Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Märchen
2.1. Der Begriff „Märchen“ und seine Bedeutung
2.2 Das Volksmärchen im Vergleich zum Kunstmärchen
3. Das Volksmärchen „Hänsel und Gretel“
3.1. Inhalt des Märchens „Hänsel und Gretel“
3.2. Begründung für die Wahl des Märchens “Hänsel und Gretel”
3.3. Der Begriff „Selbstwirksamkeit“ und seine Bedeutung
4. Zielsetzung aus den Vorüberlegungen
4.1. Begründung für die Wahl der Zielsetzung
4.2. Erläuterung der Zielsetzung
5. Lerngruppe und Rahmenbedingungen
5.1. Vorstellung der Lerngruppe
5.2. Räumliche Rahmenbedingungen
5.3. Personelle Rahmenbedingungen
6. Darstellung der Methoden und Medien
6.1. Methoden
6.2. Gelenktes Rollenspiel
6.3. Medien
7. Darstellung der Unterrichtsreihe
8. Exemplarische Darstellung einer Unterrichtsstunde
8.1. Begründung für die Wahl der Zielsetzung
8.2. Erläuterung der Zielsetzung
8.3. Begründung und Erläuterung des Inhalts
8.4. Lernvoraussetzungen
8.5. Stundenverlauf
8.6. Reflexion der Unterrichtsstunde
9. Reflexion der Themenreihe
10. Literaturverzeichnis
10.1 Bücher
10.2. Internetseiten
10.3. Sonstige
1. Einleitung
In unserem Team stand die Entscheidung für die nächste Themenreihe an. Mein Vorschlag, das Thema Märchen in den Mittelpunkt zu stellen, fand im Team schnell Zustimmung. Das Wissen, dass die meisten unserer hörgeschädigten Kindergartenkinder von ihren Eltern zu Hause keine Märchen vorgelesen oder erzählt bekommen, bestärkte uns in unserer Entscheidung.
Märchen entführen Kinder in eine wunderbare Traumwelt, sie beflügeln ihre Fantasie durch ihre bildhafte Sprache und sprechen besonders ihre Gefühle an.[1] Gerade für Kinder ist der Schatz der Märchen sehr umfangreich. Obwohl es verschiedene Formen von Literatur für Kinder gibt, sind es aus meiner Erfahrung die Märchen, die die Kinder am meisten emotional ansprechen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine beiden Söhne im Kindergarten- und frühen Grundschulalter die Märchenvorlesestunden geliebt haben. Die ungeteilte Aufmerksamkeit durch einen Erwachsenen beim Vorlesen gibt den Kindern Zuwendung, Geborgenheit und Wärme.
Einerseits haben Kinder noch kaum Worte für ihre Empfindungen, andererseits verstehen sie auf der Bewusstseinsebene ihrer Entwicklung schon einiges vom Leben und den Konflikten, die es auszutragen gilt.[2] Überall auf der Welt haben die Märchen die Aufgabe alte Weisheiten zu bewahren, Problemlösungen zu bieten und Normen und Werte zu vermitteln. Märchen können besonders Kindern helfen zu lernen, wie Konfliktsituationen gemeistert und wie Schwierigkeiten überwunden werden. Deshalb halte ich Märchen für ein notwendiges Element zur Unterstützung der kindlichen Entwicklung, heute mehr als je zuvor.[3] Der Psychologe Dr. Oliver Rien hat in seinem Vortrag über herausforderndes Schülerverhalten (von hörgeschädigten Schülern) diesen Aspekt der Märchen besonders betont.[4]
Kinder sitzen heute oft viele Stunden vor dem Computer oder dem Fernsehgerät. Sie sind zur Passivität verurteilt, werden mit bunten Bildern, schnellen Handlungs-wechseln und ständig neuen emotionalen Eindrücken konfrontiert.[5] Der Neuro-biologe Hüther spitzt dies zu, indem er formuliert:
„Auf ihre Fragen bekommen sie keine Antworten, ihre Vorschläge hört niemand und sie können nichts ändern. Sie machen die Erfahrung, dass es nicht auf das eigene Handeln und die selbständige Suche nach Lösungen ankommt. Solche Kinder können nur schwer ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und eigener Bedeutsamkeit entwickeln“.[6]
