Inklusion zwischen Konzept und Realität. Kritische Perspektiven auf die inklusive Pädagogik in Kindertagesstätten


Bachelor Thesis, 2014

93 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis und Tabellenverzeichnis

I. Einleitung

II. Theoretischer Teil
1. Begriffsklärung Inklusion
1.1 Rechtliche Entwicklung
1.2 UN-Behindertenrechtskonvention
1.3 Index für Inklusion
2. Behinderung
2.1 Allgemeine Definition
2.2 Sinnesbehinderungen
2.2.1 Sehbehinderung
2.2.2 Hörbehinderung
2.3 Körperbehinderungen
2.4 Geistige Behinderungen
2.5 Seelische Behinderungen
3. Sonderpädagogische Einrichtungen
4. Barrieren auf dem Weg zur Inklusion
4.1 Defizite der Einrichtungen
4.2 Nachteile für die Kinder

III. Empirischer Teil
5. Methode
6. Interviewportraits
6.1 Interviewpartnerin A
6.2 Interviewpartnerin B
6.3 Interviewpartnerin C
7. Interviewinterpretation
7.1 Interviewpartnerin A
7.2 Interviewpartnerin B
7.3 Interviewpartnerin C
8. Diskussion

IV. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang 1 Interviewleitfaden

Anhang 2 Interviewtranskripte

Eidesstattliche Erklärung zur Bachelorarbeit

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Inklusion

Abbildung 2: Integration

Abbildung 3: Exklusion

Abbildung 4: Der Index-Prozess

Tabelle 1: Klassifizierung der Psychischen und Verhaltensstörungen

I. Einleitung

„Mit dem deutschen Sonderschulsystem, das fast alle Schüler mit besonderem Förderbedarf aufnimmt, ist Chancengleichheit nicht gewährleistet“ (Powell & Pfahl 2008, S.1).

Äußerungen wie diese sind in der Debatte um die Abschaffung von Sonderschulen keine Seltenheit. Seit der Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2006 werden die Forderungen nach der Chancengleichheit hinsichtlich der Bildung immer lauter. Daher drängen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und das Bündnis 90/Die Grünen (Grüne) auf die Abschaffung von sonderpädagogischen Schulen und sprechen sich somit für die gemeinsame Bildung von behinderten und nicht behinderten Kindern in inklusiven Schulen in Niedersachsen ab dem Schuljahr 2014/15 aus (vgl. Frenzel 2013). Da die Bildung auf Landesebene festgelegt wird, ist von dieser Entscheidung nicht das gesamte Bundesgebiet betroffen. Dennoch werden Diskussionen diesbezüglich bereits bundesweit geführt, wodurch eine Umsetzung dieser Forderung für ganz Deutschland in Zukunft nicht ausgeschlossen ist. Durch das Zusammenführen von sonderpädagogischen und Regeleinrichtungen soll behinderten Kindern eine gleichberechtigte Bildung ermöglicht werden. Ziel ist es, die Kinder aus ihrer ausgesonderten Stellung in speziellen Fördereinrichtungen herauszunehmen und sie als gleichwertiges Mitglied in die Gesellschaft einzugliedern, ohne dabei die Qualität ihrer individuellen Förderung zu beeinträchtigen.

Nach Auffassung des Verfassers ist eine zukünftige Ausweitung der Abschaffungsforderung auf den Kindertagesstättenbereich, in welchem ebenfalls Kinder mit besonderem Förderbedarf speziell in sonderpädagogischen Einrichtungen unterstützt werden, denkbar. Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Arbeit mögliche Auswirkungen der Auflösung von sonderpädagogischen Kindertageseinrichtungen diskutiert.

Diese Einrichtungsform würde im Zuge der Zusammenführung behinderter und nichtbehinderte Kinder vor der Auflösung stehen. Ob dieser mögliche Gesetzesentwurf mit der momentan Aufstellung der inklusiven Einrichtungen zum Vorteil von behinderten Kindern geschieht und diesen Kindern dadurch die Chancengleichheit auf Bildung und die uneingeschränkte Teilhabe am sozialen Miteinander ermöglicht werden kann, soll in dieser Arbeit mittels Interviews mit Fachkräften sonderpädagogischer Einrichtungen ermittelt werden.

Um einen Überblick über den Inhalt dieser Thesis zu verschaffen, wird im Folgenden zunächst der Aufbau der bearbeiteten Themen dargestellt.

Die vorliegende Arbeit ist unterteilt in einen theoretischen Teil, in welchem ein Überblick über den theoretischen Hintergrund verschafft wird, sowie einen empirischen Teil, welcher durch die Hilfe von Interviews dazu dient, herauszufinden, wie sonderpädagogische Fachkräfte zu der Entwicklung der Inklusion stehen und welche Erfahrungen sie bereits damit sammeln konnten. Außerdem soll anhand dieser Interviews die Fragestellung geklärt werden, ob die Abschaffung von sonderpädagogischen Einrichtungen eine Bereicherung für die Kinder darstellt oder ihnen dadurch unnötig Steine in den Weg gelegt werden.

