Der kurze, von Max Brod mit "Heimkehr" überschriebene Prosatext Franz Kafkas ist wohl erst im Nov. 1923 entstanden, er findet sich im Blauen Schulheft "Im Dunkel der Gasse ...". Der den Versuch einer Heimkehr machende Ich-Erzähler ist gleichzeitig erlebendes und erzählendes Ich. Der Text ist als reine Gedankenwiedergabe der erzählten, namenlosen Ich-Figur ein innerer Monolog des Narrators, in diesem stummen Selbstgespräch ohne personifizierte Hörer erfahren wir, dass die Heimkehr auch des-halb misslingt, weil der Protagonist eigentlich gar nicht heimkehren will. Das Nar-rator-Ich, wie es sich bei seiner Heimkehr benimmt, ist weniger ein handelndes als vielmehr ein zögerndes Ich. Offensichtlich hat das Ich Schwellenangst: es ängstigt sich vor dem Betreten der ihm fremd erscheinenden Räume, ist innerlich verunsichert gegenüber der ihm nicht mehr vertrauten Umgebung und familialen Situation. Deshalb zögert es vor der Tür. Das Ich hat Angst, sich in den Umkreis der sozialen Gruppe seiner alten Familie zu begeben. Hier hätte ein auktorialer Erzähler wie ein Deus ex machina das Ich dazu bewegen können, die Schwelle zu überschreiten. Der hier vor-
herrschende personale Erzähler tritt aber hinter die Figur des sich nicht einzu-treten trauenden Protagonisten zurück und sieht die Wechselbeziehung zwischen dem nicht agierenden Ich und der darum ausbleibenden Reaktion der hinter der Tür der Küche vermuteten Familie nur mit den Augen des einsamen Ich-Erzählers. Die "Heim-kehr" ist keine Lehrparabel alten Stils, auch keine offene Parabel, da sie nach Zymner keine Transfersignale aufweist, sondern, wie schon Friedrich Beißner festgestellt hat, eine kurze Erzählung, in der Kafka die Figur eines Scheiternden konfiguriert hat. Der in eine aporetische Lage geratene und daher scheiternde Ich-Erzähler lässt sich aus meiner Sicht daher hermeneutisch deuten als eine von Kafka geschaffene erzählte Figur, in der sich die vom Autor gewollte Exklusion aus der Gemeinschaft verkörpert. Bei der inhaltlich-formalen Analyse habe ich mich der Terminologie Jochen Vogts ("Aspekte erzählender Prosa", 1998) und Jürgen H. Petersens ("Erzählerische Texte", 1989) bedient, mit der ich in meinem Oberstufenunterricht gute Erfahrungen gemacht habe. Bei der Gattungsbestimmung des Textes, ob er eine parabolische Form aufweise bzw. eine Parabel oder eine Erzählung sei, bin ich den Ausführungen R. Zymners in "Uneigentlichkeit. Studien zur Semantik und Geschichte der Parabel" (1991)gefolgt.
Inhaltsverzeichnis
Text
1. Einordnung des Textes in Kafkas Gesamtwerk
2. Ich-Erzählform und personales Erzählverhalten
3. die literarische Vorlage der Heimkehr
4. inhaltliche und formale Textanalyse
5. eine hermeneutische Deutungsmöglichkeit
6. die Heimkehr: parabolische Form, Parabel oder Erzählung?
7. Zusammenfassung
Franz Kafka, Heimkehr
Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinan-derverfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin zurückgekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht, an der Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leisen Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.[1]
Franz Kafka, Heimkehr
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