Damit es den Kindern aber heute gelingt, sich bei den vielen Angeboten und Erwartungen zurechtzufinden, brauchen sie Orientierungshilfen, d.h. sie brauchen äußere Vorbilder und innere Leitbilder, die ihnen Halt bieten. Diese Orientierungshilfen zur Bewältigung altersentsprechender Aufgaben können ihnen die Märchen bieten. Sie behandeln zwar nicht die Probleme, die Kinder in der heutigen Zeit haben können, doch lassen sich Bezüge zu den inneren Konflikten, denen sich Kinder oftmals ausgesetzt fühlen, herstellen. Das Märchen unterhält die Kinder, klärt sie über ihr Innerstes auf und fördert ihre Persönlichkeitsentwicklung.[7]
2. Märchen
2.1. Der Begriff „Märchen“ und seine Bedeutung
Märchen gehören zur Literaturform der Epik und sind eine der ältesten Formen mündlicher Überlieferung. Das seit dem 15. Jahrhundert bezeugte mitteldeutsche Wort „Märchen“ ist eine Diminutivform zu dem heute veralteten Nomen "Mär" oder "Märe".[8] Bis ins 19. Jahrhundert war "Märchen" in der Bedeutung von "Nachricht", "Kunde", "kleine Erzählung", aber auch im Sinne von "Gerücht" gebräuchlich. Abgeleitet ist das Wort wohl von dem mittelhochdeutschen Verb "mæren", bzw. dem althoch-deutschen Verb "maren" (=verkünden, rühmen).[9] Es handelt sich bei diesen kurzen Erzählungen überwiegend um erfundene Handlungen.
Im 18. Jhdt. wurden in Frankreich die Bände der Märchen aus „Tausend und einer Nacht“ veröffentlicht und hatten großen Erfolg. Die Vorlage dafür lieferten Aufzeichnungen in arabischer Schrift aus dem 14. Jahrhundert, nach mündlichen Erzählungen eines syrischen Maroniten.[10]
Die Geschichte des Volksmärchens erlebte im 19. Jahrhundert einen großen Aufschwung in Deutschland, vor allem durch die Veröffentlichung der berühmten Märchensammlung „Kinder- und Hausmärchen“ von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm Sie haben die Märchensprache in einer Weise geändert, dass sie auch Kindern vorgelesen werden konnten.[11]
Märchenfiguren können Menschen, aber auch Fabelwesen aus der Tier- und Pflanzenwelt sein. Naturgesetzte sind außer Kraft gesetzt, die reale Welt wird mit Elementen des Irrealen vermischt. Ausgangspunkt eines Märchens ist meistens eine Konfliktsituation: Nöte, Schwierigkeiten und Probleme müssen von einem meist einsamen Märchenhelden im Handlungsverlauf bewältigt werden. Die Überwindung von Hindernissen ist insofern das zentrale Märchenthema. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein Mensch, der sich äußerlich und innerlich befreien kann und am Ende über sich hinauswächst. Oft ändert sich dadurch auch sein sozialer Status: Aus einem armen Müllers Sohn wird ein Prinz, aus einem armen Mädchen schließlich die „Goldmarie.“[12] Eigene Gefühle der Märchenfiguren werden nicht näher beschrieben, das Märchen beschränkt sich bezüglich seiner Figuren und seines linearen Aufbaus auf einfache Aussagen. Ebenso kommt, dadurch dass alles mit einfachen Aussagen, in straffer Abfolge als geschlossene Einheit aufgefasst wird, keine Individualisierung zustande.[13]
Ein Märchen beginnt und endet mit formelhaften Wendungen („Es war einmal…“, „Und sie lebten glücklich und zufrieden…“.), die nach Zitselsperger Zeitlosigkeit und Irrealität verdeutlichen sollen und kennzeichnend für den abstrakten Stil des Märchens sind.[14]
Ein weiteres Merkmal ist das Prinzip des Kontrastes: Gut und Böse, Schön und Hässlich (usw.) stehen einander gegenüber. Nach Bettelheim bewirkt die Polarisie-rung ein „Denken in Kontrasten“[15], das für die Kinder aus entwicklungspsycholo-gischer Sicht von großer Bedeutung ist. Besonders ermutigend ist der Sieg des zunächst scheinbar Schwachen. In vielen Märchen spielt auch das Prinzip der Wiederholung eine wichtige Rolle. Sie füllen das Märchen aus und bauen Spannung auf.
