Die Farbkompositionen Antonionis in "Die rote Wüste"

Zwischen Angst und Ästhetik


Seminar Paper, 2013

17 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsübersicht

1. Einleitung

2. Die Farben und die Angst
2.1 Die Fabrik als bedrohlicher Ort
2.2 Die Bootsbaracke
2.3 Die Traumwelt
2.4 Das Hotelzimmer

3. Fazit

Literatur-/Materialverzeichnis

Videoverzeichnis

1. Einleitung

Giuliana, die Protagonistin, steht, gekleidet in einen hellen grünen Mantel, umgeben von Nebel in einer grauen Landschaft, aus der jegliche Farbe gewichen zu sein scheint. Vor ihr erstreckt sich eine triste Szenerie aus rauchenden Schornsteinen und Fabrikgebäuden. Aus ihnen heraus ragen auffällig rote Abflussrohre. Natur in ihrem eigentlichen Sinne scheint es nicht mehr zu geben, die Welt der Natürlichkeit ist von bleichen Farben überzogen und weicht der bunt herausstechenden Industrie.

Giuliana ist, anders als die anderen Figuren des Films, nicht in der Lage, sich an diese Welt anzupassen, weil sie stets den Kontakt zur Natur sucht, die von der Industrie und Technik verdrängt worden zu sein scheint. Dass sich die Natur in eine karge Welt verwandelt hat, ist eine Verschuldung der Menschen selbst, doch auch hier kann man noch das Schöne und vor allem Nützliche entdecken.[1] Giuliana ist dazu nicht fähig und fühlt sich dadurch ständig von ihrer Umgebung bedroht. Überreizt von dieser, vor allem durch die von ihr wahrgenommenen Farben ausgedrückt, flüchtet sie sich unter anderem in Traumwelten, in denen es Farben gibt, denen sie zugetan ist und mit denen sie sich wohl fühlt. Außerdem führt sie eine geradezu stille Rebellion der Farben, da sie immer wieder farblich durch ihre Kleidung aus ihrer Umgebung heraussticht. Hierbei wird auch ersichtlich, dass sie sich weder anpassen kann, noch dies zu wollen scheint.

Im Folgenden wird anhand von vier verschiedenen Szenerien untersucht, wie Antonioni Farbkompositionen nutzt, mit denen er aufzeigt, wie geradezu unmöglich es für die Protagonistin ist, sich zurechtzufinden bzw. anzupassen und an der Welt der Industrie, die sowohl nützlich als auch ästhetisch sein kann, scheitert. Bei den angesprochenen Szenerien handelt es sich um das Fabrikgelände (2:28-13:58)[2], die Bootsbaracke (43:10-1:04:40), Giulianas Traumwelt (1:20:53-1:29:10) und Corrados Hotelzimmer (1:31:49-1:43:00). Hierbei wird besonders auf die Farbgestaltung der Szenerien eingegangen und Giulianas Reaktionen auf diese. Darüber hinaus wird auch auf die anderen Figuren Bezug genommen und ebenso ihr Verhalten gegenüber Giuliana und der Umgebung angesprochen.

2. Die Farben und die Angst

2.1 Die Fabrik als bedrohlicher Ort

Dass von der Fabrik, in der Giulianas Mann arbeitet, eine Form von Bedrohung ausgeht, zeigt sich nicht erst beim Auftreten der Protagonistin. Der Vorspann des Films wird abrupt mit dem Auflodern von riesigen Feuerbällen, die vorerst aus dem Nichts zu kommen scheinen, beendet (2:28). Erst einige Flammenausstöße später zeigt sich, dass das Feuer aus einem Schornstein aufsteigt, der sich wiederum auf einem Fabrikgelände befindet. Nur die Flammen scheinen hier das einzige kräftige Farbliche zu sein, denn der Schornstein und die restlichen Gebäude zeigen sich in einer Kombination aus blassem Grau und Schwarz, umhüllt von Abgasen.

