für soziale Bindungen und Interaktionen zwischen Individuen, aber auch zwischen Geschäftsleuten oder Regierungen dar (Dubai School of Government 2011a: 1; Liu und Ziemke o.J.: 2). Für soziale Bewegungen haben Medien schon immer eine zentrale Rolle gespielt, jedoch variierte die Art des Mediums im Laufe der Zeit erheblich. In der iranischen Revolution 1979 nahmen Audiokassetten und Flugblätter eine zentrale Rolle ein. Auf den Philippinen spielte eine katholische Rundfunkstation eine große Rolle in einer Bewegung gegen den damaligen Diktator Ferdinand Marcos (Agarwal et al. 2012: 107). Mit diesen Beispielen wird deutlich, dass Medien und soziale Bewegungen seit jeher zusammengewirkt haben - aber auch, dass Menschen dieses Potential gesehen und die Medien entsprechend zensiert haben.

Im 21. Jahrhundert wurde mit den so genannten cybersozialen Bewegungen (darunter zählt die Verfasserin nach Agarwal et al. 2012 sowohl soziale und Protestbewegungen als auch Ereignisse um Krisen und Katastrophen im Social Web) eine bisher neue Art von gesellschaftlichen Engagement zum Vorschein gebracht (ebd.: 107).[1]Die Internet- und Kommunikationstechnologien des 21. Jahrhunderts ebnen neue Wege für Meinungsfreiheit und den Umgang mit Zensuren. Das Internet ermöglicht, Meinungen zu Religion, Politik, Kultur oder anderen Bereichen kundzutun (Rudel 2009: 13; Van de Donk et al. 2004: 1). Der Erfolg von cybersozialen Bewegungen ist abhängig von der Mobilisierung von Menschen, die über Kommunikation und der Verbreitung von Informationen erzielt werden kann (Saeed et al. 2008: 524). Der Einsatz von den neuen Medien bei sozialen Bewegungen ist nur schwer zu untersuchen „because of the very nature of social movements" (Van de Donk et al. 2004: 3).

Seit dem Jahr 2009 wird das Social Web als Phänomen mit starkem Bedeutungszuwachs gesehen: In diesem Jahr wurde der Flugzeugabsturz in den Hudson River New Yorks zunächst über Twitter gemeldet bevor der Nachrichtensender CNN das Unglück bekannt gab. Im Jahr 2009 waren Facebook und Twitter relevante Quellen, um über die Präsidentschaftswahl in Iran und die Aussschreitungen informiert zu werden.[2]Im Jahr 2009 fand ebenso zum ersten Mal die Übertragung einer Pressekonferenz über Facebook statt und das Word twittern wurde in das Standardwerk des Duden aufgenommen (Schlüter und Münz 2010: 9). Diese große gesellschaftliche Bedeutung wird auch darin sichtbar, dass Portale wie YouTube und Flickr für hohe Geldbeträge die Eigentümer wechseln (Kilian, Hass und Walsh 2008: 4). Zuletzt machte der Kauf der Blog-Plattform Tumblr durch Yahoo für 1,1 Milliarden US-Dollar Schlagzeilen (Hohensee und Matthes 2013: o.S.).

Diese gesellschaftliche Bedeutung gibt allerdings noch keinen Aufschluss über den Stellenwert, den das Social Web für gesellschaftliche Bewegungen hat. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit „Solidarität im Social Web? Eine Untersuchung zu der Bedeutung jüngster cybersozialer Bewegungen in Bangladesch" soll dies exemplarisch an zwei Bewegungen in Bangladesch, die als Fallbeispiele dienen sollen, analysiert werden.

1.1 Zielsetzung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit möchte den Einsatz und die Bedeutung von Social Web Anwendungen bei gegenwärtigen cybersozialen Bewegungen in Bangladesch untersuchen. Als Grundlagen für die Untersuchung wurden zwei Fallbeispiele aus Bangladesch gewählt: Die Ereignisse um die so genannte Shahbag-Bewegung (als Beispiel für eine Protestbewegung) und die Ereignisse um den Hauseinsturz in Savar (als Beispiel für eine Industriekatastrophe) sollen die Basis dieser Arbeit sein.[3]Das Ziel ist es, zu untersuchen, ob den Social Web Anwendungen eine große Bedeutung hinsichtlich Partizipation und Solidarität für die beiden Ereignisse zukommt (vgl. Kapitel 3.1.). Bangladesch eignet sich nach Ansicht der Verfasserin besonders für diese Untersuchung, da es politisch instabil ist (daher ,Nährboden' für soziale Bewegungen bietet) und auf Grund seiner Physiogeographie sehr anfällig für Katastrophen ist (daher besonders interessant für Katastrophenvorsorge/-hilfe ist) (vgl. Shepherd et al. 2013: 7ff.).

1.2 Forschungsstand und Methodik

Es lassen sich eine Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen unterschiedlicher Fachdisziplinen ausfindig machen, die die Bedeutung des Social Web für Protest- und soziale Bewegungen untersuchen. Dazu zählen beispielsweise Untersuchungen, die sich auf kollektives Handeln durch Social Web Anwendungen beziehen (z. B. Spier 2011). Teil dieser Reihe von wissenschaftlichen Publikationen sind auch Arbeiten, die sich auf Länder mit eingeschränkter Presse- und Meinungsfreiheit konzentrieren. So lässt sich eine Vielzahl von Forschungen finden, die sich auf die so genannte Twitter-Revolution und die Vorgänge in Iran im Jahr 2009 sowie auf die Bedeutung des Social Webs im Rahmen des Arabischen Frühlings beziehen (beispielsweise Al Nashmi et al. 2010; Ghannam 2011; Hafez 2011; Howard und Hussain 2013; Lehmann 2009; Martens 2012; Milz 2011; Penke 2012 oder Rudel 2009). In gleicher Weise lassen sich eine Reihe von Werken aus unterschiedlichen Disziplinen finden, die sich mit der Nutzung von Social-Web-Anwendungen bei Krisen und Katastrophen beschäftigen (beispielsweise Boulos et al. 2011; Bruns et al. 2012; Díaz et al. 2010; Gupta und Kumaraguru 2011; Mills et al. 2009; Palen 2008; Reuter et al. 2011b oder Taylor et al. 2012). Alle dieser genannten Arbeiten beziehen sich jedoch entweder auf die Bedeutung von Social Web bei sozialen und Protestbewegungen oder auf die Bedeutung bei Krisen und Katastrophen. Hier möchte die vorliegende Arbeit anknüpfen, indem sie die verschiedenen Arten der Bewegungen miteinander verknüpfen möchte.

Nach Breitenbruch (2011: 33) setzen wissenschaftliche Publikationen, die Einfluss und Folgen des Social Webs analysieren wollen, auf drei verschiedenen Untersuchungsebenen an: Analysen, die auf der Makroebene ansetzen, fragen beispielsweise durch die Untersuchung von E-Government nach dem Einfluss auf Staaten und politische Systeme. Auf der Mesoebene wird nach Folgen für Organisationen und politische Grupperungen sowie nach Potentialen für eine bessere Aktivitätenkoordination gefragt. Auf der Mikroebene wird z. B. der Einfluss von Social Web auf die individuelle politische Partizipation untersucht (ebd.: 33). Nach Ansicht der Verfasserin fehlen Arbeiten, die cybersoziale Bewegungen im Allgemeinen untersuchen und den Sprung auf die „Makroebene" wagen, indem sie die Bedeutung von cybersozialen Bewegungen und mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft untersuchen (vgl. Abb. 1). Dort möchte diese Arbeit ansetzen und analysieren, ob eine gesellschaftliche Entwicklung wie die Entstehung von Solidarität im virtuellen Raum Social Web stattfindet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Untersuchungsansatz der Arbeit (Eigene Darstellung 2013)

Um möglichst viele Facetten aufzugreifen, ist nach Ansicht der Verfasserin ein Methoden-Mix aus quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen sinnvoll. Die Methodik der Arbeit verfolgt einen empirisch-analytischen Ansatz und stützt sich sowohl auf eine quantitative, deskriptive Erhebung (mittels Online-Umfrage) als auch auf qualitative, interpretierende Erhebungen (mittels Experteninterviews und E-Mail-Suryes). In Anbetracht der noch recht jungen und dynamischen cybersozialen Bewegungen in Bangladesch gestaltet es sich als schwierig, aktuelle und zuverlässige Quellen über die Bewegungen selbst als auch über die Nutzung der Social Web Anwendungen zu finden. Daher stützt sich die Beschreibung des Kontextes auf Online-Zeitungsartikel, Kommentare und Blogbeiträge.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit gliedert sich insgesamt in vier Teile: Zunächst werden ein theoretischer Bezugsrahmen und der methodische Bezugsrahmen hergestellt, bevor sich der Kontext der Arbeit und die empirische Untersuchung anschließen. Auf Basis einer ausgiebigen Literaturanalyse soll der erste Teil das theoretische Gerüst der Arbeit darstellen und die Thematik einordnen (Kapitel 2). Geographisch knüpft die Arbeit an Überlegungen von partizipativer Internetkultur und an plurilokale Gemeinschaftsbildung über das Social Web an. Die Verfasserin ist der Ansicht, dass auch das Social Web als Raum gesehen werden kann, in dem Gesellschaftsentwicklungen stattfinden. Der geographische Bezugsrahmen soll über Überlegungen zum virtuellen Raum, in den das Social Web eingeordnet werden kann, hergestellt werden (Kapitel 2.1). Eine Annäherung an den Begriff der Solidarität sowie Anmerkungen zu der bisherigen Solidaritätsforschung und Solidarität im Internet folgen diesen Überlegungen. In einem weiteren Unterkapitel zu Solidarität in Südasien und Bangladesch wird dargestellt, dass sich die Solidaritätsforschung aus Europa nicht einfach auf den bangladeschischen Kontext übertragen lässt (Kapitel 2.2). Da in der Arbeit die Bedeutung des Social Webs und Social-Web-Anwendungen analysiert werden sollen, werden auch grundsätzliche Überlegungen zum Social Web sowie gängige Social Web Anwendungen und deren wichtigste Funktionen vorgestellt. Danach werden bisherige Untersuchungen zu dem Einsatz von Social Web bei sozialen und Protestbewegungen sowie bei Krisen und Katastrophen präsentiert. Der theoretische Bezugsrahmen schließt mit einer Vorstellung dessen ab, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit unter dem Ausdruck cybersoziale Bewegungen verstanden wird, sowie mit einem Zwischenfazit der bisherigen Erkenntnisse (Kapitel 2.3).

