Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Konzepte der Gleichheit im Diskurs


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2013

93 Páginas, Calificación: 12


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Erklärungen
2.1 Soziale Ungleichheit
2.1.2 Der soziale Raum
2.1.3 Diskriminierungen
2.1.4 Reproduktion der Schichten

3. Geschlechtsrollen
3.1 Geschlecht als Konstrukt
3.2 Geschlechtsstereotype
3.3 Geschlechtsspezifische Arbeitssteilung

4. Geschlechtsspezifische Ungleichheit

5. Frauenbewegung und Feminismus
5.1 Frauenbewegung
5.2 Feminismus

6. Die gesellschaftliche und soziale Rolle der Frau im historischen Diskurs
6.1 Das Frauenbild im Spätmittelalter
6.2 Das Bild der Frau aus der natürlichen Perspektive
6.2.1 Gesellschaftliche Ausgangslage für die ersten Frauenbewegungen
6.3 Die Anfänge der Frauenbewegung
6.3.1 Einfluss der Märzrevolution von 1848 auf die Frauenbewegung
6.4 Erste Welle der Frauenbewegung (1849 – 1950)
6.4.1 Frauenbewegung als Frauenbildungsbewegung
6.4.2 Berufsbildung
6.4.3 Der Kampf um die politische Gleichberechtigung
6.4.4 Die Frauenbewegung als Sittlichkeitsbewegung
6.4.5 Der erste Weltkrieg – Vater der Frauenemanzipation?
6.4.6 Weimarer Republik
6.5 Die Rolle der Frau im Nationalsozialismus
6.6 Die zweite Frauenbewegung
6.6.1 Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg
6.6.2 Gesellschaftliche Ausgangslage der zweiten Frauenbewegung
6.6.3 Die Anfänge der neuen Frauenbewegung
6.6.4 Die Zeit der Selbstbesinnung
6.6.5 Hausarbeitsdebatte in den 1970er Jahren
6.6.6 Institutionalisierung, Differenzierung und das ökologische Jahrzehnt
6.6.7 Die 1990er- Jahre: Gender Mainstreaming als institutionalisierte Frauenpolitik

7. Erfolge und Resultate der Frauenbewegungen - Die gesellschaftliche und soziale Rolle der Frau in der Gegenwart
7.1 Wandel der Geschlechtsrollen
7.2 Erwerbstätigkeit- geschlechtsspezifische Probleme aufgrund der sozialen und gesellschaftlichen Rolle
7.2.1 Equal pay day
7.2.2 Problematik des Status „Alleinerziehend“
7.2.3 Frauenberufe – Dienstleistungsberufe
7.2.4 Die Teilzeitarbeit
7.2.5 Die gebildete Frau – Möglichkeiten und Grenzen für Frauen mit akademischen Graden

8. Resümee

9. Kurzbiografien
9.1 Louise Otto-Peters (1819-1895)
9.2 Clara Zetkin (1857-1933)
9.3 Louise Dittmar (1807-1884)
9.4 Helene Lange (1848 – 1930)
9.5 Gertrud Bäumer (1873 – 1954)
9.6 Alice Schwarzer

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der soziale Raum

Abbildung 2: Schullaufbahn nach Sozialschicht (IGLU 2006)

Abbildung 3: Rolle der Frau im 18. Jahrhundert

Abbildung 4: Die Wasserprobe

Abbildung 5: Frauen produzieren Waffen und Munition, 1917.

Abbildung 6: Erwerbstätigenquoten (BPB)

Abbildung 7: Statistik der Ehescheidungen

Abbildung 8: Unbezahlte Arbeit von erwerbstätigen Paaren ohne Kinder

Abbildung 9: Unbezahlte Arbeit von erwerbstätigen Paaren mit Kindern

Abbildung 10: Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern nach Berufen

Abbildung 11: Anteil Transferzahlungen

Abbildung 12: Nettoeinkommen nach Familienform

Abbildung 13: Finanzielle Risiken des Alleinerziehens für Männer und Frauen

Abbildung 14: Frauenanteil an Beschäftigungsformen

Abbildung 15: Erwerbsrollenmodelle

Abbildung 16: Studieneingangswahlen von Männern und Frauen

Abbildung 17 Louise Otto-Peters

Abbildung 18 Clara Zetkin

Abbildung 19 Helene Lange

Abbildung 20 Gertrud Bäumer

Abbildung 21 Alice Schwarzer

1. Einleitung

„Diese tiefste aller Transformationen der menschlichen Gesellschaft, die Entstehung eines unabhängigen Bewusstseins der Frauen, wird sich fortsetzen. Das ist nicht umkehrbar. Es verändert die menschlichen Beziehungen sicher noch weit mehr als alle Technologien“ (Castells 2000 nach Salewski 2009,9).

Die Geschichte der Frauenbewegung hat – nicht nur in Deutschland – einen sehr langen und steinigen Weg hinter sich gebracht, welcher bis heute nicht beendet ist. Im Fokus der Frauenbewegung stand von Beginn an der Gleichheitsgedanke zwischen den Geschlechtern, also der Weg vom alleinigen Hausfrauen- und Mutter-Dasein zur selbstständigen und selbstbestimmenden und vor allem gleichwertigen- und berechtigten Frau, der dieselben Rechte und Pflichten eingeräumt bzw. auferlegt werden wie dem Mann. Doch wo beginnt Ungleichheit? Muss eine Frau von heute „ihren Mann stehen“ um gleichberechtigt überleben zu können und damit ihre Rolle als Mutter aufgeben? Was unterscheidet das weibliche vom männlichen Geschlecht neben den rein biologischen Merkmalen und existiert im Jahre 2013 endlich eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern?

Die hier vorliegende wissenschaftliche Hausarbeit mit dem Titel „Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung – Konzepte der Gleichheit im Diskurs“ wird einen historischen Überblick über die Entwicklung der gesellschaftlichen (Un)Gleichheit der Frauen liefern. Dementsprechend soll der Frage nachgegangen werden, welchen Einfluss die erzielten Resultate und Erfolge der ersten und zweiten Frauenbewegung auf die soziale und geschlechtsspezifische (Un)Gleichheit der Frau in der Gegenwart aufweisen können. Aufgrund der Fragestellung ergeben sich folgende Teilfragen:

- Wie hat sich die Rolle der Frau in den letzten Jahrzehnten entwickelt und verändert?
- Wie veränderte sich die Vorstellung von Gleichheit in ihrem revolutionären Verlauf?
- Wie groß sind die Schnittpunkte zwischen dem aktuellen Konzept von Gleichheit und der aktuellen Lebenssituation von Frauen im Deutschland der Gegenwart?