2.2 Das Volksmärchen im Vergleich zum Kunstmärchen
Märchen teilt man allgemein in die beiden Hauptgruppen - Volksmärchen und Kunstmärchen - ein.[16]
Die Kunstmärchen entstammen der Schöpfung eines bestimmten Dichters oder Schriftstellers, z.B. H.C. Andersen, W. Hauff, E.T.A. Hoffmann. Sie übernehmen häufig Stil, Themen und Elemente der Volksmärchen, weisen aber weder deren eindimensionale Erzählform, auf noch erschöpfen sie sich in stereotyper Abstraktion von Ort, Zeit und handelnden Personen.[17] Anders als in Volksmärchen werden ihre Figuren und deren Probleme psychologisiert, d. h. das Schema Schwarz-Weiß durchbrochen, was eine Moral im eigentlichen Sinne nicht erkennbar werden lässt.
Kunstmärchen haben oft eine verschachtelte Form (Märchen im Märchen), unterscheiden sich also auch in dieser Hinsicht stark von den „einfachen“Volksmärchen.[18] Ebenso verzichten sie auf die volksmärchenhaften Eingangs- und Schlussformeln "Es war einmal…" oder "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute".[19]
Die Märchen, die wohl den meisten bekannt sind, werden als Volksmärchen bezeichnet. Sie werden nach allgemeiner Auffassung als die „eigentlichen“ Märchen angesehen und haben so den Begriff des Volksmärchens weitgehend geprägt. Für die Arbeit mit Kindern ist dies die wichtigste Form des Märchens, weil in ihnen der „Weg des Helden“ über viele Hindernisse und Irrungen hinweg stets zu einem glücklichen Ende führt.
Die Volksmärchen stellen die traditionelle Form des Märchens dar. Sie basieren auf mündlich überlieferten Stoffen und haben im Gegensatz zum direkt niedergeschriebenen Kunstmärchen keine feste Textgestalt, die sich auf einen einzelnen Verfasser zurückführen lässt. Bevor sie von Sammlern fixiert und redigiert wurden, existierten sie in unterschiedlichen Erzählversionen.[20] Die Märchen der Brüder Grimm stammen nicht aus eigener Feder, sondern sind Überlieferungen. Ihre Leistung bestand darin, diesen Vorlagen einen eigenen Ton, eine einheitliche Gestalt gegeben zu haben. Sie haben die Märchensprache, die uns natürlich erscheint, erst konstruiert. Ihre Sprache ist schlanker und poetischer, sie fingiert Volkstümlichkeit, sie ist angereichert mit den Alltagsweisheiten und Redewendungen ihrer Herkunft.[21]
Da es zumeist die Volksmärchen sind, und gerade solche aus der Grimm’schen Sammlung der "Kinder und Hausmärchen", die für die Kinder den ersten Kontakt zur Literatur überhaupt darstellen,[22] habe ich auch eines dieser Volksmärchen ausgesucht, das Märchen „Hänsel und Gretel“.