Im Verlauf des theoretischen Teils der Arbeit wird zunächst der Begriff „Inklusion“ näher erläutert, wobei die Bedeutung für die Gesellschaft sowie Gruppierungen von „Betroffenen“ aufgeführt werden. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung von „Inklusion“, „Integration“ und „Exklusion“ mit Hilfe von bildlichen Darstellungen veranschaulicht und anschließend verdeutlicht, welche Schritte auf die Gesellschaft zukommen, um ein inklusives Miteinander gestalten zu können.

Darauf folgend wird ein Überblick über die Entwicklung der Rechtslage bezüglich der Teilhabe behinderter Menschen dargelegt. Dies erfolgt durch einen kurzen Abriss der Integrationsbestrebung der 1970er Jahre, der UN-Kinderrechtskonvention 1989, die Aufnahme des Inklusionsgedanken in das Grundgesetz sowie die Verfassung der Salamanca-Erklärung im Jahr 1994. Ebenfalls aufgeführt wird das im Jahr 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention, welche 2006 verabschiedet wurde.

Der folgende Abschnitt geht auf die erwähnte UN-Behindertenrechtskonvention näher ein und stellt deren Ziele vor. Zudem werden auszugsweise Inhalte der einzelnen Artikel sowie Maßnahmen zur Sicherstellung der darin formulierten Ansprüche dargelegt.

Anschließend wird der „Index für Inklusion“ vorgestellt. Hierbei werden die vier Elemente des Index näher erläutert und Ziele dieses herausgearbeitet.

Als weiterer großer Abschnitt wird der Fokus auf den Terminus der „Behinderung“ gelegt, wobei zu Beginn dieses Kapitels einige Fakten zur aktuellen Situation behinderter Menschen in Deutschland aufgeführt werden und infolgedessen eine Bestimmung des Begriffs vorgenommen wird. Um einen Überblick über die Diversität des Behinderungsbegriffs zu verschaffen, werden einzelne Formen von Behinderungen vorgestellt. Hierbei wird zwischen Sinnesbehinderungen, Körperbehinderungen, geistigen Behinderungen sowie seelischen Behinderungen unterschieden, wobei die Sinnesbehinderungen in Seh- und Hörbehinderungen unterteilt werden. Jede dieser Formen wird im Vorfeld anhand ihrer Beeinträchtigung erläutert sowie die Auswirkungen einer Aufnahme von Kindern mit der jeweiligen Behinderung auf die Arbeit in Kindertageseinrichtungen aufgeführt.

Das nachfolgende Kapitel befasst sich mit den sonderpädagogischen Institutionen und zeigt auf, welche Ziele die Arbeit einer solchen Einrichtung sind und wie diese erreicht werden sollen.

Im letzten Kapitel des theoretischen Teils werden mögliche Schwierigkeiten dargestellt, die auf einen Regelkindergarten zukommen könnten, wenn dieser sich für eine Arbeit gemäß des Inklusionsgedankens entscheidet. Dabei werden zunächst Voraussetzungen aufgeführt, welche die Einrichtung erfüllen muss, um den Inklusionsprozess erfolgreich umzusetzen. Es folgt ein Überblick über die Nachteile, welche für Kinder entstehen können, wenn ein Regelkindergarten sich entschließt, auch behinderte Kinder aufzunehmen.

Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit der Vorstellung der angewandten Methodik. Zunächst werden die Erhebungsmethode und der Grund für deren Auswahl dargestellt, bevor anschließend das verwandte Analyseverfahren und dessen Vorzüge für die vorliegende Arbeit erklärt wird.

Der erste Schritt der Auswertung erfolgt über die deskriptive Zusammenfassung der Aussagen der Interviewpartner. Die Ergebnisse dieses Schrittes dienen als Grundlagen für die weitere Bearbeitung, bei der untersucht wird, wie die Befragten ihre Aussagen in Bezug auf die eingangs formulierte Fragestellung begründen.

In der abschließenden Diskussion werden Übereinstimmungen und Widersprüche zwischen bereits vorgestellten theoretischen Befunden und den Aussagen der Interviewpartnerinnen erarbeitet.

