Arbeiter im Raum Amberg und ihre katholischen Arbeitervereine von 1870-1918


Magisterarbeit, 2012

125 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die Entwicklung der Industrie in Amberg
2.1 Die Amberger Gewehrfabrik
2.2 Die Maxhütte
2.3 Amberger Bergwerk und Luitpoldhütte
2.4 Die Email-Fabrik Baumann

3. Die soziale Lage der Arbeiter
3.1 Löhne
3.2 Sparen
3.2 Preise und Lebenshaltung
3.3 Konsumvereine
3.4 Arbeitszeit
3.5 Wohnungen
3.6 Sozialkassen

4. Arbeitervereine und Gewerkschaften
4.1 Überblick
4.2 Katholische Sozialpolitik und Arbeitervereine
4.2.1 Anfänge
4.2.2 Gesellen-Vereine
4.2.3. Wilhelm Emmanuel von Ketteler
4.2.4 Päpstliche Enzyklika
4.2.5 Die katholischen Arbeitervereine
4.2.5.1 Der Amberger Katholikentag
4.2.5.2 Entwicklung der Arbeitervereine in Bayern
4.2.5.3 Der Süddeutsche Verband
4.2.5.4 Das Vereinsleben
4.2.5.5 Die Vereine für Arbeiterinnen
4.2.5.6 Die Entwicklung nach 1918
4.2.6 Christliche Gewerkschaften

5. Arbeitervereine in der Oberpfalz
5.1.1 Katholische Arbeitervereine
5.1.2 Die Entwicklung der freien Gewerkschaften
5.2 Amberger Arbeitervereine
5.3 Arbeiter-Vereine in Sulzbach und Rosenberg
5.4 Arbeiterverein der Maxhütte in Leonberg
5.5 Arbeitervereinstag in Amberg
5.6 Josef Habbel und die Amberger Volkszeitung
5.7 „Die Sociale Frage im Lichte des Christentums“

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang A: Arbeiter in der Region Amberg Anhang B: Arbeitervereine

Anhang C: Materialien

1. Vorwort

Die Stadt Amberg und ihre Umgebung war im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts relativ stark industrialisiert, über 10% der Bewohner arbeiteten in einer der Fabriken, das war die vierthöchste Dichte in Bayern. Es wird oft vermutet, daß diese Arbeiter ihre Interessen durch Organisation in sozialistisch ausgerichteten „freien Gewerkschaften“ und politische Aktivität in der SPD zum Ausdruck gebracht hätten, zumal diese vom nahen Nürnberg aus emsig für sich warben.

Dies war aber keineswegs der Fall, gerade in Amberg und im benachbarten Rosenberger Stahlwerk Maxhütte konnten die Sozialisten trotz mehrfachen Bemühungen keinen Erfolg bei den Arbeitern erzielen. Diese wurden viel eher Mitglied bei den katholischen bzw. christlich-sozialen Arbeitervereinen, deren erster in Amberg 1879 gegründet wurde, zwei weitere, ein Arbeiterinnen-Verein und katholische Arbeitervereine in Rosenberg und Sulzbach folgten später. Diese Vereine sorgten für Belehrung, Geselligkeit und Unterstützung in Notlagen durch Versicherungskassen, von einer wirtschaftlichen Interessenvertretung gegenüber den Arbeitgebern kann man aber nicht reden. Allerdings förderten sie die Bildung der christlichen Gewerkschaften, die in der Region viele Mitglieder fanden und für diese auch Lohnerhöhungen erwirken konnten.

Die Geschichtsschreibung der Arbeiter und ihrer Organisationen konzentriert sich meist auf die sozialistischen Gewerkschaften und Parteien und erwähnt die religiös gebundenen Versuche, die Arbeiter zu organisieren und ihre soziale und rechtliche Stellung zu verbessern, oft nur am Rande. Ähnliches beklagt auch Michaela Bachem-Rehm in ihrer Arbeit über die katholischen Arbeitervereine im Ruhrgebiet und findet, daß dort „die hegemoniale Stellung der Sozialdemokratie ahistorisch zurückdatiert wird“ und „man gleichzeitig den Katholizismus als historische Kraft praktisch tot schweigt“.1

Diese Arbeit schildert zunächst die Entwicklung der Firmen in Amberg und der nahen Umgebung, wobei der Schwerpunkt auf die Arbeitsbedingungen, die Löhne und die Führung der Betriebe gelegt wird. Danach wird versucht, aus den bekannten Löhnen und Preisen der Zeit ein Bild der materiellen Lebensbedingungen der Arbeiter zu zeichnen, um einen Anhaltspunkt für ihre Motivation, sich politisch oder sozial zu engagieren und zu organisieren zu gewinnen.

Das 4. Kapitel beginnt mit einem kurzen Abriss der Entstehung der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegungen der Zeit, um danach die Entstehung der katholischen Arbeiter-Vereine und der christlichen Gewerkschaften genauer zu untersuchen. Alle Faktoren der katholischen Sozial- und Arbeiterpolitik zu schildern, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, so bleibt z.B. der wichtige „Volksverein für das katholische Deutschland“ weitgehend unberücksichtigt.2 Im Anschluss wird die Geschichte der Vereine in Amberg und der unmittelbaren Nachbarschaft dargelegt. Dabei war es leider nicht möglich, die Geschichte der Amberger Vereine im Detail zu rekonstruieren, denn deren Unterlagen sind nicht mehr auffindbar, weder die örtlichen Archive noch das Archiv des erzbischöflichen Ordinariats in Regensburg hatte Informationen über deren Verbleib. Auch die Arbeit von Michael Ammich über die katholischen Arbeitervereine des Regensburger Bistums weist bezüglich Amberg eine Lücke auf.3 Aber im benachbarten Sulzbach ist ein Protokollbuch erhalten, welches guten Einblick in die Tätigkeit des Arbeitervereins gibt.

Allerdings stand mit dem „Amberger Volksblatt“ eine wertvolle Quelle zur Untersuchung der Mentalität der katholischen Sozial- und Arbeiterpolitik zur Verfügung, denn diese Zeitung wurde von Josef Habbel gegründet und viele Jahre geführt. Habbel war ein Exponent der katholischen sozialen Bewegung, er widmete sich in vielen Artikeln seiner Zeitung der Situation der Arbeiter, der Wirtschaft und des Handwerks. Daher ist ihm und seinen Zeitungen ein eigenes Kapitel gewidmet.

Der regionale Untersuchungsraum beschränkt sich auf die Stadt Amberg und die Dörfer der nahen Umgebung, hierzu zählt auch das Stahlwerk in Rosenberg, das nur wenige Kilometer westlich von Amberg liegt. Viele der dort Beschäftigten dürften auch in Amberg und Umgebung gewohnt haben. Ansonsten gab es in der Region noch Erzgruben in Auerbach, eine Kaolingrube und Steingutfabrik in Hirschau, die aber wegen der Entfernung bzw. der geringen Größe keine Bedeutung für Amberg und seine Arbeiterschaft gehabt haben dürften.

Wegen dieses Maxhütten-Werks wurde aber das Stammwerk im weiter entfernten Haidhof teilweise mit einbezogen, insbesondere was das völlig andere Verhalten der dortigen Arbeiter betrifft, auch wenn dieses im Rahmen dieser Arbeit nur oberflächlich betrachtet werden kann.

Der Zeitraum umfasst die Jahre ab etwa 1870 bis 1918. Zuvor gab es kaum „Arbeiter“ im modernen Sinn in der Region, der industrielle Aufschwung setze in Amberg fast zeitgleich mit der Reichsgründung ein. Der Krieg veränderte manches an den Arbeitsbedingungen und im Verhalten der Arbeiter und Arbeitgeber, bis die Revolution und die Republik die gesellschaftlichen Grundlagen für Kirche und Arbeiter völlig neu gestalteten.

