Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Forschungsstand
1.2 Fragestellung
2 Dix und Dada
2.1 Dadaismus in Deutschland
2.2 Collagen im Dadaismus
2.3 Dada-Dix
2.4 Nach Dada: Ausblick
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
5 Abbildungsverzeichnis
6 Anhang
1 Einleitung
„Kunst machten die Expressionisten genug. Wir wollten die Wirklichkeit ganz nackt, klar sehen [...].“
Otto Dix, 1965
Noch in den Kriegswirren des Ersten Weltkrieges beschäftigte sich der damals 23-jährige Otto Dix mit der Malerei. Zwischen Schießscharten und Schlamm in den weit verzweigten Systemen der Laufgräben, zeichnete Dix während des „zermürbenden, stumpfsinnigen Ausharrens in Unterständen und unterirdischen Stollen“ mit Tusche, Gouache, Bleistift und Kreide ein Konvolut an realistischen, expressionistischen und kubofuturistischen Bildern (Karcher 2012: 30). Zwischen 1915 und 1918 entstanden 46 Feldpostkarten und Hunderte von Zeichnungen auf Brotpackpapier oder festgehalten in seinen Kriegstagebüchern (Karcher 2012: 30). Die Auseinandersetzung mit dem Krieg, dem Tod und der Dekonstruk- tion sollte erst in den späten Zwanziger Jahren mit den radikaleren Darstellungen in „Der Schützengraben“ (1923), dem Radierzyklus „Der Krieg“ (1924) und zuletzt mit dem Triptychon „Der Krieg“ (1929-1932) seinen Höhepunkt erreichen. Beein- flusst vom Futurismus sind seine Bilder von einer vielfarbigen Zerrissenheit (Abendsonne 1918, Schützengraben 1918), in denen die Bewegungen der kämp- fenden Soldaten, Granateneinschläge und Lichtblitze von den Mündungsfeuern der Gewehre mit chaotischer Rasanz aufgelöst und in einer statischen Moment- aufnahme neugebannt werden (Karcher 2012: 39).
Die künstlerische Entwicklung zeigt im Übergang vom Kriegsende zu den Zwi- schenkriegsjahren eine Veränderung in Technik und Thematik. Auf eine Phase des Expressionismus und des Futurismus folgt Dix durch die Freundschaft mit George Grosz und John Heartfield den Strömungen des Dadaismus und findet im Experimentieren mit expressiven Bildern und Collagen seinen Ausgangspunkt für seinen späteren kalten, linearen und realistischeren Stil, der das korrupte und unmoralische Leben in der modernen Stadt anprangert und die Auswirkungen des Krieges thematisiert. Aus Dix wurde Dada-Dix. Einblicke in Dixs Beweggrün- de für die heftigen nacheinander folgenden Stilwechsel oder auch nur die ge- ringste Aussicht auf eine Kategorisierung des Malers Dix schlagen fehl (Schubert 1991: 7-8). Dix lässt sich nicht kategorisieren. Als Gründungsmitglied der expres- sionistischen Dresdner Sezession „Gruppe 1919“, hängt er schon ein Jahr später mit seiner Collage aus Öl und Papier „Die Kriegskrüppel (mit Selbstbildnis) auf der 1. Internationalen Dada-Messe im Juni 1920 in Berlin (Schwarz 2012: 97).
Doch bereits im Herbst 1920 verändert sich Dixs Malstil abermals und er entwi- ckelt einen „neuartigen, polemisch zugespitzten Realismus mit sozialkritischer Potenz und reüssiert als "berühmt-berüchtigter" Protagonist dieser als Verismus genannten Strömung“ (Otto Dix Stiftung).
1.1 Forschungsstand
Die Phase des Dadaismus ist also eine unstete und kurze Phase im Wirken von Dix!? In vielen Publikationen lassen sich nur schwer tiefere Informationen außer den üblichen Bildbeschreibungen finden. Gründe könnten zum Einen in dem kleinen Teil noch erhaltener Werke aus dieser Phase liegen. Zum Anderen sind auf Grund fehlender persönlicher Reflektionen des Malers, die Aussagekraft und Bedeutung der Werke nur schwer nachvollziehbar, denn Dix wollte nicht werten und wollte sich jeder Wertung entziehen - auch in seinen Bilder (Schubert 1991: 7). Schubert konstatiert aber, dass ein solches Anliegen im Grunde unmöglich ist, denn „in der Auswahl des Geschauten, in der Art des Sehens und in der Art, die- ses wiederzugeben, liegt bereits eine individuelle Wertung, […]“ (Schubert 1991: 7). Hinweise auf weitere Werke deutet Birgit Schwarz in ihrem Beitrag Vergesse- ne Dadawerke an und zeigt zum ersten Mal, dass die Phase des Dadaismus eine entscheidende Stufe in der stetig verlaufenden Entwicklung zur realistischen Ausdrucksweise in Dix Spätwerk gewesen sein könnte (Schwarz 2012: 100).