II. Theoretischer Teil

1. Begriffsklärung Inklusion

Der Begriff Inklusion hat seinen Ursprung in der lateinischen Bezeichnung „inclusio“, welche mit „Einschließung“ übersetzt werden kann. Inklusion stellt den Prozess dar, in dem Menschen mit besonderen Bedürfnissen vollständig in die Gesellschaft einbezogen werden. Somit entstehen durch deren Behinderung keine Barrieren, die ihnen den Zugang zu Bildung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren oder gar unmöglich machen. Außerdem bedeutet eine inklusive Haltung nicht nur, Menschen mit Behinderungen zu akzeptieren, sondern hat vielmehr das Ziel, den Mensch an sich und nicht seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. Deutscher Gehörlosen-Bund e.V. 2009). Der Inklusionsgedanke befasst sich, neben den Menschen mit Behinderungen, auch mit unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten wie beispielsweise sozial Schwachen, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oder älteren Menschen. Dennoch ruft der Begriff „Inklusion“ in den meisten Fällen Assoziationen mit Behinderungen hervor und wird mit der UN-Behindertenrechtskonvention in Verbindung gebracht (vgl. Ziemen 2011).

Die Vielfalt von Menschen und ihren Eigenschaften wird im Zusammenhang mit Inklusion als „Heterogenität“ bezeichnet und von einigen Vertretern des Inklusionsgedankens als Normalzustand angesehen. Der Professor für allgemeine Rehabilitations- und Integrationspädagogik Andreas Hinz hingegen, spricht davon, „dass Inklusion sich gegen dichotome Vorstellungen wendet, die jeweils zwei Kategorien konstruieren: Deutsche und Ausländer, Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte, Reiche und Arme usw.“ (Hinz 2010, S.33). Der Inklusionsgedanke betrifft daher nicht ausschließlich Menschen mit Behinderungen, vielmehr gilt das Verständnis von Inklusion jeder Art von Minderheit, die aufgrund ihrer „Andersartigkeit“ Ausgrenzung und Barrieren erfahren.

Mit Hilfe von Inklusion soll das Abdrängen von Gruppen an den Rand der Gesellschaft und möglicherweise darüber hinaus unterbunden werden und eine Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft geschaffen werden. In Abbildung 1 „Inklusion“ wird diese Heterogenität veranschaulicht. Die grauen Punkte innerhalb des Kreises stellen die Gesellschaft dar, während die bunten Punkte die Personen der Minderheiten verkörpern. Es entsteht eine heterogene Gesellschaft, in welcher keine Ausgrenzung von Randgruppen stattfindet und jede gesellschaftliche

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Abbildung 1: Inklusion (vgl. Aktion Mensch 2012)

Gruppierung den gleichen Stellenwert einnimmt. Dieses Ziel ist jedoch nicht erst durch den Inklusionsgedanken entstanden. Es handelt sich vielmehr um eine Gestaltung des sozialen Zusammenlebens, die „durch Integration immer schon erreicht werden sollte, nämlich dass alle Menschen von Anfang an ganz selbstverständlich dazugehören“ (Klauß 2010, S.130). Es wird lediglich von einem Paradigmenwechsel ausgegangen.

Ist die Rede von Integration, wird der Prozess beschrieben, dass Personen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, wieder in die Gesamtheit der sozialen Gemeinschaft einbezogen werden. Dabei bleiben sie allerdings unter sich und stellen kleinere Teilgruppen innerhalb der Gesellschaft dar, die auch als solche wahrgenommen werden. Dies wird durch Abbildung 2 „Integration“ ersichtlich gemacht. Hier wird, analog zu Abbildung 1, die Gesellschaft durch graue Punkte gekennzeichnet. Die bunten Punkte stellen Personen bzw. Personengruppen dar, die zunächst ausgegliedert waren und im Zuge der Integration am sozialen Miteinander beteiligt werden. Allerdings werden diese in Gruppen zusammengefasst und nicht als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft betrachtet (vgl. Hanslmeier-Prockl 2009). Es bestehen weiterhin gesellschaftliche Barrieren, die eine uneingeschränkte soziale Teilhabe erschweren. Außerdem findet eine Isolation der Minderheiten innerhalb der Gesellschaft statt. „In der (Fach-)Debatte um Integration und Inklusion werden beide Begriffe inzwischen als Gegensatzpaar formuliert bzw. wird der Integrationsbegriff als der zu überwindende, der Begriff der Inklusion als der weiterführende bezeichnet“ (Stein 2010, S.78).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Integration (vgl. Aktion Mensch 2012)

Der generelle Ausschluss von Menschen, welche nicht der „Norm“ entsprechen, wird als „Exklusion“ bezeichnet (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011). Diese Situation ist in Abbildung 3 „Exklusion“ dargestellt. Wie in Abbildung 1 und 2 stehen auch hier die grauen Punkte für die Gesellschaft und die bunten Punkte kennzeichnen die Personen(-gruppen), die einer Minderheit angehören. Es ist deutlich zu sehen, dass die bunten Punkte - abseits der Gesellschaft - eine isolierte Gruppe bilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Exklusion (vgl. Aktion Mensch 2012)

