Sexueller Missbrauch durch Kinder. Ursachen und Möglichkeiten sozialer Arbeit


Akademische Arbeit, 2006

46 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ätiologie
4.1 Soziale Lerntheorie nach Bandura
4.2 Modeling Konzept der Erlernung missbräuchlichen Verhaltens nach Becker
4.3 Zyklische Weitergabe sexuellen Missbrauchs
4.4 EMASO-Modell nach Bera
4.5 Modell der vier Voraussetzungen des sexuellen Missbrauchs
4.6 Borderline- Syndrom des Kindesalters

3. Möglichkeiten und Grenzen sozialer Arbeit für missbrauchende Kinder

4. Schlussbetrachtung

5. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Sexuell aggressive Kinder sind kein neues Phänomen. Erste Fallsammlungen wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Obwohl die Literatur über sexuellen Missbrauch inzwischen unübersehbar geworden ist und sexueller Missbrauch durch Kinder und Jugendliche verstärkt in den Blick der Forschung geraten, findet sich speziell für den Bereich sexuell übergriffiger Kinder bzw. sexuellen Missbrauch durch Kinder kaum etwas. Auch in der Forschung finden sich nur wenige empirische Untersuchungen, die meisten beziehen sich auf kindliche und jugendliche Täter zusammen. Da aber mittlerweile bekannt ist, dass die meisten Täterkarrieren in der Kindheit beginnen, oder anders gesagt, dass „die Grundlage für das sexuelle Misshandlungsmuster oft bereits im Jugendalter oder früher angelegt werden“ ( Fürniss, 2000) bin ich der Ansicht, dass eine gesonderte Betrachtung des Bereichs -Kinder als Täter- wichtig ist.

Durch eine Analyse der Ursachen sexuellen Missbrauchs und sexueller Aggressivität im Kindesalter kann bestimmt werden, welche Maßnahmen zur Prävention und Intervention ergriffen werden können, um effektiv die Wahrscheinlichkeit von Täterkarrieren zu vermindern.

Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Sozialarbeit werden im letzten Abschnitt besprochen.

2. Ätiologie

Einen großen Stellenwert in der Entwicklung sexueller Gewalt nehmen die individuelle Lebensgeschichte der Kinder und das familiäre Umfeld ein. Durch eigene emotionale Vernachlässigung und körperliche Misshandlung, ein sexueller Missbrauch in der Vorgeschichte der Mutter und archaisch ausgetragene

Partnerkonflikte der Eltern (Adler& Schutz 1995, O`Brien 1991, Schmith & Israel 1987, Justice & Justice 1979, Romer & Berner 1998) können Angst- und Ohnmachtsgefühle entstehen, welche durch einen sexuellen Angriff in Form eines „acting out“ ausgedrückt werden[1].

Vernachlässigung und Misshandlung sind schädigende biographische Einflüsse, denen auch Enders (2003)[2] und Harten (1995)[3] ein erhöhtes Risiko bei der Entstehung von sexualisierten Aggressionen zusprechen.

Als weitere bedeutsame familiendynamische Einflussfaktoren zitiert Romer (2002) abwesende Väter, oder solche, die einen Verlust der Kontrolle durch Spielsucht oder Alkoholmissbrauch vorleben; ein sexualisiertes Familienklima und labile innerfamiliäre Grenzen, welche verhindern, dass sich beim Kind ein Gespür für geschützte Intimität entwickeln kann, eine chaotische Familienstruktur mit mangelnder elterlicher Kontrolle und Aufsicht und wechselnde Intimbeziehungen der Eltern, welche Kinder zu Mitwissern sexueller Geheimnisse von Erwachsenen machen[4].

