Kl. 23 „Wie vil ich sing“. Analyse und Interpretation


Hausarbeit, 2012

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 . Formale Analyse
1.1 . Gattungszugehörigkeit
1.2 . Aufbau, Symmetrie
1.3 . Metrum und Reim

2 . Die einzelnen Abschnitte
2.1 . Prolog und erste Reflexion (V. 1-4, 5-32, I)
2.2 . Die einzelnen Todesgefahren
2.2.1 . Die erste Todesgefahr (V. 33-48, II)
2.2.2 . Die zweite Todesgefahr (V. 49-56, II)
2.2.3 . Die dritte Todesgefahr (V. 57-64, II)
2.2.4 . Die vierte Todesgefahr (V. 65-72, III)
2.2.5 . Die fünfte Todesgefahr (V. 73-80, III)
2.2.6 . Die sechste Todesgefahr (V. 81-96, III)
2.2.7 . Die siebte Todesgefahr (V. 97-128, IV)
2.3 . Zweite Reflexion und Epilog (V. 129-155, 156-160, V)
2.4 . Ergänzungen zu 1.2 „Aufbau, Symmetrie“

3 . Fazit

4 . Literaturverzeichnis
4.1 . Primärliteratur
4.2 . Sekundärliteratur

Vorwort

Die vorliegende Arbeit behandelt Kl. 23 „wie vil ich sing“ unter dem Aspekt der Symmetrie. Hierzu wird eine formale Analyse mit detaillierter Metrumsanalyse hinzugezogen. Desweite- ren werden inhaltliche Aspekte und Motive aufgezeigt und formgebende Bezüge aufgezeigt.

1 . Formale Analyse

Die im Folgenden ausgeführte formale Analyse zu „Wie vil ich sing“ (Kl.23) bezieht sich in erster Linie auf die, in der altdeutschen Textbibliothek erschienene, Druckfassung der Handschrift B mit kritischem Katalog.1

1.1 . Gattungszugeh ö rigkeit

Welcher Gattung gehört dieser Text an? Dass es sich hierbei um einen lyrischen Text handelt, der in Verse und Strophen unterteit ist, ist nicht zu bestreiten. Ein größeres Problem stellt die Gattungszuordnung nach thematischen Gesichtspunkten dar. Gerade bei diesem Lied, das durch seine Vielfalt eine Zuordnung nicht gerade einfach macht, ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich Kunst nur bedingt in Systeme eingliedern lässt; vor allem, wenn diese Systeme erst in einer späteren Zeit als solche definiert werden.

Zunächst werden einzelne Elemente2 angeführt, die für die Zuordnung zu einer bestimmten Gattung sprechen, bevor über deren Sinn und Gewichtung nachgedacht wird.

Ein thematisches Element, das bereits in den ersten Versen3 deutlich wird, ist das Reflexions- motiv. Reflexion - diesem Punkt wird später noch ein längerer Abschnitt gewidmet werden - und Rückblick sind Grundmotive dieses Liedes. Sie durchziehen das Lied und spannen einen Bogen über die einzelnen Stropen hinweg. Ein weiteres thematisches Element bilden die Be- züge zum Christentum4 und die Thematisierung des Todes5. Die Thematisierung des Todes ist aus biographischer Sicht naheliegend, denn Oswald ist zur Entstehungszeit dieses Liedes, wenn man sein Alter grob überschlägt, bereits ca. 50 Jahre alt, was im 15. Jahrhundert durch- aus ein fortgeschrittenes Alter darstellt. Alter, Rückblick auf die Jugend, Todesthematik, Re- flexion und geistlicher Bezug, werden noch mit einem letzten Thema, das ich anführen möch- te, erweitert. Es kommt noch ein didaktischer Anspruch hinzu.6

Aus diesen Informationen entwickelt Johannes Spicker7 einen Gattungsbegriff, der nicht nur aufgrund seines Umfangs, sondern auch seiner Vielfalt auffällt. Doch ist es überhaupt sinnvoll dieses Lied, welches Anteile an derart vielen Gattungen (Reflexions-, Alters-, geistliches Lied, u.a.) hat, mit einem einzelnen Gattungsbegriff beschreiben zu wollen? Wohl eher nicht. Man kann es durchaus, in seiner Gesamtheit, jeder genannten und noch weiteren Gattungen (Rei- selieder und Gefangenschaftslieder) zuordnen. Wollte man es dennoch in eine bestimmte Richtung drängen, so wäre es, von der Thematik her, sinnvoll dies als geistlich-didaktisches Reflexionslied zu beschreiben.8

1.2 . Aufbau, Symmetrie

Das hier behandelte Lied setzt sich aus fünf Strophen (I-V) mit je 32 Versen zusammen. Somit ergibt sich ein Gesamtumfang von 160 Versen. Eine genauere Betrachtung von Metrum und Reim folg im nächsten Kapitel (1.3).