Um der Entstehung von Vorurteilen entgegenzuwirken und die Akzeptanz von Minderheiten zu fördern, muss sich zunächst einmal die Einstellung der gesamten Gesellschaft in Hinblick auf Inklusion erweitern. Dies beginnt bereits im Kindesalter. Im Kindergarten beispielsweise treffen Individuen verschiedenster Gesellschaftsgruppen aufeinander und sind „gemeinsam von Anfang an“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011, S.9), wodurch der Umgang mit Heterogenität zur Normalität wird. Es gilt außerdem, bislang bestehende Barrieren ausfindig zu machen und diese möglichst vollständig zu beseitigen. Die Struktur der Gesellschaft muss so modifiziert werden, dass auch Menschen mit Beeinträchtigung eine uneingeschränkte soziale Teilhabe ermöglicht wird (vgl. Poscher/Rux & Langer 2008).

1.1 Rechtliche Entwicklung

„Die Inklusionspädagogik geht auf die Integrationsbestrebungen der 1970er Jahre zurück“ (Albers 2012, S.9). Bereits damals bestand das Bedürfnis, Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam in Kindergärten und Schulen zu fördern.

1989 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Vereinbarung über die Rechte der Kinder verabschiedet, welche von 193 Staaten unterzeichnet wurde (vgl. ebd.). Diese verpflichten sich mit ihrer Unterschrift dazu, diese Rechte zu sichern und umzusetzen. Die UN-Kinderrechtskonvention besteht aus 54 Artikeln, welche sich beispielsweise mit dem Recht auf Privatleben, dem Recht auf Bildung und dem Schutz vor Gewalt beschäftigen (vgl. UN-Kinderrechtskonvention 1989). Bereits in dieser Konvention wurden Kinder mit Behinderung berücksichtigt. In Artikel 23 ist festgelegt, dass behinderte Kinder ein Recht auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben und eine angemessene Förderung erhalten, um so die „möglichst vollständige[…] soziale[…] Integration und individuelle[…] Entfaltung des Kindes einschließlich seiner kulturellen und geistigen Entwicklung“ (ebd., Artikel 23 Absatz 3) zu gewährleisten.

Seit 1994 ist das Verbot der Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung auch im Grundgesetz (GG) verankert. Artikel 3 Absatz 3 GG wurde durch den Zusatz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ erweitert. Dadurch erfolgt die erste Aufnahme des Inklusionsgedanken in Bezug auf Menschen mit Behinderung in die gesetzliche Grundordnung (vgl. Klein 2010).

Im gleichen Jahr diskutierten in Spanien bei der Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ internationale Vertreter von 92 Regierungen und 25 Organisationen über die mögliche Gestaltung eines Bildungssystems, welches dem Integrationsgedanken gerecht wird. Um dies zu erreichen, muss ein Bewusstsein für die individuellen Fertigkeiten und Bedürfnisse der einzelnen Kinder vorhanden sein und die Kinder diesen entsprechend gefördert werden (vgl. GEW o.J.). Die Salamanca-Erklärung und der in diesem Zuge verfasste „Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse“ fordert die vertraglich gebunden Regierung auf, sich mit dem Integrationsgedanken zu befassen und diesen für rechtmäßig zu erklären. Dies beinhaltet, dass das Schulsystem entsprechend der Vorgaben der Erklärung umzugestalten und weiterzuentwickeln ist (vgl. UNESCO 1994).

Im Jahr 2002 tritt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft, wodurch, laut §1 BGG gilt, „die Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen“ (BGG §1).

Im Dezember 2006 wird die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet (vgl. Weigt 2009). Diese wird im folgenden Kapitel ausführlich vorgestellt. Drei Jahre darauf tritt im März die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland in Kraft.

1.2 UN-Behindertenrechtskonvention

Bei der UN-Behindertenrechtskonvention handelt es sich um eine internationale Vereinbarung, deren Ausarbeitung 2001 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde (vgl. Bielefeldt 2009). Ziel des Übereinkommens ist es, die Unterstützung sowie den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen festzulegen. Im Jahr 2006 wurde die Konvention durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und trat 2009 in Deutschland bundesweit in Kraft (vgl. Albers 2012). Damit verpflichtet sich das Land Deutschland die in der Konvention festgelegten Vereinbarungen umzusetzen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011). Dadurch soll die Diskriminierung behinderter Menschen verhindert und deren Chancengleichheit im alltäglichen Leben gewährleistet werden. „Die Behindertenkonvention wird dabei als weiterführende Interpretation der Kinderrechtskonvention verstanden, die das Kind als eigenständige Persönlichkeit mit den Rechten auf Schutz, Förderung und Partizipation in dem[sic!] Mittelpunkt stellt“ (Albers 2012, S.27 nach Eichholz 2009).