2. Die Entwicklung der Industrie in Amberg

Die Oberpfalz ist seit jeher ein wirtschaftlich wenig entwickeltes Gebiet, das stark landwirtschaftlich geprägt ist. Auch diese Landwirtschaft war nicht sehr ergiebig, die schlechten steinigen Böden des Oberpfälzer Jura -auch „Stoapfalz“ genannt-, und die bergige Topografie erlaubten keine üppigen Erträge, reiche Großbauern gab es kaum, man musste froh sein, wenn die Erträge den eigenen Bedarf deckten. Allerdings birgt der Boden Eisenerz, dieses wurde schon im frühen Mittelalter gefördert, später entstanden rund um die Gruben eisenverarbeitende Betriebe, Schmelzhütten, Eisenhämmer und es wurden Blechwaren hergestellt. Die mittlere Oberpfalz galt als das „Ruhrgebiet des Mittelalters“. Nach dem dreißigjährigen Krieg waren viele Werke zerstört und Gruben abgesoffen, die Region hatte aber auch den technologischen Anschluss verpasst und so wurde diese frühe Industrie zunächst nicht wieder aufgebaut.4

Da auch die früher wichtige Handelsstraße von Nürnberg nach Prag an Bedeutung verlor und die Region keine schiffbaren Flüsse vorzuweisen hat, ging die wirtschaftliche Entwicklung zum großen Teil an der Oberpfalz vorbei. Als ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der Bedarf an Eisen und Stahl stark anstieg, erinnerte man sich an die Bodenschätze und nahm die Bergwerke wieder in Betrieb, neue Stollen wurden erschlossen und Stahlwerke errichtet. Das erste Stahlwerk war die Maxhütte in Haidhof, etwa 20 km nördlich von Regensburg. Dieses Werk wurde von zwei belgischen Unternehmern gegründet, später kam ein Werk in Rosenberg, 10 km westlich von Amberg dazu, das bald das Hauptwerk wurde. Das Eisen der Amberger Stollen wurde anfänglich dort verhüttet, ab 1883 errichtete man in Amberg ein eigenes Werk, die Luitpoldhütte. Ein wesentlicher Antrieb für die Industrialisierung war auch hier der Bau der Eisenbahn, zum einen durch den hohen Bedarf an Stahl, zum anderen durch den eigenen Anschluss an das Verkehrsnetz durch die „Ostbahn“. Ab 1859 war Amberg durch die Bahn mit Nürnberg und Regensburg verbunden, was den Handel und den Aufbau weiterer Firmen begünstigte. Durch den Bau der Eisenbahn kamen die Menschen der Region zum ersten Mal mit größeren Massen an Arbeitern in Kontakt. Mit diesen, teilweise fremdländischen, Arbeitern gab es große Berührungsängste, die Stadt Amberg versperrte den Arbeitern sogar den Weg in die Stadt und es war eine Anweisung der Regierung nötig, damit den Arbeitern erlaubt wurde, in Amberg einzukaufen und sich dort aufzuhalten.5

Das erste Werk, das man als Fabrik bezeichnete, war die „Gewehrfabrik“ in Amberg. Dieses Werk war Anfang des 19 Jh. aus Fortschau (bei Tirschenreuth) nach Amberg verlagert und von einer Manufaktur durch Einsatz von Maschinen und zentraler Führung zu einer Fabrik ausgebaut worden, die Ende des 19 Jh. bis zu 1.400 Arbeiter beschäftigte.

Zur größten Fabrik wurde die Email-Fabrik der Gebrüder Baumann, die sich in kurzer Zeit aus einer kleinen Spengler-Werkstatt entwickelte, um 1900 über 2.400 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigte und ihr Geschirr in alle Welt exportierte. Neben diesen großen Werken, die in den folgenden Kapiteln näher vorgestellt werden, gab es nur noch wenige kleinere: Eine weitere Emailfabrik siedelte sich im benachbarten Haselmühl an, um von dem Ruhm der „Amberger Emailwaren“ der Baumanns profitieren zu können. Es gab noch die 1759 als „Fayencemanufaktur“ gegründete Steingutfabrik Kick mit bis zu 126 Arbeitern, die 1912 geschlossen wurde, eine Buntweberei und die kleine Fabrik der Amberger Gaserzeugungsmaschinen.6

Obwohl die Stadt Amberg weder von der Anzahl noch der Größe seiner Fabriken mit anderen Industrieregionen im Reich mithalten konnte, kann sie angesichts der Relation zum sonstigen Gewerbe durch aus als Industriestadt bezeichnet werden: Kamen 1847 noch 29 Einwohner auf einen Arbeiter, so waren es 1861 nur noch 14, das war die viertgrößte Dichte in Bayern. 1870 gab es in Amberg allein in den großen Werken über 1.300 Arbeiter bei 11.688 Amberger Einwohnern, bis 1914 stieg die Zahl der Arbeiter auf mehr als 7.000.7

Haller hat in ihrer Arbeit die Adressbücher von 1876 und 1901 stichprobenartig nach Berufen ausgezählt und dabei in beiden Jahren einen Arbeiteranteil von etwa 25% festgestellt.8 In der gleichen Arbeit findet sich eine Auswertung des Adressbuches von 1898 nach Berufen und Gewerbe. Zählt man die zu Handel und Verkaufsgeschäften gehörigen Berufe zusammen, kommt man auf 424, Handwerksbetriebe sind 294 gelistet, davon 39 im Baugewerbe. Mit der Herstellung und dem Verkauf von Nahrungsmitteln waren 114 Betriebe beschäftigt, dazu kommen noch 104 Gasthäuser, Kneipen und Cafes und sogar 28 Brauereien. Im Dienstleistungsgewerbe wurden damals 87 Betriebe aufgeführt.

Nicht in diesen Zahlen enthalten sind noch 53 Schneider, 105 Näherinnen und 44 Musiker, da es nicht glaubhaft ist, daß diese kleine Stadt so vielen Menschen mit der Anfertigung von Kleidung und Darbietung von Musik einen vollen Broterwerb bieten konnte. Wahrscheinlich wurde dieser Erwerb nur nebenbei ausgeübt, um die Familienkasse aufzubessern. Nicht gezählt sind dabei die Bauern. Ende des 18. Jh. sollen noch 135 von Ihnen unmittelbar in der Stadt ansässig gewesen sein.9

Für die Wirtschaft der Stadt selbst dürfte der Anteil der Landwirte 100 Jahre später unbedeutend gewesen sein, im Umkreis waren aber zumindest 50% der Erwerbstätigen dann auch noch in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt.10 Daß die Industrialisierung in Amberg und den anderen Städten der Oberpfalz erst spät einsetzte und auch dann mangels Arbeitskräften nicht recht in Schwung kam, führt Müller auf die restriktive Handhabung der Städte bei der Genehmigung des Rechts auf Ansässigkeit und Eheschließung zurück.11 Dies hatte auch schon der Maxhütten-Direktor Fromm 1858 in einem Bericht beklagt und angeregt, das Werk als eigene Gemeinde zu behandeln und mit dem Recht auf Genehmigung der Eheschließung auszustatten.12

Die Industrialisierung erregte auch in Amberg schon früh Klagen über Umweltverschmutzung durch Rauch und Verschmutzung der Flüsse, gegen die der Stadtmagistrat Auflagen erteilte, die aber recht wenig wirksam waren.13 Erwähnt werden muss auch noch die Rolle Ambergs als Garnisonsstadt: Im 19 Jh. waren in Amberg das 6. Bayerische Infanterie-Regiment und zwei Eskadronen des 6. Chevaulegers-Regiments stationiert. Diese etwa 800 Soldaten waren ein guter Kundenkreis für manches Gewerbe, ihnen dürfte auch ein Teil der Gaststätten und Brauereien ihre Existenz verdanken.14

Eine Übersicht über die Entwicklung der Anzahl der Arbeiter zeigt die Tabelle A1 im Anhang. Hier sind nur die Arbeiter der großen Werke berücksichtigt, die Anzahl in den kleinen Werken ist nur schwer zu ermitteln und ändert nichts an der Aussagekraft, zumal sich die Grenze zwischen „Arbeiter“ und „Handwerker“ kaum festlegen lässt.

Die Amberger Arbeiter waren zum allergrößten Teil in den Werken Gewehrfabrik, Emailfabrik und in den Stahlwerken und Gruben der Maxhütte und der Luitpoldhütte beschäftigt, von denen jedes seinen besonderen Charakter hatte. Diese Werke sollen nun näher beschrieben werden.