Es folgt der methodische Rahmen mit Ausführungen zu dem Forschungsdesign der Arbeit (Kapitel 3). In einem ersten Unterkapitel werden zunächst die Forschungshypothesen und Forschungsfragen geschildert (Kapitel 3.1). Darauf folgt einige grundlegende Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Forschung (Kapitel 3.2). In einem weiteren Unterkapitel wird die methodische Vorgehensweise der Arbeit vorgestellt (Kapitel 3.3). In diesem Rahmen werden Anmerkungen zu dem Methoden-Mix der Arbeit, den gewählten Methoden der Arbeit (Online-Umfrage, semistrukturiertes Experteninterview mit Hilfe von Leitfaden, E-Mail-Survey mittels standardisiertem Fragebogen) sowie zur kritischen Auseinandersetzung mit der gewählten Methodik gegeben. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der methodischen Vorgehensweise (Kapitel 3.4).

Im Kontextteil der Arbeit soll das Fallbeispiel Bangladesch näher betrachtet werden (Kapitel 4). Zunächst erscheint es der Verfasserin wichtig, einige Eckdaten zum Land, Informationen zu der Unabhängigkeit Bangladeschs sowie zu der nationalen Identität zu geben, da sie für das weitere Verständnis der jüngsten cybersozialen Bewegungen in Bangladesch von Bedeutung sind (Kapitel 4.1). Es folgen Ausführungen zu der Medienlandschaft Bangladeschs (Kapitel 4.2), da diese Aufschluss darüber geben kann, welche Bedürfnisse hinsichtlich der Berichterstattung und Informationsverbreitung noch unbefriedigt sind. Bevor Anmerkungen zu der Internetverbreitung sowie zu Social Web Anwendungen und der Blogosphere in Bangladesch gemacht werden, wird auf die Verbreitung klassischer Medien in Bangladesch eingegangen. Auch die Presse- und Meinungs­freiheit in Bangladesch soll als Teil dieses Unterkapitels näher beleuchtet werden. In einem nächsten Schritt versucht die Arbeit, die Ereignisse um die Shahbag-Bewegung (Kapitel 4.3) und den Haus­einsturz in Savar (Kapitel 4.4) zu erläutern. In einem weiteren Unterkapitel wird der Kontextteil zusammengefasst (Kapitel 4.5). Der empirische Rahmen der Arbeit folgt mit der Darstellung und Auswertung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse (Kapitel 5). Dabei werden auch Probleme und Grenzen der Arbeit aufgezeigt. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem Ausblick (Kapitel 6).

THEORETISCHER BEZUGSRAHMEN

2 Die Theorie

Im Folgenden soll der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit hergestellt werden. Zu klären sind der geographische Bezug der Arbeit zu dem virtuellen Raum sowie die Begrifflichkeiten Solidarität und Social Web. Zusätzlich relevante Grundlagen werden mit den für die Arbeit relevanten Social Web Anwendungen, dem Einsatz von Social Web bei Protestbewegungen sowie bei Krisen und Katastrophen und dessen geschaffen, was im Rahmen der Arbeit unter dem Begriff cybersoziale Bewegungen verstanden werden soll.

2.1 Der virtuelle Raum

Zu beobachten ist, dass oft „räumliche Begriffe" benutzt werden, um das Internet zu beschreiben (Becker 2004: 109; Pott et al. 2004: 12). So ist bei Bross et al. (2008: 271) beispielsweise zu lesen: „Nirgends ist es einfacher, seine tatsächliche Identität zu verschleiern, als im öffentlichen Raum des Internets". Diese räumliche Konnotation überrascht in dem Sinne, als dass das Internet „doch häufig gerade als Raumüberwinder oder Entgrenzungsmedium verstanden" (Pott et al. 2004: 12) wird. Diese räumliche Prägung ist auch bei dem englischen Äquivalent zum virtuellen Raum, cyberspace, zu finden, den Fuchs (2006: 275) als technologisch vermittelten Raum und Marktplatz sieht sowie folgendermaßen definiert:

Cyberspace is a global technologically mediated space of cognition, communication, and co-operation, a sphere of production, reproduction, and circulation of human knowledge. It is inherently networked, decentralized, and dynamic. Besides being a big marketplace, it is also a medium of political interaction.

Raum steht seit einigen Jahren sowohl fächerübergreifend als auch interdisziplinär wieder im Interesse der Wissenschaft. Gerade in den soziologischen und sozialgeographischen Raumdebatten lassen sich in den vergangenen Jahren eine Reihe Gemeinsamkeiten finden (Schilling und Vietze 2013: 216; Pott et al. 2004: 13). Besonders Raum als Sozialraum wird zunehmend interessant. KREß (2010: o.S.) definiert den Sozialraum folgendermaßen:

Der Sozialraum bezeichnet somit den gesellschaftlichen Raum und den menschlichen Handlungsraum. Das Raumverständnis reduziert sich dabei nicht mehr nur auf einen verdinglichten Ort (der Raum als Objekt), sondern wird erweitert durch die Vorstellung eines von handelnden Akteuren (Subjekten) konstituierten Raumes.

Auch das Social Web kann als Sozialraum angesehen werden. Der Sozialraum Social Web bezieht sich nicht nur auf den physisch-materiellen Raum; bei dieser Raumperspektive stehen soziale Bedeutungen und Zusammenhänge, wie Beziehungen und Interaktionen innerhalb eines Raumes im Mittelpunkt (ebd.: o.S.). Nach Becker (2004: 120) unterscheiden sich virtuelle Räume von „real­materiellen" Räumen insofern, als dass in Bezug auf die Anordnung von Dingen und Menschen ,reale' Räume stärker vorstrukturiert sind und einen geringeren Eigenanteil an Konstruktionsarbeit des Individuums erfordern als ,virtuelle' Räume (Becker 2004: 120).

Nach Wagner et al. (2011: 3) ist der Sozialraum die wichtigste Dimension von Partizipation.

2.2 Solidarität

Solidarität ist schon immer ein zentrales Thema der Soziologie gewesen und weckt in den vergangenen Jahren ein wachsendes Interesse in der Forschung (Tranow 2012: 11f.). So sieht der französische Soziologe Emile Durkheim Solidarität „als Zement, der die Gesellschaft zusammenhält" (Braun 2007: 6; dazu auch Tranow 2012: 13). Mit „Solidarity.com?" fragte Townsend (2000: 396) bereits Anfang des neuen Jahrtausends nach dem Einfluss des Internets auf Solidarität. Er beschränkte sich in seiner Publikation jedoch auf Klasse und kollektives Handeln.

2.2.1 Begriffsgeschichte der Solidarität

Historisch ist Solidarität ein moderner Begriff, da erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in modernen Industriegesellschaften die Frage nach Integration gestellt werden könne (Dallinger 2009: 22; Bayertz und Boshammer o.J.: 2; Braun 2007: 7). Sprachgeschichtlich gehen die Wurzeln des Begriffs („obligatio in solidum" = Schuld für das Ganze; das Adjektiv „solidus" bedeutet dicht, fest oder solide) auf das römische Recht zurück. Damit wurde eine spezielle Form der Haftung bezeichnet, nach der jedes Familienmitglied für die Gesamtheit der Schulden eines anderen aufkommen musste und umgekehrt die Gemeinschaft für die Schulden jedes Einzelnen (Bayertz und Boshammer o.J.: 1; Tranow 2012: 11; Held et al. 2011: 30; Dallinger 2009: 23; Braun 2007: 6). Aus dem lateinischen Begriff solidus wurde der französische Begriff solidarité (Tranow 2012: 11). In der Französischen Revolution 1789 wurde anstatt diesen Begriffs, jedoch der Begriff „Brüderlichkeit" (fraternité) berühmt (Karakayali 2013: 21; Braun 2007: 7). In diesem Kontext wurde der Solidaritätsbegriff erstmals mit politischem Inhalt gefüllt, indem das Solidaritätsprinzip mit dem Begriff der Brüderlichkeit in die französische Verfassung von 1848 aufgenommen worden ist (Dallinger 2009: 24). Der moderne Solidaritätsbegriff entwickelte sich erst unter Einfluss der Arbeiterbewegung (Karakayali 2013: 21; Dallinger 2009: 24). Inwiefern eine moderne Gesellschaft noch solidarisch sein kann, ist ein fester Bestandteil in sowohl politischen als auch sozialwissenschaftlichen Diskursen (Dallinger 2009:11).