1.2 Fragestellung
Ziel der Arbeit ist es zu erläutern, welchen Einfluss die Kunstform des Dadaismus auf die Werke von Otto Dix hatte. War es nur ein Frage der Zeit bis Dix sich von den „Spielereien“ des Dadaismus abwandte, um seine sozialkritischen und politi- schen Botschaften durch eine illusionslose und wirklichkeitsgetreue Darstellung zu ersetzen? Ist der Dadaismus daher vielleicht nur ein “kleines Intermezzo” auf dem Weg zum Verismus? Bevor die Untersuchung der Auswirkungen des Dada- ismus auf das Werk von Dix in den Monaten des Jahres 1920 beginnen kann, erfolgt im Voraus eine kurze Analyse des Dadaismus in Deutschland und dessen kritische Polit-Prägung zu Beginn der Weimarer Republik, um im Anschluss die Frage beantworten zu können, ob Dix ohne den Dadaismus zu seiner späteren Ausdrucksweise gefunden hätte und welche Bedeutung diese Stilrichtung im Werk des Geraer Malers einnimmt. Im Fazit erfolgt dann die Auswertung und kritische Reflektion der gewonnenen Erkenntnisse.
2 Dix und Dada
2.1 Dadaismus in Deutschland
Das Ende des Ersten Weltkrieges markiert in Europa und in Deutschland einen neuen Wendepunkt - politisch, gesellschaftlich, wie auch im künstlerischen Be- reich. In den letzten Kriegsjahren 1916 und 1917 entwickelte sich zugleich in Zü- rich und New York eine neue Kunstform, der Dadaismus. Seine Ablehnung ge- genüber politischen, bürgerlichen und gesellschaftlichen Konventionen, der Pro- test gegen den Krieg, die Abwendung von alten Traditionen der Kunst und die Verflechtung der Ausdrucksformen der Schönen Künste (Literatur, Bildende Kunst, Musik, Oper und Darstellende Kunst) zu einer neuen experimentellen Stil- richtung, spiegelt sich auch nach Kriegsende in Deutschland mit der Entstehung neuer Dada-Zentren in Köln und Berlin und deren Radikalisierungen in Kultur und Kunst in der eher grauen politischen und ökonomischen Realität des Weimarer Systems wieder. Das ad absurdum des deutschen Kaiserreiches und das spieß- bürgerliche Ideal neben den zehn Millionen gefallenen Soldaten, Kriegsversehr- ten, Witwen und Waisen, versuchten die Vertreter dieser Stilrichtung in ihren Werken mit Hilfe von phonetischen Klangfetzen und zusammenhangslosen und abstrakten Versen in intermediale Aktionskunst umzusetzen. Eine künstlerische Ausdrucksform, die Dada-Berlin inaugurierte, ist die Fotomontage von respektive Collage. Sie wird das Werkzeug der Dadaisten gegen die fortwährenden Durch- halteparolen der europäischen Mächte und der Nationalideologie in der Nach- kriegsgesellschaft der Weimarer Republik.
2.2 Collagen im Dadaismus
Bereits um 1910 hatten in Frankreich Pablo Picasso und George Braque begon- nen, bedruckte Papiere, Holz, Blech und andere Materialien in die Ölgemälde zu montieren. Die Diskussion über das Wirklichkeitsverständnis und die Bildwirklich- keit, über die Rolle und Funktion von Material wurde in den Werken neu interpre- tiert und bildete den Ausgangspunkt für die Darstellung des Dadaismus als „Anti- Kunst“. Das real-Vorhandene, die Suche nach der Wirklichkeit und deren Abbild in der Kunst wurde nun durch die Materialität unterstützt und suggerierte Authen- tizität, dem sich der Betrachter beim Anblick nicht mehr entziehen konnte. Das Bildverständnis und die Lesbarkeit der Werke mit der darin enthaltenen offensi- ven Kritik und Ablehnung der „scheinbaren Selbstverständlichkeit und […] der Glaubwürdigkeit von Aussagen“ von Autoritäten in Staat, Kirche und Gesell- schaft, wurde durch den Beitrag der Berliner Dadaisten auf die Spitze getrieben. Beckmanns Forderung nach einer „roheren, gewöhnlicheren, vulgäreren Kunst, die dem Furchtbaren, Gemeinen, Großartigen, Gewöhnlichen und Grotesk- Banalen im Leben direkten Eingang gewährte“ (vgl. Schwarz 1998:137), die das Trauma der Kriegsheimkehrer, der verkrüppelten Soldaten und gefallenen Frau- en, der Wirklichkeit des Alltags in den Städten einer geschlagenen und sanktio- nierten Nation problematisierte und der Maskerade der politischen Eliten einen Spiegel vorhielt, nahmen die Dadaisten in Deutschland zum Anlass eine neue Bildthematik zu rezipieren. Dabei war Dix Leitfigur in der Darstellung der „bren- nend aktuellen