2.1 Die Amberger Gewehrfabrik

Der Ursprung der Amberger Gewehrfabrik liegt in Fortschau, einem kleinen Ort bei Tirschenreuth in der nördlichen Oberpfalz.. Dort wurden bereits 1689 Werkstätten zur Produktion von Waffen für die bayerische Armee eingerichtet, zunächst auf mehrere Orte verteilt und später zu einer Manufaktur in Fortschau zusammengefasst. Die Anzahl und Qualität der Waffen, die dort von weitgehend selbstständigen Büchsenmacher-Meistern gefertigt wurden, war wechselhaft und stellte die Regierung nicht recht zufrieden. Inspektionen stellten starke Mängel in den Werkstätten fest und so wollte man das Werk mehrfach verlegen - zunächst nach Fichtelberg, später nach München -, was aber am Widerstand der Meister scheiterte. Schließlich wurde die Manufaktur aufgelöst und in Amberg 1801 neu aufgebaut. Dabei spielte auch eine Rolle, die sich die Fortschauer Meister einer militärischen Aufsicht nicht unterordnen wollten. In Amberg wurde das Werk von Anfang an mit einer militärischen Führung versehen.15

Im Laufe des 19. Jh. entwickelte sich aus der Manufaktur eine Fabrik, sowohl was die Arbeitsteilung, als auch den Einsatz von Maschinen betrifft. Großen Anteil hatte daran der Freiherr von Podewils, - auch bekannt durch die Entwicklung des nach ihm benannten und in Amberg gefertigten Gewehrs.16

Die Anzahl der in der Fabrik beschäftigen Arbeiter wechselte sehr stark in Abhängigkeit der Auftragslage. In Zeiten, in denen die Armee auf eine neue Waffe umgerüstet oder ein Krieg befürchtet wurde, herrschte Hochbetrieb, dem dann oft eine längere Flaute folgte. So hatte die Fabrik bereits 1861 570 Arbeiter, bis 1876 stieg die Zahl sogar auf 1.100. Dann mussten viele entlassen werden, 1882 war ein Tiefstand von nur 190 Beschäftigten erreicht. Nur fünf Jahre später waren es wieder 1.024 Arbeiter, 1889 nur noch 308. Der Höchststand wurde 1891 mit 1.465 Leuten erreicht, danach wurden es wieder weniger, bis der Krieg dann eine starke Erhöhung der Produktion und Belegschaft mit sich brachte. Dabei versuchte die Leitung der Fabrik durchaus, das geschulte und loyale Stammpersonal zu halten, zur Not wurde es mit Wartungsarbeiten beschäftigt, was freilich mit der Masse der Arbeiter nicht möglich war.17

Die Leitung der Fabrik bestand aus Offizieren, auch manche weitere Posten wurden mit Angehörigen des Militärs besetzt. Die eigentliche Produktion wurde aber von angestellten Meistern und Arbeitern erledigt. Der stark schwankende Bedarf an Arbeitskräften der Gewehrfabrik führte dazu, daß viele Arbeiter ungelernt waren und selbst 1911 noch Landarbeiter oder Kutscher in die Maschinen eingewiesen werden mussten.18

Bemerkenswert ist dabei, daß die Meister ihre Werkstätten eigenständig betrieben: Sie mussten das Rohmaterial zu festgesetzten Preisen von der Fabrik kaufen und verrechneten dies mit dem Wert der gefertigten Ware, auch der Ausschuss und Abfall wurde berücksichtigt. Sie bekamen von der Fabrikleitung den Lohn für ihre Arbeiter und die nötigen Maschinen und Werkzeuge zur Verfügung gestellt und hafteten dafür in vollem Umfang.19 Bis zum Ende der Gewehrfabrik war also noch eine handwerklich orientierte Organisation vorhanden.

Die meisten Arbeiter kamen aus der Umgebung und waren zuvor in der Landwirtschaft oder anderen Fabriken oder Betrieben beschäftigt gewesen. In der Gewehrfabrik regelte eine strenge Hausordnung den Arbeitsalltag, die Menschen mussten an die Arbeitsteilung und den Zeittakt der Industrie gewöhnt werden. Die Arbeitszeit war genau geregelt und wurde durch Aus- und Abgabe von Marken an der Pforte überwacht. Die tägliche Arbeitszeit betrug bis 1860 bis zu 16 Stunden, bis 1895 war sie auf 11 Stunden gesunken, danach waren es bis 1914 noch 10 Stunden. Durch die Arbeitsschutzgesetze war die Arbeitszeit für Kinder bis 14 Jahre ab 1872 auf 6 Stunden, für Frauen ab 1891 auf 11 und ab 1906 auf 9 Stunden begrenzt. Es wurde zeitweise sogar Sonntags gearbeitet, was auf Kritik des Pfarrers stieß, daher wurde wenigstens die Zeit für den Gottesdienstbesuch arbeitsfrei gestellt.

Die Arbeiter mussten sich an ihrem Arbeitsplatz aufhalten, unproduktive Tätigkeiten wie Essen oder Unterhaltungen waren untersagt. Es gab eine Kantine, in der Essen eingekauft werden konnte, auch Bier wurde dort ausgeschenkt. Wer in Amberg wohnte und Familie hatte, konnte in der Mittagspause nach Hause gehen oder sich Essen bringen lassen.

Es war auch geregelt, wie Wünsche oder Beschwerden bei der Fabrikleitung vorzubringen waren: Hierzu gab es einen gewählten Arbeiterausschuss oder die betroffenen Arbeiter wählten einen Vertreter. Auf diese Weise wurde Unzufriedenheit kanalisiert und konnte kontrolliert werden. Der Bildung von Gewerkschaften, kritischen Arbeitervereinen oder unbotmäßigen kollektiven Aktionen sollte so vorgebeugt werden. Sofort entlassen konnten Arbeiter werden, wenn sie durch ihr Verhalten die Fabrik und Produktion oder auch ihre eigene Sicherheit gefährdeten, wenn die Produktion „auf höheren Befehl“ eingestellt werden musste, bei mehrfachem „Blaumachen“ oder schlampiger Arbeit oder mangelnder Achtung gegenüber den Vorgesetzten und sogar bei „ansteckender oder abschreckender Krankheit“. Für den Schutz vor Unfällen oder Krankheiten durch die Arbeit gab es in Bayern ab 1863 Vorschriften, in der Gewehrfabrik gab es ab 1892 eigene Schutzvorschriften. Diese machten sich auch in einer sinkenden Zahl der Unfälle bemerkbar, so sank die Zahl der Unfälle von 1903 auf 1904 um fast die Hälfte auf 5%, gemessen an der Zahl der Arbeiter.20

Bei den Löhnen wurde unterschieden zwischen Beschäftigten, die auf Dauer gebraucht wurden, und der Masse der Arbeiter, die man bei reduzierter Produktion entlassen konnte. Erstere galten als Angestellte oder „Beamte“ und erhielten ein festes Monatsgehalt. Die Arbeiter erhielten wöchentlich einen Lohnabschlag und am Monatsende den Rest ausbezahlt. Dabei konnten sie zwischen einem Zeitlohn und Stücklohn wählen. Der Zeitlohn hing neben der Tätigkeit auch von der Dauer der Zugehörigkeit zu der Fabrik ab. Er stieg zwar mit der Zeit, konnte bei Minderleistung, z.B. aufgrund Alter oder Krankheit auch gesenkt werden. Mit dem Stücklohn konnten die Arbeiter durchaus mehr verdienen, meist bis zur Höhe der nächsten Zeitlohnstufe. Trotzdem wählte nur etwa ein Viertel der Arbeiter den Stücklohn, zumindest in der Zeit ab 1906, für die Daten vorliegen. Der Lohn lag in der Gewehrfabrik nach 1900 bei den Mehrzahl der Arbeiter zwischen 3 und 6 Mark am Tag. Weniger als 3 Mark verdienten nur wenige, die ungelernt neu eingestellt waren, es gab noch eine kleine, aber allmählich wachsende Spitzengruppe, die mehr als 6 Mark täglich bekamen. Damit lag der Lohn der Arbeiter der Gewehrfabrik um einiges über dem Niveau in anderen Fabriken der Gegend. Bei Nacht- und Sonntagsarbeit gab es einen Zuschlag von 50%, bei sonstigen Überstunden von 25%.21