In Artikel 1 der BRK wird das Anliegen formuliert, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration 2013, S.31). Hier sind Parallelitäten zum ersten Artikel des Grundgesetzes festzustellen, welcher lautet: „Die Würde des

Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Artikel 1, Absatz 1 Grundgesetz). Damit wird die Achtung und Unumgänglichkeit, die Menschenrechte aller behinderten Menschen zu fördern und zu sichern, gefordert, wodurch die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung angenommen wird (vgl. Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration 2013). Die Vertragsstaaten verpflichten sich, diese Rechte zu fördern und zu sichern.

Die UN-Behindertenrechtskonvention beruft sich dabei auf die Definition des Behinderungsbegriffes, die durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt wurde. Diese wird in Kapitel 4.1 näher erläutert.

Die Grundsätze, die in Artikel 3 der BRK festgehalten werden, umfassen beispielsweise Aspekte wie die Nichtdiskriminierung, soziale Teilhabe, Anerkennung der Heterogenität sowie die Barrierefreiheit (vgl. Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration 2013). Menschen mit Beeinträchtigungen dürfen nicht länger nur als Objekte gesehen werden, welchen Mitleid entgegengebracht werden muss und die Beistand benötigen, sondern als selbstbestimmte Individuen, die sich barrierefrei in allen Bereichen der Gesellschaft bewegen können (vgl. Schulze 2011). Diese Aufforderung an die gesamte Gesellschaft ist in Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention formuliert.

In den Artikeln 10-30 werden Rechte in Bezug auf unterschiedliche Lebenslagen aufgeführt. Diese umfassen beispielsweise die „Freiheit und Sicherheit der Person“ in Artikel 14, die „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ in Artikel 19 sowie die „Achtung der Privatsphäre“ und die „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“ in Artikel 22 und 30 (vgl. ebd.) „Die menschenrechtlichen Normen der UN-BRK sind geltendes Recht“ (Aichele 2011, S.727).

Um die Einhaltung der Konvention sicherzustellen, verpflichtet sich daher jeder Vertragsstaat laut Artikel 35 der BRK dazu, zwei Jahre nachdem die UN-Behindertenrechtskonvention in dem jeweiligen Land in Kraft getreten ist einen Bericht vorzulegen, in dem bisher durchgeführte Maßnahmen und deren Erfolge geschildert werden. Anschließend muss die Vorlage dieses Berichts mindestens jedes vierte Jahr wiederholt werden (vgl. Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration 2013).

Die Behindertenrechtskonvention wird als Möglichkeit angesehen, „die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland zu stärken und damit auch langfristig zur Humanisierung der Gesellschaft im Ganzen beizutragen“ (Aichele 2008, S.3). Durch die BRK sollen beeinträchtigen Menschen keine Vorrechte zugesprochen werden. Vielmehr soll bewusst gemacht werden, dass die Menschenrechte sowohl für Menschen mit als auch ohne Behinderung Gültigkeit haben (vgl. Schulze 2011).

1.3 Index für Inklusion

Der „Index für Inklusion“ ist eine im Jahr 2000 verfasste Sammlung von Materialien und konkreten Praxishilfen, welche die inklusive Qualität pädagogischer Arbeit gewährleisten und sichern sollen. In der ursprünglichen englischen Fassung lag der Schwerpunkt allerdings auf der schulischen Bildung, welche 2003 durch die Anregung von Hinz und Boban ins Deutsche übersetzt und an die Pädagogik in Kindertageseinrichtungen angepasst wurde (vgl. Thiem 2010). Der Index besteht aus vier Elementen, welche wiederum in Teilbereiche untergliedert sind.

Zu Beginn werden die „Schlüsselkonzepte“ eingeführt, wobei einzelne Konzepte wie „Inklusion“ oder „Unterstützung von Vielfalt“ erklärt und definiert werden, um ein Grundverständnis zu schaffen.

Darauf folgt das zweite Element, der „Planungsrahmen“, welcher Dimensionen und Bereiche festlegt, durch welche die Entwicklung hin zu einer inklusiven Einrichtung strukturiert werden kann. Er schafft außerdem die Möglichkeit, Fortschritte der Einrichtung in den jeweiligen Bereichen erkennbar zu machen, wodurch diese reflektiert werden können (vgl. Booth et al. 2006).

Indikatoren und Fragen werden im Element drei „Evaluationsmaterialien“ aufgeführt. Sie dienen der Evaluation der Einrichtung und geben einen Überblick, über die zu treffenden Veränderungen, über deren Wichtigkeit und welche Maßnahmen geeignet sind um diese angemessen herbeizurufen.