2.2.2 Solidaritätsverständnis der Wissenschaft

Der Begriff der Solidarität bleibt häufig unklar und es besteht Uneinigkeit darüber, was unter dem Begriff zu verstehen sei (Das 2013: 54ff.; Dallinger 2009: 21; Tranow 2012: 13f.; Voland 2003: 15f.; Held et al. 2011: 30; Braun 2007: 6; Karakayali 2013: 21; Kraxberger 2010: 1; Bayertz und Boshammer o.J.: 1; De Beer und Koster 2009: 15). Solidarität weckt bei jedem Individuum unterschiedliche Assoziationen: ob Streiks, Demonstrationen, Engagement für die so genannte Dritte Welt und Spenden, Arbeiterkampf, Ehrenamt, Solidarität mit ethnisch Fremden oder das Eintreten für die eigenen Rechte (Dallinger 2009: 21; Held et al. 2011: 30; Karakayali 2013: 21; Braun 2007: 6). Nach Ansicht der Verfasserin können grundsätzlich zwei große Unterscheidungen in der Literatur ausfindig gemacht werden: Einmal wird Solidarität als Haltung und einmal als Handlung verstanden (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Solidaritätsverständnis in der Wissenschaft (Eigene Darstellung 2013)

Solidarität als Haltung

Einerseits wird mit Solidarität der Zusammenhalt einer Gemeinschaft, Gruppe oder der Gesellschaft als Ganzes beschrieben und als Ausdruck gemeinsamer Interessen verstanden. Entscheidend ist dabei das Gefühl der Verbundenheit der einzelnen Mitglieder untereinander (Kraxberger 2010: 1; Voland 2003: 15f.; Bayertz und Boshammer o.J.: 1; Dallinger 2009: 21; Held et al. 2011: 118; Billmann und Held 2013: 24). So versteht Ernesto Che Guevara unter Solidarität z. В. „die gelebte Zärtlichkeit zwischen den Menschen" (Halder 2010: 16; dazu auch Held et al. 2011: 30; De Beer und Koster 2009: 15ff.). Soziale Beziehungen und Gefühle (Freundschaft, Liebe, Achtung, Fürsorge, personales Verantwortungsgefühl, soziale Wertschätzung, Zusammengehörigkeitsgefühl, Empathie, Mit­empfinden, Mitgefühl, emotionale Betroffenheit und Anerkennung) seien es auch, die Solidarität von den begriffsverwandten, aber nicht synonymen Ausdrücken kollektiven Handeln und widerständigen Handeln abgrenzen würden (Billmann und Held 2013: 24f.).

Solidarität als Handlung

Andererseits wird mit dem Begriff oft eine Form des Handelns, die gemeinschaftsfördernd und moralisch verpflichtend ist, verstanden - beispielsweise Spenden oder generell Hilfeleistungen für Mitglieder der Gruppe oder Gemeinschaft, der sie sich verpflichtet fühlen (Bayertz und Boshammer o.J.: 1; Tranow 2012: 13f.; Dallinger 2009: 21; Voland 2003: 15f.; Held et al. 2011: 118; De Beer und Koster 2009: 15ff.). Solidarisches Handeln kann dabei auf verschiedenen Ebenen stattfinden und unterschiedliche Bedeutungen haben. Es kann sowohl Individuen als auch Gruppen oder ganze Gesellschaften betreffen (Held et al. 2011: 30). De Beer und Koster (2009: 18) bestimmten als zentralen Charakter von solidarischem Handeln „that there is no equivalence between what one contributes to others or to the group as a whole and what one gets in return".

2.2.3 Solidarität im Internet

Solidarität wird durch neue Technologien begünstigt. Es könne z. В. dazu kommen, dass Menschen in Industrieländern durch das Internet zunehmend auf die Not in Entwicklungsländern aufmerksam werden (Bierhoff 2013: 171). Solidarität kann durch Medien (Billmann und Held 2013: 25; Baringhorst 2013: 236) und auch explizit durch das Internet (Ebersbach und Heigl 2005: 19) vermittelt werden. Massenmedien fungieren als „Kommunikator moralischer Pflichten gegenüber den Mitmenschen" (Baringhorst 2013: 236).

Die neuen Medien des Internets bieten kollektive Handlungsräume. So wurden typische Protestformen in der Vergangenheit einfach auf das Internet übertragen. Der erste „Netzstreik" richtete sich gegen Atomversuche und befiel die offiziellen Internetseiten der französischen Regierung. Und seither gab es viele weitere „virtuelle Sitzblockaden" (Ebersbach und Heigl 2005: 13). Papacharissi und De Fatima Oliveira (2012: 275f.) fanden in ihrer Untersuchung heraus, dass sich Solidarität in Tweets ausdrückt. Die Tweets würden nicht nur die Ereignisse des Arabischen Frühlings dokumentieren, sondern auch Meinungsfreiheit erlauben, ermutigende Worte beinhalten oder einfach nur Ausdruck von Emotionen sein.

The emergent news streams were characterized by a hybridity of new reports and solidarity, so much so that it became difficult to separate factual reports from expressions of camaraderie (ebd.: 275).

Allerdings weisen Ebersbach und Heigl (2005: 20) auch darauf hin, dass solidarisches Handeln im Internet Protestformen des Handelns außerhalb des Internets nicht ersetzen könne:

Der Click des Protests ist daher zunächst nur der Beginn von Solidarität, die sich im ,Real Life' materialisiert und mit Hilfe des Cyberspace auf eine neue und zusätzliche Weise realisieren lässt (ebd.: 20).

Solidarität zeigt sich nicht nur in Protestbewegungen, sondern auch nach Katastrophen: Nach Schlehe (2006: 213ff.) und Forschungen der anthropologischen Katastrophenforschung können nach einer Katastrophe kurzzeitige Formen von spontaner „Solidarität und Kooperation" (ebd.: 219) beobachtet werden. Daher geht die Verfasserin davon aus, dass auch solidarische Formen der Katastrophenhilfe im Internet vorgefunden werden können.

2.2.4 Solidarität in Südasien und Bangladesch

Nach den beschriebenen Problemen mit der Begrifflichkeit der Solidarität muss damit gerechnet werden, dass der Begriff weiterhin unpräzise bleibt, wenn er in einem anderen kulturellen Kontext verwendet wird. In vielen Wörterbüchern südasiatischer Sprachen fehlt das Wort solidarity, die entsprechende englische Übersetzung von Solidarität. Falls der Begriff in einem Wörterbuch zu finden ist, entspricht er meist eher dem deutschen Wort Einheit bzw. dem englischen unity und wird als „Einheit von Interessen, Ideen oder Handlungen, oder auf gemeinsamer religiöser oder sozialer Identität basierend" (Das 2013: 56) umschrieben. Für das englische solidarity konnte Das (2006: 55f.) kein Äquivalent, sondern lediglich Umschreibungen finden, die ebenfalls auf das Wort Einheit hinausliefen. Des Weiteren fand der Autor Beschreibungen für die deutschen Ausdrücke Mitgefühl oder gegenseitige Hilfe (ebd.: 56). Wie im vorherigen Verlauf dieser Arbeit klar geworden ist, überschneidet sich Solidarität nach europäischem Verständnis zwar mit Einheit, Mitgefühl und gegenseitiger Hilfe, ist aber nicht identisch mit diesen Begriffen. Es liegt ein Problem der Begrifflichkeit vor. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine solidarischen Strukturen oder Ideen in Südasien gebe. Auch sollte bedacht werden, dass die Solidarität europäischen Verständnisses „das Resultat historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sind, die auf diese Weise in Südasien nicht stattgefunden haben" (ebd: 57). In diesem Zuge ist beispielsweise die Französische Revolution zu nennen.

Es gibt bestimmte, für die Region geltende idealtypische Vorstellungen, die sich natürlich nicht immer zur gleichen Zeit und flächendeckend entwickelt haben. Diese sollten aber bei dem Konzept der Solidarität bedacht werden: Religion und Rituale spielen eine wichtige Rolle und können bestimmte Handlungen maßgeblich bestimmen. Des Weiteren herrscht in vielen Ländern Südasiens im Gegensatz zu der Arabischen Welt oder Europa eine religiöse Heterogenität und dem dortigen Staatswesen kommt eine andere Bedeutung, wie beispielsweise dem Nationalstaat in Europa, zu (ebd: 61). Während viele Länder Europas weitestgehend in ein individualistisches Gesellschafts­modell einzuordnen sind, folgen viele Länder Südasiens und auch Bangladesch einer kolletivistischen Gesellschaftsform.

In Südasien scheint es sich bei Solidarität um ein Verbundenheitsgefühl zu handeln, dem sich jedes Individuum auf irgendeine Art und Weise zuordnen kann. Es können Handlungen, Verhaltensmuster oder Denkweisen auftreten, die aus Traditionen oder Vorschriften heraus ausgeführt werden (z.B. die arrangierte Ehe). Zu erwarten ist, dass Handeln, welches sich nicht an Traditionen oder Vorschriften orientiert, beispielsweise Betteln, aus einer situationsabhängigen Notwendigkeit ausgeführt wird (ebd: 62). Dies zeigt, dass europäische Vorstellungen von Solidarität nicht allgemein gültig sind, sondern mit einem interkulturellen Denkvermögen und kulturspezifisch gedacht werden müssen (ebd: 64). Die europäische Vorstellung von Solidarität kann nicht einfach auf ein südasiatisches oder bangladeschisches Modell übertragen werden. Das erschwert die Operationalisierung eines ohnehin schon unscharfen Begriffes auf einen anderen Kulturkontext.

2.2.5 Solidaritätsverständnis dieser Arbeit

Deutlich geworden ist, dass empirische Studien auf Grund der Begriffunschärfe und der kulturellen Divergenz des Begriffsverständnisses schwierig sein können. Im Rahmen dieser Arbeit soll der Solidaritätsbegriff nach Denz verwendet werden. Nach Denz (2003: 321) ist Solidarität die verbal geäußerte Bereitschaft,

- mit anderen Menschen (Familie, Mitarbeiterinnen, Nachbarinnen, Flüchtlingen, Fremden usw.)
- Lebenschancen (Geld, Zeit, Emotionen, Posten, Ansprüche, Rechte usw.) zu teilen,
- um eine gerechtere Verteilung dieser Lebenschancen zu erreichen.

Nach der Unterscheidung zwischen Solidarität als Haltung und Solidarität als Handlung (vgl. Kapitel 2.2.2) wird Solidarität im Rahmen der vorliegenden Arbeit als Bereitschaft zum solidarischen Handeln verstanden.