Ein "Gewehrarbeiterverein" wurde bereits 1848 gegründet. Bei diesem Verein ging es ausschließlich um Geselligkeit, jede politische Betätigung war ausgeschlossen. Dem Verein konnten alle Beschäftigten beitreten, es gehörte ihm aber immer nur eine Minderheit an, in den Jahren nach 1900 etwa 120 Leute. Hierbei dürfte es sich um die Stammbelegschaft gehandelt haben, die auch bei geringer Auftragslage verblieb. 1903 wurde ein Spar- und Baukassenverein für die Arbeiter der Gewehrfabrik gegründet. Nach kurzem hatte der Verein 140 Sparer, deren Einlagen mit 4% verzinst wurden.22

Daß es in der Gewehrfabrik nie Streiks oder - soweit bekannt - andere Auseinandersetzungen gab, führt Janssens darauf zurück, daß die Belegschaft einen hohe Identifikation mit der Fabrik besaß, zumal die Armee zu dieser Zeit ohnehin ein hohes Ansehen genoss. Hier kann man eine Aussage Rudolf Merkls zitieren: ,, Ü brigens hielten sich die Gewehrfabrikarbeiter für was Besseres, nicht weil ihre Direktoren Offiziere waren, sondern weil sie die einzigen Bayerns und schlie ß lich königlich waren. Das mu ß man wissen, um dieses Gefühl zu verstehen. Woher ich das wei ß ? Von meinem Gro ß vater, dem Fabrik-Oberheize r, der immer stolz blieb auf "seine" Fabrik, obwohl er sie drei ß ig Jahreüberlebte."

Außerdem wäre ein Streik gegen die staatliche Gewehrfabrik ein Streik gegen den Staat und damit strafbar gewesen. Natürlich versuchte die Führung der Fabrik sozialistisch gesinnte oder organisierte Arbeiter draußen zu halten, was aufgrund der hohen Fluktuation auch gut möglich war.23

2.2 Die Maxhütte

Als Mitte des 19 Jh. der Bedarf an Stahl, insbesondere für die Eisenbahn, stark anstieg, meldeten sich zwei belgische Unternehmer, Telemaque Michiels und Henry Goffard, bei der bayerischen Regierung und regten die Errichtung eines Stahlwerks in Bayern unter ihrer Führung an. Ursprünglich war ein Werk für Eisenbahnschienen in der Nähe Münchens angedacht, aber dann wurde der „Sauforst“ bei Burglengenfeld als Standort gewählt, weil dort Braunkohle gefunden worden war, die die Energie liefern sollte. Außerdem gab es in der Umgebung mehrere Hochöfen, die das Roheisen liefern konnten. Auch Arbeitskräfte schienen in diesem armen bäuerlichen Gebiet zur Genüge vorhanden zu sein.

Im April 1851 wurde ein Schienenlieferungs-Vertrag zwischen den Belgiern und der bayerischen Staatsregierung geschlossen, der das Werk, das zu Ehren des Königs den Namen „Maximilianshütte“ (kurz: Maxhütte) erhielt, begründete. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, bei denen sogar Konkurs angemeldet werden musste, ging es mit dem Werk bergauf.

Im Vertrag war auch vorgesehen, daß als Arbeitskräfte - abgesehen von Spezialisten - nur Menschen aus der Umgebung eingesetzt werden sollten. So wurden im Herbst 1851 250 Arbeiter aus der Oberpfalz in das Werk Eschweiler- Aue bei Aachen geschickt, um dort angelernt zu werden. Leider funktionierte dies nicht wie vorgesehen, teils wurde die Schuld darin gesehen, daß unter den Männern „ viele gesundheitlich Untaugliche zuhauf, aber auch zweifelhafte Elemente, die gar viel auf dem Kerbholz hatten “, waren. Es gab auch Berichte, nach denen die Lehrlinge schlecht behandelt und ernährt wurden und die Ausbilder untauglich waren. Auf jeden Fall waren diese Tätigkeiten für die Menschen, die bislang als Landarbeiter, Tagelöhner oder Handwerker gearbeitet hatten, völlig ungewohnt.

So mussten zunächst eine große Anzahl fachkundiger Arbeiter aus der Ferne angestellt werden. Sie kamen aus Preußen, England, Frankreich und Belgien, brachten das Werk in Gang und bildeten die einheimischen Arbeiter vor Ort aus. Nach etwa 10 Jahren waren diese dann so gut eingearbeitet, daß die teuren Fremdarbeiter nicht mehr benötigt wurden und allmählich wieder abzogen.24

1859 konnte das Amberger Tagblatt melden, daß die Maxhütte nun „ ..fast 700

Mann besch ä ftigt, die mit wenigen Ausnahmen fast alle Einheimische sind. “ und 1860: „.. .Das Werk ist eine wahre Wohltat für die arme und doch so th ä tige Oberpfalz, denn im Durchschnitte sind wöchentlich mehr als 1000 Arbeiter besch ä ftigt, von denen Mancher einen t ä glichen Lohn von 2-3 Gulden hat.25 Da es Probleme mit der Kohleversorgung gab und nicht mehr genug günstiges Eisenerz bezogen werden konnte, kaufte die Maxhütte in Sulzbach Erzgruben auf und errichtete bei dem zwischen Amberg und Sulzbach gelegenen Dorf Rosenberg eigene Hochöfen, die 1864/65 in Betrieb gingen, wobei der dortige Anschluss an die Eisenbahn eine wichtige Rolle spielte. Mit der Zeit wurden dieses Werk immer mehr erweitert und auch Teile der Haidhofer Produktion dorthin verlegt, so daß ab 1892 Rosenberg zum Haupt-Standort wurde, an den auch die Direktion ihren Sitz verlegte.26

Wie in allen Fabriken der Zeit üblich, herrschte auch in der Maxhütte eine strenge Fabrik-Ordnung. Darin war die Arbeitszeit festgelegt, es wurde Pünktlichkeit und Ordnung angemahnt. Heute selbstverständliche Regeln mussten noch eigens aufgeführt werden, so das Verbot von unentschuldigtem Fernbleiben, besonders nach Sonn- und Feiertagen, Raufereien, Tätlichkeiten und Trunkenheit. Es waren Geldstrafen für Vergehen geregelt, zwar konnte man sich über Strafen beim Direktor beschweren, dessen Entscheidung war dann aber Folge zu leisten. Die Arbeiter mussten für Arbeitsfehler haften, so wurden verdorbene Chargen nicht bezahlt oder es mussten Strafgelder geleistet werden.

Interessant ist die Bestimmung, daß höchstens 2 Arbeiter wegen einer Beschwerde beim Vorgesetzten gleichzeitig vorsprechen durften, man hatte anscheinend Angst vor Bedrohungen und Revolten.27

Diese Fabrikordnungen konnten vor 1891 willkürlich erlassen werden und enthielten oft zahlreiche Vorschriften, die bis in das Privatleben der Arbeiter reichten. Hierin kam noch das patriarchalische Selbst-Verständnis der Fabrikherren zum Ausdruck. Die SPD hatte schon 1877 versucht, eine gesetzliche Regelung zu treffen, war aber im Reichstag damit gescheitert. Erst die Gewerbeordnungsnovelle von 1891 regelte die Fabrikordnungen, nun musste jede Fabrik eine solche Ordnung haben und sie öffentlich aushängen, darin mussten Bedingungen von Löhnen, Strafen und Arbeitszeit geregelt sein. Aber Bestimmungen über das Privatleben und das Verhaltens außerhalb des Fabrikgeländes waren nun untersagt.28

