Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren in der frühpädagogischen Landschaft in Deutschland
2.1 Vielfalt und Varianz
2.2 Wahrnehmendes, entdeckendes Beobachten als wesentlicher Teil professioneller Kompetenz von pädagogischen Fachkräften
3. Literaturverzeichnis
1. Einführung
Kinder in ihrem Tun zu beobachten und wahrzunehmen ist schon lange ein wichti- ger Bestandteil im Handeln von frühpädagogischen Fachkräften und insofern nicht neu.
Jedoch fand erst binnen des letzten Jahrzehnts die Beschreibung der Kinderta- geseinrichtungen als Bildungsorte, in bildungspolitischen Maßnahmen und in der frühpädagogischen Praxis, eine Entsprechung (vgl. Cloos u.a. 2011, S.7). Beson- ders hervorzuheben sei in diesem Kontext die Publikation der ersten PISA Ergeb- nisse. Obwohl es sich in dieser Untersuchung um unzureichende Leistungen von Schülerinnen und Schüler handelt, trug diese maßgeblich zu einer „gesellschaftli- chen Neuentdeckung der Bedeutung frühkindlicher Bildung“ bei (Leu u.a. 2007, S. 11).
Seitdem entstanden neben Veröffentlichungen von Rahmen-, Orientierungs- und Bildungsplänen, auch eine Bandbreite an Maßnahmen, die kindliche Bildungsprozesse professionell unterstützen sollen - so zum Beispiel vielfältige Beobachtungsund Dokumentationsverfahren.
Als eine für notwendig erachtete Konsequenz verabschiedete die Kultusministerkonferenz am 03./04. Juni 2004 in ihrem „gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ unter Anderem folgenden Beschluss zur Qualitätsentwicklung pädagogischer Arbeit:
„Grundlegende Voraussetzung für die Umsetzung der Rahmenpläne ist die Wahr- nehmung der Fragen, Interessen und Themen der Kinder, denn diese sind […] Ausdruck des kindlichen Bildungsinteresses und damit Zentrum der zu planenden Angebote“.
Ferner sollen „die Kinder […] daraufhin beobachtet werden, was ihre Stärken und Schwächen in dem jeweiligen Bildungsbereich sind, wie sie Anregungen aufnehmen und wie sie sich damit beschäftigen. Systematische Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklungsprozesse sind erforderlich“.
Obendrein können „alle am Bildungsgeschehen Beteiligten […] Lernende wie auch Lehrende sein. Voraussetzung ist, dass die Fachkräfte ihr eigenes Verhalten und ihre eigenen Zugänge, Vorlieben und Abneigungen im Hinblick auf den jeweiligen Bildungsbereich beobachten und reflektieren“ (Beschluss der Kultusministerkonfe- renz 2004, S. 5f).
Der bildungspolitische Auftrag findet in diesen Formulierungen eine präzise Fest- schreibung für die pädagogische Praxis: Die frühpädagogischen Fachkräfte sollen Fragen, Interessen und Themen der Kinder wahrnehmen und diese zur Ausgangs- lage der zu planenden Angebote machen. Durch eine systematische Beobachtung und Dokumentation sollen im Anschluss Erkenntnisse gewonnen werden, wie die- se Angebote von den Kindern angenommen werden und wie sie sich damit be- schäftigen. Parallel dazu sollen die Stärken und Schwächen in einzelnen Bil- dungsbereichen beobachtet werden. Dabei verstehen sich die Fachkräfte sowohl als Lehrende und Lernende zugleich, die sich in ständiger Selbstreflexion befin- den.
Zusammengefasst wird derzeit die Kombination aus Beobachtung und Dokumen- tation verstärkt als eine wichtige Erkenntnisquelle für die Unterstützung und Be- gleitung kindlicher Bildungsprozesse gesehen. Insofern dient sie dem aktuellen bildungspolitischen Anspruch der frühen Förderung von Bildung und Lernen. Daher ist es naheliegend, dass die Forderungen, deutlich zu machen und zu do- kumentieren, was denn an Lernprozessen in Kindertageseinrichtungen stattfinden und unter welchen Rahmenbedingungen diese besonders fruchten, generell in den landesrechtlichen Regelungen sowie Bildungsplänen verankert wurden.
So wird beispielsweise in der Vereinbarung der Bildungsarbeit von Kindertages- einrichtungen in Nordrhein-Westfalen folgender Grundsatz formuliert: „Für eine zielgerichtete Bildungsarbeit ist die beobachtende Wahrnehmung des Kindes, ge- richtet auf seine Möglichkeiten und die individuelle Vielfalt seiner Handlungen, Vorstellungen, Ideen, Werke, Problemlösungen u.ä.. […] Dazu wird angestrebt, dass Beobachtung und Auswertung von der pädagogischen Fachkraft notiert und als Niederschrift des Bildungsprozesses des einzelnen Kindes dokumentiert wer- den […]“ (MSJK 2003, S.7).
Laut Steudel, A. 2008 scheint es aber eine grundsätzliche Problematik in der prak- tischen Umsetzung der jeweiligen Vereinbarungen der Bundesländer bezüglich des Verfahrens, die an Kindertageseinrichtungen gestellt werden, zu geben.
Sie begründet ihre Aussage damit, dass die Forderungen nach einer professionel- len Bildungsarbeit durch fehlende Explikationen ihres Inhalts und dessen Umset- zung erschwert wird. Es gibt nur wenige Aussagen innerhalb der Pläne und Rah- menvereinbarungen darüber, „wie ein […] gefordertes Beobachten aussehen soll- te, damit es einem qualitätsvollen Handeln entspricht. […] Die Praxis ist [damit] zu einem Handeln gezwungen, ohne dass es aktuelle, theoretische fundierte Aussa- gen darüber gibt, wie beispielsweise ein Beobachten aussehen kann“ (ebd., S.23).
Auch Schäfer (2005, S. 164) kritisiert die ungenaue Formulierung der Bildungsplä- ne, konkret an der Vereinbarung NRW: Was genau wird mit „zielgerichteter Bil- dungsarbeit“ gemeint? Wie sieht eine Niederschrift des Bildungsprozesses einzel- ner Kinder in Dokumentationen aus, wenn gefordert wird „die individuelle Vielfalt [… der] Handlungen, Vorstellungen, Ideen und Problemlösungen“ von Kindern festzuhalten?
Die Verunsicherung darüber, welche Form von Beobachtung und Dokumentation diesen Anforderungen gerecht werden könnte, führt „zu einer explosionsartigen Entwicklung von Beobachtungsbögen in der Trägerlandschaft“ (ebd.). Angesichts des Handlungsdrucks, sei die Versuchung daher groß auf Beobachtungsbögen oder Einschätzskalen zu greifen, die sich nur auf Ausschnitte kindlicher Entwick- lung beziehen und die Ganzheitlichkeit des Kindes außer acht lassen (vgl. ebd.).
Aufgrund der oben dargelegten Problematik, soll in Kapitel 2 ein kurzer Überblick über die bunte Landschaft der Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren ge- zeigt werden, um abschließend auf die wahrnehmende Beobachtungsform nach Gerd Schäfer einzugehen. Nach meinem Erachten, ist diese Form für die pädago- gische Praxis geeignet, um kindliche Bildungsprozesse nachvollziehbar zu ma- chen und um diese im Anschluss begleitend unterstützen zu können.
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