2.3 Social Web und cybersoziale Bewegungen

Ob Social Web, Social Software, Social Media oder Web 2.0 - das genannte Phänomen hat viele Namen (Kilian et al. 2008: 19). Zunächst soll erläutert werden, was genau unter dem Begriff Social Web zu verstehen ist. Anschließend werden verschiedene Social Web Anwendungen sowie der Einsatz von Social Web bei Protestbewegungen und Krisen und Katastrophen vorgestellt. Daraufhin soll dargestellt werden, was im Rahmen der Arbeit unter dem Begriff der cybersozialen Bewegungen verstanden wird.

2.3.1 Social Web

Kilian et al. (2008: 4) bricht die Kernidee des Social Web (bzw. bezeichnen es ebd. als Web 2.0) darauf herunter, „den Konsumenten Raum zu geben, sich zu präsentieren und miteinander zu kommunizieren". Eine gemeinsame Definition des Social Webs zu finden, gestaltet sich jedoch als schwierig (z. B. Kilian et al. 2008: 4; Alby 2008: 89; Penke 2012: 3f.). Dies liegt einerseits an der Vielzahl der Begriffe, die existieren, um das Phänomen Social Web zu beschreiben (z. B. Web 2.0, Social Software, User Generated Content). Andererseits sind Gründe dafür darin zu sehen, dass die Begriffe teilweise nur Unterkategorien bezeichnen (beispielsweise Social Networks als Unterkategorie von Social Software), und die zentralen Merkmale (z. B. Interaktivität, Vernetzung) auf viele verschiedene Anwendungen und Systeme zutreffen (Alby 2008: 89; Kilian et al. 2008: 4; Kaplan und Haenlein 2010: 61).

Oft wird das Phänomen unter dem Schlagwort Mitmachnetz, mit dem die vielfältigen Möglichkeiten der Partizipation ausgedrückt werden sollen, festgehalten (Fisch und Gscheidle 2008: 356; Münker 2010: 31). Formen der Online-Partizipation im Social Web sind nach Wagner et al. (2009: 75) „andere aktivieren" (z.B. zu Online-Petitionen aufrufen), „sich einbringen" (z.B. von Veranstaltungen berichten) und „sich positionieren" (z.B. durch Beitritt in bestimmte Gruppen). Diese Möglichkeiten der Partizipation werden häufig für etwas Neues gehalten. Münker (2010: 31) sieht es z. B. „als eine radikale Neuerfindung des Internet". Obwohl es die Begrifflichkeiten um Social Web und Social Software erst seit einigen Jahren gibt, können erste Entwicklungen des Social Web zeitlich schon mit den Anfängen des Internets festgemacht werden (Ebersbach et al. 2008: 14; Stalder 2012: 221). Auch andere Autoren weisen daraufhin, dass das Phänomen Social Web keine Medieninnovation ist, sondern eine seit den 1960er-Jahren fortschreitende, folgerichtige Weiterentwicklung des Internets (Jers 2012: 33; Schmidt 2008: 21; Alby 2008: 89; Fisch und Gscheidle 2008: 356; Stalder 2012: 221ff.; Martens 2012: 10; Ebersbach et al. 2008: 14ff.). Obwohl die Möglichkeit der Partizipation keine grundlegende Innovation zu sein scheint, nimmt die Partizipation der User zusammen mit den Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion ein entscheidendes Merkmal des Social Webs ein (z. B. Münker 2010: 31f.; Stegbauer und Jäckel 2008: 7; Jers 2012: 26; Stalder 2012: 221ff.).

Der Begriff Web 2.0 wird häufig synonym zu dem Begriff Social Web benutzt, ist jedoch umfangreicher. Je nach Autor werden bei dem Schlagwort Web 2.0 auch rechtliche, technische sowie ökonomische Teilaspekte angesprochen (Ebersbach et al. 2008: 23; Martens 2012: 10). Die Begriffe Web 2.0 und Social Media seien jedoch zu unscharf für eine wissenschaftliche Arbeit und kommerziell hinterlegt (Ebersbach et al. 2008: 23; Stegbauer und Jäckel 2008: 7). Problematisch ist auch, dass mit dem Begriff Web 2.0 die Assoziation eines Wandels des Internets oder Versionssprung konnotiert ist, der so, wie bereits ausgeführt wurde, jedoch nicht stattgefunden hat (Schmidt 2008: 19; Münker 2010: 35). Der Begriff Social Web scheint daher eine geeignetere Bezeichnung zu sein und soll für den weiteren Verlauf der Arbeit verwendet werden (Schmidt 2008: 22).

Das Social Web ist kein Medium, sondern eine Sammlung von diversen Anwendungen (Jers 2012: 74; Schlüter und Münz 2010: 9; Penke 2012: 4). Ebersbach et al. (2008: 31) definieren das Social Web folgendermaßen: Das ,Social Web' besteht aus

- (im Sinne des WWW) webbasierten Anwendungen,
- die für Menschen
- den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit
- in einem gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Kontext unterstützen, sowie
- den Daten, die dabei entstehen und
- den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen.

Die wichtigsten Merkmale des Social Webs sind in der Abb. 3 zusammengefasst:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die wichtigsten Merkmale des Social Webs (Eigene Darstellung 2013 nach Kilian et al. 2008: 5; Fisch und Gscheidle 2008: 356; Alby 2008: 89; Münker 2010: 31f.; Stegbauer und Jäckel 2008: 7; Jers 2012: 25; Wimmer 2008: 215)

2.3.2 Social Web Anwendungen

Das Social Web lässt sich auf ein Dreiecksmodell mit den Eckpunkten Information, Beziehungspflege und Kollaboration übertragen (vgl. Abb. 4). Zwischen diesen Eckpunkten des Dreiecksmodells bestehen Wechselwirkungen. Kollaboration ohne Kommunikation ist ebenso wie Beziehungspflege ohne Kommunikation nur schwer umzusetzen. Im Social Web kollaborativ erstellte Projekte stellen zugleich den Austausch von Informationen dar. Werden multimediale Daten beispielsweise in Form eines Online-Fotoalbums ausgetauscht, kann dies der Beziehungspflege dienen. Die Eckpunkte dieses Dreiecks werden von der omnipräsenten Kommunikation umgeben, die in allen Social Web Anwendungen (mehr oder weniger intensiv) vorhanden ist und daher nicht in das Modell integriert wird. Je nach Gewichtung der jeweiligen Entität lassen sich daraufhin die verschiedenen Social Web Anwendungen in das Modell eintragen (Ebersbach et al. 2008: 34f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Dreiecksmodell des Social Webs (Ebersbach et al. 2008: 35)

Obwohl alle Social Web Anwendungen die „Idee der kommunikativen Vernetzung der Nutzer durch ein Internetangebot" gemeinsam haben, unterscheiden sie sich teilweise erheblich hinsichtlich ihrer Intensität der Kommunikation, dem Medienformat und Inhalt (Kilian et al. 2008: 12). Die Social Web Anwendungen werden im Rahmen dieser Arbeit nach Ebersbach et al. (2008: 33ff.) in Wikis, Blogs, Social-Networking-Diensten sowie Social Sharing eingeteilt (vgl. Tab. 1). Es gibt weitere Anwendungen (z. B. Game oder Consumer Communities) (Kilian et al. 2008: 14), die in diesem

Rahmen jedoch nicht behandelt werden sollen, da sie für den Kontext der Arbeit als nicht relevant betrachtet werden.

Tab. 1: Die verschiedenen Social Web Anwendungen im Überblick (Eigene Darstellung 2013 nach Ebersbach et al. 2008: 35ff., Jers 2012: 49ff., Kilian et al. 2008:12f. und Boyd und Ellison 2007: 211)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei Wikis steht die gemeinschaftliche Erarbeitung und Sammlung von Text und Wissen durch Benutzer im Vordergrund (Ebersbach et al. 2008: 35; Kilian et al. 2008: 13f.; Jers 2012: 52; Organisation For Economic Co-Operation And Development 2007: 37). Die Idee lebt davon, dass gemeinsam generiertes Wissen zu einem Thema auf einer zentralen Plattform gebündelt und zur Verfügung gestellt wird, Daten verwaltet und archiviert werden und Projekte organisiert werden können (Jers 2012: 52; Ebersbach et al. 2008: 40ff.). Das Revolutionäre am Wiki ist, dass jeder Nutzer die gleichen Rechte zur Bearbeitung hat (Stichwort Berechtigungssystem). Diese können zwar limitiert werden, aber Wiki-Systeme bestehen grundsätzlich auf der Vertrauensgrundlage (Ebersbach et al. 2008: 36ff.; Jers 2012: 53).

Schrape (2010: 76) bezeichnet Blogs als die einfache Version von Homepages aus den 90er Jahren, die sich durch ein großes Themenspektrum ausgezeichnet haben. Blogs sind organisierte Homepages von einem oder mehreren Autoren, die tagebuchartig angelegt sind, und ursprünglich reine Online­Tagebücher waren (Jers 2012: 49; Kilian et al. 2008: 12f.). Der Begriff setzt sich aus Web (WWW) und dem Logbuch (tagebuchartiges, öffentliches Fahrtenbuch aus der Seefahrt) zusammen (Ebersbach et al. 2008: 56; Jers 2012: 49f.). Kilian et al. (2008: 12f.) sehen ein besonderes Merkmal von Blogs darin, dass sie sehr stark im Rahmen der Gesamtheit von Blogs, der so genannten Blogosphäre, vernetzt sind (auch Janner 2011: 26; Albrecht et al. 2008: 95; Jers 2012: 51). Die Blogosphäre zeichnet sich durch Breite und thematische Vielfalt aus (Jers 2012: 52; Albrecht et al. 2008: 95). Als besondere Form von Blogs sind Microblogs, wie tumblr oder Twitter, anzusehen.