Die Löhne waren äußerst unterschiedlich und lagen 1879 zwischen 7,50 für Puddler und 35 Mark für Blechwalzer in der Woche, wobei den höchsten Lohn sicher nur wenige erhielten, der Schnitt lag bei 2,76 Mark am Tag. Angeblich waren diese Löhne üblich bis gut, allerdings räumte selbst der Direktor Fromm bei einer Enquete-Kommission 1878 ein, daß eine Lohnerhöhung bei den hohen Lebensmittelpreisen eigentlich nötig wäre. Die Löhne waren 1873 im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs gestiegen, durch die folgende Krise aber wieder gefallen, während die Preise auf hohem Niveau geblieben waren. Erstmals 1897 wurden Teuerungszulagen für bis zu 5 Monate gewährt, monatlich 5 Mark für Verheiratete und 2-3 Mark für Ledige. 1907/08 gab es deutliche Lohnerhöhungen, 1911/12 erneut Teuerungszulagen.29

1898 wehrte sich die Direktion der Maxhütte gegen Artikel einiger Zeitungen, in denen die Arbeitsbedingungen und Löhne der Maxhütte angegriffen worden waren. Es wurde dargestellt, daß die Arbeiter der Maxhütte weit besser entlohnt würden als es ortsüblich wäre. So betrüge in der Region der Tageslohn bis zu 1,40 Mark, die Maxhütte zahle aber selbst für einfachste Arbeiten mindestens 1,80 Mark, Schichtarbeiter erhielten pro Schicht je nach Schwere der Arbeit zwischen 2,30 und 6 Mark.30

Es soll vor 1878 einen Versuch norddeutscher Agitateure gegeben haben, die Arbeiter zu einem Streik zu veranlassen, diese wurden aber nach Aussage des Direktors Fromm „ von unseren Leuten mit einem fühlbaren Denkzettel heimgeschickt “. 1889 kam es in Haidhof zu einer kurzen Arbeitsniederlegung, die aber nur wenige Stunden dauerte.31

Der erste Streik brach im Haidhofer Werk im März 1907 aus. Der Anlass war eigentlich nichtig und hatte nichts mit den Löhnen und Arbeitsbedingungen zu tun: Ein Arbeiter hatte die Zange eines Kollegen beschädigt und sollte sich vor seinem Vorgesetztem dafür verantworten. Dies verweigerte er aber und wurde daraufhin entlassen. Eine Woche darauf legten 400 Mann die Arbeit nieder und forderten die Rücknahme der Entlassung, immer mehr schlossen sich an, bis etwa die Hälfte im Ausstand waren. Die Werksleitung drohte mit sofortiger Kündigung von Werkswohnung und Ausschluss aus der Pensionskasse. Die Leonberger Sozialdemokraten hielten eine Versammlung ab und riefen den Bezirksleiter des Deutschen Metallarbeiterverbands Enßner herbei, mit dem die Werksleitung aber nicht verhandeln wollte. Die Direktion gab nicht nach und zwei Wochen später wurde der Streik durch die Vermittlung eines Gewerberats beendet. Der einzige Erfolg, den die Streikenden verbuchen konnten, war, daß sie keine Nachteile durch den Ausstand zu befürchten hatten.32

Die Unzufriedenheit blieb und ein halbes Jahr später brach erneut ein Streik im Haidhofer Werk aus. Die Arbeiter hatten bereits Mitte 1907 von ihrem Metallarbeiterverband gefordert, wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten um Lohnerhöhungen zu verhandeln. Der Verband hatte dies aber mangels Erfolgsaussichten abgelehnt.

Am 15. September 1907 fand in Sulzbach eine Versammlung der christlichen Metallarbeiter-Gewerkschaft statt, die 600 Besucher zählte und zu der sogar der Reichsleiter der Gewerkschaft Wieber aus Duisburg gekommen war. Dort wurde verkündet, daß die Gewerkschaft mit der Geschäftsleitung der Maxhütte eine Lohnsteigerung von 4,30 Mark pro Zahltag (etwa 14 Tage) für ihre Mitglieder vereinbart hatte.33 Ob es nun dieser Erfolg der christlichen Gewerkschaft war, durch den der „freie“ Metallarbeiter-Verband unter dem Druck stand auch für seine Mitglieder eine Lohnsteigerung zu erreichen, oder ob dieser wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise aktiv wurde, jedenfalls waren die Arbeiter auf einen Lohnkampf eingestimmt und legten die Arbeit nieder, als die Lohnverhandlungen zu scheitern schienen. Am Oktober 1907 befanden sich etwa 600 der fast knapp 1.000 Arbeiter des Haidhofer Werks, die dem Metall- arbeiterverband angehörten, im Ausstand, der Rest war unorganisiert oder gehörte der christlichen Gewerkschaft an und arbeitete weiter. Zunächst war die Stimmung friedlich und es wurden immer wieder Verhandlungen mit der Werksleitung geführt, um Lohnerhöhungen zu erreichen, aber auch um Sanktionen gegen die Streikenden auszuschließen und Entlassungen zu verhindern. Aber die Werksleitung blieb hart. Selbst diejenigen, die nach dem Streik wieder eingestellt würden, sollten als Neu-Einstellungen behandelt werden und so ihre Rechte auf Zahlungen aus der Pensions- und Krankenkasse verlieren.34 Der Streik zog sich über viele Wochen hin und im Dezember gab es erste Ausschreitungen und Beschimpfungen gegen die „Streikbrecher“. Das Sulzbacher Wochenblatt meldete, daß die Arbeitswilligen von den Streikenden angegriffen und terrorisiert würden und man ihnen androhe :“Rot oder tot “. Vor allem, als die Werksleitung den Einsatz von Fremdarbeitern aus Norddeutschland vorbereitete, eskalierte die Situation, es kam zu Gewalt und es wurde Polizei und Militär eingesetzt, um die Arbeitswilligen zu schützen.35

Letztlich scheiterte der Streik an der harten Haltung der Werksleitung und der leeren Streikkasse und im Februar kehrten die Arbeiter an ihre Arbeitsplätze zurück. Dabei wurden keineswegs alle wieder eingestellt, erst drei Jahre später bekamen die letzten der Streik-Teilnehmer wieder einen Arbeitsplatz in der Maxhütte. Dazu kamen noch Strafen: Etliche Streikende wurden wegen Landfriedensbruch vor Gericht gestellt, einige wurden freigesprochen, andere bekamen Haftstrafen von einigen Wochen, am härtesten traf es den Vorsitzenden der Gewerkschaft, er wurde, obwohl er sich bemüht hatte, die Wogen zu glätten, zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt.36

Das Sulzbacher Wochenblatt bemerkte zum Schluss, daß die Produktion der Arbeitswilligen während des Streiks besser war als die der „frei organisierten“ Arbeiter, obwohl sie in den Arbeiten teilweise ungeübt waren. Den „frei organisierten“ wurde „ passive Resistenz und zielbewusste Handlungsweise “ unterstellt.37

Am erstaunlichsten an diesem Streik ist, daß er nur das Haidhofer Werk betraf. Ihre Kollegen im Rosenberger Werk verhielten sich friedlich, es kam weder zu Streiks noch zu Solidaritäts-Bekundungen, denn hier hatte der linke Metallarbeiterverband keine Basis, die Mehrzahl war in Rosenberg christlich organisiert.

2.3 Amberger Bergwerk und Luitpoldhütte

Der Abbau von Eisenerz hatte schon im Mittelalter Bedeutung, war aber durch den 30jährigen Krieg zum Erliegen gekommen und 1693 unter Kurfürst Max Emanuel wieder aufgenommen worden. Nachdem die Gewinne zunächst zwischen Stadt und Land aufgeteilt wurden, gingen sie nach 1793 ganz an den Staat, das Bergwerk wurde zum Staatsbetrieb.38