Um sprachliche Unklarheiten vorbeugend auszuräumen und um in den soziologischen Kontext der Frauenbewegung einzusteigen, sollen in den Kapiteln zwei bis fünf zunächst soziologische Begriffe wie soziale Ungleichheit, Geschlechtsrollen und geschlechtsspezifischen Ungleichheit genauer erläutert werden. Diese soziologische Einführung dient auch dazu, der in Kapitel sechs anschließenden historischen Abhandlung einen theoretischen Rahmen zu bieten, welche die für die Frauenbewegung relevanten Ereignisse in Deutschland darstellen und die jeweiligen Etappen oder Ziele mit den sich mitgebrachten Veränderungen für die Frauen in Beziehung setzen soll. Kapitel sieben wird sich mit der Rolle der Frau, den Resultaten der Vergangenheit, aber hauptsächlich mit den gegenwärtigen Problemen und immer noch herrschenden Ungleichheiten befassen. Die Arbeit endet mit einem Resümee, an dessen Anschluss Kurzbiographien von einigen der wichtigsten deutschen Frauenrechtlerinnen und Feministinnen dargestellt werden.

2. Begriffliche Erklärungen

Zu Beginn dieser Arbeit sollen zunächst einige wichtige Begriffe definiert, erläutert und unterschieden werden, die im weiteren Verlauf von Bedeutung sein werden.

2.1 Soziale Ungleichheit

Bevor in Kapitel vier auf die Ungleichheitsproblematik der Frauen eingegangen werden kann, soll zunächst allgemein ergründet und definiert werden, was unter dem soziologischen Begriff der „sozialen Ungleichheit“ zu verstehen ist.

Der Philosoph Jean-Jaques Rousseau beantwortete im Jahr 1754 die Preisfrage der Akademie von Dijon „Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“ wie folgt:

Ich nehme zwei Arten von Ungleichheit unter den Menschen an. Eine nenne ich die natürliche oder physische Ungleichheit, weil sie von der Natur eingeführt worden ist. Sie besteht in der Verschiedenheit des Alters, der Gesundheit, der körperlichen Stärke und der Geistes- oder Seelenkräfte. Die andere könnte man eine sittliche oder politische Ungleichheit nennen, weil sie von einer Art Übereinkunft abhängt und durch die Einwilligung aller Menschen eingeführt oder wenigstens gebilligt worden ist. Sie besteht in verschiedenen Freiheiten, welche einige zu anderer Nachteil genießen, nämlich reicher, angesehener, mächtiger zu sein, als diese oder sich gar gehorsam von ihnen leisten zu lassen (Rousseau 1754 nach Abels 2007, 300).

Anhand dieses Zitats wird deutlich, dass soziale Ungleichheit neben den im Rahmen der Arbeit zu vernachlässigenden, naturgegebenen Unterschieden zwischen einzelnen Menschen vor allem ein gesellschaftliches Phänomen darstellt. Dieses kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden und stellt das Resultat verschiedener Dimensionen dar. So kommt es innerhalb einer Gesellschaft zu Prozessen, die eine Gleichheit aller Mitglieder verhindern. Diese Ausprägung sozialer Ungleichheit wird als „Form der sozialen Differenzierung und der Sozialordnung angesehen und akzeptiert, solange bestimmte gesellschaftsspezifische Toleranzgrenzen nicht überschritten werden“ (Schäfers 2006, 328). Kompensiert und akzeptiert wird diese Form nur, wenn den Individuen einer Gesellschaft Chancengleichheit oder das soziale Wirken eines Staates erfahren.

Der Begriff der sozialen Ungleichheit beschreibt also die Tatsache, dass es in der Gesellschaft ein Ungleichgewicht an Kapitalen (siehe Kapitel 2.1.2), Positionen oder Gütern gibt, die zu ungleichen Verhältnissen, Chancen und Macht führen.

„Unter sozialer Ungleichheit sollen hier differente Zugangschancen zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und Positionen verstanden werden, die zugleich mit ungleichen Macht-, Anerkennungs-, und Interaktionsmöglichkeiten einhergehen und die Lebenschancen von Individuen oder Gruppen relativ dauerhaft positiv oder negativ beeinflussen, d.h. zu ‚strukturierter sozialer Ungleichheit` führen“ (Kreckel nach Gottschall 2000, 23).

Gottschall spricht von den Vorteilen, die diese Definition mit sich bringt. Diese würde nicht nur die distributiven Verteilungsungleichheiten (soziale Güter und Positionen), sondern auch die relationalen Ungleichheiten (Resultate aus asymmetrischen Beziehungen) ansprechen, ohne diese jedoch genau festzulegen und könnte somit auch bei jeglichen Veränderungen der ‚allgemein erstrebenswerten sozialen Gütern und Positionen‘ zutreffen. Wobei nicht nur materielle Ressourcen und Güter, sondern auch der Wandel in den Menschen- und Bürgerrechten gemeint ist. Die sozialen Positionen betreffen neben der Erwerbsarbeit auch die unbezahlten Tätigkeiten von Haus- und Familienarbeit. Zudem spricht diese laut ihr die Definition ebenfalls die unterschiedlichen Macht- und Interaktionsmöglichkeiten sowie die Unterschiede in der sozialen Anerkennung an (vgl. Gottschall 2000, 23). „Die Definition verzichtet auf die traditionelle Vorstellung einer ‚vertikalen (d.h. erwerbsökonomisch hierarchischen) Ungleichheitsstruktur“ (Gottschall 2000, 24) die als Kernproblem des Kapitalismus der früheren soziologischen Klassiker wie die von Marx, Durkheim, Simmel und Weber angesehen wurden (vgl. Rehbein 2011, 25) und lässt sich eher in Pierre Bourdieus Lebensstil-Ansatz mit der Vorstellung eines dreidimensionalen `sozialen Raumes` verankern.