Die Ansammlung von streikenden Arbeitern vor dem Industriegelände fügt sich farblich in die Landschaft ein. Die Menschen tragen vorwiegend Kleidung in grauen oder anderen dunklen, gedeckten Farben (2:50). Darunter finden sich Personen in Regencapes, die wie Geistergestalten durch die Menschenansammlung streifen. Es folgt ein Schnitt, der die Straße vor dem Industriegelände zeigt. Hier tritt Giuliana das erste Mal auf. Doch sie steht vorerst nicht im Mittelpunkt. Sie, in Begleitung ihres Sohnes Valerio, läuft von Weitem auf einem schlammigen Weg neben der Straße direkt auf die Kamera zu. Schritt für Schritt bahnt sie sich ihren Weg von der linken Bildseite in den Fokus, der vor allem durch ihren in der grauen Landschaft auffällig wirkenden blass-grünen Mantel gesetzt wird. So wirkt sie wie ein Fremdkörper, der sich farblich nicht in die ihn umgebende Landschaft integrieren kann. Selbst ihr Schuhwerk ist nicht den Bedingungen des Bodens angemessen. Mit ihren Absatzschuhen stapft sie den schlammigen Weg entlang, während ihr Sohn Gummistiefel trägt. Ihre farbliche Abspaltung von ihrer Umwelt signalisiert eine Spannung, in der sie einen elementaren Ausgleich für ihren Mangel in dieser Welt der Industrie sucht.[3] Im Verlauf des Films wird deutlich, dass sie sich immer wieder in Farben kleidet, die sie von ihrer Umgebung abheben und sie stets im Abseits der Welt zu agieren scheint, in der sie lebt.

Durch die Streikenden hindurch fokussiert Giuliana plötzlich einen Mann mit einem Brötchen in der Hand (4:31). Wie gebannt von dem Stück Essbarem, lässt sie ihren Sohn zurück, vernachlässigt oder verweigert gar ihre mütterliche Pflicht der Kinderbeaufsichtigung und bringt in Erfahrung, woher er das Gebäck hat. Es scheint, als sei das Brötchen, das „aus dem Laden an der Ecke“ (4:59) stammt, das einzige Frische – oder im Weiteren Sinne, Lebendige – zu sein, dem Giuliana in dieser Szenerie aus Dunst, Schlamm und Grauem begegnet.[4] Kurzerhand kauft sie dem Mann das Brötchen ab. Der Hinweis, dass er schon hineingebissen habe, spielt für sie keine Rolle. Dies steht im Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten, das vor allem durch die Angst vor möglichen Krankheiten geprägt ist (siehe 2.2). Als wollte sie ihren Sohn an der „Lebendigkeit“ des Brötchens teilhaben lassen, bietet sie es ihm an. Er verweigert sich energisch. Daraufhin wendet sie sich ab und watet durch den fast schwarz gefärbten Industrieschlamm hinter eine dunkle verdorrte Dornenhecke, um das Gebäck zu verzehren. Der Beaufsichtigung ihres Kindes geht sie erneut nicht nach. Während sie das Brötchen geradezu verschlingt und dadurch animalische Züge annimmt, sieht sie sich ängstlich um und macht den Eindruck eines scheuen Tieres, das Gefahr in nächster Nähe wittert. Als sie innehält und erneut um sich blickt, zeigt sich ein Bild, das Giulianas Position in der industriellen Welt, in der sie sich befindet, gut beschreibt (6:09): sie, in eine nicht in die Umgebung passende Farbe gekleidet, klammert sich an etwas Lebendigem (hier: das Brötchen) fest, während sie, umgeben von der totenähnlichen Natur (hier: das schwarz gefärbte Gestrüpp und der vermüllte Schlamm), von der Welt der Industrie verängstigt bzw. bedroht wird (hier: die Feuerbälle eines Schornsteins steigen im Hintergrund auf).