Nachdem der Bergbau wieder in Angriff genommen war, entwickelte er sich zunächst gut: Von 1848 bis 1859 hatte sich die Ausbeute mehr als vervierfacht. Nach einem kurzem Einbruch stieg die Förderung weiter an, was auch von den Lieferverträgen abhing, insbesondere dem Vertrag mit der Maxhütte.39 Allerdings war die Erzförderung in Amberg sehr teuer, was ein Abgeordneter auf die schwerfällige staatliche Leitung und die Ausdehnung des Betriebs zurückführte. Das Erz wurde der Maxhütte mittlerweile unter den Förderkosten geliefert, daher wurde der Vertrag 1877 gekündigt. Ein neuer Vertrag mit höheren Preisen ließ sich aber nicht durchsetzen, da die Maxhütte in den Jahren zuvor selbst Gruben in Sulzbach und Auerbach erworben hatte und ihr Erz dort noch weit unter den ursprünglichen Amberger Preisen abbauen konnte.40 Da das Bergwerk nun seinen größten Abnehmer verloren hatte und der Betrieb defizitär war, wurde darüber diskutiert, die Gruben zu verkaufen. Während die liberale Seite zum Verkauf des unrentablen Werks neigte, befürchteten die Konservativen, daß der Staat damit alle Mittel aus der Hand gäbe, die Wirtschaft zu lenken und sich von wenigen Privatkonzernen abhängig machte. Der weitere Betrieb der Gruben war aber nur sinnvoll, wenn das gewonnene Erz selbst verwertet und ein Hochofen hierfür gebaut würde. Die Diskussion hierüber währte bis 1882, die Stadt Amberg beantragte beim Landtag den Erhalt der Gruben und den Bau eines Hochofens, möglichst auch eines Stahl- und Walzwerks für die Herstellung von Schienen, wodurch man sich große Gewinne versprach. Schließlich stimmten beide Kammern des Landtags zu und der Bau des Hochofens konnte beginnen.41

Der erste Hochofen ging 1883 mit 76 Mann Belegschaft in Betrieb und produzierte 3,2 t Roheisen. Bis 1907 stieg die Produktion auf fast 27 t, die Zahl der Arbeiter erhöhte sich aber nur bis auf 119. 1908 wurde ein zweiter Hochofen gebaut, der aber erst 1911 in Betrieb genommen wurde, und da der Prinzregent an diesem Tag Geburtstag hatte, erhielt das Werk den Namen "Luitpoldhütte". 1908 wurde das Werk um eine Rohrgießerei erweitert. Hier arbeiteten bald mehr Leute als am Hochofen, die Gesamtzahl der Arbeiter betrug (ohne Gruben) 1910 351 und stieg bis 1918 auf 999. Die meisten Arbeiter stammten aus Amberg und Umgebung, manchmal wurden aber auch Arbeiter aus anderen staatlichen Betrieben nach Amberg verlegt, so 1886 Bergleute aus Erbendorf, Hohenpeißenberg und der Gegend von Bayreuth, 1910 Stahlarbeiter aus verschieden Orten aus ganz Bayern. Während des 1. Weltkriegs wurden die eingezogenen Arbeiter durch Frauen, Jugendliche und Kriegsgefangene ersetzt. Bis 1918 waren es etwa 700 Kriegsgefangene und 400 Frauen, die im Bergwerk und im Stahlwerk arbeiteten.42

Für die Bergarbeiter sind Löhne von 1882 bekannt: Diese streuten über einen sehr weiten Bereich je nach Arbeit von 0,80 Pf. bis 2,50 Mark pro Schicht, Aufsichtspersonal konnte bis zu 3,80 Mark erhalten. Die hohe Spanne dürfte neben der Berücksichtigung von Arbeit und Alter auch Akkordzulagen enthalten. 1898 gab es zunächst eine Teuerungszulage von 5 Mark für Verheiratete (die Hälfte für Ledige) pro Monat, wenig später eine Lohnerhöhung von 10 bis 25 Pfennig pro Schicht.

Anfang 1900 wurde in einem Bericht der Abgeordnetenkammer von den zwei Zentrumsabgeordneten Heim und Lerno beklagt, daß "die Arbeiter in Amberg, sowohl die beim Bergwerk als auch die beim Hochofen, so ziemlich die schlechtest bezahlten Arbeiter von allen staatlichen Betrieben im Königreich sind". Sie gaben an, daß der Jahresverdienst eines Bergarbeiters in Amberg im Schnitt bei 768 Mark läge und ein Hochofenarbeiter nur 590 Mark bekäme. Die Tageslöhne betrügen zwischen 2 und 2,50 Mark., nur ein Arbeiter erhalte einen Spitzenlohn von 4 Mark. Daraufhin wurde eine Lohnerhöhung bewilligt, angelernte Arbeiter erhielten 1901 zwischen Schichtlöhne zwischen 2,80 und 3,20 Mark. Die Zentrumsabgeordneten setzen sich weiterhin für die Arbeiter ein und es wurden in den Folgejahren Teuerungszulagen und Lohnerhöhungen erreicht, 1909 um 10%, 1910 erneut um bis zu 15%. Trotzdem gab es weiterhin Klagen über zu geringe Löhne, da die Preise schneller stiegen als die Löhne und Amberg als eine der teuersten Städte galt.43

Im Bergwerk und im Stahlwerk wurde im Schichtbetrieb gearbeitet, wobei die Schichten unter Tage 9 ½ Stunden mit Pausen betrugen, ansonsten wurde in 12 Stunden Schichten gearbeitet. Diese langen Arbeitszeiten wurden 1900 von Abgeordneten beklagt und eine Verkürzung auf 8 Stunden im Dreischichtbetrieb gefordert. Dieser Forderung konnte angeblich wegen zu hoher Kosten nicht Folge geleistet werden, die Schichtzeiten sanken aber leicht, 1913 betrug die Arbeitszeit unter Tage 9 Stunden mitsamt Ein- und Ausfahrt und Pause, am Hochofen wurde 11 ½ Stunden gearbeitet, in denen 2 Stunden Pausen enthalten waren. Arbeitsfreie Feiertage wurden ursprünglich bezahlt, im Jahr 1864/65 waren es 19. Bei einigen dieser Feiertage war aber die Anwesenheit bei Prozessionen in Uniform Pflicht. Später entfiel die Bezahlung bei den meisten Feiertagen. Einen Anspruch auf Urlaub gab es nicht, erst ab 1908 war ein bezahlter Urlaub von bis zu 6 Tagen möglich, aber erst nach längerer Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Dienstjahren und tadelloser Führung.44

2.4 Die Email-Fabrik Baumann

Die als Email-Fabrik bekannt gewordene Firma Baumann war innerhalb kurzer Zeit aus einem kleinen Handwerksbetrieb erwachsen. Die Familie Baumann stammte aus dem Oberfränkischen Wunsiedel und hatte eine Tradition als Spengler. Da das Geschäft dort schlecht ging, siedelte ein Sohn 1864 nach Amberg über und gründete hier eine Werkstatt. Amberg wählte er vor allem wegen des neuen Eisenbahn-Anschlusses, der einen erweiterten Kundenkreis versprach. Da er in Amberg Erfolg hatte, entschloss sich der Rest der Familie nachzukommen und meldete am 20. August 1872 die Firma "Johann Baumann's Witwe - die Fabrikation von schwarzen und verzinnten Blechwaaren" mit 30 Gehilfen in Amberg an.45

Anfangs war die Firma noch mehr ein großer Handwerksbetrieb, entwickelte sich aber durch den Einsatz von Maschinen rasch zur Fabrik. Der Betrieb wuchs schnell, aus den 46 Arbeitskräften von 1872 waren 1890 1.200 geworden!

Da es in Amberg kaum verfügbare Arbeitskräfte gab, rekrutierten die Baumanns ihre Arbeiter in erster Linie aus ihrer alten Heimat Wunsiedel. Dort gab es eine hohe Arbeitslosigkeit in der dortigen Textilindustrie, die Menschen waren froh, in Amberg Arbeit zu finden, zumal dort höhere Löhne gezahlt wurden und die Familie Baumann bekannt war und einen guten Ruf hatte. Das starke Wachstum der Firma - die höchste Zahl der Beschäftigten wurde 1904 mit 2.600 erreicht - war dem neuen Verfahren der Emaillierung von Blechgeschirr zu verdanken. Nach dem Kauf eines Patents und weiterer Experimente gelang es, hochwertiges Email zu erzeugen, das in ganz Deutschland begehrt war und sogar weltweit vertrieben wurde. Um von dem guten Ruf der „Amberger Emailwaren" zu profitieren, ließ sich noch ein weiteres Unternehmen im benachbarten Kümmersbruck nieder.