Bei Social Networks stehen Beziehungen und Menschen im Fokus (Ebersbach et al. 2008: 79). Grundsätzlich lassen sich zwei Formen von Social Networks differenzieren: überwiegend privat geprägte Netzwerke (z. B. MySpace, Facebook oder Google+), auf denen persönliche Interessen und Hobbies präsentiert werden, sowie überwiegend beruflich geprägte Netzwerke (z. B. Linkedln oder Xing), auf denen entsprechend berufliche Interessen und der eigene Lebenslauf präsentiert werden (Boyd und Ellison 2007: 210; Ebersbach et al. 2008: 84f.). Kommunikation in Social Networks findet größtenteils in einem Bereich für Teilöffentlichkeiten statt, da die Kommunikation innerhalb des Netzwerkes meist den Kontakten des jeweiligen Nutzers bestimmt ist (Jers 2012: 56; Ebersbach et al. 2008: 84ff.).

Ziel des Social Sharing ist es, verschiedene Medien, die digitalisiert werden können, zu teilen. Dabei besteht die Möglichkeit, diese Ressourcen mit Schlagwörtern oder einem eigenen Text zu beschreiben oder mit Hilfe eines Ratingsystems zu bewerten (Ebersbach et al. 2008: 100). Social Sharing Anwendungen zählen mit zu den ältesten Anwendungen des Social Web: Napster, eine Plattform zum Musikdateien-Austausch, ist eine der ältesten Social Sharing Anwendungen. Jedoch musste die Plattform vorübergehend im Jahr 2001 wegen Klagen von Musiklabels eingestellt werden (Jers 2012: 57; Ebersbach et al. 2008: 101ff.).

Das Social Web ist kein einheitliches Phänomen. Es ist vielmehr als Summe von Anwendungen zu sehen, die gemeinsame Funktionen und Prinzipien miteinander vereinen und vernetzen (Jers 2012: 49; Schlüter und Münz 2010: 76; Janner 2011: 44). Alle Anwendungen lassen sich mit einem internetfähigen Mobiltelefon nutzen (Schlüter und Münz 2010: 47). Durch die zunehmende Verbreitung von internetfähigen Mobiltelefonen und durch die immer kostengünstigeren Internetzugänge wird die Trennung zwischen „realen und virtuellen Sphären letztendlich obsolet" (Meise und Meister 2011: 30; dazu auch Schlüter und Münz 2010: 75f.). Münker (2010: 37ff.) betont, dass das Entscheidende an den Anwendungen nicht unbedingt das technische, sondern das soziale Potential sei. Er verweist auch darauf, mit welcher Geschwindigkeit in den Social Web Anwendungen „neue Ausdrucksformen der digitalen Medialität entstehen" (ebd.: 38) und wie sich eine neue digitale Öffentlichkeit in den Anwendungen bildet (ebd.: 40).

2.3.3 Social Web bei Protestbewegungen

Seit den über das Internet mobilisierten Protesten gegen die Ministerkonferenz der Wirtschafts- und Handelsminister der WTO in Seattle 1999 wird das Internet regelmäßig dazu genutzt, Informationen zu verbreiten und Massen zu mobilisieren (z. B. Saeed et al. 2008: 524). Mit der so genannten Twitter- Revolution in Moldawien, die von den Ereignissen im Rahmen der Präsidentschaftswahl im Iran im Jahr 2009 gefolgt wurde, vermehren sich die Ansichten darüber, dass undemokratische Gesellschaften von dem Einsatz von Social Media profitieren können und Social Web Anwendungen Einfluss auf politische Freiheit, sozial-ökonomische Gerechtigkeit, Bürgerbeteiligung u.v.m. haben (Martens 2012: 9ff.). Die Dubai School of Government (2011a: 1) merkt an, dass das Aufkommen des Social Webs auch das Versprechen of more participatory governance, civic engagement, new social dynamics, a more inclusive civil society and a wealth of oppurtunity for businesspersons and entrepreneurs mit sich gebracht hat. Martens (2012: 10) weist insbesondere auch auf die Notwendigkeit von empirischen Untersuchungen hin, um die spezifischen Funktionen von Social Web in Hinblick auf soziale und politische Bewegungen ausfindig zu machen, da es eine große Divergenz zwischen Skeptikern und optimistischen Einschätzungen bezüglich der Bedeutung dieser gibt.

Der Einsatz von Social Web für soziale und politische Bewegungen ist nicht neu (Martens 2012: 19). In der Vergangenheit haben sich soziale Bewegungen bereits Zeitungen, das Radio, Fernsehen oder Film zu Nutzen gemacht, um ihre jeweiligen Anliegen zu verbreiten (Wimmer 2008: 210; McCaughey und Ayers 2003: 4). Castells (1997: 362) war schon am Ende des 20. Jahrhunderts der Meinung, dass dem Internet und seinen neuen Technologien ein enormes Mobilisierungspotential zukommen wird. Das Social Web ermögliche den Bürgern ohne großen Aufwand, ohne Zeit- oder Ortsgebundenheit, die eigene Meinung zu äußern (Bross et al. 2008: 269). Schwarz (2011: 23f.) verweist auf vergangene Studien, die belegen, dass der Gebrauch von Internet Offline-Partizipation erhöhe und dass es zum sozialen Wandel beitrage. Dadurch, dass die Social Web Anwendungen global agieren, ist es auch für den Rest der Welt möglich, Protesten, aber auch Kriegen und Gewalt über die Anwendungen zu folgen: „Das Fernsehen zeigt täglich Bilder der Gewalt - aber in keinem Medium kommt uns der Krieg so nahe wie auf Facebook" (Schulz 2013: 1).

Rucht (2005: 11ff.) gesteht dem Internet bzw. Social Web zwar eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der Vermittlung von Informationen sowie der Beschleunigung und Vereinfachung von organisatorischen Abläufen zu. Er weist aber auch darauf hin, dass das Potential der Kommunikation zwischen vielen verschiedenen Teilnehmern nur selten ausgeschöpft werde. Er kritisiert bisherige Untersuchungen und Kommentare (zumindest bis zum Jahr 2005) dahingehend, dass sie fast nur auf Einzelfallstudien basieren würden und meist quantitativ seien. So können sie nur bedingt Aussagen über die Wirkungen, kollektive Identitätsbildung und über die Motive von Protestbewegungen treffen. Außerdem würde das Potential des Internets oft mit der tatsächlichen Nutzung verwechselt. Das Internet spiegelt nicht die Gesamtöffentlichkeit wieder, sondern lediglich segmentierte Teilöffentlichkeiten und bestimmte Netzwerke. Zuletzt kritisiert er, dass klassische Massenmedien bei bisherigen Untersuchungen oft nicht beachtet werden, aber nach wir vor wichtig für Protest­gruppen seien (ebd.: 11ff.).

Lehmann (2009: 302) weist am Beispiel von Blogs darauf hin, dass sich empirische Untersuchungen meist auf Staaten fokussieren, in denen Medienzensuren und Menschenrechtsverletzungen vorgenommen werden. So wurde beispielsweise der Einsatz von Social Web Anwendungen bei den Protesten gegen die Präsidentschaftswahlen im Iran 2009 zum Thema vieler wissenschaftlicher Publikationen gemacht (Lehmann 2009: 302). Diese so genannte Twitter-Revolution im Iran wird kritisch betrachtet (Morozov 2009: 10ff.; Gladwell 2010: o.S), weil unklar ist, ob wirklich Twitter die Proteste geleitet habe. Es seien vor allem amerikanische Blogger (allen voran Andrew Sullivan für die Atlantic und Nico Pitney für Huffington Post) gewesen, die über die Ereignisse im Iran berichtet haben. Morozov (2009: 1 lf.) kritisiert die so genannte Twitterrevolution vor allem dahingehend, dass es unmöglich sei, viel Inhalt in bis zu 140 Zeichen zu packen und dass es im Iran nur ein bestimmtes, kleines und untypisches Klientel sei („pro-Western, technology-friendly and iPod- carrying young people", ebd.: 1 lf.), die Nutzer von Twitter seien. Da „the number of Twitter users in Iran —a country of more than seventy million people— was estimated at less than twenty thousand before the protests" (ebd.: 1 lf.), hätten die Aktivitäten dieser Twitter-Nutzer nur wenig Bedeutung für den Rest des Landes. Morozov gibt auch zu bedenken:

A Twitter revolution is only possible in a regime where the state apparatus is completely ignorant of the Internet and (...) Once regimes used torture to get this kind of data; now it's freely available on Facebook (ebd.: 12; dazu auch Rudel 2009: 76).

Die iranische Regierung habe auch einige der Soical Web Plattformen gesperrt. Allerdings weiß ein gewisser Teil der Bevölkerung, diese Blockaden zu umgehen (Rudel 2009: 77).

Ein anderes Falbeispiel, das Untersuchungsgegenstand vieler wissenschaftlicher Publikationen ist, ist die so genannte Facebook-Revolution: Inwiefern das Social Web und insbesondere Facebook einen Einfluss auf den so genannten Arabischen Frühling gehabt habe, wird seit den Anfängen der Protestbewegungen im Jahr 2010 kontrovers diskutiert (Milz 2011: 1; Hafez 2011: 6). Die Dubai School of Government (2011b: 24) und Milz (2011: 4) sind beispielsweise der Ansicht, dass die Rolle des Social Web immer noch diskutierfähig und es zu früh sei, eine Entscheidung über die Rolle des Social Web für die arabischen sozialen Bewegungen zu treffen. Das Social Web habe allerdings eine kritische Rolle in der Mobilisierung, Stärkung, Meinungsbildung und Wandels gespielt (Dubai School of Government 2011b: 24). Die Ereignisse seien durch eine Kombination von klassischen Medien und Social Web Anwendungen schneller an die (internationale) Öffentlichkeit gelangt und somit seien Social Web Anwendungen als Beschleuniger von Protestbewegungen zu sehen (Milz 2011: 4).