3. Das Volksmärchen „Hänsel und Gretel“
3.1. Inhalt des Märchens „Hänsel und Gretel“
[23] Das Märchen „Hänsel und Gretel“ wurde zum ersten Mal 1812 von den Brüdern Grimm als Volksmärchen aufgeschrieben. Das Märchen stammt aus mündlicher Überlieferung und wurde, außer von den Brüdern Grimm, auch von Ludwig Bechstein (1856) und von Franz von Pocci nacherzählt und illustriert (1838). Die Namen „Hänsel“ und „Gretel“ greifen die verbreitetsten Taufnamen der damaligen Zeit - Johannes und Margarete - auf und begegnen uns in dieser Zusammenstellung in der Frühen Neuzeit häufig als fiktive Platzhalternamen.[24]
Das Märchen „Hänsel und Gretel“ ist die Geschichte eines Geschwisterpaares. Der Junge Hänsel und das Mädchen Gretel sind die Kinder einer Holzhackerfamilie, die in Armut lebt. Als ihre Nahrung bis auf einen Laib Brot restlos aufgebraucht ist, beschließen die Eltern, auf Initiative der Mutter, ihre Kinder im Wald auszusetzen. Die Kinder, die das Gespräch belauscht haben, sammeln daraufhin Kieselsteine, welche Hänsel als Markierung benutzen will, um den Weg wieder zurück nach Hause zu finden. Am nächsten Morgen gehen die Eltern mit ihren Kindern in den Wald. Sie zünden ein Feuer an, geben ihnen das letzte Stück Brot und fordern sie auf zu warten, bis der Vater mit der Arbeit fertig ist. Hänsel und Gretel schlafen ein. Nachdem sie aufwachen, stellen sie fest, dass sie allein im Wald sind. Sie warten das Mondlicht ab und finden mit Hilfe der Kieselsteine, die im Mondlicht leuchten, den Weg nach Hause zurück.
Wenige Zeit später tritt wieder die Situation ein, dass die Eltern nicht für alle genug zu essen haben, und diesmal beschließen die Eltern, die Kinder noch tiefer in den Wald zu führen. Die Mutter verschließt diesmal die Tür, so dass Hänsel keine Kieselsteine sammeln kann. Daraufhin streut Hänsel Brotkrümel aus, die aber von den Vögeln des Waldes aufgefressen werden. Die Kinder sind nunmehr im Wald allein gelassen und auf sich selbst gestellt. Nach drei Tagen erfolgloser Suche und hungrig entdecken sie ein Haus, das aus Brot und Kuchen gebaut ist. Sie essen von dem Haus, woraufhin ihnen eine alte Frau (die Hexe) die Tür öffnet und sie hinein bittet. Zunächst ist die Hexe freundlich zu den Kindern, gibt ihnen reichlich zu essen und ein weiches Bett. Hänsel findet sich jedoch am darauffolgenden Morgen in einem Käfig wieder, in den ihn die Hexe gesperrt hat, um ihn zu mästen. Währenddessen muss Gretel kochen und putzen. Hensel überlistet die Hexe, indem er statt seines Fingers immer ein Knöchelchen aus dem Käfig hält. So verhindert er zunächst von der Hexe aufgegessen zu werden. Als dann aber Gretel doch den Ofen anheizen muss, stößt sie mit Hilfe einer List die Hexe selbst hinein, die infolgedessen elend verbrennen muss. Die geretteten Kinder finden die Schätze der Hexe und treten mit ihnen den Heimweg an. Dabei kommen sie an ein großes Wasser, das sie nur mit Hilfe einer Ente überqueren können. Als die Kinder endlich zu Hause ankommen, ist die Mutter gestorben. Dank der erlangten Schätze können Vater und Kinder in Glück und Zufriedenheit und ohne Not leben.
3.2. Begründung für die Wahl des Märchens “Hänsel und Gretel”
Hänsel und Gretel ist eines der bekanntesten Märchen unter den Grimm’schen Volksmärchen. Es ist ein Märchen, in denen zwei jüngere Geschwister sich gegenseitig retten, was ihnen nur gelingt, indem sie sich einander helfen. Das Märchen ,,Hänsel und Gretel" beschreibt den Weg dieser Kinder, auf dem sie Identität, Autonomie sowie Selbstvertrauen erlangen. Die beiden Kinder werden im Wald ausgesetzt, um ihren eigenen Weg nach Hause zu finden. Auf diesem Weg lernen sie, ohne ihre Eltern mit schwierigen Situationen fertig zu werden.