2.1.2 Der soziale Raum

Dieser Raum beinhaltet das direkte Umfeld (Milieu - Wohngegend, Freunde, Familie, Beruf, etc.), den durch die jeweilige individuelle Sozialisation heraus resultierenden Habitus und die herrschenden Kapitalsorten. Um diesen Raum gedanklich fassbar zu machen, wird das Bild eines Würfels herangezogen. Höhe, Breite und Länge des Würfels repräsentieren jeweils das soziale (Beziehungen, Familie, Freunde, Bekannte, etc.), das kulturelle (Bildung, Museumsbesuche, Urlaube, etc.) und das ökonomische (Geld, Reichtum, etc.) Kapital eines jeden Menschen. Steigt eines oder mehrere der genannten Kapitale, vergrößert sich das Volumen des Gesamtkapitals. In einem Diagramm mit einer X und einer Y-Achse würde zwar das ökonomische Kapital die vertikale, aber nicht die horizontale Position bestimmen (vgl. Rehbein 2011, 167).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der soziale Raum

Alle drei Kapitalsorten zusammen bestimmen die Platzierung des Individuums in der gesellschaftlichen Hierarchie. Ihre spezifische Kombination kennzeichnet die einzelnen Klassen, dadurch unterscheiden sie sich auch voneinander (Abels 2007, 311).

Ein niedriges Volumen eines Gesamtkapitals würde ein Individuum in unserer Gesellschaft in die Klasse der Unterschicht einordnen, während ein großes Volumen an Gesamtkapital für ein Individuum mit dem Status der Klasse der Oberschicht spricht. Laut Bourdieu gibt es drei Klassen (Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht), wobei der größte Gegensatz innerhalb einer Gesellschaft der zwischen den „Herrschenden“ und der „Beherrschten“ liege (vgl. Rehbein 2011, 175). Auf diesem Gegensatz beruhe auch der Kampf um Kapitale und soziale Positionen. Jedoch betont Rehbein aus Bourdieus Theorie den Aspekt, dass die Effizienz der eingesetzten Kapitale am höchsten sei, wenn das kulturelle dem ökonomischen Kapital entsprechen würde (vgl. Rehbein 2011, 167). Ebenso betont er, dass diese beiden Kapitalsorten durch die soziale Herkunft miterworben werden. „Mit der Geburt werden bereits zahlreiche Laufbahnen ausgeschlossen. Einem ererbten Kapital entspricht ein Bündel möglicher Lebensläufe“ (Rehbein 2011, 167). Darin spiegelt sich die Tatsache, dass ein Kind aus einem reichen Haushalt im späteren Leben weit mehr Möglichkeiten offen stehen, als einem Kind aus einem ärmeren, weniger Gebildeten oder mit weniger guten sozialen Kontakten. Darüber hinaus benennt er drei wichtige Punkte im Zusammenhang von Herkunft, Laufbahn, Position und Lebensstil, die weder deterministisch noch deduktiv zu verstehen seien. Zudem sei der statistische Charakter bei der wissenschaftlichen Analyse insofern problematisch, dass sich Statistiken eher auf Gruppen statt auf einzelne Personen oder Individuen beziehen. Dies bedeutet dass „jedes Individuum […] in einzelnen Merkmalen von der Charakteristika einer Gruppe abweichen (wird)“ (Rehbein 2011, 168). Als dritten Punkt nennt er die Entstehung neuer Merkmale und Konjunkturen durch das Zusammentreffen von Habitus (siehe Exkurs) und Wirklichkeit. Um dieses Problem zu beschreiben, fasst Bourdieu es in die Formel: Habitus x Kapital + Feld = Praxis und beschreibt damit dass die „in der Lebensgeschichte erworbenen Handlungsressourcen und Handlungsmuster (Kapital und Habitus) die gegenwärtigen Handlungen eines Menschen bestimmen“ (Rehbein 2011, 168).

Bourdieu versteht die Klassen einer Gesellschaft also als sozialen Raum, in dem Menschen sich und anderen bestimmten Positionen innerhalb des Raums zuordnen und voneinander absetzen. Der soziale Raum ist also ein Raum „objektiver sozialer Positionen“ (Abels 2007, 312). Die Position innerhalb des sozialen Raums wird maßgeblich durch das Kapital bestimmt. Mit dem Erwerb von ökonomischem Kapital entscheidet in erster Linie das kulturelle Kapital darüber, ob man einer bestimmten Gruppe und der mit ihr verbundenen Position zugeordnet wird. Das kulturelle Kapital beinhaltet diesbezüglich die Verhaltensweisen bzw. den Lebensstil, der von dieser Gruppe gefordert wird, um von ihr als Mitglied anerkannt zu werden.

Zusammengefasst bestimmt laut Bourdieu die Klassenzugehörigkeit die individuellen Merkmale und möglichen Laufbahnen. Der Lebensstil jeder Klasse sei verschieden und prägt den Habitus. Als Gemeinsamkeit und Grundlage des sozialen Raumes teilen alle die Zugehörigkeit einer Gesellschaft (die nicht die gleiche ist und den Grund der sozialen Unterschiede ermöglicht) (vgl. Rehbein 2011, 175). Ohne kulturelles Kapital (z.B. Bildung) wird man es im Berufsleben sehr schwer haben und damit ein geringes ökonomisches Kapital (Geld) erlangen. Ohne dieses wiederrum werden sich auch die sozialen Beziehungen in Maßen halten. Dieser Kreislauf spiegelt die Schwierigkeit, ohne steigende Kapitale in der Klasse aufzusteigen.

Exkurs: Habitus = die Konditionierung der Formen über Denkweisen, Wertungen, Vorstellungen und Handlungen „Warum handle und denke ich wie ich denke und nicht wie jemand anderer“, oder wie BOURDIEU es beschreibt: „Der Habitus ist Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystem dieser Formen“ (BOURDIEU 1982, 277). Oder die Klassenunterscheidung , die sich durch den Lebensstil bestimmen lassen, „also Klassen des Habitus“ (REHBEIN 2011, 174).

2.1.3 Diskriminierungen

Durch das in der Gesellschaft immer noch vorhandene Denken in Klassen und Schichten herrschen Diskriminierungen von oben nach unten. Individuen aus den sogenannten unteren Schichten werden meist auch generell innerhalb der Gesellschaft niedrig angesehen. „Social perception [...], on the one hand, to the problem of the social determination of perception and, on the other hand, to the problem of the perception of the social” (MacLeod 1951, 229). Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass es Schichten gibt schlimmer ist als der Fakt, wie Individuen von oben nach unten herab durch diese Schichten beurteilt und diskriminiert werden. Folgt man einer Definition von Radtke und Gomolla sieht eine Bedeutung des Wortes Diskriminierung folgend aus: „Unterscheidungen treffen und sie bewerten […]. Festgestellt wird eine Differenz, wobei der positive Wert den Maßstab für die Abweichung liefert“ (Radtke/Gomolla 2002, 11). Bezieht man diese Definition auf soziale Ungleichheit anhand des Beispiels Markenkleidung, wird deutlich, dass Kinder aus ärmeren Haushalten in der Schule aufgrund ihrer Kleidung von Kindern reicherer Familien gemobbt werden, wenn deren Maßstab zur sozialen Klassifizierung auf teurer Markenkleidung liegt. In diesem Fall werden alle Kinder, die diesem Maßstab nicht gerecht werden können, diskriminiert. Anhand dieses Beispiels wir deutlich, dass Diskriminierung stattfindet, wenn eine soziale Gruppe für sich einen Maßstab definiert und Abweichungen von diesem mit negativen Reaktionen sanktioniert. Die Handlungen und Äußerungen der sozialen Diskriminierung können sich in bösartigen (körperlichen) Übergriffen oder offenen und latenten Ungleichbehandlungen äußern, führen jedoch immer zur Ungleichbehandlung von Menschen, die meist als Minderheiten vertreten sind (vgl. Radtke/Gomolla 2002, 12).

