Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2003

88 Páginas, Calificación: gut


Extracto


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

II. Hintergründe der anthroposophischen Kunsttherapie
II.1 Definition: Hintergründe
II.2 Die Lehre der Anthroposophie
II.2.1. Der kosmische Ursprung des Menschen
II.2.2. Reinkarnation und Karma
II.2.3 Die Dreigliederung des Menschen
II.2.4. Die Viergliederung des Menschen
II.2.5 Die Sinne nach Rudolf Steiner
II.2.6 Die Stufen der Erkenntnis nach Rudolf Steiner:

III. Grundlagen der anthroposophischen Kunsttherapie
III.1 Definition: Grundlagen
III.2 Definition: Kunsttherapie
III.3 Anthroposophische Kunsttherapie
III.3.1 Zum Grundverständnis der anthroposophischen Kunsttherapie
III.3.2 Was bedeutet künstlerisches Arbeiten in der Anthroposophie?
III.3.3 Die Hauptkünste

IV. Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung
IV.1 Begriffsklärung: Geistige Behinderung
IV.2 Menschen mit geistiger Behinderung aus anthroposophischer Sicht
IV.2.1 Drei Behinderungsbilder aus anthroposophischer Sicht
IV.3 Anthroposophische Kunsttherapie mit Seelenpflege-bedürftigenMenschen
IV.3.1 Zum Grundverständnis der anthroposophischen Kunsttherapie mit Seelenpflege-bedürftigen Menschen
IV.3.2 Die Hauptkünste im Bezug auf die therapeutische Arbeit mit Seelenpflege-bedürftigen Menschen
IV.4 Phänomenologische Beobachtung und ihre Interpretation
IV.4.1 Interpretation der phänomenologischen Beobachtungen in Bezug auf die Drei- und Viergliederung
IV.4.2 Punkt- und Kreistendenz

V. Anthroposophische Kunsttherapie mit Seelenpflege-bedürftigen Menschen, aufgezeigt an drei Fallbeispielen
V. 1 Rahmenbedingungen
V.1.1 Institution Camphill
V.1.2 Mein Praktikum in der Camphill-Lebensgemeinschaft Alt Schönow
V.2 Fallbeispiele
V.2.1 Zum Begriff: „Fallbeispiel“
V.2.2 Vorbemerkungen zu den Fallbeispielen
V.2.3 Fallbeispiel 1: Mario -Ein Mensch mit Autismus
V.2.4 Fallbeispiel 2: Gesa -ein Mensch mit Epilepsie und Athetose
V.2.5 Fallbeispiel 3: Pia -ein Mensch mit „Mongolismus“

VI Schlussbetrachtung

VII Literatur

I. Einleitung

Vor Beginn meines Studiums absolvierte ich ein einjähriges Praktikum in der Dorfgemeinschaft Camphill Copake/New York. Camphill ist eine Lebensgemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung, die auf der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie beruht. In dieser Einrichtung leben die Mitarbeiter mit den zu betreuenden Menschen in überschaubaren familienähnlichen Strukturen zusammen. Der gesamte Tagesverlauf ist auf die Bedürfnisse der zu Betreuenden ausgerichtet. Ich erlebte aus meiner damaligen Sichtweise ein optimal gestaltetes, ganzheitliches heilpädagogisches Konzept.

Nach einiger Zeit tauchten Fragen über bestimmte Vorgehensweisen auf, die für mich als Außenstehender nicht logisch nachzuvollziehen waren. In besonders komprimierter Form erlebte ich dies während meiner Hospitationen im kunsttherapeutischen Bereich. Die starr vorgegebene und streng angeleitete Behandlungsmethode ließ nach meinen Beobachtungen keine Entscheidungsfreiheit für den zu therapierenden Menschen. Farben, Themen, Technik usw. wurden vorgegeben. Selbst der Bewegungsablauf des Malens und Zeichnens durfte häufig nicht selbst vollzogen werden. Oft übernahm der Therapeut die Handführung. In dieser Therapie wurde kein Raum gegeben, Emotionen auszuleben. Währenddessen wurde mir deutlich, dass die anthroposophische Kunsttherapie nicht auf medizinische und psychologische Erkenntnisse aufbaut, sondern ausschließlich weltanschaulich abgeleitet wird.

Hier liegt der Ursprung meines Interesses, mich mit der „anthroposophischen Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ auseinander zu setzen.

Speziell zu diesem Thema gibt es meines Wissens - neben einigen Aufsätzen - nur das Buch von E.-L. Damm (1999). Ebenso, wie in den anderen Büchern zur allgemeinen anthroposophischen Kunsttherapie werden dem Leser zwar die Behandlungsanweisungen deutlich -es wird auch dargestellt, worauf sie abzielen - man erhält jedoch nicht ausreichende Informationen über den zu Grunde liegenden Hintergrund: Die Anthroposophie. Das anthroposophische Vokabular wird mit Selbstverständnis verwendet und größtenteils als bekannt vorausgesetzt. Dies erschwert erheblich, die beschriebenen Vorgehensweisen nachzuvollziehen.

Daraus ergibt sich die Zielsetzung meiner Arbeit, die „anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ auch „Nichtanthroposophen“ verständlicher und durchschaubarer zu machen.

Zum besseren Verständnis ist die vorliegende Arbeit in drei aufeinander aufbauende Stufen gegliedert.

Auf der ersten Stufe sollen die für die Kunsttherapie relevanten anthroposophischen Hintergründe und Begriffe, die auf den Geisteswissenschaften Rudolf Steiners beruhen, erklärt werden.