Hierbei scheinen nach Romer & Berner (1998) folgende Charakteristika, welche häufig zusammenspielen besonders wichtig:

1. Die Störung der Mutter-Kind-Beziehung: Mütter, welche in ihrer eigenen Kindheit sexuell missbraucht worden sind, zeigen einen Interaktionsstil, bei welchen oft subtil verführerische Gesten zusammen mit Merkmalen aktiver Bindungsabweisung zu beobachten sind. Emotionale Bindungserfahrungen werden beim Kind durch erotisierte Interaktionen ersetzt. Bei einem sexuellen Angriff auf ein anderes Kind wird dieses durch die sexuell getönte Handlung zur Bedürfnisbefriedigung benutzt.
2. Partnerkonflikte werden in Anwesenheit der Kinder, teilweise mit körperlicher Gewalt, ausgetragen. Durch das Miterleben realer Gewalt reduziert sich die spielerisch- imaginative „als-ob“ Ebene, welche dem Kind dazu dient, aggressive und sexuelle Phantasien angstfrei auszuleben, auf ein nicht ausreichendes Minimum. Die Grenzen zwischen Phantasie und Realität brechen, archaische Phantasien können für das Kind jederzeit Wirklichkeit werden. Daraus resultiert bei diesen Kindern oftmals ein Nebeneinander an Hemmung und Geducktheit und plötzlich auftretenden rücksichtslosen Impulsausbrüchen, was wiederum eine Identifikation mit dem Aggressor, dem gefürchteten Erwachsenen darstellt. Das aggressive Modell kann hierbei in seiner Grausamkeit übertroffen werde.
3. eine positive Vaterfigur fehlt: Impulsive Kontrollverluste der Väter, welche sich beispielsweise im Alkoholismus oder in Gewalt äußern können, dienen als negatives Identitätsprägendes Vorbild für die Kinder. Der autonome Vater, welcher von einen vorpubertären Jungen als

Identifikationsfigur benötigt wird, um sich von seiner subtil grenzüberschreitenden Mutter entfernen zu können, ist nicht greifbar.

Der Junge wird durch den Mangel an einer positiven Vaterfigur und dem Kontrollverlust des Vaters in seinem Bild von der „geheimen Macht der Frau“ und der „Notwendigkeit“ einer aggressiven Machtdemonstration bestätigt.

Die ausagierten sexualisierten Aggressionen lassen sich nach Romer (2002) oftmals auf vielfältige Traumatisierungen innerhalb der Familie, traumatischen Beziehungserfahrungen mit Bindungspersonen oder internalisierte traumatische Erfahrungen der Missachtung, Grenzverletzung und des impulsiven Agierens innerhalb seines Beziehungsumfeldes zurückführen.

Nach Enders (2003)[5] wurden viele der sexuell übergriffigen Kinder[6] emotional vernachlässigt und körperlich misshandelt, litten unter den Problemen ihrer Eltern und/ oder einem häufigen Wechsel ihrer Bezugspersonen. Diese Einflüsse können in der Vergangenheit der Kinder geschehen sein, können aber auch nach wie vor anhalten. Zeugen von körperlicher oder sexueller Gewalt durch den Vater innerhalb der Familie waren mehr als 60% der jungen Täter[7]. Ebenfalls gibt Enders (2003) eine zu frühe und zu massive Konfrontation der jungen Täter mit Erwachsenensexualität oder ein Miterleben einer traumatischen oder abweichenden Sexualität in Form von sexueller Gewalt, sexuellem Missbrauch der Geschwister oder Konsum von „harter“ Pornographie an.

Eine geschlechtstypische Verarbeitung von Gewalterfahrungen zeigten einige sexuell aggressive Jungen, welche in einer sexuell gewalttätigen Umgebung aufwuchsen, indem sie sich mit dem Aggressor identifizierten. Die Jungen stellen

ähnliche Situationen wieder her, um aber diesmal in der Rolle des Aggressors zu agieren. Diese Umgebung war dadurch geprägt, dass Eltern beispielsweise vor den Kindern masturbierten oder diese animierten, an sich und anderen sexuelle Grenzverletzungen auszuüben.

Bei den Ursachen sexuellen Missbrauchs spielen verschiedene Faktoren und verschiedene Faktorenkombinationen eine Rolle, wie Einflüsse der individuellen Lebensgeschichte, Sozialisationsprozesse, pathologische Strukturen der Eltern- Kind Beziehungen oder auch die Reaktion der Umwelt. Im Folgenden werden

verschiedene Konzepte und Modelle vorgestellt, die sich mit der Entstehung sexuellen Missbrauch beschäftigen.