Dieses Märchen beschreibt in zeitlosen Bildern den mühsamen Weg, den es kostet, von einem Kind zu einem Erwachsenen zu werden. So ist das Märchen „Hänsel und Gretel“ in sich selbst Wegweiser und Richtmarke des Unterbewussten. [25]
Die sehr jungen Kinder Hänsel und Gretel sprechen vor allem jüngere Kinder an. Sie befinden sich in einem ähnlichen Alter, wie die Kinder unseres Kindergartens. Zur Auswahl gerade dieses Märchens hat mich weiterhin bewogen, dass beide Geschlechter, sowohl Junge als auch Mädchen, Helden dieser Geschichte sind. Mit ihnen können sich alle Kinder identifizieren. Auch die Tatsache, dass es sich um Geschwister handelt, ist von Vorteil. Die meisten unserer Kindergartenkinder haben Geschwister, einige von ihnen auch auf unserer Schule. Lukas und Fabian sind als Geschwister sogar zusammen in unserem Kindergarten. Die Kinder fühlen sich auch daher durch die Geschichte emotional angesprochen. Der entscheidende Aspekt für die Auswahl des Märchens „Hänsel und Gretel“ ist die Möglichkeit gerade für kleine Kinder, Vorbilder für selbstwirksames Handeln und neue Verhaltensmuster zur Orientierung kennen zu lernen. Im Alltag erleben wir häufig hörgeschädigte Kinder, die wenig Selbstbewusstsein haben. Es fällt auf, dass sie sich selbst bei kleinen Schwierigkeiten nicht zu helfen wissen. Sie suchen nicht nach eigenen Lösungsmöglichkeiten, zeigen wenig Anstrengungsbereitschaft und wenden sich direkt an erwachsene Personen. Gerade Eltern hörgeschädigter Kinder muten diesen Kindern oft weniger zu als ihren hörenden Geschwistern. Sie tragen in der Regel auch keine Märchen an sie heran, weil sie ihren hörgeschädigten Kindern nicht zutrauen eine Geschichte anzuhören und zu verstehen.
Diese Gründe sprechen für mich dafür, das Märchen „Hänsel und Gretel“ in den Mittelpunkt dieser Themenreihe zu stellen.
Zugleich scheint es, als habe gerade dieses Märchen dem kleinen Kind, das sich darauf vorbereitet, seine ersten Schritte in die Welt zu gehen, am meisten zu bieten.[26]
„Es verleiht seinen Ängsten Gestalt und vermittelt zugleich Beruhigung, denn diese Ängste erweisen sich sogar in ihrer übersteigerten Form – Angst gefressen zu werden – als unbegründet.“[27] schreibt Bettelheim.
Am Ende ist es soweit, sich nicht mehr auf die Eltern zu verlassen, sondern sich zur Bewältigung der Lebensaufgaben mit den Altersgenossen zusammenzutun. Kinder können durch das Märchen lernen darauf zu vertrauen, eines Tages die Gefahren der Welt meistern zu können. Das Märchen von „Hänsel und Gretel“ macht Mut sich auch den Phantasieprodukten seiner unreifen Angst (bspw.: die kinderfressende Hexe) zu stellen. Solche Märchen schenken dem Kind das Vertrauen, dass es nicht nur mit realen Gefahren fertig werden kann, sondern sogar mit den stark übertriebenen, die nur in seiner Angst existieren.[28]
3.3. Der Begriff „Selbstwirksamkeit“ und seine Bedeutung
Da unsere Kindergartenkinder in der Themenreihe „Hänsel und Gretel“ anhand der beiden Kinder im Märchen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entwickeln sollen, werde ich diesen Begriff der Selbstwirksamkeit im Folgenden näher erläutern.
Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf die sozial-kognitive Lerntheorie von Albert Bandura (1977) zurück. Das „Selbst“ bestimmt demnach, wie Menschen fühlen, denken und handeln. Es beschreibt die Gesamtheit dessen, wie eine Person sich wahrnimmt. Dabei nimmt die Selbstwirksamkeit einen zentralen Platz ein. Selbstwirksamkeit kennzeichnet die Überzeugung, schwierige Anforderungen aus eigener Kraft meistern zu können. Es ist der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, künftige Ziele und Herausforderungen zu meistern. Sie stärkt Motivation und Willenskraft und fördert anspruchsvolle Zielsetzungen, Anstrengung, Ausdauer und Leistung. Diese Einflüsse sind weitgehend unabhängig von den tatsächlichen Fähigkeiten.[29]
Eltern, besondere Bezugspersonen und Pädagogen sind für das Kind Vorbilder und liefern Verhaltensmodelle. So sollen sie lernen Schwierigkeiten, denen sie auf ihrem Weg ins Leben begegnen, nicht auszuweichen, sondern mit ihrer Hilfe zu überwinden und Problemlösungsstrategien zu entwickeln.
Nach Albert Bandura[30] entsteht Selbstwirksamkeit durch Erfolgserfahrung:
-direkte persönliche Erfolgserfahrung (“Mastery Experience”)
-indirekte oder stellvertretende Erfolgserfahrung (Verhaltensmodelle → Lernen am Vorbild)
-Symbolische Erfolgserfahrung (sprachliche Überzeugung, Ermutigung)
4. Zielsetzung aus den Vorüberlegungen
4.1. Begründung für die Wahl der Zielsetzung
Der Schwerpunkt der Zielsetzung dieser Unterrichtsreihe liegt im Förderbereich emotionale personale Kompetenz, mit dem Schwerpunkt Selbstwirksamkeit. Dieser Schwerpunkt gehört zu den Basiskompetenzen, die bei Kindern im Vorschulalter zu fördern sind[31].
Die Kinder lernen das Märchen „Hänsel und Gretel“ kennen und sollen anhand des Verhaltens der beiden Kinder im Märchen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entwickeln.
Im Märchen „Hänsel und Gretel“ gibt es verschiedene Situationen, in der Hänsel und Gretel verschiedene Ideen und Handlungsmöglichkeiten entwickeln, um sich aus ihrer Situation selbst zu befreien:
- Die Kinder wissen genau, dass sie, um zu überleben, auf ihre Eltern angewiesen sind. So denkt sich Hänsel eine Strategie aus, wie sie, nachdem ihre Eltern sie allein gelassen haben, wieder nach Hause zurückfinden (sammelt Kieselsteine). Er ist einfallsreich, bleibt Herr der Lage und setzt seinen Plan in die Tat um.
- Auch bei dem zweiten Versuch, die Kinder im Wald auszusetzen, hat Hänsel wieder eine Idee. Da er keine Steine sammeln kann (die Tür ist verschlossen), streut er Brotkrümel aus. Diese werden von den Vögeln im Wald aufgefressen, und so müssen sich beide Kinder nach dem misslungenen Versuch, wieder nach Hause zu kommen, ihrer Situation stellen.
- Ohne zu überlegen, wem das Haus aus Kuchen wohl gehört, geben die Kinder ihrem Hunger nach und überhören die warnende Stimme. Sie begeben sich damit zwar unwissend in eine neue Gefahr, aber so verhungern sie nicht und bleiben am Leben.
- Hänsel weiß, dass Hexen schlecht sehen können und streckt der Hexe statt seines Fingers einen Knochen entgegen. So entkommt er erst einmal der Gefahr von der Hexe aufgegessen zu werden.
- Als Hänsel droht von der Hexe aufgegessen zu werden, übernimmt Gretel die Initiative. Sie täuscht die Hexe durch kluges Verhalten und stößt sie mutig in den Ofen. Gretel begeht also die entscheidende Tat. An dieser Stelle beweist sie, dass sie auch in schwierigen Situationen ohne ihren Bruder Hänsel eine Lösung findet. Durch die Gefangenschaft ihres Bruders lernt Gretel autonom zu handeln und zeigt Selbstbewusstsein.