Das abschließende vierte Element bildet der „Index-Prozess“. Im Zuge dessen werden die fünf Phasen dieses Prozesses vorgestellt (vgl. ebd.). Die Phasen sind in Abbildung 4 „Der Index-Prozess“ dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Der Index-Prozess (vgl. Booth, Ainscow & Kingston 2006)

Deutlich ist hierbei zu erkennen, dass es sich nicht um ein Projekt handelt, welches nach Vollendung der fünften Phase abgeschlossen ist. Vielmehr handelt es sich hier um einen fortlaufenden Kreislauf, welcher ständig reflektiert und überdacht werden muss.

Der Index dient als Hilfestellung zur Entwicklung inklusiver Institutionen und „stellt [durch darin aufgeführte Leitlinien – Anm. d. Verf.] eine wertvolle Arbeitshilfe für alle dar, die ihre Einrichtung auf den Weg zur gemeinsamen Bildung und Erziehung aller Kinder bringen wollen“ (Albers 2012, S.113). Außerdem bietet er Unterstützung bei der Überlegung, welche Maßnahmen als nächstes durchgeführt werden müssen, um dem Ziel der Pädagogik nach inklusivem Verständnis näher zu kommen. Darin dargestellte Materialien bauen auf dem Wissen der Fachkräfte auf und sind darauf ausgelegt, in jeder Einrichtung

Anwendung zu finden. Des Weiteren ruft der Index das pädagogische Personal dazu auf, sich mit der eigenen Haltung gegenüber dem Inklusionsgedanken und der Heterogenität zu befassen und bietet eine Alternative zu bisherigen Evaluations- und Qualitätsmanagementinstrumenten. Zudem zeigt er Möglichkeiten auf, um bestehende Barrieren der Teilhabe abzubauen (vgl. Booth et al. 2006).

2. Behinderung

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte 2012 das Ergebnis des „Mikrozensus 2009“, aus dem hervorgeht, dass im Jahr 2009 in Deutschland 9.6 Millionen Menschen mit Behinderung lebten, was einem prozentualen Anteil von 11,7% der Gesamtbevölkerung Deutschlands ausmachte (vgl. Statistisches Bundesamt 2012). Laut der „Statistik der schwerbehinderten Menschen“ gab es im Jahr 2011 in Deutschland zu Jahresende 7,3 Millionen Schwerbehinderte. Somit waren etwa 8,9% betroffen. Verglichen mit den Erhebungen des Jahres 2009 hat die Anzahl um 2,6% zugenommen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013).

Der Begriff „Behinderung“ umfasst etliche Formen und Ausprägungen unterschiedlicher Beeinträchtigungen. Daher wird im Folgenden zunächst eine allgemeine Definition dargestellt. Daraufhin wird ein Überblick über Behinderungsarten verschafft und erläutert, welche Folgen diese Beeinträchtigungen für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen mit sich bringen.

2.1 Allgemeine Definition

In §2 Absatz 1 des Sozialgesetzbuch (SGB) IX wird Behinderung wie folgt definiert:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist“.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behinderung von Geburt an besteht oder durch einen Unfall, eine Krankheit oder andere Umstände hervorgerufen wurde. Eine schwere Behinderung liegt vor, „wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 [%] vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des §73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben“ (§2 Absatz 2, SGB IX).

Diese Begriffsbestimmung ist zurückzuführen auf die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese besagt, - wie auch im Sozialgesetzbuch IX definiert - dass sich nicht an den Beeinträchtigungen orientiert werden soll, sondern die soziale Teilhabe als primäres Ziel gelten muss (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2008). Somit steht nicht die Behinderung im Vordergrund, vielmehr liegt der Fokus auf der Teilhabe und den Auswirkungen der Beeinträchtigung. Es ist nicht als selbstverständlich anzusehen, dass jeder Mensch, der eine Beeinträchtigung hat, auch behindert ist. Können Betroffene uneingeschränkt am gesellschaftlichen Geschehen teilhaben und den Lebensalltag ohne Einschränkungen bestreiten, kann nicht von einer Behinderung gesprochen werden. „Wenn eine Leistungsminderung, die auf Grund einer Schädigung eingetreten ist, zu einer sozialen Ausgrenzung führt“ (Schöler 1998, S.9), ist die Bezeichnung „Behinderung“ angemessen.

2.2 Sinnesbehinderungen

Von einer Sinnesbehinderung wird gesprochen, wenn die Fernsinne beeinträchtigt sind. „Dazu gehören Sehbeeinträchtigungen und Blindheit sowie Hörstörungen, die das Spektrum von Schwerhörigkeit bis zur Gehörlosigkeit darstellt“ (Albers 2012, S.65). Eine Beeinträchtigung der olfaktorischen Wahrnehmung, ist daher nicht als Behinderung zu werten. Im Folgenden werden die beiden Formen der Sinnesbehinderung dargestellt.

