In der historischen Forschung des 20. Jahrhunderts kursierten lange Zeit diverse Thesen zu einem krisenhaften Charakter des ausgehenden Mittelalters. Hauptvertreter dieser These war allen voran der deutsche Wirtschaftshistoriker Wilhelm Abel, der in seiner Dissertation von 1935 von einer Reihe Agrarkrisen ab dem 14. Jahrhundert spricht und darüber hinaus die demografischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen dieser Krisen erörtert. Das Aufkommen des Begriffs „Krise“, dem vorher in der Forschung eher wenig Beachtung geschenkt wurde, lässt sich dabei ab den krisenhaften 1920ern und 1930ern feststellen, eine Zeit in der Krisen als Parallele zur eigenen Zeit in der Vergangenheit gesucht wurden. Bereits 1919 sprach Johann Huizinga in seinem Werk „Herbst des Mittelalters“ von tiefgreifenden Veränderungen am Ende des Mittelalters.
Dieser Essay geht der Frage der Krisenhaftigkeit einer ganzen Epoche aus heutiger Sicht nach. Hinzugezogen für die Analyse werden einschlägige thematische Aufsätze der Historiker František Graus, Peter Schuster und einem Aufsatz der aktuellen Forschung von Werner Rösener aus dem Jahre 2012. Ziel dieses Essays soll eine Synthese der Argumentationsstränge der genannten Aufsätze sein, um der Frage der Krisenhaftigkeit des Spätmittelalters näher kommen zu können.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der krisenhafte Charakter des Spätmittelalters. Historisches Faktum oder Konstrukt der modernen Geschichtsforschung?
- Schlussbetrachtung
- Literatur
- Internetquellen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Essay befasst sich mit der Frage, ob der krisenhafte Charakter des Spätmittelalters ein historisches Faktum oder ein Konstrukt der modernen Geschichtsforschung ist. Er analysiert verschiedene Argumentationsstränge von Historikern wie František Graus, Peter Schuster und Werner Rösener, um eine Synthese der Perspektiven auf die Krisenhaftigkeit des Spätmittelalters zu erreichen.
- Die Bedeutung des Begriffs "Krise" und seine Interpretation in der historischen Forschung
- Die Rolle des demografischen Wandels, der Territorialherrschaft und der kirchlichen Einheit in der Krisenhaftigkeit des Spätmittelalters
- Die Kritik an der These einer spätmittelalterlichen "Gesamtkrise" und die Notwendigkeit einer Differenzierung in spezifische Teilkrisen
- Der Einfluss von Klima- und Umweltfaktoren auf die Krisenphänomene des Spätmittelalters
- Die Relevanz der Agrarkrisentheorie und ihre Kritik in der modernen Forschung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage und die Zielsetzung des Essays dar. Sie erläutert den historischen Kontext der These vom krisenhaften Spätmittelalter und die Entstehung des Begriffs "Krise" in der Forschung des 20. Jahrhunderts.
Im zweiten Kapitel werden verschiedene Perspektiven auf den krisenhaften Charakter des Spätmittelalters analysiert. František Graus argumentiert für eine Interpretation des Spätmittelalters als Zeit des Umbruchs und der Unrast, die von demografischen Veränderungen, Territorialisierungsprozessen und der Spaltung der Kirche geprägt ist. Peter Schuster hingegen betrachtet die These von der spätmittelalterlichen Krise als ein Konstrukt der Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts, das durch die eigenen Krisenerfahrungen dieser Zeit geprägt wurde. Er kritisiert die Verallgemeinerung von Krisenphänomenen auf das gesamte Spätmittelalter und betont die Notwendigkeit einer Differenzierung in spezifische Teilkrisen.
Werner Rösener stellt in seinem Artikel die Bedeutung von Klima- und Umweltfaktoren für die Krisenforschung des Spätmittelalters heraus. Er relativiert die Bedeutung der Pest als alleinige Ursache für die Krise und betont die Rolle von Klimaveränderungen, Hungersnöten und Viehseuchen. Rösener fordert eine regionale Differenzierung der Krisenphänomene und kritisiert die Agrarkrisentheorie von Wilhelm Abel aufgrund ihrer Verallgemeinerung und mangelnden Berücksichtigung von Umweltfaktoren.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den krisenhaften Charakter des Spätmittelalters, die Agrarkrise, die Pest, den demografischen Wandel, die Territorialherrschaft, die Spaltung der Kirche, Klima- und Umweltfaktoren, die "Kleine Eiszeit", die Wirtschaftsgeschichte, die Geschichtsforschung und die Interpretation von Krisenphänomenen.
- Quote paper
- Tobias Molsberger (Author), 2012, Der krisenhafte Charakter des Spätmittelalters, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273733