In diesem Zusammenhang muss der sogenannte ‚Halo-Effekt` Erwähnung finden, welcher die automatische, unbeabsichtigte und persönliche, auf eigenem Erfahrungsschatz basierende Beurteilung eines Individuums anhand eines oder mehrerer Merkmale beschreibt. Thorndike erläutert diese Bewertung wie folgt: „That in judging a person´s status in any particular ability or trait, judges unconsciously tend to prejudice their rating for that ability by their general opinion of him in a totality of abilities” (Thorndike 1969, 346). Also die gesamte Abwertung eines Individuums aufgrund eines nicht erfüllten Merkmales, wie in Thorndikes Beispiel die gesamte Abwertung aufgrund des sozialen Status, ohne weiteres Hintergrundwissen über das Individuum. Weitere Merkmale für Diskriminierungsgründe stellen neben dem sozialen Status auch unter anderem das Alter, Geschlecht, Ethnizität und die sexuelle Orientierung dar.

2.1.4 Reproduktion der Schichten

Um die vorangegangenen Annahmen zu verdeutlichen ist es sinnvoll sie an einem bestimmten Beispiel festzumachen. Hierfür bietet sich sehr gut der Schulalltag von Kindern an. Im schulischen Rahmen findet Diskriminierung jedoch nicht nur zwischen den Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichen Schichten und Gruppen statt, sondern auch im Hinblick auf die schulische Leistungsbewertung seitens der Lehrkräfte und den damit verbundenen Selektionsprozessen innerhalb eines Schulsystems. Schon 1959 wies Parsons nach, dass Schülerinnen und Schüler aus den unteren Schichten der Gesellschaft einfach schlechter bewertet wurden als Kinder aus reicheren Familien. Er erforschte den Zusammenhang von Status und sozialer Herkunft in Relation zur Selektion und konnte einstimmige Zahlen hinsichtlich der Empfehlungen für den College Besuch und Nicht-Besuch aufgrund der Position der Eltern präsentieren (vgl. Parsons 1959, 105).

Auch die IGLU-Studie (2006) zeigte, dass

die Wahrscheinlichkeit, dass Schülerinnen und Schüler mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund auf ein Gymnasium gehen, […] deutlich geringer (ist) als für Schülerinnen und Schüler mit einem hohen sozioökonomischen Hintergrund – und dass auch bei gleichen Kompetenzen und kognitiven Grundfähigkeiten (Solga & Dombrowski 2009, 14).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schullaufbahn nach Sozialschicht (IGLU 2006)

Diese Studie verdeutlicht, dass es bereits in der Schule, also an dem Ort, an dem die sogenannten Weichen für das Leben gestellt werden sollen, zu einer ständigen Reproduktion von Schichten kommt. Potenziert wird dieser Umstand noch dadurch, dass das fehlende ökonomische Kapital für z.B. Nachhilfestunden zu einer weiteren Benachteiligung führt, so dass es für diese Kinder gleich auf mehreren Ebenen um ein vielfaches schwieriger wird, später einmal in den Schichten aufzusteigen. Im Gegensatz dazu stehen Eltern, die finanziell in der Lage sind, ihren Kindern die beste Privatschule oder gar das Internat zu bezahlen und so von vorneherein die besten Bildungs- und damit Aufstiegschancen sicherstellen.

Darüber hinaus können neben dem ökonomischen auch das kulturelle und das soziale Kapital als Determinanten für die Reproduktion von Schichten benannt werden. Durch fehlendes kulturelles Kapital seitens der Eltern bringt ein Kind von vornherein weniger Allgemeinwissen durch z.B. Museumsbesuche und Urlaube mit. Ein geringeres soziales Kapital und die dementsprechend fehlenden Beziehungen (das sogenannte Vitamin B) stellen spätestens bei dem Eintritt in das Erwerbsleben ein großes Problem dar. Rund ein Viertel aller freien Stellen auf dem Arbeitsmarkt werden über soziale Beziehungen vergeben, während gerade einmal ein Siebtel aller Stellen erfolgreich über das Arbeitsamt vermittelt werden. Es wird deutlich, dass soziale Ungleichheit und das reproduzieren von Schichten in sämtlichen Bereichen des Lebens wie „z.B. […] im Arbeits-, Freizeit-, Wohn- und Gesundheitsbereich, […] der Infrastrukturversorgung und der sozialen Sicherheit“ (Schäfers 2000, 300) niederschlägt. Während Personen mit höherem ökonomischem Kapital sich Freizeitaktivitäten wie Vereine oder Urlaube leisten können, sind Personen mit geringem ökonomischem Kapital darin sehr eingeschränkt. Auch die differenten Wohnsituationen gut und weniger gut konstituierter Familien haben Einfluss auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder: während Kinder aus reicheren Familien meistens ein eigenes Zimmer im Haushalt besitzen und genügend Ruhe zum Lernen haben, müssen sich Kinder aus ärmeren Familien oftmals ein Zimmer mit einem oder mehreren Geschwistern teilen. Ferner spricht Schäfers neue ,horizontale` Ungleichheiten durch Statuszuweisungen wie dem „Geschlecht, Alter, Generationszugehörigkeit, Region Nationalität und Familienverhältnisse“ an, die immer mehr an Bedeutung gewinnen und die „teilweise quer zu den beruflichen vertikalen Ungleichheiten“ (Schäfers 2000, 300) stehen und damit sämtliche früheren Modelle, der vertikalen Ungleichheit am ökonomischen Status, zu Nichte machen. So spricht Gottschall beispielhaft von Geisteswissenschaftlern, die Taxi fahren und von Armut betroffene Frauen nach Scheidungen (vgl. Gottschall 2000, 11), selbst wenn diese vor ihrer Scheidung einem gut bezahlten Beruf ausüben konnten. Die Anpassung an die (neue) soziale Position benennt Bourdieu mit dem Termini „soziales Altern“ und beschreibt den Zustand der Anpassung der Wünsche und Erwartungen an die objektiven Möglichkeiten (vgl. Rehbein 2011, 167).