2.2.1 Sehbehinderung

„Die Augen sind die Sinnesorgane, durch die wir die wichtigsten Informationen über das Geschehen in unserer Umwelt erhalten“ (Herm 2012, S.90). Die Sehschärfe (Visus) liegt bei einem gesunden Auge bei 1,0. Von einer mittelschweren oder schweren Sehbeeinträchtigung ist die Rede, wenn sich die Sehschärfe trotz optimaler optischer Korrektur zwischen den Werten 0,05 und 0,3 befindet. Bei Vorliegen eines beidseitigen bestmöglich korrigierten Visus im Bereich von 0,02 und 0,05 kann von einer hochgradigen Sehbehinderung gesprochen werden. Eine Blindheit liegt vor, wenn die Sehschärfe unter 0,02 liegt (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2014b). Wenn eine Beeinträchtigung der Augen vor Erreichen des dritten Lebensjahres erkannt wird, kann die Entwicklung durch die entsprechende Behandlung gefördert und eine weitere Minderung der Sehkraft verhindert werden (vgl. Albers 2012). Als entsprechende Behandlung zur Steigerung der Sehkraft kann ein Abkleben des gesünderen Auges vorgenommen werden mit dem Ziel die Sehkraft des eingeschränkteren Auges durch eine Anpassung zu verbessern.

In der Kindertagesstätte ist bei der Förderung sehbehinderter Kinder darauf zu achten, dass lebenspraktische Fähigkeiten vermittelt werden und die Wahrnehmung sonstiger Sinne gefördert wird, um die verminderte Leistung der Augen zu kompensieren. Außerdem müssen vorhandene Sehfähigkeiten gestärkt und durch Hilfsmittel unterstützt werden, um den Kindern die visuelle Entdeckung der Umwelt zu ermöglichen. Bereits früh sollten die Kinder dabei unterstützt werden, sich autonom im Raum bewegen zu können und Handlungen selbstständig durchzuführen (vgl. Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit 2002).

2.2.2 Hörbehinderung

Der Begriff „Hörbehinderungen“ umfasst zum einen die Schallleitungsschwerhörigkeit und zum anderen die Schallempfindungs-schwerhörigkeit. Diese sind davon abhängig, in welchem Bereich des Ohres die Beeinträchtigung auftritt (vgl. Herm 2012). Hervorgerufen werden sie durch Erkrankungen wie Masern, Mumps oder Röteln. Außerdem können sie von Geburt an bestehen, beispielsweise durch genetische Defekte, Komplikationen während der Geburt oder durch eine Krankheit der Mutter während der Schwangerschaft (vgl. Albers 2012). Das Hörvermögen wird in Dezibel (dB) angegeben. Von einem normalen Hörvermögen wird gesprochen, wenn Töne ab einer Laustärke bis 20dB wahrgenommen werden. Im Bereich von 20-40dB wird von einer leicht- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit ausgegangen. Eine hochgradige Schwerhörigkeit liegt vor, wenn Töne erst zwischen 71-95dB wahrgenommen werden können. Bei einer Wahrnehmung ab 95dB spricht man von minimalen Hörresten oder Gehörlosigkeit (vgl. ebd.).

Die verminderte Hörleistung führt zu Beeinträchtigungen der Sprachentwicklung des Kindes. Daher ist

„die eigentliche Behinderung bei Hörgeschädigten […] nicht – wie bei Sehbehinderten – die Einschränkung oder der Ausfall eines Sinnes, sondern die daraus resultierende eingeschränkte Kompetenz in Sprachwahrnehmung, Sprachverfügbarkeit und Sprechfähigkeit mit allen Folgen auf die psychische und soziale Entwicklung. Hörbehinderte Menschen sind also nicht normale Menschen mit reduziertem oder ohne Gehör, sondern Menschen, die in der Kommunikation mit Hörenden behindert und in ihrer gesamten Entwicklung gravierend beeinflusst sind“ (Hansen & Stein 1997, S.100).

Für die Förderung in Kindertagesstätten bedeutet dies, dass das bestehende Hörvermögen trainiert wird, um akustische Reize der Umwelt zu erkennen, diese der räumlichen Lage zuzuordnen und entsprechend darauf zu reagieren. Zusätzlich muss eine Sprachförderung stattfinden, die individuelle Kompetenzen des Kindes berücksichtigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einige Kinder lediglich einen verlangsamten Sprachentwicklungsverlauf vorweisen, während für andere das Erlernen der Gebärdensprache notwendig ist.