Auf der zweiten Stufe werden die Grundlagen der allgemeinen anthroposophischen Kunsttherapie für Kranke beschrieben, die wiederum die Basis für den Behandlungsansatz, der auf Menschen mit geistiger Behinderung abzielt, darstellt.

Auf der dritten Stufe wird das anthroposophische Verständnis von „Geistiger Behinderung“ geklärt. So kann der spezifische Behandlungsansatz der „anthroposophischen Kunsttherapie für Menschen mit geistiger Behinderung“ nachvollziehbar und verständlich dargestellt werden.

Zum Abschluss der Arbeit soll anhand von drei Fallbeispielen veranschaulicht werden, wie dieses Kunsttherapiekonzept mit Menschen mit geistiger Behinderung in der Praxis umgesetzt werden kann.

Für diese Erprobung absolvierte ich ein fünfwöchiges Praktikum in der Camphill-Lebensgemeinschaft Alt Schönow in Berlin.

Hinweis:

Das anthroposophische Welt- und Menschenbild wird in dieser Arbeit weder hinterfragt noch beurteilt. Es geht um eine wertfreie Darstellung eines Therapieansatzes.

II. Hintergründe der anthroposophischen Kunsttherapie

Die Hintergründe der anthroposophischen Kunsttherapie sind die Weltanschauung und das besondere Menschenbild, das Rudolf Steiner seiner Lehre der Anthroposophie zugrunde legt.

Nach der Definition „Hintergründe“ sollen in diesem Kapitel die Elemente der Anthroposophie dargestellt werden, die für die anthroposophische Kunsttherapie relevant sind.

II.1 Definition: Hintergründe

Der Begriff „Hintergrund“ kann laut Duden folgende Bedeutung tragen: „Hintergrund“ bezeichnet die gering hervortretenden Voraussetzungen im Zusammenhang mit einer Begebenheit oder einem Ereignis (Duden, 1999)

Der Hintergrund der „allgemeinen“ anthroposophischen Kunsttherapie und damit auch der der „anthroposophischen Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ ist demnach die Lehre der Anthroposophie. Dazu zählen insbesondere der Ursprung des Menschen, die Reinkarnation und das Karma, die Drei- und Viergliederung des Menschen, die Lehre der Sinne sowie die verschiedenen Erkenntnisstufen nach Rudolf Steiner. Ohne die Kenntnisse der genannten Hintergründe sind die Ansätze der anthroposophischen Therapie nicht nachvollziehbar, ebenso wenig das Verständnis der besonderen Auffassung über den Personenkreis „Menschen mit geistiger Behinderung“, die bei den Anthroposophen als „Seelenpflege-bedürftige Menschen“ angesehen werden.

II.2 Die Lehre der Anthroposophie

Das Wort „Anthroposophie“ hat seinen Ursprung im Griechischen und bedeutet „Menschenweisheit“ (anthropos = Mensch, sophia = Weisheit).

Bei der Lehre der Anthroposophie handelt es sich um eine Geisteswissenschaft, die von dem Philosophen und Naturwissenschaftler Rudolf Steiner1 1913 begründet wurde (vgl. Microsoft Enzyklopädie 2001).

Anfänglich gehörte Rudolf Steiner der Theosophischen Gesellschaft[1] an. Er distanzierte sich von dieser und gründete im Februar 1913 die Anthroposophische Gesellschaft (Steiner, 1974).

Rudolf Steiners Lehre der Anthroposophie knüpft an das Goethe’sche Weltbild an – Steiner war Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes - und ist beeinflusst von Elementen „... des Platonismus, der Gnosis, der Mystik und des philosophischen Idealismus sowie verschiedener indischer Lehren“ (Microsoft Enzyklopädie 2001).

Aus anthroposophischer Sicht entspringt „... alles Sein aus dem Geistigen und kehrt nach dem Durchlaufen von sieben Entwicklungsstadien dorthin zurück“ Für den Menschen bedeutet dies, dass er mehrmals wiedergeboren werden muss, um durch „mehrere Stadien der Läuterung“ im Geistigen aufgehen zu können (Microsoft Enzyklopädie 2001). Daraus lässt sich u.a. der 1. Leitsatz der Anthroposophie ableiten: Anthroposophie ist das Streben nach einem „Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte“ (vgl.: Steiner, 1972 (B), S. 14).

Nach Rudolf Steiner sind in jedem Menschen Seelenkräfte verborgen, die durch bewusste Schulung, wie zum Beispiel Meditation und Konzentration, geweckt und entwickelt werden können, um den Menschen zu höheren Erkenntnissen gelangen zu lassen. Rudolf Steiner nennt dies die Erkenntnisfähigkeit des Menschen Er bezeichnet sie als ein Vermögen, auf dem die menschliche Freiheit beruht (Brockhauslexikon, 1984, S. 214).

Dem damaligen modernen rationalistischen Weltbild setzte Rudolf Steiner die Betonung der Gefühlswelt entgegen. Er lehrte die Dreigliederung des Menschen in Leib, Seele, Geist, bei der er wiederum die Seele in Denken, Fühlen und Wollen untergliederte (vgl. II.2.3).

Später entwickelte Rudolf Steiner eine spezielle Sinneslehre (vgl. II.2.5), die sowohl für die Waldorfpädagogik als auch für die anthroposophische Kunsttherapie relevant ist.