Im Fabrikgebäude selbst, das bis auf einen blauen und einen grünen Tank oder einige Rohre, die knallrot sind, ebenso in ein Grau-Weiß getaucht ist, bahnt sich Giuliana ihren Weg durch die Stahl- und Metallwelt zu ihrem Mann Ugo. Dabei vermeidet sie jegliche weitere Berührung mit dieser (9:49), als würde sie sich vor ihr ekeln bzw. als fürchte sie sich vor ihr. Hierbei wird ersichtlich, dass die Farben einiger Tanks und Rohre noch auffälliger sind als die Giulianas. Sie wird so farblich übertroffen und in den Hintergrund gedrängt. Als sie mit schnellen Schritten durch die Fabrikhalle läuft, wird sie von einer Entlüftungsanlage aufgehalten. In der Abluft verwirrt stehenbleibend, erblickt sie ihren Mann, der sie mit Corrado bekannt macht. Durch ihre verwirrten und umherstreifenden Blicke wird deutlich, wie unwohl sie sich in der Gegenwart der Maschinerien und vielleicht auch Corrados fühlt. Mit der Information, sie warte in seinem Büro auf ihn, verabschiedet sie sich hastig von Ugo und flieht geradezu aus der Szenerie. Zuvor erschreckt sie noch vor dem herausströmenden Dunst, der aus einem Entlüftungsschacht am Boden stammt und geht gehetzt weiter (10:46). Diese Verbildlichung ihrer Angst vor der Welt der Fabrik/Industrie bildet die Überleitung zu dem Gespräch zwischen Ugo und Dorrado, in dem Ugo von Giulianas vermeintlichem Autounfall berichtet. An seiner Äußerung „Sie schafft es nicht, ganz da zu sein“ (11:21) wird deutlich, dass sich Giuliana in der Welt wie sie ist, nicht zurechtfindet und sich von ihr abzugrenzen versucht.

Auf dem Außengelände des Fabrikgeländes beobachten die beiden Männer gespannt den gewaltigen Dampfausstoß einer Maschine, der für eine Zeit lang alles in einen grauen Dunstschleier hüllt. Im Gegensatz zu Giuliana scheinen sie Begeisterung für die Welt der Industrie zu haben und keine Bedrohung in ihr zu sehen. Vor allem auch durch die farbliche Gestaltung der Kleidung – beide tragen vorwiegend Grau – wird deutlich, dass sie sich in die Welt der Industrie integrieren und sich ihr anpassen.

2.2 Die Bootsbaracke

Wie zu Beginn des Films bietet sich erneut der Anblick des Feuers. Hier zeigt sich das erste Bild der Szene: die Innenansicht eines Ofens. Zuerst ist aber nur glimmendes Holz zu sehen (43:12). Erst, als sich ein Fuß von links ins Bild bewegt und vor dem Feuer verweilt, wird klar, dass es sich hier um das Innere eines Ofens handeln muss. Danach wird durch das Herauszoomen der Kamera deutlich, dass sich eine Frau vor dem Ofen wärmt. Es handelt sich hierbei um um Emilia. Sie ist in ein leichtes Grün gekleidet und hebt sich, selbst mit ihren rot-blonden Haaren, kaum von den blassen Farben des Raumes ab. Nur das wärmende Feuer erscheint in kräftiger Farbe und macht so einen lebendigen Eindruck.

[...]


[1] Siehe Kock 1994, 92.

[2] Alle folgenden Zeitangaben stammen aus dem Film Il derserto rosso. Die rote Wüste. (1964), Regie: Michelangelo Antonioni, Italien, Studiocanal. und werden im Verlauf der Arbeit in Klammern aufgeführt.

[3] Siehe Lenssen 1984, 162.

[4] Siehe Kock 1994, 101.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Die Farbkompositionen Antonionis in "Die rote Wüste"
Subtitle
Zwischen Angst und Ästhetik
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft)
Course
Formen filmischen Erzählens
Grade
1,3
Author
Year
2013
Pages
17
Catalog Number
V273687
ISBN (eBook)
9783656660118
ISBN (Book)
9783656660088
File size
394 KB
Language
German
Keywords
farbkompositionen, antonionis, wüste, zwischen, angst, ästhetik
Quote paper
M.A. Master of Arts Stefanie Zellmann (Author), 2013, Die Farbkompositionen Antonionis in "Die rote Wüste", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273687

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