Die Familie Baumann führte ihre Fabrik in sehr patriarchalischer Form, denn sie sah sich nach wie vor in der handwerklichen Tradition, in der der Meister für seine Arbeiter zu sorgen und sie zu führen hatte. So wurden für die Belegschaft Sozialeinrichtungen geschaffen, auch eine Betriebskrankenkasse, und es wurden viele Werkswohnungen gebaut, die bis zur Siedlung wuchsen. Diese soziale Fürsorge war freilich nicht ganz uneigennützig: Man versuchte, gute Arbeiter zu halten, da das Anlernen neuer Arbeiter aufwändig und teuer war, außerdem fürchtete man die Weitergabe von Betriebsgeheimnissen. Daher vereinbarten die Betreiber solcher Fabriken auch, Arbeiter die anderswo gekündigt hatten, nicht einzustellen.46

Die patriarchalische Fürsorge der Baumanns wuchs sich allerdings bis zur Bevormundung in den privaten Bereich aus, besonders was das Religiöse betraf. So versuchten die Unternehmer, bei Ehen zwischen ihren protestantischen Arbeitern und Katholiken, diese auf evangelische Heirat und Kindeserziehung zu verpflichten. Auch waren bei der Firma laut Arbeitsvertrag nur die protestantischen Feiertage frei. Solche Aktivitäten verursachten natürlich viel Aufregung bei den katholischen Vereinen und Medien. Im Januar 1896 stellte die Amberger Volkszeitung mehrere solcher Fälle dar, am 17. Januar folgte dann eine Erklärung der Gebrüder Baumann, die diese Anklagen bestritten und als Hetze des katholischen Pfarrers Helmberger und der Volkszeitung betrachtete, was die Volkszeitung mit einer recht scharfen Replik beantwortete.47

Die Arbeitszeit der Blecharbeiter betrug bei Baumann 1870 noch 84 Stunden in der Woche, das waren 6 Tage lang 14 Stunden am Tag, 1890 war die tägliche Arbeitszeit auf 10 ½ Stunden gesunken, 1910 waren es 10 Stunden. Der Tageslohn bei Baumann lag für einen Kupferschmied 1870 bei 1fl 18kr., 1884 war er durchschnittlich 2,31 Mark und lag damit etwas über dem Durchschnitt der örtlichen Arbeiter. Bei Baumann waren wegen der größtenteils körperlich leichten Arbeit, die aber viel Geschick forderte, für die damalige Zeit relativ viel Frauen beschäftigt. Lag der Frauenanteil 1884 noch bei 17%, so war er bis 1908 auf 43% gestiegen. Freilich wurden Frauen auch bei Baumann weit schlechter entlohnt als Männer mit gleicher Tätigkeit, sie bekamen nur etwa 60% des Lohns.48

3. Die soziale Lage der Arbeiter

Die sozialen Lebensbedingungen der Arbeiter in und um Amberg darzustellen, ist nicht einfach, denn den typischen Arbeiter gab es in materieller und sozialer Hinsicht nicht. Was die Arbeiter der Amberger Betriebe einig hatten, war die Erfahrung des Arbeitsalltags mit seinen Mühen, der Arbeitszeit und der streng geregelten Fabrikordnung. Die materielle Lage konnte aber sehr unterschiedlich sein, denn zum einen differierten die Löhne am Anfang der Industrialisierung sehr stark, zum anderen hatten viele Arbeiter noch einen Nebenerwerb in der Landwirtschaft, aus der sie stammten und damit hing teilweise auch die Wohnsituation zusammen: Manche wohnten in Häusern, die schon lange im Besitz der Familie waren, und konnten oft noch Mieter aufnehmen und sich so ein zusätzliches Einkommen sichern. Andere mussten Wohnungen mieten, die manchmal klein und ungesund waren.

Eine große Rolle spielte der Familienstand: Wer allein lebte, konnte mit seinem Lohn gut auskommen, die Zeit der wirtschaftlich besten Lebenslage war die Spanne zwischen dem Auszug aus dem elterlichen Haushalt und der Gründung einer eigenen Familie. Familien mit vielen Kindern waren in dieser Zeit nichts außergewöhnliches, aus der ländlichen Tradition und der Unkenntnis von Verhütungsmethoden heraus. Diese zu ernähren und eine hinreichende Wohnung zu bezahlen, dürfte bei den Löhnen schwer gefallen sein, auch wenn die Frau und die größeren Kinder zumindest zeitweise hinzuverdienten. Dazu kamen noch Zeiten der Arbeitslosigkeit, die durch Konjunktureinbrüche oder einen kurzzeitigen Rückgang der Bestellungen bedingt sein konnten, denn zu dieser Zeit wurde kaum auf Vorrat oder nach betriebswirtschaftlicher Planung produziert.49 Die Löhne stiegen nur bei Beamten und einigen Angestellten mit dem Alter, bei Arbeitern war es umgekehrt, hier hing der Lohn von der Produktivität ab und für diese war meist weniger Berufserfahrung, sondern eher Körperkraft, Gesundheit und Ausdauer entscheidend. Daher verdienten vor allem die jungen Arbeiter ab etwa 20 Jahren gut. Bis sie heirateten, was meist mit Ende 20 der Fall war, konnten sie den Verdienst für sich ausgeben oder sparen, um für die Familiengründung und Alter ein Polster zu haben.50

Trotz diesen Problemen und Unschärfen soll versucht werden, die Lage der Arbeiter anhand der Löhne, Preise, der Wohnsituation und der sozialen Absicherung zu beschreiben, auch um diese Unterschiede deutlich zu machen.

3.1 Löhne

Bis Ende des 19. Jh. war die Spanne der Löhne in den Betrieben im allgemeinen sehr groß, abhängig von Kompetenz, Erfahrung, Leistungsfähigkeit und Arbeitsmarkt. So reichte bei der Gewehrfabrik der Tageslohn von unter 2 Mark bis zu mehr als 7 Mark, differierte also mehr als das Dreifache. Selbst wenn man dabei nur die Löhne betrachtet, die der Masse der Arbeiter bezahlt wurden, ist die Differenz noch immer so groß, daß es wenig Sinn macht, hieraus repräsentative Durchschnittslöhne zu berechnen.

Als Untergrenze kann man die Löhne der ungelernten Arbeiter nehmen, die für die Ermittlung der Beiträge der neuen gesetzlichen Krankenkassen ab 1884 bayernweit festgestellt wurden. In Amberg erhielten diese Arbeiter mit 1,50 Mark am Tag den höchsten Lohn in der Oberpfalz, Frauen bekamen immerhin noch 1,20 Mark, dagegen erhielten Jugendliche hier nur täglich 40-50 Pfennig. In den Jahren 1906-1908 überschritten die Löhne die 2 Mark-Grenze, für Frauen blieb es bei etwa 1,50 Mark.51

In den Amberger Fabriken wurden teilweise Akkordlöhne gezahlt, mit denen gute Arbeiter weit über den ihren Zeitlohn kommen konnten. Dies war bei der Gewehrfabrik der Fall (s. Kap. 2.1), auch in den Gruben und Stahlwerken gab es leistungsbezogene Zuschläge.

In Tabelle A2 im Anhang sind die Löhne, die in der Literatur gefunden werden konnten, zusammenfassend dargestellt. Besondere Zulagen wurden hier nicht berücksichtigt, auch keine Naturalien oder Preisnachlässe, die manchmal geleistet wurden. Bei den Schicht- und Tageslöhnen wurde der Wochenlohn mit 7 Tagen berechnet, in den Stahlwerken und Gruben musste ja im Schichtbetrieb gearbeitet werden, auch in der Gewehrfabrik wurde in Zeiten hoher Auftragslage oft Sonntagsarbeit angeordnet.