4.1 Soziale Lerntheorie nach Bandura

Die sozial- kognitive Theorie von Bandura ist ein theoretischer Ansatz, mit dessen Hilfe Modell-Lernen erklärt werden soll. Andere Bezeichnungen für diese Lernart, welche die einzelnen Autoren in der Literatur synonym verwenden, andere wiederum voneinander abgrenzen, sind Beobachtungslernen, Imitationslernen oder auch stellvertretendes Lernen. Im Folgenden wird der Begriff Modell-Lernen verwendet.

Es handelt sich um einen Lernprozess, bei dem sich eine Person durch die Beobachtung des Verhaltens anderer Personen und den daraus resultierenden Konsequenzen, neue Verhaltensweisen aneignet. Auch bereits bestehende Verhaltensmuster können durch diesen Prozess weitgehend verändert werden.

Der Ansatz von Bandura stellt eine schnelle und effiziente Art der Übernahme von Verhaltensweisen dar. Durch Modell-Lernen sind Personen in der Lage, sich auch komplexe soziale und sprachliche Verhaltensweisen anzueignen[8].

Nicht nur das Umfeld erzeugt Verhaltensweisen bei Personen, das Verhalten erzeugt auch das Umfeld. Dieses Konzept nennt Bandura reziproken Determinismus: Die Welt und das Verhalten eines Menschen erzeugen sich gegenseitig.[9]

Persönlichkeit ist für ihn eine Interaktion vom Umfeld, Verhalten und den psychologischen Prozessen, die in einem Menschen vorgehen.

Für Bandura spielt das Modell-Lernen auch eine wesentliche Rolle bei der sozialen Entwicklung von Kindern. Durch beobachtetes Verhalten ergänzen Kinder ihr Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten und das Beobachten von Modellen hilft ihnen zu entscheiden, unter welchen Möglichkeiten diese umgesetzt werden können[10].

Die kindliche Entwicklung lässt sich mit Hilfe von Banduras sozialer Lerntheorie in einen Prozess gliedern, der zum einem durch eine langsame Erweiterung der bereits bestehenden Antworten und Handlungen durch Beobachtung anderer Personen und eigenen Ausführungsversuchen gekennzeichnet ist.

Zum anderen nutzen Kinder die Informationen, welche sie aus den beobachteten Verhaltenskonsequenzen erhalten haben, für spätere Entscheidungen und zur Bewertung von Reaktionen.

Nach Bandura & Walters (1963) kann es zu verschiedenen Lernprozessen kommen[11]:

- Der modellierende Effekt

Der Beobachter erlernt in einer bestimmten Situation neue, in seinem Verhaltensrepertoire noch nicht vorhandene Verhaltensweisen.

- Der enthemmende/hemmende Effekt

Das beobachtete Verhalten, welches bereits bekannt ist, tritt beim Beobachter in ähnlichen Situationen zukünftig leichter auf, wenn das Modell belohnt wird. Die Hemmschwelle zur Ausführung dieses Verhaltens wird steigen, wenn das Modell für sein Verhalten bestraft wird.

- Der auslösende Effekt

Das Verhalten, dass der Beobachter bereits vorher gelernt hat, wird unmittelbar nach dem Auftreten eines Modells gezeigt; es wird durch das beobachtete Verhalten des Modells ausgelöst.

Wenn Kinder sexuell aggressive Modelle, was Eltern, Freunde, oder Personen im Fernsehen sein können, beobachten, kann dies dazu führen, dass sie neue, sexuell aggressive Verhaltensweisen erlernen, dass die Hemmschwelle zur Ausführung bereits vorhandener Verhaltensweisen sinkt oder bereits bestehendes Verhalten kann durch die Beobachtung ausgelöst werden.

Bandura unterscheidet zwei Abschnitte des Modell-Lernens, welche jeweils noch einmal untergliedert sind[12]:

1. Die Aneignungsphase (Akquisition)

- Aufmerksamkeitsprozesse

Damit ein Modell für den Beobachter als geeignet erscheit und seine Aufmerksamkeit auf sich zieht, benötigt es bestimmte Charakteristiker, wie beispielsweise Erfolg, Prestige, Kompetenz. Die Aufmerksamkeitszuwendung beim Beobachter wird durch emotionale Erregung und Engagement oder Zweifel an eigenen angemessenen Verhaltensformen gefördert. Ebenfalls zuträglich wirkt sich ein positives Beziehungsverhältnis des Beobachters zum Modell aus.