Interessanterweise kommen gerade jüngere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass das Social Web „a crucial role" oder „central role" während des Arabischen Frühlings gespielt hat (Martens 2012: 90; Howard und Hussain 2013: 65; Tufekci und Wilson 2012: 374). Allerdings wird ebenfalls angemerkt, dass das Social Web und Facebook alleine nicht zu den Aufständen geführt hätten (Howard und Hussain 2013: 66; Taylor 2011: o.S.). Tufekci und Wilson (2012: 374) haben herausgefunden, dass mehr als 25% der Aktivisten zum ersten Mal über Facebook von den Protesten gehört haben und dass 25% der Aktivisten Facebook für eigene Bilder und Videos genutzt haben, obwohl Facebook erst seit 2009 in Arabisch zur Verfügung steht (vgl. Abb. 5). Facebook habe in dieser Hinsicht als Verbreitungstool gewirkt. Die Untersuchungen fokussieren zwar ausschließlich Ägypten und Tunesien, sind aber der Meinung, dass die über Internet organisierten Straßendemonstrationen die bedeutendste Form von Protesten gewesen seien (Martens 2012: 90), da sie eine zentrale Rolle für die Bildung politischer Debatten im Arabischen Frühling gespielt haben und sie demokratische Ideen über internationale Grenzen hinweg verbreitet haben (Howard und Hussain 2013: 65). In Ägypten hätte das Social Web besonders in den Jahren und Monaten vor der Revolution eine bedeutende Rolle für den Formationsprozess der Bewegung gespielt (Martens 2012: 90).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Das Plakat „Facebook against every unjustice" während den Protesten in Ägypten 2011 (TheHuffingtonPost.com, Inc 2013: o.S.)

Als wichtige Rolle für Protestbewegungen sollten auch klassische Medien erwähnt werden, da die breite Öffentlichkeit erst über sie an Informationen gelangte (Hafez 2011: 2; Tufekci und Wilson 2012: 375). Beispielsweise sei das Internet für die Umbrüche in Ägypten und Tunesien zwar gerade in den ersten Tagen entscheidend gewesen: Als dann aber das Internet und das Mobilfunknetz gekappt worden sind, wurden die Informationen über Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben. Dann sorgte vor allem der Fernsehsender Al-Jazeera dafür, dass auch die Mittelschicht auf die Straße ging (Hafez 2011: 6).

Martens (2012: 91) spricht dem Social Web eine besondere Rolle für kollektive Identität und der gestiegenen Wahrnehmung von Solidarität und Gemeinschaft unter den Teilnehmern zu. Als einen negativen Aspekt für Social Web Anwendungen im Rahmen von Protestbewegungen nennt Martens (2012: 92) den Mangel an Führung und Koordination und schätzt die Rolle vom Social Web durch das Unterstützen bestimmter organisatorischer Prozesse für die Verbesserung der politischen Transformation als gering ein. Auch muss angemerkt werden, dass es für den über das Internet protestierenden Bürger mittlerweile zahlreiche Risiken gibt, da die Daten über das Internet ausgewertet werden, Profile und Seiten gelöscht und Nutzer zur Rechenschaft gezogen werden (Stalder 2012: 225; Ghannam 2011: 4; dazu auch Gehrs 2013: 9).

Gladwell (2010: o.S.) bewertet den Einfluss von Social Web auf Protestbewegungen allgemein folgendermaßen: „It makes it easier for activists to express themselves, and harder for that expression to have any impact" (ebd.: o.S.). Neben dem Klicken auf eine Online-Petition bedarf es immer dem zusätzlichen Element der Offline-Partizipation. Das, was als „Twitter-Revolution" und „Facebook-Revolution" bezeichnet wurde, hat sich zu einem Großteil nicht im virtuellen Raum abgespielt. Milz (2011: 4) ist der Ansicht, dass die Politik der einzelnen Länder und der Frust der Menschen, aber nicht das Social Web, dafür entscheidend seien, ob ein Umsturz stattfinde. Das Social Web ist in vielen Ländern noch sehr jung. Ähnlich wie damals das Fernsehen die Nachrichten revolutioniert hat, wird vermutet, dass das Social Web die Nachrichten und das gemeinschaftliche Engagement verändern wird:

So perhaps there is one reason not to call events in Egypt and its ilk a Facebook revolution. The real Facebook revolution is global, and it's only just getting geared up (Taylor 2011: o.S.).

Kritisch betrachtet werden muss auch, dass viele der Studien die Bedeutung von Social Web für den Arabischen Frühling anhand des Arab Social Media Reports analysieren und oft quantitative Rückschlüsse über die Verbreitung von Internetzugängen und Facebook-Nutzern in der Arabischen Welt ziehen. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass es z. B. im Irak mehr Facebook- als Internetnutzer gibt, da die Menschen Facebook mit ihrem Handy nutzen, sich Internetanschlüsse teilen oder die Anwendungen in Internet-Cafés nutzen (Milz 2011: 3f.). Eine reine quantitative Untersuchung ist nach Ansicht der Verfasserin daher nicht aufschlussreich genug.

2.3.4 Social Web bei Krisen und Katastrophen

Immer wieder wird in den Nachrichten von Naturkatastrophen (z. B. Waldbrände, Erdbeben, Tsunamis, Hochwasser) und anderen Störfällen (z. B. Ölkatastrophen, Nuklearunfälle, Terror­anschläge) berichtet (Reuter et al. 2013: 1; Reuter et al. 2011b: 141; Pantti et al. 2012: 1). Globale Krisen und Katastrophen sind von den Medien und der weltweiten Kommunikation abhängig. Die Rolle der Medien ist dabei zugleich

crucial and problematic: We respond to disasters through media images and discourses that invest them with emotional charge and wider importance. When mediated, disasters have the capacity to mobilize solidarities both within and beyond national borders (Pantti et al. 2012: 2).

Dadurch, dass Katastrophen immer häufiger auftreten, sind sie auch mobiler, internationaler und betreffen mit ihren humanitären, emotionalen und politischen Auswirkungen zunehmend die ganze Welt. Nahezu in Echtzeit erfahren auch Menschen zu Hause von Katastrophen (Pantti et al. 2012: 4; Mullaney 2012: 22). Der Einsatz von Social Web bei Krisen und Katastrophen war jüngst während des Hochwassers in Deutschland in den Medien. Über Twitter und Facebook vernetzen sich die Menschen, organisierten und koordinierten Hilfe (z.B. durch Verbreitung von Informationen zu Wasserständen, Versorgung mit Lebensmitteln, Transport, etc.) (Kürten 2013: o.S.).

Neben der Präsenz in den Medien wurde die Nutzung von Social Web Anwendungen auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen thematisiert, wie z. B. bei dem Tsunami im Indischen Ozean im Jahr 2004, bei den Waldbränden in Südkalifornien im Jahr 2007, bei dem Loveparade­Unglück in Deutschland im Jahr 2010, bei den Terroranschlägen in Mumbai 2011 oder dem Tsunami und Erdbeben in Japan im Jahr 2011 (Reuter et al. 2011a: 6; Reuter et al. 2011b: 143; Reuter et al. 2013: 3; Pantti et al. 2012: 4; Palen 2008: 77; Majchrzak und More 2011: 132; Gupta und Kumaraguru 2011: 15; Gao et al. 2011: 10). Untersuchungen haben herausgefunden, dass das Social Web sehr hilfreich zur Krisenkoordination und zur privaten Krisenbewältigung sein kann. Twitter wird z. B. für Kommunikation, Hilferufe, Meinungsaustausch und zur emotionalen Bewältigung einer Krise genutzt. Social Networks, wie Facebook, sind nützlich, da sie schon die Infrastruktur mit (persönlichen) Kontakten bereitstellen, bevor eine Krise oder Katastrophe ausbricht. Betroffene haben so die Möglichkeit, Familie und Freunde informieren zu können, auch wenn das Mobilfunknetz ausfallen sollte. Wikis (z. B. Emergency Wiki) können hilfreich sein, um gebündelte Informationen zu sammeln (Reuter et al. 2013: 2). Social Web Anwendungen machen spontane Volontäre und Freiwilligennetzwerke, die sowohl online, offline, als auch überlappend Vorkommen können, wahrscheinlicher. Der Erfolg der Freiwilligen ist aber auch davon abhängig, inwiefern Behörden und Organisationen diese zulassen (Reuter et al. 2013: 9; Majchrzak und More 2011: 125). Der Großteil von Inhalten, die online oder über Handys aufgenommen und verbreitet werden, stammt nicht von Experten, sondern von anderen Usern (Internews Center for Innovation and Learning 2012: 5).

Während dem Erdbeben auf Haiti am 12. Januar 2010 wurden Texte, Fotos, Videos und persönliche Erlebnisse über Social Web Anwendungen verbreitet (Twitter, Facebook, Flickr, Blogs, YouTube). Durch die Anwendungen konnte das Internationale Rote Kreuz binnen 48 Stunden 8 Millionen US- Dollar Spenden einnehmen. Überlebende nutzen das Socal Web zur Kontaktaufnahme nach dem Katastrophenfall. Der Einsatz von Mobiltelefonen half, vermisste Opfer zu lokalisieren und Rettungsmaßnahmen zu kommunizieren (Gao et al. 2011: 10; Pantti et al. 2012: 4; Dunn Cavelty und Giroux 2011: 1). Wenige Stunden nach dem Erdbeben war eine Ushahidi-Plattform online und so konnten erste Krisenmeldungen auf Facebook und Twitter verortet werden. Für Haiti war die Ushahidi-Krisenkarte ein wichtiges Werkzeug für die humanitäre Not- und Soforthilfe und wurde bis heute als das „most comprehensive and up-to date map available to the humanitarian community" gesehen (betterplace lab o.J.b: o.S.).