Die Kenntnisse der Anthroposophie sind in vielen Bereichen des praktischen Lebens und künstlerischen Schaffens wiederzufinden: Im sozialen Leben, in der Pädagogik in Form von Waldorfschulen, in der Landwirtschaft als bio-dynamische Wirtschaftsweise, in der Bewegungskunst durch die Eurhythmie und in der Medizin in Form der Naturheilbasis, aus der Dr. Margarethe Hauschka (1896-1980) 1962 die anthroposophische Kunsttherapie herleitete. Mehr dazu wird in dem Kapitel III.3.1 erläutert (Mees-Christella, 1988, S. 12 und Brockhauslexikon, 1984 und Microsoft Enzyklopädie 2001).

II.2.1. Der kosmische Ursprung des Menschen

Die Lehre Rudolf Steiners versteht die Welt als ein einheitlich geistig-seelisch-materielles Ganzes. Er geht davon aus, dass die Gesamtheit des Kosmos ein einziges Dasein ist, das von Kräften durchzogen ist, die den Menschen zur Entfaltung des Urgeistes führen können (Steiner, 1987).

Der Mensch ist nach Rudolf Steiner ein kosmisches Wesen, weil er ein Lebewesen ist, das sich entwickelt und fortpflanzt, also im Besitz von Bildekräften (ätherischen Kräften) ist. Demnach ist der Mensch auch mit den Bildekräften verwandt und verbunden, die in der Natur und allen anderen Erscheinungen des Lebens wirken. Diese ätherischen Bildekräfte, auch kosmische Lebens- oder Ätherkräfte genannt, wirken nicht nur auf der Erde (auch wenn sie sich für uns nur auf der Erde erkennbar manifestieren), sondern haben ihren Ursprung in der Sonne und den Planeten. Die kosmischen Ätherkräfte strömen von der Sonne und den Planeten aus und durchdringen die Erde, so dass Leben auf ihr möglich ist (Steiner, 1972, S. 224ff). “Aber in dieser Welt gibt es nichts, was nicht durchsetzt ist von der ätherischen Welt“, sagte Rudolf Steiner. (Steiner, 1978 (A), S. 112ff).

So ist der Mensch schon allein durch sein irdisches Leben ein kosmisches Wesen, das vorübergehend auf der Erde existieren kann. Noch mehr gilt dies für die Seele und den Geist des Mensch, denn in der anthroposophischen Menschenkunde ist der Mensch in drei Bereiche unterteilt: Leib, Seele und Geist. Demnach ist der Mensch auch Bürger dreier Welten: „Durch seinen Leib gehört er der Welt an, die er auch mit seinem Leibe wahrnimmt; durch die Seele baut er sich seine eigene Welt auf, durch seinen Geist offenbart sich ihm eine Welt, die über die anderen beiden erhaben ist“ (Steiner, 1987, S. 28).

Der physische Leib des Menschen wird aus der Erde geformt und nach dem irdischen Leben der Erde zurückgegeben; also ist der Leib des Menschen in den physischen Leib der Erde eingebettet und entspringt somit dem „physischen Kosmos“.

Die Heimat der Seele des Menschen findet sich in der Astralwelt (Sternenwelt). Diese kosmische Seelenwelt durchflutet alles Seiende und manifestiert sich unterschiedlich in allen Lebewesen.

Der Geist des Menschen gehört dem Überkosmischen an, denn der Geist ist das, was dem Leiblichen des Menschen zugrunde liegt und nach seinem Tode überdauert (vgl.: Kapitel Reinkarnation und Karma). Demnach ist der Mensch auch Bürger der überkosmischen Geisterwelt, die der Ursprung aller Dinge ist. Sie ist die Quelle allen Werdens, woraus der Mensch als geistiges Wesen hervorgeht und nach seinem Tod zurückkehrt um sich auf die neue Inkarnation vorzubereiten (Steiner, 1972 (B), S. 224ff und Steiner, 1987, S. 90ff). Aus anthroposophischer Sicht muss der Mensch verschiedene Inkarnationen mehrere Stadien der Läuterung durchlaufen (in der Regel handelt es sich hierbei um sieben verschiedene Entwicklungsstufen), bis er im Geistigen aufgeht und somit zu dem Ursprung aller Dinge zurückkehren kann (Microsoft Enzyklopädie, 2001).

II.2.2. Reinkarnation und Karma

Unter Reinkarnation versteht man die „Wiederverleiblichung“, „Wiedereinkörperung“ oder „Seelenwanderung“. Das Wort Karma hat seinen Ursprung im Altindischen und heißt „Tun“ oder „Tat“ (Brockhaus 1984 und Die Waldorfschulen und ihr weltanschaulicher Hintergrund, 1986, S. 34ff). Rudolf Steiner verwendet den Begriff „Karma“ für das selbstgeschaffene Schicksal des Menschen: „...die Seele unterliegt dem selbstgeschaffenen Schicksal. Man nennt dieses von dem Menschen geschaffene Schicksal mit dem alten Ausdruck sein Karma (Steiner, 1987, S.88).

Reinkarnation und Karma sind tragende Elemente der Anthroposophie und geben nach Rudolf Steiner dem menschlichen Dasein erst Sinn und Ziel: „...es wird eine ganz außerordentliche Umgestaltung des Lebens vor sich gehen, wenn nicht nur in einigen Köpfen, wie es heute noch vielfach der Fall ist, als Theorie lebt, daß es Reinkarnation und Karma gibt“ (Steiner,1912 zitiert nach Abendroth 1982, S.56).

Wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet, ist nach anthroposophischer Weltanschauung durch den irdischen Tod des Menschen sein Leben keineswegs beendet. Der Geist gilt als unendlich und unterliegt der Reinkarnation. Die Geburt und der Tod ergeben sich wiederum aus den Gesetzen der Körperlichkeit und der Leib unterliegt dem Gesetz der Vererbung. So durchläuft der Mensch nach seinem physischen Tod eine Reihe von Daseinszuständen. Nach Rudolf Steiner verarbeitet der Mensch in diesen Phasen das vergangene Leben, um aus ihm eine geistige Essenz zu gewinnen. Diese wird in seine künftigen Inkarnationen auf der Erde einverwebt, um ihn zu einer höheren geistigen Stufe gelangen zu lassen (Steiner, 1972 (A), S. 31f). Das gegenwärtige irdische Leben steht in Abhängigkeit zu den vorherigen, denn der sich inkarnierende Geist bringt das Schicksal aus dem Vorleben mit sich, um das neue irdische Leben zu bestimmen. Die Taten des gegenwärtigen Lebens sind also mitbestimmend für das zukünftige Sein. Die Seele gilt hierbei als Vermittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart (Steiner, 1987). „Welche Eindrücke die Seele wird haben können (...), welche Freuden und Leiden ihr erwachsen, (...) das hängt davon ab, wie die Taten in den vorhergehenden Verkörperungen des Geistes waren“ (Steiner, 1987, S. 87ff).

Zusammenfassend schreibt Rudolf Rissmann: „Durch die Erinnerung bewahrt die Seele das Gestern; durch die Handlung bereitet sie das Morgen vor.“ (Rissmann, 1964 zitiert nach Kugler, 1991, S. 69).

So kann nach Rudolf Steiner vieles Lügen in der nachfolgenden Reinkarnation zur Leichtsinnigkeit führen oder selbstlose Liebe zur Freude werden und in weiteren Inkarnationen zu einem offenen Herzen führen. Aus Hass und Antipathie kann Leid entstehen, das in weiteren Inkarnationen zur Torheit und schließlich zu einem stumpfen Seelenleben führen kann (Hemleben, 1982, S. 91f).

Nach anthroposophischer Auffassung ist es aber möglich, durch Erziehung und Selbsterziehung in das Schicksal einzugreifen und es zu regulieren (J. Hemleben, 1982, S. 90f). Aus dieser dargestellten Überzeugung der Anthroposophen ergibt sich eine besondere Erklärung für das Leben mit Behinderung und den Umgang mit diesem Personenkreis. Daraus ergibt sich unweigerlich ein spezifischer Therapieansatz (IV.2 und IV.3.1).

II.2.3 Die Dreigliederung des Menschen

Den Ausgangspunkt der anthroposophischen Menschenkunde und damit Hintergrund der Kunsttherapie bildet die Gestalt des Menschen in seiner Drei- und Viergliederung. In diesem Kapitel soll die Dreigliederung des Menschen beschrieben werden.

Rudolf Steiner beschreibt den menschlichen Organismus als Manifestation gestaltbildender Phänomene, die in ständig wechselndem Austausch zueinander stehen und ausschlaggebend für Gesundheit bzw. Krankheit sind. Rudolf Steiners Dreigliederungsgedanke ist der Schlüssel zur anthroposophischen Medizin und damit auch zur anthroposophischen Kunsttherapie. Die Phänomene der Gestaltbildung basieren auf den drei seelischen Grundkräften Denken, Fühlen und Wollen. (Heide, 1978, S.9 und Steiner, 1978 (B), S. 47ff).

Rudolf Steiner fand es jedoch nicht ausreichend, diese Grundkräfte nur im seelischen Bereich zu beschreiben und ordnete jeder Grundkraft ein funktionales Kräftesystem zu. Nach seiner Überzeugung ist die Seele eng mit der leiblichen Struktur des Menschen verbunden. Er formulierte dies folgendermaßen: “Und so bekommen wir, wenn wir den Menschen wirklich durchschauen, die Beziehung zwischen dem Seelischen und dem Physischen des Menschen. Denktätigkeit im Seelischen offenbart sich im Physischen als Nerventätigkeit; Fühlenswesen in der Seele offenbart sich im Physischen im Rhythmus des Atmungssystems, des Blutsystems, und zwar direkt, nicht indirekt auf dem Umwege des Nervensystems, durch das Nervensystem. Willenstätigkeit offenbart sich in der physischen Menschennatur in einem feinen Stoffwechsel. Es ist wesentlich, die feinen Stoffwechselprozesse zu kennen, die immer vor sich gehen als eine Art von Verbrennungsprozeß im Menschen, wenn Willenstätigkeit sich entwickelt“ (Steiner, 1978 (B), S.51).

Folglich entspricht dem Denken der Nerven-Sinnes-Pol. Dieser hat seine leibliche Struktur im Gehirn und in dem bis zu den Sinnesorganen hin auslaufenden Nervensystem.. Man nennt diesen Pol auch Formpol, weil dieser obere Bereich des Menschen mit den Vorgängen des Formens, Abbauens, Beruhigens und Erstarrens verwandt ist.

Die polare Entsprechung des Nerven-Sinnes-Pols ist der Stoffwechsel-Gliedmaßen-Pol (Stoffpol). Dieser Pol ist mit den Vorgängen des Aufbaus, der Bewegung und der Auflösung verwandt. Er entspricht der Kraft des Willens.

Der Formpol des oberen Bereiches des Menschen und der Stoffpol des unteren Bereichs des Menschen werden durch das Rhythmische System („die Kraft der Mitte“) in der Brustregion, durch den Kreislauf und die Atmung, miteinander verbunden und ausgeglichen. Ihm entspricht die seelische Grundkraft des Fühlens (Heide, 1978, S.9 und Hemleben, 1982, S. 130f und Steiner, 1978 (B), 48ff).

