Russlands asymmetrischer Föderalismus


Seminararbeit, 2002

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Russländische Föderation – das Ganze und seine Teile
2.1 Die Subjekte der Russländischen Föderation
2.2 Regionen, Regionalismus und desintegrative Tendenzen
2.3 Das föderale Erbe der Sowjetunion

3 Die Entwicklung des Zentrum-Regionen-Verhältnisses seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
3.1 Die Übergangszeit bis Ende 1993
3.2 Von Jelzin zu Putin

4 Charakteristika des „asymmetrischen Föderalismus“ in Russland
4.1 Verfassungsrechtliche Konflikte
4.2 Bilaterale Verträge
4.3 Interregionale Disparitäten

5 Putins neuer Zentralismus

6 Fazit

Literatur

1 Einleitung

Das Verhältnis von Zentrum und Regionen in Russland hat seit dem Ende der Sowjetzeit einen ständigen Wandel und verschiedene deutliche Zäsuren erfahren. In der vorliegenden Arbeit möchte ich die Entwicklung dieses Verhältnisses, das in Bezug auf Russland oft mit dem Begriff „asymmetrischer Föderalismus" umschrieben wird, beleuchten. Im ersten Teil werde ich der Frage nachgehen, welche Vorstellung vom Begriff „Region“ man sich mit Blick auf Russland machen kann, aus welchen Teilen die Russländische Föderation besteht und welches Erbe die Sowjetunion für ein föderales Staatswesen hinterlassen hat. Im zweiten Teil folgt eine chronologische Schilderung der Ereignisse der 90er Jahre, die für das Zentrum-Regionen-Verhältnis von Bedeutung sind. Bezug nehmend auf diese Entwicklungen werde ich in Teil vier näher auf den Begriff und die Komponenten des „asymmetrischen Föderalismus“ eingehen. Auf Grund der hohen Aktualität der Reformen unter Präsident Putin und ihrer noch schwer abschätzbaren Folgen gehe ich abschließend im fünften Teil dieser Arbeit gesondert auf Putins Bemühungen um eine Rezentralisierung Russlands ein.

2 Russländische Föderation – das Ganze und seine Teile

2.1 Die Subjekte der Russländischen Föderation

Aus dem offiziellen Staatsnamen Russlands, „Russländische Föderation“ werden bereits zwei Dinge deutlich: dass es sich um ein föderales Staatswesen handelt und dass seine räumliche Ausdehnung nicht durch das Siedlungsgebiet der Russen, der russischen Nation definiert ist (in diesem Fall wäre die Bezeichnung „Russische Föderation“ angemessen, die fälschlicherweise von vielen Autoren verwendet wird, vgl. Fischer Weltalmanach), sondern durch ein normativ festgesetztes Territorium – das russländische –, das auch von anderen Nationen bewohnten Raum einschließt (Simon 1999, S. 11). Nach der Verfassung von 1993 besteht die Russländische Föderation aus 89 Subjekten: 21 Republiken (republiki), zehn autonomen Bezirken (avtanomnye okrugi), einem autonomen Gebiet (avtanomnaja oblast), 49 Gebieten (oblasti), sechs Bezirken (kraja) und den zwei Städten von föderaler Bedeutung Moskau und St. Petersburg. Bei den Gebieten und Bezirken handelt es sich um rein territoriale Einheiten, bei deren Grenzziehung ethnische Fragen keine Rolle spielen (Heinemann-Grüder 2001, S. 78, f.). In der geographischen Terminologie sind sie also rein normative Regionen (vgl. DIERCKE 1997, S. 690). Die Republiken, autonomen Bezirke und das autonome Gebiet – es handelt sich hierbei um das jüdische autonome Gebiet an der Grenze zu China – sind dagegen ethnisch geprägte und nach einer Titularethnie benannte Einheiten, wobei diese Ethnie kulturelle aber auch politische und wirtschaftliche Autonomie genießt. Es wäre aber falsch, hier von ethnisch oder kulturell homogenen Regionen zu sprechen, denn in nur wenigen solchen Gebieten stellt die Titularethnie tatsächlich die Bevölkerungsmehrheit. Es finden sich immer auch Russen und andere Ethnien (Heinemann-Grüder 2001, S. 78, f.). In lediglich zwölf der 89 Föderationssubjekte stellen die Russen weniger als 50 Prozent der Bevölkerung (vgl. Knappe 1998, S. 15-21). In der Russländischen Föderation hat sich also eine Mischform von territorialem Föderalismus und Ethno-Föderalismus etabliert, was als adäquate Anpassung an die Notwendigkeiten in Russland gesehen wird (Heinemann-Grüder 2000, S. 55).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Cluster“ von Republiken finden sich an der Peripherie Russlands im Nord-Kaukasus (u. a. Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien), an der Grenze zur Mongolei (u. a. Tywa), sowie an der Wolga auf der Breite des südlichen Urals (u. a. Baschkortostan, Tatarstan). Einzeln liegen die riesige Republik Sacha (Jakutien) im fernen Osten, sowie Komi und Karelien im Westen (Knappe 1998, S. 10, f.). Die zehn autonomen Bezirke genießen zwar Autonomie, jedoch gehören neun von ihnen zum Bestand der sie umgebenden Republiken (Heinemann-Grüder 2001, S. 80), lediglich Cukotka konnte sich davon lösen (Stadelbauer 2000, S. 120). Bevölkerungsmäßig besonders bedeutsam sind die beiden Städte mit Subjektstatus, die zusammen über 9 Prozent der Gesamtbevölkerung von etwa 145 Millionen (Fischer Weltalmanach) stellen, sowie die Gebiete Swerdlowsk (3,17 Prozent), Rostow (2,99 Prozent), Tscheljabinsk (2,5 Prozent) und Moskau (4,46 Prozent), der Bezirk Krasnodar (3,14 Prozent) und die Republik Baschkortostan (2,77 Prozent) (Knappe 1998, S. 15-21). Wirtschaftlich bedeutsam sind wiederum insbesondere die großen Zentren (vgl. dazu Stadelbauer 2000, S 125, ff.).