Inhaltliche Bezüge zwischen den Strophen offenbaren eine tiefere Struktur. In der ersten Stro- phe, durch einen Spruch (V. 1-4, Prolog) eingeleitet, wird das Thema des Gedichtes vorge- stellt. Im weiteren Verlauf reflektiert das lyrische Ich über die Unsicherheit der Welt9, spricht im Konjunktiv über das, was hätte sein können und verweist bereits auf einzelne Gefahren („Mit fällen, wassers trencke“, V. 25). „[S]iben mal [...]“ (V. 27) erinnert sich das lyrische Ich in solchen Todesgefahren gewesen zu sein; diese werden ab der zweiten Strophe näher ausge- führt.

Die zweite Strophe beinhaltet die ersten drei Gefahren: den Treppensturz, den Schiffsbruch und den Überfall. Auf den Inhalt der einzelnen Gefahren und deren Bezüge untereinander wird später Bezug genommen.

Die dritte ist gleichzeitig die mittlere der Strophen. Sie steht zentral inmitten des Liedes und gibt inhaltlich weitere drei Gefahren wieder, von denen die Erste - die erste dieser Strophe aber die vierte Todesgefahr - von besonderer Bedeutung ist.

In der vierten Strophe wird ausschließlich die siebte und somit letzte Todesgefahr ausgeführt. Diese Strophe hat eine formale Besonderheit: sie wurde nachträglich hinzugefügt10. Ein Ein- deutiges Indiz dafür ist die Handschrift A, in welcher diese Strophe hinter dem Gedicht ange- hängt ist. Erst in Handschrift B steht diese an ihrem Platz und ist zur vierten Strophe gewor- den. Dies ist formal in Bezug auf die Symmetrie äußerst bedeutend. Ohne die besagte Strophe wären es vier Strophen und sechs Todesgefahren; eine durchaus symmetrische Anordnung.

Den Abschluss des Liedes finden wir in Strophe fünf. Hier vollzieht sich eine weitere eine zweite Reflexion, die, im Perfekt stehend, auf die Jugend zurückblickt und im späteren Verlauf einen didaktischen Anspruch erhebt. Die Strophe endet mit einem Schlussspruch (V. 157- 160, Epilog), der den Prolog noch einmal aufgreift, sich als dessen Gegenstück offenbart und sich noch einmal auf die unsichere Welt rückbezieht.

Somit ergibt sich folgende Gliederung11:

- Prolog V. 1-4 (I)
- I. Reflexion V. 5-32 (I)
- 1. Todesgefahr: Der Treppensturz V. 33-48 (II)
- 2. Todesgefahr: Der Schiffbruch V. 49-56 (II)
- 3. Todesgefahr: Der Überfall V. 57-64 (II)
- 4. Todesgefahr: Schwimmen lernen V. 65-72 (III)
- 5. Todesgefahr: Die Gefahr der Minne V. 73-80 (III)
- 6. Todesgefahr: Der Wasserfall (Sturz) V. 81-96 (III)
- 7. Todesgefahr: Gefangenschaft V. 97-128 (IV)
- II. Reflexion V. 129-155 (V)
- Epilog V. 156-160 (V)

Bei dieser Gliederung wird besonders deutlich, dass die siebte Todesgefahr, nicht von anbe- ginn an zu diesem Lied gehörte, sondern später hinzugefügt wurde. Die beiden äußeren To- desgefahren (1 und 6) werden je 16 Verse lang geschildert und umschließen die übrigen Ge- fahren (2, 3, 4, 5), welche in je 8 Versen dargestellt werden. Die siebte Todesgefahr wiederum ist weder 8 noch 16 Verse lang, gliedert sich jedoch mit der Summe der Rahmengefahren 1 und 6 (32 Verse) und ebenso der Summe der Binnengefahren 2, 3, 4, 5 (ebenfalls 32 Verse) in diese Aufzählungsreihe ein.12 Um die vierte Strophe vollständig zu gestalten, musste die letzte Todesgefahr mit 32 Versen angelegt werden, da Oswald ansonsten die Form des Gedichts nicht hätte einhalten können, außer er hätte noch zwei weitere Gefahren geschildert, was aber offenbar nicht die Intention des Autors ist.

Die These der Symmetrie ist ferner auch durch die inhaltliche Gestaltung begründet. Die Strophen I und V bilden, mit ihrer Reflexionsthematik, einen Rahmen um den inneren Stro- phenblock. Innerhalb dieser Strophen beziehen sich der Prolog, mit dem Reim „not - tod“ und Lieder von den Reisen, Göppingen 1968, S. 71. der Epilog mit dem gespiegelten Reim „tod - not“, aufeinander und markiert somit die äuße- ren Grenzen des Gedichtes. Die inneren Strophen II-IV beinhalten die sieben Todesgefahren. Da die Anzahl der Strophen und Todesgefahren ungerade ist, liegt der Gedanke nicht fern, dass es sich bei der zentral stehenden Strophe bzw. Todesgefahr um eine handelt, die mit be- sonderem Augenmerk betrachtet werden sollte. Jedoch ist die Ausprägung der Symmetrie, die im Verlauf dieser Ausarbeitung noch weiter verfolgt wird, in der zugrunde gelegten Hand- schrift B ausgeprägter als in Hs. A, in der die besondere Mittelstellung nicht vorhanden ist.