Es gibt viele verschiedene Theorieansätze, die die soziale Ungleichheit versuchen zu beschreiben. Wie die bereits genannte vertikale Ungleichheitsstruktur von Marx, die fast ausschließlich auf die hierarchische ökologische Ungleichheit zielt – wer viel Geld besitzt und wer wenig (Klassentheorie) – die ausführlich dargestellte Theorie des Lebensstil Ansatzes von Pierre Bourdieu und viele weitere verschiedene Theorien.

3. Geschlechtsrollen

Nachdem im vergangenen Kapitel eine theoretische Grundlage für den Begriff der sozialen Ungleichheit geschaffen wurde, soll nun zunächst der Terminus der Geschlechtsrollen und deren Bedeutung in unserer Gesellschaft in den Fokus genommen werden um so einen anschließenden Übergang auf die geschlechtsspezifische Ungleichheit zu ermöglichen und darzustellen. Geschlechtsrollen spielen seit jeher eine immense Bedeutung für beide Geschlechter innerhalb einer Gesellschaft. Gern versucht den Begriff der Geschlechtsrolle nach Pross (1984) folgend zu definieren:

Geschlechtsrollen beinhalten Erwartungen darüber, welche Rollen (und Positionen) Frauen und Männer im Produktions- und Reproduktionsprozeß einnehmen. Geschlechtsrollen enthalten somit Grundregeln einer Arbeitsteilung, die in jeder Gesellschaft, wenn auch in inhaltlich relative variabler Form, vorhanden ist (Gern 1992, 14).

Schäfers bezeichnet die generelle soziale Rolle als „ein Bündel normativer Verhaltenserwartungen“ (Schäfers 2000. 290). Was erwartet man, wie sich ein Individuum in einer bestimmten Position, im Beruf oder im Alltag verhält, bezogen auf seine oder ihre jeweilige eingenommene soziale Rolle. Bezogen auf die Rolle des Geschlechts: was erwarte ich von einem Mann oder einer Frau, in sämtlichen Bereichen des Lebens. „Als Geschlechtsrollen verstehen wir diejenigen Verhaltensweisen, die wir von Männern und Frauen je anders erwarten“ (Eckert 1979, 236). Gern beschreibt die Geschlechtsrollen als ‚askriptive` Rollen, die auf einem askriptiven Merkmal basieren (vgl. Gern 1992, 13). Damit wird betont, dass Geschlechtsrollen unveränderliche Merkmale darstellen, die ohne Zutun des Individuums, also unabhängig von seiner erbrachten Leistung, für eine gesellschaftliche Attribuierung sorgen. Nimmt man sich das biologische Merkmal hervor und betrachtet die genauen Körperunterschiede, wird es deutlich, dass die Frau aufgrund ihrer körperlichen Gegebenheiten die Kinder gebärt und ernährt. Betrachtet man sich die ökonomischen Merkmale, ist traditionell der Mann für den Schutz und das Einkommen der Familie zuständig, während die Frau (meistens) die Rolle der Hausfrau und Kindererzieherin übernimmt. Während dieser frühen Erziehungsphase erlernen die Kinder wiederrum die (gesellschaftlich) erwünschten Verhaltensweisen passend zu ihrem Geschlecht. (vgl. Böhm/Lindauer 1992, 7ff.). Schon hier zeigt sich, dass sich Geschlechtsrollen zwar aus biologischen Tatsachen hinaus entwickeln, jedoch auch maßgeblich von der Gesellschaft geprägt werden. So verfügt jede Gesellschaft bzw. jede Kultur über eigene Vorstellungen und Erwartungen, welches Verhalten einer Geschlechtsrolle zugeschrieben werden soll. Nach Beck-Gernsheim gehört zur Geschlechtsrolle jedoch mehr, als ein Bündel an Verhaltens- und Tätigkeitserwartungen. Mit Geschlechtsrollen verbinden sich „bestimmte Einstellungen, typische Fähigkeiten und Interessen des einen oder anderen Geschlechts […] als Grundmuster etwa in Gegensatzpaaren wie aktiv-passiv/ durchsetzungswillig-nachgiebig/ sachlich-gefühlsbetont“ (Beck-Gernsheim nach Brinkmann 1992, 239).

Beispielhaft kann der Reproduktionsprozess der Geschlechtsrollen Anfang des 20. Jahrhunderts angeführt werden, in dem Mädchen meist von klein auf im Haus mit der Hausarbeit und deren Pflichten verbunden wurden und ihre zukünftige Mutterrolle mit Puppen nachspielten, während die Jungen draußen tobten. Hier spiegelt sich auch die damalige Norm der Verhaltensmuster der Geschlechter wieder: Das Leben der Männer spielte sich draußen in der Öffentlichkeit ab (Beruf, soziale Kontakte) und das der Frauen drinnen im privaten und häuslichen Bereich (Hausarbeit, Kindererziehung) (vgl. Gern 1992, 18).

Es lässt sich festhalten, dass „Geschlechtsrollen […] an die biologische Gegebenheit `Mann‘ und die biologische Gegebenheit `Frau‘ anknüpfende allgemeine Verhaltensregeln für das jeweilige Geschlecht (sind)“ (Brinkmann 1992, 237). Zumindest folgt diese Definition den Ansichten der meisten Sozialwissenschaftler. Eine andere, hauptsächlich von Biologen und Traditionalisten geprägte Sichtweise verfolgt den Ansatz, dass Geschlechtsrollen nicht erst in der Gesellschaft, sondern aufgrund der sexuellen Veranlagung entstehen: „Traditionalisten greifen dabei gerne auf biologische Ansätze zurück, um nachzuweisen, dass die Geschlechtsrollen von genetischen, physiologischen, hormonellen und psychologischen Unterschieden bestimmt werden“ (Kümmel et al 2000, 48). Rendtorff setzt sich mit den Theorien „Gefangene des Geschlechts“ von Anne Fausto-Sterling von 1988 auseinander, die sich mit der angeblichen Naturgegebenheit der geringeren Vernunftbegabung von Frauen aus dem 19. Jahrhundert beschäftigt:

So beschreibt Anne Fausto-Sterling, wie das Stirnhirn bei Frauen erst im Vergleich zum männlichen kleiner, wenig später aber als nachweislich größer dargestellt wurde – dem wechselhaften Erkenntnisstand der Gehirnforschung folgend, welcher Teil des Gehirns als Sitz des Intellekts von Bedeutung sei. Auch die Gegner der höheren Schulbildung und, vor allem des Zugangs von Frauen zur Wissenschaft argumentieren mit dem anatomischen Körper: der minderen Geistesfähigkeit von Frauen, den schwächenden Wirkungen der Menstruation und damit, dass der anatomische Körper dann seine weiblichen Fähigkeiten verlieren würde, insbesondere natürlich die Gebärfähigkeit. Der Uterus würde eintrocknen, die Frau vermännlichen, denn »Frauen verdanken ihre Seinsweise ihren Fortpflanzungsorganen, und besonders dem Uterus« (Rendtorff 1998, 16ff).