- Gedächtnisprozesse

Das beobachtete Modellverhalten wird vor seiner Speicherung in leicht erinnerliche Schemata umgeformt, klassifiziert und organisiert. Es kann unter Umständen erst nach einer längeren Zeit vom Beobachter gezeigt werden.

Das Verhalten kann auf zwei verschiedene Arten repräsentiert werden. Die beobachtete Situation kann bildhaft oder sprachlich gespeichert werden. Bandura vermutet, dass eine multiple Repräsentation den Lernprozess fördert.

2. Die Ausführungsphase (Performanz)

- Motorische Reproduktionsprozesse

Hiermit ist die konkrete Ausführung der erlernten Verhaltensweisen gemeint. Dieses wird von der inneren Repräsentation des beobachteten Verhaltens gesteuert und durch die kognitive Organisation des Beobachters bestimmt.

Die Ausführungen verbessern sich mit zunehmender Übung, wobei diese auch gedanklich stattfinden kann.

- Verstärkungs- und Motivationsprozesse

„Ein Individuum mag zwar die Fähigkeit erwerben und behalten, ein modelliertes Verhalten auszuführen, wird das Erlernte aber nur schwerlich offen ausführen, wenn Sanktionen drohen oder die Umstände keinen Ansporn bieten“ (Bandura, 1976, S.29)[13]

Ein Verhalten wird nur dann von dem Beobachter ausgeführt, wenn es ihm sinnvoll erscheint. Sowohl für die Ausführung, wie auch für den Erwerb des beobachteten Verhaltens hat die Antizipation von Verstärkung oder Bestrafung motivierende oder demotivierende Funktionen.

Für Bandura ist die Verstärkung eine förderliche Bedingung des Modell-Lernens, da sie die Aufmerksamkeitsprozesse und die zentralen Integrationsprozesse begünstigt.

Die Verhaltenskonsequenzen formen Verhalten nicht automatisch, sondern sie informieren den Beobachter darüber, welche Konsequenzen ihn wahrscheinlich erwarten, wenn er dieses Verhalten in der Zukunft ausführt und sie motivieren die

Person, sich so zu verhalten, dass die von ihnen angestrebten, als wertvoll erachteten Ergebnisse erreicht werden[14].

Motive sind nach Bandura beispielsweise eine vergangene Verstärkung, eine versprochene Verstärkung, welche die Person sich vorstellen kann oder eine stellvertretende Verstärkung; sehen und sich erinnern, wie das beobachtete Modell verstärkt wird. Negative Motive zum Unterlassen von Nachahmung sind eine vergangene Bestrafung, eine versprochene oder eine stellvertretende. Positive Verstärkung hat eine bessere Wirkung als Bestrafung, welche eher die Tendenz hat, sich gegen uns zu wenden.[15].

Neben der äußeren Verstärkung können beim Modell-Lernen stellvertretende Verstärkung und Selbstverstärkung auftreten.

Bandura, welcher soziale Phänomene wie Aggression bei Adoleszenten oder Kindern untersuchte, lehnt die medizinische Vorstellung von abweichenden Verhalten ab[16]. Für ihn handelt es sich bei den Handlungen, welche von den sozialen und ethischen Normen abweichen um individuelle Wege, mit

Selbstauferlegten Anforderungen und der Umwelt zu Recht zu kommen.

Sexuell missbräuchliches oder aggressives Verhalten von Kindern kann zu solchen Handlungen gezählt werden. Es ist ein Problem des sozialen Lernens.

Das ungewünschte kindliche Verhalten wird fortgeführt, weil das Kind kein alternatives Verhalten kennt, welches ihm mehr Verstärkung einbringen würde oder weil es sich für das Kind auszahlt.

Nach der sozialen Lerntheorie ist dieses Verhalten ein gelerntes, welches nach Bandura beim Kind durch eine Beeinflussung der Verhaltenskonsequenzen behandelt werden soll.