2.3 Körperbehinderungen

„Als körperbehindert werden Personen bezeichnet, die infolge einer Schädigung des Stütz- und Bewegungssystems, einer anderen organischen Schädigung oder einer chronischen Krankheit so in ihrer Bewegungsfähigkeit und dem äußeren Erscheinungsbild beeinträchtigt sind, daß [sic!] die Selbstverwirklichung in sozialer Interaktion erschwert ist“ (Leyendecker/Thiele 2003, S.598). Aufgrund körperlicher Abweichungen der gesellschaftlichen Norm werden Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen mit Vorurteilen und ablehnenden Haltungen von seitens der Gesellschaft konfrontiert (vgl. Hedderich 2006).

Eine Vielzahl von Schädigungen können zu den Körperbehinderungen gezählt werden. Diese können angeboren oder durch Erkrankungen oder Unfälle im Bereich des noch vollständig entwickelten Gehirns im Kindesalter entstehen. Zunächst gilt es zwischen cerebralen, spinalen und peripheren Störungen des Bewegungsapparates zu unterscheiden (vgl. Herm 2012).

Im Folgenden werden zuerst die cerebralen Bewegungsstörungen dargestellt. Infantile Cerebralparesen können in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten. Hauptmerkmal dieser Schädigung ist der anormale Muskeltonus, der besonders niedrig, schwankend oder erhöht sein kann. Letzteres führt zu spastischen, also verkrampften Haltungen der Gliedmaßen (vgl. Albers 2012). Das Auftreten der Spastik kann wie folgt eingeteilt werden:

- „Monoparese – Störung eines Armes oder Beines
- Hemiparese – eine Halbseitige Lähmung
- Diparese – Lähmung hauptsächlich der Beine, Arme sind weniger betroffen
- Tetraparese – Störungen in allen vier Extremitäten, Kopf und Rumpf können auch beteiligt sein“ (Herm 2012, S.114).

Eine weitere Form der Beeinträchtigung sind die bereits erwähnten spinalen Bewegungsstörungen. Dabei treten Schädigungen im Bereich des Rückenmarks auf, die zum einen infolge von Verletzungen oder Erkrankungen in diesem Bereich zum anderen durch angeborene Fehlbildungen, wie bei einer Spina Bifida[1] auftreten. Abhängig von dem Bereich der Wirbelsäule, an dem die Schädigung auftritt, können eher geringe Beeinträchtigungen, wie die Beweglichkeitsstörung einer Extremität bis hin zu Störungen, die mit einer Querschnittslähmung vergleichbar sind, auftreten (vgl. Herm 2012).

Zu den peripheren Bewegungsstörungen gehören Schädigungen der Muskulatur und des Knochengerüstes, sowie durch chronische Krankheiten oder Fehlfunktionen von Organen verursachte Beeinträchtigungen. Diese können wie bei der Glasknochenkrankheit oder Fehlstellungen der Wirbelsäule genetisch bedingt sein. Außerdem können beispielsweise durch Contergan verursachte Vergiftungen Dysmelien, also das Fehlen bzw. die Fehlbildung von Gliedmaßen, hervorgerufen werden. Eine weitere Ursache kann eine durch Verletzung veranlasste Amputation oder eine traumatische Schädigung der Haut, beispielsweise durch Verbrennungen, sein (vgl. Kallenbach 2000).

„Aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit (Plastizität) des kindlichen Gehirns erhält die frühzeitige Entwicklungsunterstützung von Kindern mit körperlichen und motorischen Einschränkungen daher eine wichtige Funktion“ (Albers 2012, S.71). Daher spielt eine angemessene Förderung von Anfang an eine elementare Rolle.

Um diese Förderung umsetzen zu können, bedarf es räumlicher sowie materieller Ausstattung, welche dem Behinderungsgrad der Kinder individuell gerecht wird. Zusätzlich müssen eine gezielte Betreuung der Kinder und die Unterstützung für das Team durch sonderpädagogische Fachkräfte möglich sein (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013).

[...]


[1] „Die Spina bifida ist eine Fehlbildung der Wirbelsäule, eventuell unter Einschluß des Rückenmarkes. Es handelt sich um eine Spaltbildung eines oder mehrerer Wirbelbögen, und es werden verschieden starke Ausprägungen unterschieden“ (Lüders/Schönau 1997, S.422)

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Details

Title
Inklusion zwischen Konzept und Realität. Kritische Perspektiven auf die inklusive Pädagogik in Kindertagesstätten
College
University of Applied Sciences Freibug
Grade
2,3
Author
Year
2014
Pages
93
Catalog Number
V273522
ISBN (eBook)
9783656652625
ISBN (Book)
9783656652601
File size
830 KB
Language
German
Keywords
Inklusion, Kritik, Kita, Kindertagesstätte, Behinderung
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Aaron Bopp (Author), 2014, Inklusion zwischen Konzept und Realität. Kritische Perspektiven auf die inklusive Pädagogik in Kindertagesstätten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273522

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Title: Inklusion zwischen Konzept und Realität. Kritische Perspektiven auf die inklusive Pädagogik in Kindertagesstätten



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