Jedoch werden in diesem Zusammenhang in erster Linie die Attribuierungen „weiblich“ und „männlich“ aufgegriffen, während die Geschlechtsrolle in soziologischem Sinne kaum behandelt wird. Mein Verständnis von Geschlechtsrollen wird demnach wesentlich stärker sozial konstruiert, als dass es biologisch determiniert ist. „Geschlechtsrollen sind also biologisch begründete, aber im Biologischen sich nicht erschöpfende soziale Tatsachen“ (Brinkmann 1992, 237).

3.1 Geschlecht als Konstrukt

Abraham argumentiert nach Thesen von Judith Butler folgend: „Geschlecht ist eine kulturelle Konstruktion, die vorfindbaren Körpern übergestülpt wird“ (Abraham 2011, 242). Sie begründet dies mit dem Aspekt, dass Geschlechtlichkeit (Mann-sein/Frau-sein – weiblich/männlich) nicht durch die eigentlichen Körper, sondern durch die Gesellschaft erschaffen wird, bei dem „die Biologie zum Aufhänger einer sozialen Ordnung gemacht wird (Abraham 2011, 242). Diese sogenannte Geschlechterordnung betrifft neben den Grundannahmen der Behauptung, es gäbe nur zwei Geschlechter, dem hierarchischen Denken (höheres Vermögen/Entlohnung für den Mann) und den inkorporierten Tiefengrammatiken (Gefühle und Verhalten des jeweiligen Geschlechts) vor allem aber die in der ersten Definition von Gern (siehe Kapitel 3)bereits genannte geschlechterbezogene Arbeitsteilung (vgl. Abraham 2011, 243). Auch Kümmel (2000) sieht Geschlecht eher als ein soziales Konstrukt statt biologisch determiniert an, denn „Gesellschaften definieren die sozialen Rollen von Männern und Frauen, und sie legen fest, welche Rollen für welches Geschlecht akzeptabel, noch akzeptabel und absolut inakzeptabel sind“ (Kümmel et al 2000, 49). Hausen geht ferner in die Vergangenheit zurück und bringt den aus dem 18. Jahrhundert in Vergessenheit geratenen Begriff des „Geschlechtscharakters“ zurück. „Ihrem Anspruch nach sollten Aussagen über die Geschlechtscharaktere die Natur, bzw. das Wesen von Mann und Frau erfassen“ (Hausen 2012, 19). Wenn sich eine Frau entscheidet, die Karriere den Kindern vorzuziehen oder gar einen „Männerberuf“ wie den eines KFZ-Mechanikers auszuüben, wäre dies vor einigen Jahrzehnten noch absolut inakzeptabel in unserer Gesellschaft gewesen, während es heute toleriert und meist auch akzeptiert wird.

3.2 Geschlechtsstereotype

Frauendiskriminierung und Männerprivilegierung gibt es in allen Schichten und allen kulturellen Milieus unserer Gesellschaft. Wir alle sind mit den sozialen Konstruktionen konfrontiert, in denen „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ stereotypisiert und hierarchisiert werden (Becker-Schmidt 2010, 70).

Sprechen wir vom biologischen Geschlecht werden die Synonyme „männlich“ und „weiblich“ benutzt. Betrachtet man das psychologische Geschlecht mit seinen geschlechtertypischen Charakteristika, werden hingegen die Synonyme „maskulin“ und „feminin“ benutzt. (vgl. Bierhoff-Alfermann 1989, 14). Somit gibt es also bestimmte Merkmale und Verhaltensweisen, die mit dem Zusatz „männlich“ oder „weiblich“ explizit deklariert sind. In unserer heutigen Gesellschaft könnte man beispielhaft eine zierliche Frau mit feinen Gesichtszügen nennen, die als besonders weiblich gilt, während eine große Frau mit starker Muskulatur eher als maskulin gelten würde, da Stärke und Muskeln dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Bereits Babys werden stereotypisch nach der Feststellung des sexuellen Geschlechts anhand der körperlichen Merkmale mit einem rosa oder blauen Armband versehen. Wenn man sich selber fragt, was für einen typisch weiblich oder typisch männlich ist, treten diese in Form von Stereotypen ans Tageslicht. „Der Begriff Geschlechterstereotyp meint Eigenschaftsbündel – im wesentlichen Charaktereigenschaften –, die Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit zugeschrieben werden“ (Gern 1992, 14). Somit sind Eigenschaften in Form von Urteilen gemeint, die dem männlichen oder weiblichen Geschlecht mehr oder weniger zugestanden werden (vgl. Gern 1992, 35). Als simple Beispiele dafür könnte man die Auffassung anführen, Männer wären stärker, mutiger und orientierungsvoller, Frauen hingegen emotionaler, fürsorglicher und ängstlicher und deshalb für die Rolle der Haus- und Ehefrau und die der Mutter vorbestimmt. „Warmherzigkeit wird z.B. stärker den Frauen zugeschrieben und von ihnen erwartet“ (Gern 1992, 15). Gemäß dieser Definition wären Männer geradezu als „kaltherzig“ zu beschreiben und damit für die Kindererziehung absolut ungeeignet.

3.3 Geschlechtsspezifische Arbeitssteilung

Die großen Gesellschaftstheorien, die sich mit Arbeit befassen, sehen Arbeit als Tätigkeit, die der Herstellung eines Produktes dient (Produktionsarbeit). Sie ignorieren jedoch die Leistung besonders der Frauen für die Erschaffung und den Erhalt der Gesellschaft (Reproduktionsarbeit). Die Arbeiten im Haus, bei der Erziehung der Kinder, der Pflege der Alten und Hilfsbedürftigen und in der sozialen und kulturellen ehrenamtlichen Arbeit werden (außerhalb der Frauenforschung) nicht unter dem Begriff Arbeit subsumiert, obwohl sie gesellschaftlich ebenso notwendig sind wie die Erwerbsarbeit (Notz 2010).