Unter dem Gesichtspunkt des Zusammenwirkens seelischer Kräfte mit physischen Funktionen ergibt sich also eine Dreigliederung des leiblichen Menschen in:

Nerven-Sinnes-Pol

Stoffwechsel-Gliedmaßen-Pol

Rhythmisches System

„Einseitiges Überwuchern oder Versagen eines der Systeme führt zur Krankheit“ (Hemleben, 1982, S. 131). Gesundheit ist also immer dann gegeben, wenn der harmonische Ausgleich der oberen und unteren Kräfte des Menschen durch „die Kraft der Mitte“, die rhythmusgebend vom „Ich“ ausgeht, stattfindet.

II.2.4. Die Viergliederung des Menschen

Dem physischen Leib des Menschen und den sich darin abspielenden Lebensvorgängen fügt Rudolf Steiner die Erkenntnis des Seelischen und Geistigen im Menschen hinzu. Dies beinhaltet die Viergliederung in der anthroposophischen Menschenkunde. Rudolf Steiner spricht in diesem Zusammenhang von Physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich 1 (Steiner, 1987)

Im Folgenden soll näher auf die Entstehung diese vier Wesensglieder eingegangen werden, um ihre Charakteristik und Manifestation im Menschen beschreiben zu können. Ihr Zusammenspiel ist ebenfalls ausschlaggebend für Gesundheit oder Krankheit im Menschen.

Um den Menschen als Einheit von Körper (Physischer Leib und Ätherleib), Seele (Astralleib) und Geist (Ich) begreifen zu können, muss man zum Ausgangspunkt der Erdenentwicklung zurückgehen, die Rudolf Steiner in seinem Buch „Geheimwissenschaften“ darlegt. „Diese Glieder der Menschennatur stehen nun in den mannigfaltigsten Verhältnissen zu dem ganzen Weltall. Und ihre Entwickelung hängt mit der Entwickelung dieses Weltalls zusammen. Durch die Betrachtung dieser Entwickelung gewinnt man einen Einblick in die tieferen Geheimnisse dieser menschlichen Wesenheit“ (Steiner, 1962, S. 137).

Rudolf Steiner beschreibt die Entstehung der Erde als eine Entwicklung, die sich in verschiedenen Stufen vollzieht. Aus den einzelnen Entwicklungsstufen ergeben sich die verschiedenen Naturreiche:

- Mineralreich
- Pflanzenreich
- Tierreich

In jeder Entwicklungsstufe erfolgt eine planetarische Verdichtung, bei der je ein Element, eine darin wirkende Ätherart und ein Wesensglied miteinander verbunden und angelegt werden. Je nach Art der Verbindung entsteht aus diesem Vorgang jeweils ein Naturreich. Den Zusammenhang zwischen den einzelnen Naturreichen erklärt Rudolf Steiner damit, dass jede Entwicklungsstufe auf eine vorausgegangene zurückgreift und ihr etwas Neues, darüber Hinausgehendes hinzugefügt wird. So entstand zunächst das Mineralreich. Aus diesem entwickelte sich das Pflanzenreich, dem das Tierreich folgte.

Während der Entstehung der drei Naturreiche beschreibt Rudolf Steiner den Menschen zunächst noch als ein rein geistiges Wesen : „Es entwickelt sich dieses Stoffliche aus dem Geistigen heraus. Vorher ist nur Geistiges vorhanden“ (Steiner, 1962, S. 140), das von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe durch höhere geistige Wesen mit übersinnlichen Kräften begabt wird. Diese übersinnlichen Kräfte nennt Rudolf Steiner die Wesensglieder. Sie bestimmen durch ihr Zusammenspiel die Organisation des Menschen.

Aus den Naturreichen ergeben sich also drei Entwicklungsstufen, die in einer vierten zum Menschen führen. Rudolf Steiner formulierte dies in einem Vortrag folgendermaßen: „Wir fangen unten an bei den einfachsten Lebewesen, machen uns klar, wie sich das entwickelt hat bis herauf zum Menschen. Da steht der Mensch als Schlussglied da“ (Steiner, 1978 (B), S. 46). In den genannten Naturreichen ist die Sichtbarmachung von drei Lebensbezirken (Mineralwelt, Pflanzenwelt, Tierwelt) abzuleiten, zu denen auch der Mensch durch seine Viergliedrigkeit zählt.

Anhand der Entwicklungsgeschichte der Wesensglieder soll nun verdeutlicht werden, in welcher Form sie nach der anthroposophischen Menschenkunde beim Menschen in Erscheinung treten und in welcher Art sie den Menschen mit den drei Lebensbezirken verbinden.

In einem Aufsatz von Rudolf Steiner und Ita Wegman (1986), Kiersch (1984) und Hemleben (1982) wird das folgendermaßen dargestellt:

1.Wesensglied: der „physische Leib“

Der physische Leib des Menschen sorgt für den Aufbau und die Verbindung der anorganischen Substanzen, die den Körper bilden und verbindet den Menschen mit den irdischen Schwerekräften. Ihm wurde also bei der „planetarischen Verdichtung“ das Element Erde zugefügt.

Der physische Leib ist der Leib des Menschen, den er nach seinem irdischen Leben als Leichnam zurücklässt. Demzufolge beinhaltet er das Reich des Unbelebten mit seinen Gesetzen und macht den Menschen zu einem Teil der mineralischen Welt.

Alle Wesensglieder sind aufgrund ihres Ursprungs mit Substanzen und Prozessen verwandt, über die sie sich mit dem menschlichen Organismus verbinden können. So stützt sich jedes Wesensglied auf ein Organ (-system) im Menschen, über das es auf das Leibliche einwirken kann.