Sermabeikian und Martinez haben auf der Grundlage der sozialen Lerntheorie ein Behandlungsmodell für jugendliche TäterInnen entwickelt. Die Herkunft sexuell missbrauchenden Verhaltens bei Jugendlichen beschreiben sie folgendermaßen:

„ Eine Reihe von Typologien für jugendliche Sexualstraftäter wurde entwickelt, aber kein einziger Faktor oder eine einzelne Erfahrung wurden als zur sexuellen Abweichung führend angesehen. Kombinationen von Faktoren, welche die individuelle Entwicklung, eine mögliche Geschichte von physischem oder sexuellem Missbrauch, die Umstände in der Herkunftsfamilie, deviante sexuelle Erregung und die gegenwärtige Situation einschließen, können in Erwägung gezogen werden. Komplexe Verhaltensweisen (wie sexuelle Abweichung) können nicht als einheitliche Muster gesehen werden, sondern entstehen durch die Integration vieler einzelner Aktivitäten verschiedenen Ursprungs. …

Es scheint ein Allgemeinen Einverständnis in Bezug auf die Ätiologie sexuell abweichender Verhaltensweisen zu geben. Diese Verhaltensweisen werden als gelernte Phänomene angesehen, bei denen frühe sexuelle Erfahrungen und nicht genetische oder biologische Ursprünge eine Rolle spielen. …

Die Annahme, dass das strafbare sexuelle Verhalten gelernt, beobachtet oder erfahren wurde, hat zur Entwicklung von Behandlungsinterventionen geführt, die den jugendliche Sexualstraftäter mit der Möglichkeit versorgen, zu lernen, das Missbrauchsverhalten zu stoppen und sozial akzeptable Wege zu entwickeln, Sexualität auszudrücken.“

( Sermabeikian und Martinez, S. 970)[17]

4.2 Modeling Konzept der Erlernung missbräuchlichen Verhaltens nach Becker

Dieses Konzept ist auf der Grundlage der sozialen Lerntheorie nach Bandura entstanden[18]. Das von Becker (1988) vorgeschlagene Modell ist auf die Entwicklung von Missbrauchsverhalten bei Jugendlichen gerichtet und beinhaltet

die individuellen Charakteristika, Familienvariablen und Variabeln des sozialen Umfelds.

Zu den individuelle Charakteristiken können unter anderem Verhaltensstörrungen, eigene Missbrauchserfahrungen (psychisch oder sexuell), begrenzte kognitive Begabungen oder eine Störung der Impulskontrolle zählen.

Die Familienvariablen beinhalten:

a) Das Familienleben ist dadurch geprägt, dass Eltern oder Ersatzeltern physische Gewalt oder sexuell übergriffiges Verhalten gegeneinander, gegenüber den Kindern oder gegen andere praktizieren.
b) Sexuell übergriffiges Verhalten wird von dem Glaubenssystem eines oder beider Elternteile unterstützt
c) Eltern, denen es an Empathie und funktionellen zwischenmenschlichen Fähigkeiten mangelt, was zur Erfahrung emotionaler und/ oder physischer Vernachlässigung führt.

Zu den sozialen Faktoren zählt die Zugehörigkeit zu einer Peergruppe, welche antisoziale Verhaltensweisen unterstützt oder das Leben in einer Gesellschaft, welche die Sexualisierung von Kindern und sexuell übergriffiges Verhalten unterstützt.

Jugendliche und Kinder, die selber missbraucht worden sind, lernen in einem sozialen Prozess, sexueller Missbrauch sei sozial angemessen. Als Folge zeigen sie selbst dieses Verhalten. Wenn sie nicht selber missbraucht worden sind, kann eigenes Täterverhalten durch Einstellungen, welche durch die Umwelt vermittelt werden, gefördert werden.

Der lerntheoretische Aspekt ist ein Mechanismus, welcher die zyklische Weitergabe von sexuellem Missbrauch vermittelt.

Die Jugendliche fahren mit dem sexuellen Missbrauch fort, die den (selbst verübten) Missbrauch sehr gut fanden, die keine oder nur minimale negative Konsequenzen erfuhren, die eine Verstärkung durch Phantasie und Masturbation produzierten, die Defizite in der Aufnahme Altersangemessener Beziehungen aufwiesen[19].

4.3 Zyklische Weitergabe sexuellen Missbrauchs

Eine der Mythen, welche in der Öffentlichkeit über sexuellen Missbrauch existiert ist, dass alle Täter als Kinder oder Jugendliche missbraucht worden sind[20].