Mit Produktionsarbeit werden in der Soziologie alle planmäßigen Tätigkeiten umschrieben, in denen geistige und körperliche Kräfte zur Produktion und zur Dienstleistung gegen Entlohnung eingesetzt werden. Demgegenüber steht die Reproduktionsarbeit (auch Humankapitalansatz), zu der sowohl die unentlohnten Hausarbeiten als auch die ehrenamtlichen Arbeitsverhältnisse gezählt werden. Hausarbeitsverhältnisse dienen der eigenen Reproduktion bzw. der Reproduktion der Familie und umfassen neben den klassischen Hausarbeitstätigkeiten auch die Kindererziehung sowie die Pflege und Betreuung alter, kranker oder behinderter Familienmitglieder. Dieses Feld der Reproduktionsarbeit wird noch heute überwiegend von Frauen übernommen, so dass „trotz zunehmender Erwerbsbeteiligung der Frauen […] das Privatleben vieler Paare noch immer vom Rollenmodell des Mannes als "Haupternährer" geprägt (ist)“ (Notz 2010).

Diese geschlechtsspezifische Aufteilung von Produktions- und Reproduktionsarbeiten, die Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten ist bis heute ein grundlegendes Element zur Strukturierung und Festigung, um gesellschaftliche Verhältnisse zu ordnen (vgl. Hausen 2012, 239). Interessant ist dabei vor allem, wie es zu dieser Rollenzuschreibung und den damit verbundenen Zuordnungen bestimmter Tätigkeiten zu einem Geschlecht gekommen ist. Was also macht diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung genau aus? Warum werden einem Mann bestimmte Arbeiten übertragen und andere einer Frau?

Die historische und soziale Zuordnung von Mann und Frau zu Berufs- resp. Hausarbeit mag durchaus an biologische Differenzen – wie etwa die Gebärfähigkeit – anknüpfen. Mit dieser Zuordnung sind indessen immer auch prinzipiell verschiedene gesellschaftliche Lebensbedingungen und Lebenschancen für Männer und Frauen, Jungen und Mädchen verbunden. (Brinkmann 1992, 240).

Prinzipiell muss zunächst zwischen der entlohnten Erwerbsarbeit und der sogenannten Hausarbeit, die nicht materiell entlohnt wird, unterschieden werden. Die traditionellen Rollenverhältnisse spiegelten die Frau als Hausfrau, die sich um die Kindererziehung, das Essen und das Haus zu kümmern hatte, während die Männer als Oberhaupt und Ernährer der Erwerbsarbeit nachgingen, um die Familie finanziell ernähren und unterhalten zu können. Somit waren die Frauen ohne Bildung, soziale Kontakte und Erwerbsarbeit völlig abhängig von ihren Ehemännern (geringes Kapital auf allen Ebenen).

Dadurch hatte sich ein Mann im Haushalt um nichts zu kümmern, da er für das finanzielle Einkommen und die Sicherung des Lebensunterhalts zuständig war und die Frau ihre Rolle im Haushalt zweckmäßig erfüllte. Ein typisches Bild aus den 1950er Jahren: Die Frau putzt, kocht, wäscht und erzieht die Kinder, der Mann geht seiner Erwerbsarbeit nach und mäht den Rasen. „Als Arbeit erscheint nur die bezahlte Arbeit, die Lohnarbeit, während die unbezahlte Arbeit, die Hausarbeit, den Schein von Liebesdiensten annimmt und hauptsächlich von Frauen geleistet wird“ (Brinkmann 1992, 241). Doch was passierte, wenn eine Frau geradezu „aus der Reihe tanzte?“ „Während das zentrale Rollenelement des Mannes, die Erwerbstätigkeit, auch sinnvoll erscheint, ohne dass eine Familie versorgt wird, verfehlt die Frau im Rahmen dieser Rollenerwartungen ihre Bestimmung, wenn sie keine Familie hat“ (Gern 1992, 18). Dementsprechend zeigt sich, dass das gesellschaftliche Ansehen maßgeblich durch die berufliche Position bzw. durch die Erfüllung der Rollenerwartung geprägt war. Becker-Schmidt und Knapp erläutern die Rollentheorie von Parsons folgend:

Der Mensch wird zum sozialen Wesen, indem er Normen und Regeln verinnerlicht, die an spezifische gesellschaftliche Funktionen gebunden sind. Auch die Rollen, die im Rahmen geschlechtlicher Arbeitsteilung Frauen und Männern zugewiesen werden, verteidigte Parsons unter dem Aspekt gesellschaftlicher Zweckmäßigkeit (2000, 33).

Was innerhalb einer Gesellschaft als zweckmäßige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erfolgt, unterliegt jedoch nicht einer festen Zuordnung, sondern ist von milieu- und situationsbedingten Faktoren abhängig. So teilen sich Frau und Mann in bäuerlichen Tätigkeitsfeldern andere Rollen zu als es beispielhaft in bildungsbürgerlichen Lebensgemeinschaften der Fall ist. Das Resultat ist dabei jedoch immer identisch. „Stets […] führt die jeweilige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu einer mehr oder weniger verbindlichen geschlechtsspezifischen Zuordnung von Arbeiten und Arbeitsgeräten“ (Hausen 2012, 198). Beispielhaft können klassisch männlich attribuierte Tätigkeiten wie das Rasenmähen, das Wechseln von Autoreifen oder die Reparatur technischer Gegenstände den klassisch weiblich attribuierten Tätigkeiten wie Putzen, Wäsche waschen und Kochen gegenüber gestellt werden. Aus dieser geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung resultiert auch in hohem Maße die geschlechtsspezifische Rolle von Mann (Berufsrolle) und Frau (Familienversorgerin) innerhalb einer Gesellschaft.

Die dem Mann/ der Frau gesellschaftlich zugedachte Arbeit wird zum zentralen Bestimmungsmoment der Geschlechterrollen, die im Schnittpunkt zweier Dimensionen liegen: Von geschlechterspezifischer Besonderheit und geschlechterspezifischer Ungleichheit (Brinkmann 1992, 239).

4. Geschlechtsspezifische Ungleichheit

Nachdem nun die soziologischen Termini der sozialen Ungleichheit und der Geschlechtsrollen einführend erläutert wurden, soll der Blick nun auf die soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen innerhalb der Gesellschaft gerichtet werden.