Für Rudolf Steiner ist das zentrale Organ des physischen Leibes die Lunge.

2. Wesensglied: der „Ätherleib“

Der Ätherleib, auch die vegetative Seele oder „Lebensleib“ genannt, macht den Menschen durch seine ätherischen Lebenskräfte (vgl. II.2.1) zu einem Lebewesen, das durch die Zeit wandert und ein zeitliches Empfinden besitzt. In ihm findet Wachstum, Fortpflanzung und Stoffwechsel...etc. statt. Ebenso ist dies bei den Pflanzen zu beobachten. Demnach ist der Mensch auch ein Bestandteil der Pflanzenwelt.

Der Ätherleib verbindet verschiedene Stoffe durch einen Säftestrom zu etwas Lebendigem. Er wirkt also im Flüssigkeitsorganismus des menschlichen Körpers. Er hat durch die planetarische Verdichtung das Element des Wassers zueigen.

Durch den Ätherleib wird alles, was flüssig ist, zu einem lebendigen Organismus, der sich den irdischen Schwerekräften entheben kann und somit dem kosmischen Wirken aufgeschlossen ist.

Als physische Basis hat der Ätherleib das Drüsensystem, als Zentralorgan des Ätherleibes ist die Leber zu nennen.

Der physische Leib und der Ätherleib sind als die unteren Wesensglieder anzusehen, sie bilden das leiblich-vegetative im Menschen.

3. Wesensglied: der Astralleib

Dadurch, dass es dem Menschen möglich ist, Trieb, Leidenschaft, Lust und Unlust zu entwickeln, ist er auch verwandt mit der Tierwelt. Deshalb nennt man das 3. Wesensglied, den Astralleib, auch die animalische Seele (oder Sternenleib, weil der Seelenursprung des Menschen und der Tiere im Kosmischen liegt und durch die Sterne bestimmt wird).

Dem Astralleib wird das Element Luft zugesprochen, da er durch die Atmung, das Nieren- und Nebennierensystem mit dem Organismus verbunden ist.

Das zentrale Organsystem des Astralleibes ist das Nervensystem mit dem Rückenmark. Von dort steht der Astralleib mit den Muskeln des Menschen in Verbindung..

Wie beschrieben besitzt der Astralleib einen körpergebundenen Teil, durch den er auf die Organe wirkt. Ebenso verfügt er aber auch über einen seelischen Teil, mit dem er auf die drei Grundkräfte der Seele (Denken, Fühlen, Wollen vgl. II.2.3) in Form von Sympathie und Antipathie einwirkt.

Der Astralleib bezeichnet also auch das Seelische im Menschen

4. Wesensglied: das Ich

Durch das Ich wird der Mensch erst zum Menschen, da er sich durch dieses Wesensglied von allen Naturreichen unterscheidet und zu einer Kreatur wird, die denken, fühlen und wollen kann.(vgl. II.2.3)

Durch das Ich kann das Geistige in den Menschen gelangen.

Es ist durch Wärme mit dem Körper verbunden, die durch die Umwandlung des Zuckers entsteht und vom Blut durch den ganzen Körper getragen wird, demnach ist das Element des Feuers dem Ich zueigen. Wärme ist auch ein entscheidendes Element in der Kunsttherapie. Die physische Basis des „Ich“ liegt im Skelett, sein zentrales Organ ist das Herz, da es der Mittelpunkt der Blutkreislaufes ist. Das „Ich“ bewirkt den Rhythmus aller Abläufe im Menschen.

Mit dem Ich erlangt der Mensch die Fähigkeit des Gehens, Sprechens und Denkens.

Dem Ich entspringt das Geistige im Menschen.

Der Astralleib und das Ich bilden die oberen Wesensglieder.

Die folgende Tabelle nach M. Treichler soll die Viergliederung des Menschen und den Zusammenhang zur Natur, noch einmal verdeutlichen:

Tabelle zur Viergliederung des Menschen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Treichler, 1996, S. 87) Tabelle 1 im Gesamtdokument

Wie bereits erläutert spricht man bei den vier Wesensgliedern von den unteren (physischer Leib und Ätherleib) und den oberen (Astralleib und Ich) Wesensgliedern. Der obere und untere Bereich wird durch die Atmung miteinander verbunden, weil durch sie das flüssig-ätherische mit dem luftig-astralen zusammengeführt wird.

Aus dem oberen Wesensgliederbereich wirken seelenleibliche Formkräfte, die durch die Einatmung betont werden. Bei der Einatmung wird der obere Teil an den unteren herangezogen.

Aus dem unteren Bereich wirken die Lösungskräfte, die bei der Ausatmung ihre Dominanz finden.

Diese lebensfördernden und lebenshemmenden Wirkungen, die sich durch den Atemvorgang ergeben, werden von der Kraft der Mitte (das Ich) stetig ausgeglichen.

Diese besagte Viergliederung widerspricht also keineswegs der Trichotomie von Leib, Seele und Geist. Es wird nur der Leib differenziert in den Teil, dem er dem mineralischen Bereich der Erde entnommen ist und mit dem Tode dorthin zurückkehrt und dem Teil, der seinem Wesen nach sinnlich und übersinnlich bzw. ätherisch ist.

Nur wenn diese beschriebenen Kräfte harmonisch zusammenwirken, ist Gesundheit gegeben

(Steiner und Wegman, 1986 und Hemleben, 1982 und Kiersch,1984).