Friedrich & Lücke (1988) identifizierten in ihrer Untersuchung 49% der sexuell aggressiven Kinder als sexuell missbraucht, bei Johnson (1988) beträgt die Rate 66%[21]. Die Prävalenzrate bei Awad & Saunders (1989), welche 29 männliche Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 16 Jahren auf eigene sexuelle Viktimisierungserfahrungen untersuchten, beträgt 26% , bei Fehrenbach et al. (1986) ergibt sich bei 297 männlichen sexuell übergriffigen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ein Anteil von 18%.

Bagley & Shewchuk-Dann (1991) entnahmen aus 60 Patientenakten zweier psychiatrischer Einrichtungen, welche von männlichen Jugendlichen und Kindern mit Hinweisen auf sexuell aggressiven Verhaltens stammten, eine Missbrauchsrate von 54 % im intrafamiliären Bereich und 31% im nicht familiären Bereich. Die unterschiedlichen Prävalenzzahlen sind unter anderem auf die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden, Tätergruppen und Definitionen zurück zu führen.

Dennoch geht Homes davon aus, dass ein recht hohes Risiko besteht, dass sexuell missbrauchte Jungen und Mädchen später ein sexuell abweichendes Verhalten entwickeln und Kinder missbrauchen[22].

Aus Untersuchungen über sexuell aggressive Kinder im Alter zwischen 3 und 12 Jahren geben Araij (1997) und Johnson (1998) Missbrauchsraten zwischen 50% und 100% an. Bei den Untersuchungen, in denen auch andere Misshandlungsraten mit aufgeführt sind, betragen die Zahlen bei Körpermisshandlung zwischen 41% und 93%, bei Vernachlässigung 8% bis 86% und bei seelischen Misshandlungen liegen die Raten zwischen 41% und 93%.

[...]



[1] Vgl. Romer, G.: In: Bange,D / Körner, W. (Hrsg.),: 2002, S.273.

[2] Vgl. Enders, U.: 2003, S.42

[3] Vgl. Harten, H.-Ch.: 1995, S. 124.

[4] Romer, G.: In: Bange,D / Körner, W. (Hrsg.),: 2002, S.273.

[5] Vgl. Enders, U.: 2003, S.42

[6] Enders spricht von Kindern und Jugendlichen

[7] Der Begriff Täter ist nicht weiter definiert.

[8] Vgl. Edelmann, W.: 2000, S. 189.

[9] Boerce, C.G.: Albert Bandura, S. 1; http://ship.edu/~cgboeree/banduradeutsch.html.

[10] Vgl. Thomas, R.M./ Feldmann, B.: 2002, S. 309.

[11] Edelmann, W.: 2000, S. 189.

[12] Vgl. Edelmann, W.:2000, S. 191f.

[13] Edelmann, W.: 2000, S.192.

[14] Vgl. Thomas, R.M./ Feldmann, B.: 2002, S. 307/308.

[15] Boerce, C.G.: Albert Bandura, S. 3; http://ship.edu/~cgboeree/banduradeutsch.html.

[16] Vgl. Thomas, R.M./ Feldmann, B.: 2002, S. 310f.

[17] Rossilhol, J.-B.: Psychologische Mechanismen der Weitergabe sexuellen Missbrauchs, In: Rossilhol, J.-B.,: 2005, S 20.

[18] Vgl. Rossilhol, J.-B.: Psychologische Mechanismen der Weitergabe sexuellen Missbrauchs, In: Rossilhol, J.-B.,: 2005, S 21.

[19] Vgl. Rossilhol, J.-B.: Sexueller Missbrauch durch Kinder und Jugendliche, In: Rossilhol, J.-B.,: 2005, S 15f.

[20] Vgl. Enders, U.: 2003, S.43.

[21] Vgl. Julius, H./Boehme, U.: 1997, S.59f.

[22] Homes, A.M.:2003, S. 257.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Sexueller Missbrauch durch Kinder. Ursachen und Möglichkeiten sozialer Arbeit
Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
46
Katalognummer
V275160
ISBN (eBook)
9783656672685
ISBN (Buch)
9783656716037
Dateigröße
833 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sexueller, missbrauch, kinder, ursachen, möglichkeiten, arbeit
Arbeit zitieren
Dipl. Soz.Arb. Daniela Koch (Autor:in), 2006, Sexueller Missbrauch durch Kinder. Ursachen und Möglichkeiten sozialer Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275160

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