Seit der Gründung der Bundesrepublik gehört die Benachteiligung von Frauen „in der Teilhabe an Bildung, an bezahlter Arbeit, an gewerkschaftlicher und politischer Organisation wie auch in bestimmten rechtlich fixierten Positionen in der Ehe“ (Gottschall 2000, 11) zur gesellschaftlichen Realität. Demnach nehmen Frauen hinsichtlich der ökonomischen Absicherung, der sozialen Anerkennung und der politischen Partizipation hierarchisch schlechtere Positionen ein als Männer. Erwähnenswert ist, dass dieser Umstand erst mit den Frauenbewegungen in den 1970er Jahren als soziale Ungleichheit wahrgenommen und als solche angeklagt wurde. Seit dieser Zeit hat sich insbesondere in den Bereichen Bildung und Ehe einiges positiv verändert, insbesondere im Bereich der finanziellen Entlohnung der Erwerbsarbeit gibt es noch heute gravierende Unterschiede, so dass Frauen für die identische Arbeit weniger Lohn erhalten als Männer (vgl. Statistisches Bundesamt 2013 [1]). Mit Einführung der gesetzlichen Frauenquote wurde seitens der Politik zumindest signalisiert, dass diese Form der „Diskriminierung“ als Problem wahrgenommen und als änderungsbedürftig anerkannt wurde.

An diesem Punkt ist es von essentieller Bedeutung herauszustellen, dass die Benachteiligung von Frauen in der gerade beschriebenen erwerbsvermittelten Ungleichheit nicht wie die bisher angesprochenen Formen sozialer Ungleichheit im Hinblick auf Schichten und Klassen angesehen werden kann. Dies resultiert aus der Tatsache, dass es nicht die Frauen innerhalb einer Schicht oder einer gesellschaftlichen Klasse sind, die Benachteiligung erfahren. Vielmehr ist es das weibliche Geschlecht an sich, das innerhalb der Gesellschaft benachteiligt wird. Es spielt demzufolge keine Rolle, ob eine Ärztin aus der oberen Gesellschaftsschicht weniger verdient als ihr männlicher Kollege oder ob die ungelernte Verkäuferin aus der unteren Schicht von dieser Benachteiligung betroffen ist. Beide Frauen werden über Klassen- und Schichtgrenzen hinweg sozial ungleich behandelt. Mit Bezug auf die Definition von Kreckel (siehe Kapitel 2.1) zur sozialen Ungleichheit stellt Gottschall diesbezüglich fest:

(Die Definition) lässt sich damit auch auf soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern anwenden, wenn nämlich bei Geburt über biologische Definitionsmerkmale dauerhaft zugeschriebene Geschlechtszugehörigkeit soziale auf eine Art und Weise relevant gemacht wird, dass sie systematisch unterschiedliche Zugangschancen zu den o.a. ‚allgemein verfügbaren sozialen Gütern und Positionen` generiert (Gottschall 2000, 24).

Um dem Verständnis von Geschlecht als „sozialem Platzanweiser“ Rechnung zu tragen, wurde von feministischen Autorinnen der Versuch unternommen, eine Klassentheorie zu entwickeln, in der Frauen bzw. bestimmte Gruppen von Frauen als soziale Klassen erfasst wurden (vgl. Cyba 1993, 33). Problematisch bei dieser Klassentheorie war jedoch, dass die Heterogenität der sozialen Lagen keinerlei Berücksichtigung mehr fand. „Auch wenn Frauen aus der Ober- und Unterschicht […] alle für Haus- und Familienarbeit zuständig sind und ihre Arbeit für Familie eine ähnliche Funktion hat, sind ihre Lebensweisen doch äußerst unterschiedlich“ (Cyba 1993, 34). Es zeigt sich, dass der Versuch, die Benachteiligung von Frauen anhand des traditionellen Schichtungsbegriffs zu analysieren daran scheitert, dass Frauen keine homogene Gruppe bilden.

Neben dieser traditionell erwerbsarbeitsvermittelten Ungleichheit sind weitere Dimensionen vorhanden, die für eine Benachteiligung von Frauen im gesellschaftlichen Leben, also auch im Zusammenleben zwischen Männern und Frauen, sorgen. Als weitere zentrale Dimension geschlechtsspezifischer Ungleichheit benennt Gottschall „Machtungleichgewichte in der Ehe, die Beschränkung sexueller Selbstbestimmung und die Bedrohung durch männliche Gewalt“ (Gottschall 2000, 12). Die Frauenbewegungen der 1970er und 1980er-Jahre legten offen, dass diese Bereiche von soziologischen Ungleichheitsanalysen sträflich vernachlässigt wurden (vgl. Gottschall 2000, 14). Besonders kritisch wurde diesbezüglich die sozio-kulturelle Normierung von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ angesehen, welche Rollenzuschreibungen und damit verbundene Auf- und Abwertungen als „Ausdruck natürlicher Geschlechtsdifferenz“ (Gottschall 2000, 14) ansah. Demnach zeigt sich, dass die Ungleichstellung der Geschlechter sich über alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche hinweg als prägende Struktur zeigt, jedoch im Rahmen der Ungleichheitssoziologie stetig auf den Bereich der ökonomischen Ungleichheit reduziert wurde.

5. Frauenbewegung und Feminismus

Sowohl der Begriff der „Frauenbewegung“ als auch der des „Feminismus“ werden durch einen gemeinsamen Gedanken getragen:

Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur und vor allem auch in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Freiheiten sowie gleiche Teilhabe an politischer Macht und gesellschaftlichen Ressourcen zu verschaffen (Gerhard 2009, 6).

Dieses gemeinsame Ziel, welches in diesem Sinne nur die Einlösung demokratischer Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit sowie Anerkennung der Menschenwürde einfordert, verbindet beide Termini zwar miteinander, jedoch sind mit ihnen unterschiedliche Bedeutungen verbunden. Diese sollen im Folgenden kurz erörtert werden.

[...]

Final del extracto de 93 páginas

Detalles

Título
Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Konzepte der Gleichheit im Diskurs
Universidad
Justus-Liebig-University Giessen
Calificación
12
Autor
Año
2013
Páginas
93
No. de catálogo
V275288
ISBN (Ebook)
9783656676720
ISBN (Libro)
9783656676713
Tamaño de fichero
3310 KB
Idioma
Alemán
Notas
Erste und Zweite Frauenbewegung in Deutschland sowie Aspekte und Problemlagen der letzten Jahrzehnte bis zum heute
Palabras clave
geschichte, frauenbewegung, konzepte, gleichheit, diskurs
Citar trabajo
Nadine Custer (Autor), 2013, Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Konzepte der Gleichheit im Diskurs, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275288

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