2.2 Regionen, Regionalismus und desintegrative Tendenzen

Ist in Westeuropa von Regionen und Regionalismus die Rede, so werden dabei häufig homogene Regionen angenommen, die durchaus über administrative Grenzen hinweg eine regionale Identität stiften und als Basis für politisches Handeln dienen können. In Russland ist dies nicht der Fall. Politisches Handeln gegenüber dem Zentrum und regionales Autonomiebestreben ist immer an die normativen Regionen, die Föderationssubjekte und ihre administrativen Strukturen gebunden. In der Sowjetunion gab es vereinzelt auch regionalistische Bestrebungen im Zusammenhang mit gebietsübergreifenden Großprojekten, die aber auch jeweils eigene Verwaltungsstrukturen hatten. Weitere Ausgangspunkte für Regionalismus waren ethnische oder ökologische Motive, die Bedeutung der normativen Verwaltungseinheiten war aber immer dominant (Stadelbauer 2000, S. 117, 119). Die Föderationssubjekte, normative territoriale Einheiten, sind die entscheidenden Akteure in der Auseinandersetzung mit dem Zentrum (ders. 2000, S. 117 ff.; Heinemann-Grüder 2000, S. 51). Strelezki erklärt dies folgendermaßen: Die vertikale Polarisation des Raums, also die zwischen Zentrum und Peripherie bzw. regionalen Verwaltungszentren und dem sie umgebenden Land (u. a. die Konzentration von Bevölkerung und wirtschaftlichen Aktivitäten in den Großstädten), wirkten sich stärker aus als die horizontalen Unterschiede, also die zwischen den Regionen. Wesentliche Funktionen, also auch politische Aktivität würden sich damit entweder auf Moskau oder auf die jeweiligen Verwaltungszentren konzentrieren und sich auf die von diesen regierten normativen Regionen beziehen (Strelezki 2000, S. 6). Aus diesem Grund verwende ich hier das Wort „Region“ synonym für „Subjekt der Russländischen Föderation“.

Strelezki geht außerdem der Frage nach, ob innerhalb der Russländischen Föderation die integrierenden oder die desintegrierenden Faktoren überwiegen. Die Ergebnisse sind für eine Betrachtung des Verhältnisses von Zentrum und Regionen in Russland hilfreich. Einerseits führt er an, dass einige Teile des russischen Staatsgebiets unter dem Einfluss von Kulturen stehen, deren Zentren außerhalb Russlands liegen: Die Bedeutung des Islam im Nordkaukasus wäre hier zu nennen, oder auch die Bedeutung der fernöstlichen Kultur im Grenzland zu China (ders. 2000, S. 14 f.). Zudem teilt er Russland in ein „Heartland“, das rein russich geprägt ist, und mehrere „ethnische Problemzonen“ ein, wie etwa den Nordkaukasus und das Mittlere Wolgagebiet. Zudem führt er die großen sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Regionen an. Dem stellt er gegenüber, dass sich in allen Teilen Russlands eine „russländische Identität“ entwickelt habe, dass die Russen in allen Landesteilen einen deutlichen Bevölkerungsanteil stellen und dass die weiträumige wirtschaftliche Arbeitsteilung aus Sowjetzeiten fortbestünde, ebenso wie eine gemeinsame Infrastruktur. Bei den beiden Zentren der „moslemischen Renaissance“, Baschkortostan und Tatarstan, geht Strelezki nicht von einer Sezes­sionsgefahr aus, da beide kulturell und räumlich gut in die Russländische Föderation eingebunden sind (2000, S. 10 ff.). Der als Beispiel für die Desintegration Russlands häufig angeführte Fall der abtrünnigen Republik Tschetschenien wird als Sonderfall mit einem besonderen historischen Hintergrund beschrieben (vgl. hierzu Windisch 2002). Letztlich geht Strelezki er für die vergangenen Jahre von einem zunehmenden Übergewicht der integrierenden Faktoren aus, was trotz aller Asymmetrien, die im folgenden beschrieben werden, für die Stabilität der Russländischen Föderation spricht. Auch Stadelbauer möchte nicht von einer Desintegration Russlands auf Grund ethnischer Konflikte ausgehen und erklärt „(...) dass die Situation der ethnisch definierten Gebiete innerhalb des heutigen Russland nicht mit den früheren Unionsrepubliken zu vergleichen ist, von denen nur ein Teil an Außengrenzen Russlands liegt und einen hohen Prozentsatz der namengebenden Gruppe an der Gesamtbevölkerung besitzt.“ (Stadelbauer 2000, S. 123)

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Russlands asymmetrischer Föderalismus
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Geographie)
Veranstaltung
Probleme der Regional- und Stadtforschung - das Beispiel Russland
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
15
Katalognummer
V27513
ISBN (eBook)
9783638295451
Dateigröße
672 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Russland ist der Verfassung nach ein Föderalstaat. Doch wieviel Macht eine Region wirklich hat, hängt von ihrer Verhandlungsstärke gegenüber Moskau ab. Die Arbeit zeigt, wie sich der russische Föderalismus nach 1989 entwickelt hat.
Schlagworte
Russlands, Föderalismus, Probleme, Regional-, Stadtforschung, Beispiel, Russland
Arbeit zitieren
Felix Müller (Autor:in), 2002, Russlands asymmetrischer Föderalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27513

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