3.2 Sparen

Den Arbeitern wurde sowohl von den Liberalen, als auch von den katholischen Politikern und Geistlichen, empfohlen zu sparen, um ihr Lebensniveau zu verbessern und Rücklagen für Notzeiten zu haben. Hierfür hatten einige Firmen eigene Sparkassen eingerichtet, die recht gute Zinsen zahlten. Die Maxhütte richtete in ihrer selbst betriebenen Schule zunächst 1878 eine Schulsparkasse ein, um schon die Kinder zum Sparen zu erziehen, 1899 wurde dann eine Betriebssparkasse für die Arbeiter eingerichtet, die bis zu 10% Zinsen zahlte. Ende 1900 hatten in dieser Kasse 136 Arbeiter im Mittel je 500 Mark angespart.52 Solche Sparleistungen konnten um diese Zeit aber wohl nur die Spitzenverdiener unter den Arbeitern erbringen, und auch diese nur, wenn sie keine hohen Kosten für die Lebenshaltung der Familie zu tragen hatten. Dabei kann man allerdings nicht unterstellen, daß Arbeiter ohne Sparkonto nicht auch gespart hätten. Das Sparen auf einem Sparkonto war eine neue Verhaltensweise, die erst eingeübt werden musste und die auch von der manchmal mangelnden Mobilität der Ersparnisse oder dem Misstrauen gegen diese neue Instanz behindert war. So legten viele Arbeiter ihre Überschüsse in einem Stück Land oder einem „Sparschwein“ an oder steckten es in den Sparstrumpf. Ob und wie viel gespart wurde, hing auch vom im Sparen gesehenen Sinn ab: Mit Ersparnissen konnte man kurze Phasen von Arbeitslosigkeit oder Krankheit überbrücken, für längere Notzeiten und die Altersversorgung reichte es ohnehin nicht. Die Perspektive, daß man mit Sparen in Bildung und Aufstieg investieren könne, fehlte vielen Arbeitern dieser Zeit noch. Um die Arbeiter zu solchem Verhalten zu erziehen, war eine Sparkasse auch Bestandteil vieler katholischen Arbeitervereine.53

3.2 Preise und Lebenshaltung

Bei den Lebenshaltungskosten ist kein Warenkorb eines Haushalts für die Region bekannt. Reichhaltige Beispiele über den Haushalt von Arbeitern hat uns Dr. Alfons Krziža in seiner Statistik von 1914 überliefert. Für diese Arbeit hatte Krziža über die Zeitschrift „Nach Feierabend“ Haushaltsbücher an Familien verteilen lassen, die bereit waren, ihre Ausgaben über den Zeitraum von einem Jahr sorgfältig zu dokumentieren, wozu sie durch ausgesetzte Preise motiviert wurden. Allerdings kamen von 55.000 verteilten Exemplaren nur 312 zurück, von denen nur 90 vollständig und brauchbar waren. Krziža merkte dazu an, daß diese Auswahl statistisch verzerrend wirke, da diese Haushaltsbücher wohl nur von sehr sorgsam wirtschaftenden Hausfrauen geführt worden seien.54

Für die Untersuchung eines Arbeiter-Haushalts der damaligen Zeit sind die gesammelten Daten aber trotzdem von großem Wert. Aus den aufgeführten Haushaltsrechnungen wurden die von drei Familien herausgesucht, die einer Amberger Arbeiterfamilie entsprochen haben dürften, soweit man überhaupt einen idealtypischen Fall voraussetzen kann. Die Löhne dieser Familien bewegten sich auf dem Niveau der damaligen Amberger Löhne, auch die Höhe der Mieten entsprachen der damals in Amberg geforderten.

Der erste Haushalt (Krziža Nr.64) bestand aus einem Arbeiter, Ehefrau und zwei Kleinkindern, die in einer kleinen 2-Zimmer Wohnung in Dresden lebten. Der zweite Haushalt (Krziža Nr.59) war ein Tagelöhner mit Frau und zwei kleinen Kindern aus Ansbach, Bayern. Sie wohnten in einer kleinen Wohnung mit 2-3 Zimmern. Der dritte Fall (Krziža Nr.12) war eine Bergarbeiter-Familie aus dem westfälischen Wickede-Asseln, die in einem eigenem Haus lebte und eine kleine Landwirtschaft betrieb. Zur Familie gehörten fünf Kinder zwischen 3 und 13 Jahren und ein Großvater. Der Haushalt wurde durch Rabatte des Konsumvereins und günstigen Kohlenbezug der Zeche entlastet.55 Ein Mitverdienst der Kinder war in allen Fällen nicht vorhanden, da diese noch zu klein waren. Laut Krziža verdienten in maximal einem Fünftel der Familien die Kinder mit.56

Es erstaunt, daß selbst der Tagelöhner von seinen gut 1000 Mark im Jahr leben konnte und sogar als einziger noch geringe Überschüsse erwirtschaftete. Hier zeigen sich gerade die Ausgaben für Kleidung sehr elastisch, damit wurde die Armut aufgefangen. Auch die Ernährung war um einiges bescheidener. Wie bei den Familien, die das Jahr mit einem Defizit beendeten, dieses abgetragen wurde, ist leider nicht belegt, aber diese Familien konnten das Folgejahr mit einem Plus abschließen, auch hier war die Kleidung der Posten, bei dem am meisten gespart wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Haushaltsbücher von Arbeiter-Familien 57 Angaben in Mark

[...]


1 Bachem-Rehm (2004), S.15

2 Genaueres zum Volksverein siehe: Heitzer (1979)

3 Ammich (1991)

4 Nichelmann (1956), S.24-44

5 Müller (1988), S.116

6 Haller (2007), S.2

7 Müller (1988) S.25, siehe auch Tab..A1 im Anhang

8 Haller (2007) S.11f.

9 Haller (2007), Anhang, S.3-6

10 Müller (1988), S.32

11 Müller (1988), S.117

12 In: Nichelmann (1956), S.128

13 Koschemann (1981), S.35ff.

14 Laschinger (1998), S.25

15 Götschmann (1979), S.77-136

16 Janssens (2009), S.23

17 Janssens (2009), S. 52

18 Dgl., S.64 ff.

19 Dgl., S.79 f.

20 Janssens (2009), S.66-78

21 Janssens (2009), S. 84-94

22 Dgl., S. 120f. u. 139f.

23 Dgl., S. 125ff

24 Nichelmann (1956), S.74-81

25 AT Nr.1 vom 1. Januar 1859 und Nr.105 vom 5. Mai 1860

26 Nichelmann (1956), S.99-103

27 Betriebsordung der Eisenwerkgesellschaft Maximilianshütte von 1866, in: Nichelmann (1956), S.159-162

28 Ritter (1992), S.399f.

29 Nichelmann (1965), S.151f. u. 177

30 Amberger Tagblatt Nr. 198 vom 27. Juli 1898

31 Nichelmann (1965), S.152

32 Sulzbacher Wochenblatt Nr. 36 vom 23.03.1907 u. Nr. 38 vom 28. 03. 1907; AT Nr. 96 vom 9.04.1907

33 AV vom 16.9.1907

34 Müller (1988), S.121

35 Sulzbacher Wochenblatt Nr. 151 vom 17.12.1907; Nr.152 vom 19. 12. 1907; Nr. 11 vom 25.01.1908

36 Müller (1988), S.122

37 Sulzbacher Wochenblatt Nr. 18 vom 11.02.1908

38 Laschinger (1998), S.10

39 Nichelmann (1986), S.138

40 Dgl., S.152

41 Dgl., S.164-181

42 Nichelmann (1986), S.217 u. 281

43 Nichelmann (1986), S.255-263

44 Dgl., S.273ff., 283f.

45 Koschemann (1981), S.23ff.

46 Haller (2007), S60-74

47 AV vom Januar 1896 (mehrere Ausgaben)

48 Haller (2007), S.77ff.

49 Ritter (1992), S.354-360

50 Dgl., S.529ff.

51 Müller (1988), S.54f.

52 Müller (1988), S.86

53 Schulze (1981), S.490ff.

54 Krziža (1914), S.4-6

55 Dgl., S.9, 15

56 Dgl., S.31

57 Daten aus Krziža (1914), S.215, 230 und 232

Ende der Leseprobe aus 125 Seiten

Details

Titel
Arbeiter im Raum Amberg und ihre katholischen Arbeitervereine von 1870-1918
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Kultur-und Sozialwissenschaften)
Note
1,5
Autor
Jahr
2012
Seiten
125
Katalognummer
V275453
ISBN (eBook)
9783656678731
ISBN (Buch)
9783656678748
Dateigröße
8276 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arbeiter, raum, amberg, arbeitervereine
Arbeit zitieren
Werner Rother (Autor:in), 2012, Arbeiter im Raum Amberg und ihre katholischen Arbeitervereine von 1870-1918, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275453

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