II.2.5 Die Sinne nach Rudolf Steiner

Rudolf Steiner hat die Lehre der konventionellen 5 Sinne, auf insgesamt 12 Sinne erweitert (Kiersch, 1984, S 20ff). Diese ergeben sich aus dem Trichotomischen nach Leib, Seele und Geist gegliederten Menschenbild. Was Rudolf Steiner dazu veranlasste, die fünf Sinne auf 12 zu erweitern, beschreibt er in seinem Fragment gebliebenen Werk „Anthroposophie“: „In anthroposophischer Beleuchtung darf alles dasjenige ein menschlicher Sinn genannt werden, was den Menschen dazu veranlasst, das Dasein eines Gegenstandes, Wesens oder Vorganges so anzuerkennen, dass er dieses Dasein in die physische Welt zu versetzen berechtigt ist“ (Steiner, 1970, S. 31).

Die Schulung der Sinne spielt in der anthroposophischen Kunsttherapie eine besondere Rolle: Die Sinne sind eng mit der Struktur des Menschen verbunden. Ist die Struktur, wie bei Krankheit und Behinderung beeinträchtigt, versucht die Kunsttherapie durch Aktivierung der Sinne positiv auf die Struktur des Menschen einzuwirken (Mees-Christella, 1988, S. 66ff).

Die 12 Sinne werden daher im Folgenden kurz dargestellt.

Rudolf Steiner hat die Sinne, so beschreibt es Mees-Christella, unterteilt in:

4 dunkle, unbewußte, schlafende körperliche Sinne:

- Tastsinn: zum Erleben der Haut und als Grenze des Substanziellen
- Lebenssinn: führt zum Erleben des eigenen Zustandes bis zum Schmerz
- Bewegungssinn: dient dem Erleben der eigenen Bewegung, der Muskeln, des Strömenden oder dem Wahrnehmen der fremden Bewegung, die sich im Raum zeigt.
- Gleichgewichtssinn: dient dem dreidimensionalen Verhältnis zur Umgebung.

5 halbbewusste, schlafend-träumende, seelische Sinne:

- Geruchssinn =>der äußere Ansatz der Atmung, Ergründung der Qualitäten
- Geschmackssinn => der äußere Ansatz der Verdauung, die Ergründung der Substanz
- Sehsinn =>dient zur Orientierung der Dinge innerhalb eines Raumes, nebeneinander
- Wärmesinn =>dient zur Empfindung des Seelischen im Blut
- Hörsinn =>dient zur zeitlichen Orientierung der Dinge, nebeneinander

3 hellwache, geistige Sinne, die einzig dem Menschen vorbehalten sind:

- Wortsinn =>dient zum Verstehen von Sprachinhalten
- Denksinn =>ermöglicht uns einem Gedanken folgen zu können
- Ichsinn =>dient dem Verständnis von Individualitäten

Diese 12 Sinne sind stets auf unterschiedlicher Art miteinander verbunden (Mees-Christella, 1988, S. 67f).

II.2.6 Die Stufen der Erkenntnis nach Rudolf Steiner:

In „Theosophie“ beschreibt Rudolf Steiner ein weiteres Kernstück der Anthroposophie, „den Pfad der Erkenntnis“, ohne den alle Auffassungen der Anthroposophie verworfen werden müssten, da sie nur durch die Erkenntnis Sinn machen (Steiner, 1987, S.172ff)

Denn letzten Endes ist es die Erkenntnis, die den Menschen zu einer höheren geistigen Stufe führen kann (Hemleben, 1982, S. 92f).

Im Folgenden werden daher die verschiedenen Stufen der Erkenntnis kurz erläutert.

Schritt 1: Wahrnehmung

Durch die Sinne entstehen Wahrnehmungen. In der Wahrnehmung tritt etwas an den Menschen heran. „..für mich ist keine Wahrnehmung ohne das entsprechende Sinnesorgan gegeben. Aber ebenso wenig ein Sinnesorgan ohne Wahrnehmung“ (Steiner, 1992, S. 76)

Schritt 2: Selbstwahrnehmung

Der Mensch erfährt sich also als ein dieser Wahrnehmung Gegenüberstehender. „Wenn ich in die Wahrnehmung eines gegebenen Gegenstandes vertieft bin, so habe ich vorläufig nur von diesem ein Bewußtsein. Dazu kann dann die Wahrnehmung meines Selbst treten. Ich bin mir nurmehr nicht bloß des Gegenstandes bewußt, sondern auch meiner Persönlichkeit, die dem Gegenstand gegenübersteht und ihn beobachtet“ (Steiner, 1992, S. 67).

Schritt 3: Vorstellung

Durch Vorstellung verknüpft der Mensch die neue Wahrnehmung mit dem Wahrnehmungsschatz, den er schon aus anderen Erfahrungen zuvor in sich trägt. Er verbindet die neu gewonnene Wahrnehmung auch mit Begriffen, die er von der Welt bereits hat.

„Die Vorstellung ist nichts anderes, als (...) ein Begriff, der einmal mit einer Wahrnehmung verknüpft war und dem der Bezug auf diese Wahrnehmung geblieben ist“ (Steiner, 1992, S. 107).

Schritt 4: Denken

Das Denken ordnet nun Wahrnehmungsinhalte und Begriffe bzw. Vorstellungen in ein gegenseitiges Verhältnis ein.

„Zwischen die Wahrnehmung und jede Art von Aussage über dieselbe schiebt sich das Denken ein“ (Steiner, 1992, S. 85).