Exkurs: Ushahidi

Während dem Gewaltausbruch nach den Wahlen und mutmaßlichen Wahlbetrug in Kenia im Januar 2008, hat die kenianische Regierung versucht, die politische Situation runterzuspielen. Es kam zu vielen Menschenrechtsverletzungen, die den Journalisten nicht bekannt waren und diese so nicht darüber berichten konnten. Daraufhin entwickelten einige kenianische Aktivisten in Nairobi und die Diaspora eine crowdgesourcte crisis map - eine Internetseite mit einer Karte von Kenia, einer SMS Nummer und dem Aufruf, Menschenrechtsverletzungen über das Internet oder das Handy zu melden, und zu gleich Geburtsstunde von Ushahidi (Internews Center for Innovation and Learning 2012: 6ff.; GOLDSTEON und ROTICH 2008: 3ff.; Mullaney 2012: 16).

Ushahidi ist Swahili und bedeutet Zeuge oder Aussage. Mit Hilfe der Open-Source-Plattform können Informationen (via SMS oder das Internet und hier über E-Mails, Tweets, Bilder, Videomaterial, Audiodateien) auf einer Karte verortet werden und Betroffene und NGOs können von aktuellen Ereignissen berichten. Mit Hilfe von Freiwilligen und einem Echtzeit-Validierungsverfahren (Triangulierung unterschiedlicher Quellen und Wahrscheinlichkeitsraten) werden die Informationen und GPS-Koordinaten ausgewertet und in die Ushahidi-Map eingebunden. Im Krisenfall erfahren andere Menschen meist über tradtionelle Medien (Rundfunk, Fernsehen) oder über Mitmenschen von der Plattform und können so an ihr teilhaben. Seit den Unruhen in Kenia im Jahr 2008 wurde Ushahidi mit 20.000 Ushahidi Karten über 300mal in 30 verschiedenen Ländern eingesetzt - z. B. in Afghanistan, Kolumbien, Sudan, im Kongo von Menschenrechtlern, in Indien von Wahlbeobachtern, in Gaza von Al Jazeera und beim Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 zum ersten Mal im großen Maß von NGOs als Werkzeug für die Bedarfsanalyse (betterplace lab o.J.b: o.S.; Internews Center for Innovation and Learning 2012: 6; Liu und Ziemke o.J.: 4; Mullaney 2012: 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Ushahidi und die Möglichkeiten der crowdsourced crisis reports (Aktive Fachschaft Politikwissenschaft 2009: o.S.)

Der Einsatz von Social Web Anwendungen bei Krisen und Katastrophen bringt einige Schattenseiten mit sich: So besteht die Gefahr, dass Internetzugang von der Regierung abgeschaltet wird (Mullaney 2012: 19) und dass die Anwendung auch für die Organisation von Terroranschlägen o. Ä. missbraucht werden (Mullaney 2012: 17; Haider 2011: 8). Probleme zeigen sich insbesondere in der Gefährdung der Privatsphäre während Krisen und Katastrophen. Gupta und Kumaraguru (2011: 16) fanden in ihrer Untersuchung über die Terroranschläge in Mumbai heraus, dass viele Menschen ihre Privatadressen, Telefonnummern und Blutgruppen über Twitter bekannt gaben und dass diese noch lange nach dem Unglück online verfügbar waren (ebd.: 16). Es besteht die Gefahr, dass Social Web Anwendungen nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (z. B. der Elite) zugänglich sind und dass marginalisierte Gruppen keinen Zugang zu diesen haben (Haider 2011: 8). Oft fehlt es an möglichen Ansprechpartnern in einer Krise. Dies liegt daran, dass viele Organisationen Social Web Anwendungen entweder nicht benutzen oder lediglich als „Broadcast - nicht aber als Kommunikationsplattform" (Reuter et al. 2011b: 148; Gao et al. 2011: 10).

Generell besitzen Anwendungen, wie Twitter oder Ushahidi, großes Potential für Krisen und Katastrophen (z. B. Reuter et al. 2011a: 9). Diese Anwendungen können in der Regel über internetfähige Mobiltelefone genutzt werden. Durch bestimmte Mechanismen wie Geotagging, Hashtags und Retweets können die Informationen geortet, geordnet und bewertet werden (Reuter et al. 2011b: 147f.). Die Informationen geben Aufschluss über die jeweilige Situation der Menschen (Mullaney 2012: 15) und können damit wertvolle Informationen und Entscheidungshilfe für professionelle Helfer sein (Gao et al. 2011: 10). Gerade in Ländern, in denen ein Internetzugang nicht flächendeckend verbreitet ist, können die Partizipation und Möglichkeiten der Kommunikation zwischen vielen verschiedenen Teilnehmern durch internetfähige Mobiltelefone gesteigert werden (Goldsteon und Rotich 2008: 9; GSMA Disaster Response et al. 2013: 3-4; Mullaney 2012: 14). Ein großer Nutzen ist auch für die Bürger zu sehen, die über die Anwendungen Informationen beziehen können, die sie nicht über Funk oder Fernsehen erfahren (Mills et al. 2009: o.S.), und die über die Anwendungen auch eine psychologische Ersthilfe bekommen können (Taylor et al. 2012: 26).

Nach Legendre et al. (2011: o.S.) gibt es bisher keine Plattform, die einer Not- und Soforthilfe über Social Web Anwendungen gerecht werden kann. Während Reuter et al. (2011a: 7) die „creation of an infrastructure that combines the different online- communities, recommends functions and helps the official crisis management, to provide and receive information about the crisis" vorschlagen, ist das Potential nach Ansicht von Legendre et al. (2011: o.S.) insbesondere in der Kombination existierender Anwendungen zu sehen. Neue Bestrebungen, wie die von MircoMappers Anwendungen, sollen Freiwilligen die Kartierung einer großen Datenmenge erleichtern (Gilbert-Knight 2013: o.S.).

2.3.5 Cybersoziale Bewegungen

Es wurde deutlich, dass sich der Einsatz von Social Web Anwendungen bei Protestbewegungen und bei Krisen und Katastrophen nicht immer eindeutig von einander unterscheiden lässt. Beispielsweise wurden die Proteste nach den Präsidentschaftswahlen im Iran im Jahr 2009 im Rahmen dieser Arbeit unter Protestbewegungen eingeordnet und die Ausschreitungen nach den Wahlen in Kenia im Jahr 2008 unter Krisen und Katastrophen. Es gibt viele Überschneidungen und es lässt sich nicht immer eindeutig eine Trennungslinie ziehen. Viele der bisher ausfindig gemachten Publikationen beziehen sich entweder auf den Einsatz von Social Web Anwendungen bei Protestbewegungen oder bei Krisen und Katastrophen. Nach Ansicht der Verfasserin ist es nicht unbedingt sinnvoll, diese gesellschaft­lichen Bewegungen zu trennen, da beiden durch den zentralen Einsatz von Social Web Anwendungen ein gemeinsamer Kern zugrunde liegt. Daher sollen solche Bewegungen im weiteren Rahmen dieser Arbeit unter dem Begriff der „cyberkollektiven sozialen Bewegungen" oder nur kurz cybersoziale Bewegungen zusammengefasst werden. Diese Bewegungen, die auch unter dem Schlagwort Cyberactivism bekannt sind (vgl. dazu z.B. Akin 2011: 39ff.), sind definiert „als eine neue soziale Community - kulturell, religiös oder politisch -, die in einer Onlineumgebung entsteht und wächst" (Agarwal et al. 2012: 107; dazu auch Shangapour et al. 2011: 1). Es handelt sich also beispielsweise um soziale, politische oder religiöse Bewegungen, denen „the usage of Internet communication technologies for different forms of activism" (Akin 2011:40) gemein ist.

Zwischenfazit

Die vorliegende Arbeit nimmt Bezug auf den virtuellen Raum. Das Social Web kann als Sozialraum angesehen werden, in dem menschliches und gesellschaftliches Handeln stattfindet. In der Wissenschaft gibt es Schwierigkeiten, den Begriff der Solidarität zu operationalisieren. In wissenschaftlichen Publikationen sind grundsätzlich zwei große Unterscheidungen hinsichtlich Solidarität zu finden: Einerseits wird Solidarität in erster Linie als Haltung und andererseits in erster Linie als Handlung verstanden. Solidarität kann durch Medien und das Internet vermittelt werden. Bestimmte subjektive Faktoren, wie z. B. Unzufriedenheit, der Unglaube in eine gerechte Welt, Zukunftsangst und eine starke Gemeinschafts- und Familienorientierung können Solidarität begünstigen. Das Operationalisieren von Solidarität wird zusätzlich dadurch erschwert, dass im südasiatischen und bangladeschischen Kontext eine kulturelle Divergenz des Begriffsverständnisses vorliegt.

Ähnliche Schwierigkeiten lassen sich bei der Definition von Social Web finden, bei der ebenfalls keine allgemeingültige vorliegt. Social Web Anwendungen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie gemeinsame Funktionen und Prinzipien teilen sowie stark untereinander vernetzt sind. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Intensität der Kommunikation, dem Medienformat und Inhalt. Die Verbreitung von Mobiltelefonen und der zunehmende Anteil von Smartphones führen dazu, dass Social Web Anwendungen auch stärker in Entwicklungsländern genutzt werden können. Zahlen über die Verbreitung von Internetzugängen müssen daher mit Vorsicht beurteilt werden, da immer mehr Menschen mit ihrem Mobiltelefon online sind.

Das Social Web erfährt aus gesellschaftlicher Sicht einen großen Bedeutungszuwachs. Es bestehen zwar Uneinigkeiten darüber, welche Bedeutung das Social Web für vergangene Protestbewegungen gehabt hat, jedoch ist ein großes Potential für diese sowie für die Hilfe nach Krisen und Katastrophen nicht zu leugnen, auch wenn das Potential der Anwendungen nicht immer ausgeschöpft wird.