und bedrückenden Kriegskrüppel-Thematik, in einer so „direkten, nämlich respektlos ironischen, ja geradezu parodistischen“ Art und Weise, die ihm schnell den Ruf des „Enfant terrible“ oder dem des „Bürgerschrecks“ ein- brachte (vgl. Schwarz 1998: 137-138). Die Collage, ausgehend von der Fotomon- tage, wurde ein bevorzugtes Medium der Dada-Anti-Kunst, da sie nicht, wie die Porträtmalerei, in einer langen kunsthistorischen Tradition stand. Unabhängig von den kubistischen Versuchen von Picasso und Braque entwickelten die Dada- isten eine neue, provokantere Collagenform und befassten sich vor allem mit gesellschaftspolitischen Beweggründen. Durch den Einsatz von authentischen Materialien als Surrogat für deren sinnbildliche Darstellung in der Malerei und die Loslösung der Gegenstände aus ihrem ursprünglichen Kontext, entstand ein mehrdeutiges und spannungsvolles Bildverständnis, dass Verfremdungs- oder zumindest Befremdungseffekte erzielte (Seifert 2004: 137). Letztendlich muss hinzugefügt werden, dass sich die Auffassung der Berliner-Dadaisten mit ihrer Politisierung und Anti-Militarisierung stark von dem Kunstverständnis eines Kurt Schwitters divergierte, der den Dadaismus als „das Firmenschild der Abstrakti- on“ und die Technik der Collage aus ästhetischen Zwecken anwendete (Kim 1994: 21).
2.3 Dada-Dix
Gegen Ende des Jahres 1919 kommt Dix mit der Dadaisten-Bewegung in Kon- takt. Insbesondere die Begegnung mit George Grosz führte zu entscheidenden Veränderungen in seiner Kunst und in der bearbeiteten Bildthematik. Im Unter- schied zu den expressionistischen Gemälden, die während und kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, die „nicht die sichtbare Realität darstellen, sondern das Dasein zwischen Geburt, Eros, Sexualität und Tod thematisieren“ (Leda mit dem Schwan, Schwangere Weib, 1919), nähert sich Dix langsam der sozialen Realität (Schuber 1991: 40). Im Sommer 1920 war Dix mit drei seiner ersten als dadaistisch klassifizierten Werke auf der Sonderschau der Novembergruppe in der Großen Berliner Kunstausstellung im Glaspalast (Der Matrose Fritz Muller aus Pieschen, Elektrische Bahn ,Theodor Däubler gewidmet) vertreten (Schwarz 1998: 138). „Der Matrose Fritz Müller aus Pieschen“ (Abb. 1) markiert die Neu- orientierung des Malers Dix zu einer radikaleren Ästhetik und spiegelt den ein- zigartigen Schnittpunkt von Dadaismus, Kubismus und Futurismus wieder. Das Bild weist verschiedene Collage-Elemente auf. Dix verwendete für das Haar des Matrosen ein collagiertes Fragment einer geografischen Karte von Pieschen. Auch die Verwendung von billiger Gold- und Silberfarbe auf den Meereswellen, den Reißnägeln und der Darstellung des Wüstensandes, sowie die Tatsache, dass die quadratische Komposition zum Aufhängen unkonventionell auf die Spit- ze gestellt werden musste, zeigt dadaistische Merkmale der Antikunst. Die Wahl des Matrosen als Gegenstandsfigur seines Gemäldes ist auf die historischen Begebenheiten in der deutschen Nachkriegsgeschichte bezogen und zeigt Dixs sich entwickelnde Auffassung aktuelle Themen des Alltages in seinen Werken zu thematisieren. Der Kieler Matrosenaufstand weitete sich innerhalb weniger Tage zu einer Revolution aus, die das ganze Reich erfasste. Sie führte am 9. Novem- ber 1918 zum Sturz der Monarchie in Deutschland und zur Errichtung der Wei- marer Republik. Jedoch verfolgt Dix in seinem Werken längst nicht den Weg der politischen Wertung oder Kritik „Nein, ich schloss mich keinem poltischen Programm an, ertrug wahrscheinlich diese Phrasen nicht…Ich wollte mich nicht einspannen lassen.“ (Schubert 1991: 38) und verwehrt sich im Gegensatz zu George Grosz gegen die Einvernahme als explizit politischer Künstler:
„„Lassen Sie mich mit Ihrer dämlichen Politik in Ruhe - für die fünf Mark Mitgliedsbeitrag [in der Partei der KPD] gehe ich lieber in den Puff.“ (von Sternburg 2013)
Die „Elektrische“ (Abb. 2) wird für Dix zum Sinnbild für die Transformation und Mechanisierung der Großstadt und bildet die Konfrontation des Einzelnen mit der als anonym empfundenen industrialisierten städtischen Metropole.
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