Schritt 5: Intuition

Nach Rudolf Steiner wird das denken universell indem es aus der individuellen Vorstellungswelt hinausführt. „In dem Denken haben wir das Element gegeben, das unsere besondere Individualität mit dem Kosmos zu einem Ganzen zusammenschließt“ (Steiner, 1992, S. 91) insofern nämlich die begriffliche Welt der Ideen eine Einheitliche ist: „Der bloße Blick, die Wahrnehmung, gibt mir keinen Inhalt. (...) Diesen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus der Begriffs- und Ideenwelt des Menschen entgegen. (...) Die Form in der er zunächst auftritt, wollen wir als Intuition bezeichnen. Sie ist für das Denken, was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist. Intuition (Denken) und Beobachtung (Wahrnehmung) sind Quellen unserer Erkenntnis“ (Steiner, 1992, S. 95).

Demzufolge ist Denken für Rudolf Steiner keine subjektive Tätigkeit, die der einzelne Mensch für sich vollzieht, sondern ein Stück Weltgeschehen, das sich im Menschen ereignet und bei dem der Mensch selbst anwesend ist: „Im Denken haben wir das Element gegeben, das unsere Individualität mit dem Kosmos zu einem Ganzen zusammenfließt. Indem wir empfinden und fühlen, sind wir einzelne, indem wir Denken sind wir das all - eine Wesen, das alles durchdringt. (...) Wir sehen in uns eine schlechthin absolute Kraft zum Dasein kommen, eine Kraft, die universell ist, aber wir lernen sie nicht bei ihrem Ausströmen aus dem Zentrum der Welt kennen, sondern in einem Punkte der Peripherie“ (Steiner, 1992, S. 91).

III. Grundlagen der anthroposophischen Kunsttherapie

Im Folgenden soll auf die Grundlagen der „anthroposophischen Kunsttherapie“ eingegangen werden. Die Definition Kunsttherapie wird vorangestellt und anschließend die anthroposophische Kunsttherapie erläutert. Hierzu gehört nicht nur der therapeutische Ansatz an sich, sondern auch, wie das künstlerisches Arbeiten allgemein in der Anthroposophie verstanden wird.

III.1 Definition: Grundlagen

Unter Grundlagen versteht man eine Basis, einen Ausgangspunkt oder Stützpunkt, auf dem man etwas aufbauen kann (Duden, 1999).

Im Zusammenhang mit der „anthroposophischen Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ bedeutet dies, dass die Grundlagen der „allgemeinen“ anthroposophischen Kunsttherapie, die für kranke Menschen konzipiert ist, den Ausgangspunkt bietet, auf dem sich die „anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ aufbauen lässt. Daher wird in diesem Kapitel die „allgemeine“ anthroposophische Kunsttherapie dargestellt und auf dieser Basis erst in Kapitel IV die „anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ erklärt.

III.2 Definition: Kunsttherapie

"In der Kunsttherapie geht es um einen innerpsychischen Formbildungs- und Gestaltungsvorgang, der sich in der bildnerischen Formdynamik eines ästhetischen Mediums spiegelt" (Menzen, 2000 in: www.kunst-therapie.de )

Nach M. Levic ist Kunsttherapie eine Therapieform, die über den Einsatz künstlerischer Medien hinaus, den Menschen ganzheitlich fördern kann. Kunsttherapie bietet die Möglichkeit, das gesamte Spektrum künstlerischer Materialien und Techniken anzuwenden (Levic, 1982).

Kunsttherapie ist eine nonverbale und prozessorientierte Therapieform, die zum Ziel hat,

dass innere Bilder, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, Vorstellungen und Erfahrungen im Gestaltungsprozess erlebt, durchlebt und belebt werden und so ihren Ausdruck finden können. Auf diese Weise kann man ein „Abbild“ für bewusste und unbewusste seelische Prozesse und Zustände im jeweiligen Menschen erkennen und beeinflussen (Tacke, 1999, S. 25ff). Kunsttherapie kann, je nach Bedarf oder Notwendigkeit, auch in Kombination mit anderen Therapieformen eingesetzt werden.

Es gibt verschiedene kunsttherapeutische Ansätze.

In dieser Arbeit soll ausschließlich der anthroposophische Ansatz behandelt werden.

[...]


1 Rudolf Steiner, geb. am 27.02.1861 in Kraljevic/Kroatien ; gestorben am 30.03.1925 in Dornach/Schweiz.

[1] „Theosophie“ ist griechisch und bedeutet „Gottesweisheit“. Die Theosophische Gesellschaft in Deutschland wurde 1897 von Dr. F. Hermann gegründet. Der Ursprung der Theosophischen Gesellschaft liegt in der 1875 in New York von Blavatsky gegründeten Theosophischen Brüderschaft. Es handelt sich hierbei um eine Personengruppe, die sich der uneigennützigen Arbeit für andere Menschen verpflichtet fühlte. (Bertelsmann Volkslexikon, 1969)

1 es gibt noch drei weitere Wesensglieder, die der Zukunft angehören, aber in dieser Arbeit keine Relevanz zeigen

Final del extracto de 88 páginas

Detalles

Título
Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung
Universidad
Christian-Albrechts-University of Kiel  (Lehramt an Sonderschulen)
Calificación
gut
Autor
Año
2003
Páginas
88
No. de catálogo
V27471
ISBN (Ebook)
9783638295130
ISBN (Libro)
9783638721196
Tamaño de fichero
2020 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Anthroposophische, Kunsttherapie, Menschen, Behinderung
Citar trabajo
Vanessa Pietsch (Autor), 2003, Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27471

Comentarios

  • No hay comentarios todavía.
Leer eBook
Título: Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung



Cargar textos

Sus trabajos académicos / tesis:

- Publicación como eBook y libro impreso
- Honorarios altos para las ventas
- Totalmente gratuito y con ISBN
- Le llevará solo 5 minutos
- Cada trabajo encuentra lectores

Así es como funciona