Obwohl eine Online-Partizipation keine Offline-Partizipation ersetzen kann, werden im Social Web insbesondere in Ländern mit eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit neue Handlungs­spielräume begünstigt. Studien haben gezeigt, dass der Gebrauch von Internetanwendungen die Offline-Partizipation erhöhe. Besonders die Vermittlung von Informationen sowie die Beschleunigung der Organisation von Protesten oder Hilfe würde durch die Social Web Anwendungen vereinfacht. In Krisen- und Katastrophenfällen werden Social Web Anwendungen in erster Linie für die Mobilisierung von Freiwilligen und Hilfemaßnahmen sowie für die Krisenbewältigung benutzt. Es kann beobachtet werden, dass Falschmeldungen und Gerüchte sich relativ schnell selbst regulieren. Ein Potential ist in crowdgesourcten crisis maps zu sehen, die inhaltlich sowohl über Internetfunktionen, Social Web Anwendungen als auch über Mobiltelefone gefüllt werden können. Deutlich geworden ist auch, dass der Einsatz von Social Web Anwendungen nicht immer eindeutig zwischen Protestbewegungen und Krisen und Katastrophen getrennt werden kann. Nach Ansicht der Verfasserin ist es nicht sinnvoll, diese gesellschaftlichen Bewegungen zu trennen, weswegen sie im weiteren Verlauf der Arbeit als cybersoziale Bewegungen bezeichnet werden sollen.

METHODISCHER BEZUGSRAHMEN

3 Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit

Das folgende Kapitel bezieht sich auf die Darstellung der methodischen Vorgehensweise. Hierzu wird zuerst die Erarbeitung der Forschungshypothese sowie -fragen erläutert. Anschließend erfolgt eine Differenzierung der quantitativen und qualitativen Methoden, wobei die ausgewählten methodischen Ansätze daraufhin im Einzelnen näher erläutert werden.

3.1 Erarbeitung der Forschungshypothesen und der Forschungsfragen

Die ausgearbeiteten Forschungshypothesen und -fragen basieren auf theoretischen Vor­überlegungen, die im Vorfeld der Arbeit entstanden sind. Das Untersuchungsziel der Arbeit liegt in der Prüfung der aufgestellten Hypothesen (Degele et al. 2009: 134). Es empfiehlt sich, Fragestellungen so früh wie möglich zu formulieren. Diese werden im Verlauf des Projekts „immer wieder konkretisiert, fokussiert, weiter eingegrenzt und revidiert" (Flick 2007: 174). Bei Fallstudien, wie im Rahmen dieser Arbeit, sollten eine genaue Beschreibung und Rekonstruktion des Einzelfalls bzw. der Einzelfälle Teil der Arbeit sein (ebd.: 177).[4]

Das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit fokussiert die Bedeutung jüngster cybersozialer Bewegungen in Bangladesch. Dem Untersuchungsziel soll mit der Überprüfung folgender Hypothesen nachgegangen werden:

Forschungshypothese (Hypothese 1): Den jüngsten cybersozialen Bewegungen in Bangladesch kommt eine hohe Bedeutung zu, da

(Hypothese 2)

Solidarität im Social Web entsteht und

(Hypothese 3)

eine Rückkopplung zwischen Online-Partizipation und Offline-Partizipation besteht.

Ob cybersoziale Bewegungen in Bangladesch eine große Bedeutung haben (Hypothese 1), soll demnach an den weiteren Hypothesen festgemacht werden, ob durch die cybersozialen Bewegungen das Entstehen von Solidarität begünstigt wird (Hypothese 2) und ob es eine Rückkopplung zwischen Online- und Offline-Partizipation gibt. Bei der Bestätigung dieser weiteren Hypothesen könnte dem Social Web nach Ansicht der Verfasserin eine große Bedeutung in Bezug auf Gesellschaft beigemessen werden. Hierzu wurden auch weitere Forschungsfragen, auf die die Arbeit eine Antwort finden möchte, gewählt:

Forschungsfragen:

1. Wären die jüngsten Bewegungen in Bangladesch auch ohne Social Web möglich gewesen?
2. Unterscheidet sich die Intensität der Partizipation (sowohl online als auch offline) möglicherweise nach Art der cybersozialen Bewegung (ob beispielsweise Protestbewegungen oder Krise/Katastrophe)?

Die erste Forschungsfrage will herausfinden, ob es auch ohne das Einbeziehen von Social Web Anwendungen zu den Bewegungen in Bangladesch gekommen wäre. Die zweite Forschungsfrage zielt auf mögliche Rückkopplungseffekte zwischen Online- und Offline-Partizipation. Es soll untersucht werden, ob sich der Grad der Partizipation bei Protestbewegungen und Krisen bzw. Katastrophen unterscheidet.

Um den Forschungshypothesen und Forschungsfragen nachzugehen, wurden im Rahmen der empirischen Untersuchung verschiedene quantitative und qualitative Forschungsmethoden verwendet. In Kapitel 2.3.3 ist deutlich geworden, dass rein quantitative Methoden für den zu untersuchenden Kontext nicht aufschlussreich genug sind. In einem nächsten Schritt sollen daher zunächst die wichtigsten Unterschiede der quantitativen und qualitativen Forschung beleuchtet werden.

3.2 Quantitative und qualitative Forschung

In der empirischen Sozialforschung kann zwischen quantitativer und qualitativer Forschung unterschieden werden. Quantitative und qualitative Verfahren beruhen dabei auf Prinzipien, die sich gegenüber dem jeweils anderen Untersuchungsansatz abgrenzen (Degele et al. 2009: 137). Quantitative Forschung bedient sich Verfahren, „die mit harten Daten und mathematisch­ statistischen Analyseinstrumenten (...) die ,objektive Realität' immer genauer, immer richtiger"

(Reuber und Pfaffenbach 2005: 34) zu fassen suchen. Nach Diekmann (2007: 531) ist qualitative Forschung hingegen „an der Subjektperspektive, an den ,Sinndeutungen' des Befragten interessiert". Während sich das Auswahlverfahren quantitativer Forschung „von oben nach unten" (deduktives Vorgehen vom Allgemeinen zum Besonderen) bewegt, ist das von qualitativer Forschung „von unten nach oben" (Degele et al. 2009: 137) (induktives Vorgehen vom Besonderen zum Allgemeinen) gerichtet (Hader 2010: 69). Für quantitative Forschung bedeutet dies, dass das Vorbild der naturwissenschaftliche Ansatz ist. Eine Grundgesamtheit wird bestimmt und die Reihenfolge der Arbeitsschritte im Großen und Ganzen ist determiniert. Das Vorgehen ist standardisiert und der gesamte Forschungsprozess ist intersubjektiv nachprüfbar. Stichprobenuntersuchungen erfolgen mit großen Fallzahlen und es werden harte, voll standardisierte Methoden eingesetzt. Bei qualitativen Forschungen hingegen ist der geisteswissenschaftliche Ansatz Vorbild. Es wird nur mit kleinen Fallzahlen gearbeitet und durch inhaltliche Entwicklungen festgelegt, wie sich die Reihenfolge der Arbeitsschritte bestimmt. Es werden Einzelfälle anhand nur relativ weniger Fälle untersucht. Die Methoden sind weich und kaum standardisiert (Degele et al. 2009: 137f.; Hader 2010: 69; Lamnek 2010: 316f).[5]Grundsätzlich können die Untersuchungsansätze folgendermaßen unterschieden werden:

Tab. 2: Ein Vergleich von quantitativen und qualitativen Methoden (Eigene Abbildung nach Reuber und Pfaffenbach 2005: 35)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.3 Methodische Vorgehensweise

Die vorliegende Arbeit verwendet sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsansätze. Es wird also ein Methoden-Mix angewandt. Die Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden wird als „besonders interessant und fruchtbar" (Degele et al. 2009: 137) angesehen. Um den Teil der Bevölkerung zu erreichen, der Social Web Anwendungen nutzt, wurde eine quantitative Online-Umfrage angewandt. Um zusätzliche Informationen zu generieren, wurden zudem Expertengespräche und E-Mail-Surveys geführt. Auf diesen drei methodischen Vorgehensweisen, auf die im Folgenden nun näher eingegangen wird, beruht der empirische Teil der Arbeit.

[...]


[1]Zur Definition von cybersozialen Bewegungen vgl. Kapitel 2.3.5.

[2]Vgl. Kapitel 2.3.3.

[3]Für und чЫя können verschiedene Schreibweisen im lateinischen Alphabet gefunden werden. Im Folgenden sollen für die Arbeit jedoch einheitlich „Shahbag" und „Savar" verwendet werden.

[4]Vgl. Kapitel 4.

[5]Weiteres dazu ist auch u.a. bei Brüsemeister 2008: 9ff. zu finden.

Excerpt out of 178 pages

Details

Title
Solidarität im Social Web? Eine Untersuchung zu der Bedeutung jüngster cybersozialer Bewegungen in Bangladesch
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Geographisches Institut)
Course
Humangeographie: Globalisierung, Medien und Kultur
Grade
1,0
Author
Year
2013
Pages
178
Catalog Number
V273494
ISBN (eBook)
9783656652120
ISBN (Book)
9783656652113
File size
4142 KB
Language
German
Notes
Hinweis: Die Tonaufnahmen, die Auswertung der semistrukturierten Experteninterviews, die Auswertung der E-Mail-Surveys sowie die Auswertung der Online-Umfrage sind aus Gründen der Anonymität nicht im Lieferumfang enthalten
Keywords
solidarität, social, eine, untersuchung, bedeutung, bewegungen, bangladesch
Quote paper
Christina Büns (Author), 2013, Solidarität im Social Web? Eine Untersuchung zu der Bedeutung jüngster cybersozialer Bewegungen in Bangladesch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273494

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