1.3 . Metrum und Reim

Eine vollständige Metrumanalyse zu „Wie vil ich sing“ (Kl. 23) ergibt, dass das Lied, bis auf vier Verse, genau dem zugrunde liegenden Metrum entspricht. Somit stehen fast alle Verse streng im dreihebigen Jambus mit alternierender Kadenz. Bei den Ausnahmen handelt es sich lediglich um eine zusetzliche Senkung im Versinnern.

Vers 27 „siben mal ich gedencke.“ (- u - u u - u )

Vers 35 „mit ainem pflag ich ze stechen“ (u-u-uu-u)

Vers 49 „Darnach über ettlich wochen“ (u-uu-u-u)

Vers 69 „vil über ain güte stunde;“ (u - u u - u - u )

Gleich die erste Unregelmäßigkeit fällt am stärksten aus dem Raster. Da das Metrum im Kon- text ein Jambus ist, kann diese Unregelmäßigkeit als dreihebiger Jambus mit fehlender erster Senkung deklariert werden. Die Kadenz ist, der Regelmäßigkeit folgend, eine weibliche. Ein weiteres Argument für diese Auslegung bietet der ursprüngliche Gebrauch des Textes. Kl. 23 ist ein Lied; es wurde gesungen. Dies ist auch ein Grund für die Regelmäßigkeiten im Metrum. Ein Lied ist einfacher zu singen, wenn es keine bzw. kaum Unregelmäßigkeiten beinhaltet. Musikalisch würde diese fehlende Senkung vermutlich mit einer Pause realisiert werden. Doch warum ist diese Unregelmäßigkeit überhaupt entstanden? Wenn, wie Joseph Schatz13 in Bezug auf Hs. A vermutet, vor der Rasur das Zahlwort sechs statt sieben gestanden hat, wäre zwar in Hs. B die Doppelsenkung nicht entstanden, jedoch das Fehlen der Senkung bliebe bestehen. In Hs. A („fert syben ich gedenke“; als Vorstufe vermutet Schatz14 „fert sechsmal ich gedenke“) ist diese fehlende Senkung durch das „fert“ realisiert und lässt den Le- ser/Sänger somit nicht stolpern. Das heißt, dass diese Unregelmäßigkeit in V. 27, allerdings erst im zweiten Schritt, durch die Abänderung auf die uns überlieferte Fünfstrophenform der Hs. B entstanden ist.

[...]


1 Karl Kurt Klein (Hg.): Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, Tübingen 1975.

2 „Element“ bzw. „thematisches Element“ wird hier mit dem Begriff „Motiv“ synonym verwendet.

3 V. 1-4.

4 siehe Kapitel 2.2.4.

5 V. 1-4, 157-160.

6 V. 145-148, 157-160.

7 Johannes Spicker: Oswald von Wolkenstein. Die Lieder, Berlin 2007.

8 Diese Gattungsbeschreibung ist für das Lied im Kontext dieser Arbeit gewählt. Bei Analysen, die ein anderes Ziel verfolgen, würde diese Gattungsbeschreibung durchaus anders ausfallen.

9 Johannes Spicker: Oswald von Wolkenstein. Die Lieder, Berlin 2007, S. 116.

10 Ulrich Müller: „Dichtung“ und „Wahrheit“ in den Liedern Oswalds von Wolkenstein. Die autobiographischen

11 Gliederung erweitert; Vorlage: Ulrich Müller: „Dichtung“ und „Wahrheit“, S.56-72.

12 Strophenaufbau mit Gefahren-Gliederung: II - 16V., 8V., 8V. ; III - 8V., 8V., 16 V. ; IV - 32V.

13 Siehe Fußnote 14; urspr. Joseph Schatz: Oswald von Wolkenstein. Geistliche und weltliche Lieder, Wien 1902.

14 Zitiert nach: Ulrich Müller: „Dichtung“ und „Wahrheit“, S. 71.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Kl. 23 „Wie vil ich sing“. Analyse und Interpretation
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Oswald vom Wolkenstein
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V274733
ISBN (eBook)
9783656678014
ISBN (Buch)
9783656678007
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
analyse, interpretation
Arbeit zitieren
stud. phil. Dennis Ried (Autor:in), 2012, Kl. 23 „Wie vil ich sing“. Analyse und Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274733

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