- Gretel macht ihren Bruder darauf aufmerksam, dass sie nicht beide zusammen mit der Ente über das Wasser gelangen können, da sie zusammen für die Ente zu schwer sind. Dass die Kinder beim Überqueren des Wassers nicht zusammen bleiben können, symbolisiert, dass sich ein Kind in diesem Alter seiner Individualität bewusst werden sollte, d.h. nicht länger alles mit anderen teilen kann und selbständig werden muss.
- Die Kinder finden nach dem Tod der Hexe Perlen und Edelsteine, die sie an sich nehmen, bevor sie sich auf dem Weg nach Hause machen. Als abhängige Kinder waren Hänsel und Gretel für ihre Eltern eine Last. Mit den Schätzen aus dem Hexenhaus, dem Selbstvertrauen und der Unabhängigkeit, die sie gewonnen haben, sind sie zu freien Menschen geworden. So werden sie zur Stütze der Familie.[32]
Hänsel und Gretel sind, wie es für Geschwister typisch ist, verschieden, und genau das ist ihre Stärke. Geschwister kennen ihre gegenseitigen Stärken und Schwächen meist ganz genau. Dies zeigt den Kindern, dass man mit anderen Charakteren umgehen lernen muss, aber auch wie man seine eigenen Stärken am besten zur Geltung bringt. Sich mit den Charaktereigenschaften und Persönlichkeits-merkmalen der Geschwister auseinanderzusetzen, sie zu akzeptieren und als gleichberechtigt sowie gleichwertig anzuerkennen und mit ihnen zu leben, das ist eine wichtige Charakterschulung für den Heranwachsenden. Hänsel und Gretel überleben, weil sie sich als Geschwister ergänzen. Ebenso geben sie auch ein hervorragendes Beispiel für eine männlich - weibliche Kooperation. [33]
Mit Hilfe des Märchens können die Kinder lernen darauf zu vertrauen, eines Tages die Gefahren der Welt meistern zu können. Es zeigt in zeitlosen Bildern den mühsamen Weg, den es kostet, von einem Kind zum Erwachsenen zu werden. Sie schildern die Belastungen und Schwierigkeiten, die man überwinden muss.
[...]
[1] Vgl. Bett, Felizitas. Märchen als Schlüssel zur Welt. Eine Anleitung zum Erzählen und im Gespräch mit Kindern. München, 20019, S. 6.
[2] Vgl. Ebenda, S. 7.
[3] Vgl. Rupp, Christina: Märchen wirken Wunder. Augsburg, 1998, S. 24 f.
[4] Vgl. Dr. Rien, Oliver: Fortbildungsveranstaltung: Herausforderndes Schülerverhalten – Hintergründe, Ansätze zum Umgang damit, soziales Training, Essen, 31.01.2014.
[5] Vgl. Pertler, Cordula und Reinhard. Kinder in der Märchenwerkstatt. Kreative Spiel- und Projektideen. München, 2009², S. 12.
[6] Vgl. http://www.gerald-huether.de/populaer/veroeffentlichungen-von-gerald-huether/texte/ maerchen-gerald-huether/index.php. (16.03.2014, 19.30 Uhr)
[7] Vgl. Bettelheim, Bruno: Kinder & Märchen. Kinder brauchen Märchen. München 2001332, S. 18.
[8] Vgl. Lüthi, Max: Märchen. Sammlung Metzler. Band 16. Stuttgart, 200410, S. 1.
[9] Vgl. Freund, Winfrid: Das Märchen. Hollfeld, 2003, S. 9.
[10] Vgl.Lüthi, Max: Märchen. Sammlung Metzler. Band 16. Stuttgart, 200410, S. 49.
[11] Vgl. http://www.schreiben10.com/referate/Literatur/16/MARCHEN---Alter-und-Ursprung-des- Märchens--Übergeordnete-Einteilung-von-Märchentypen-reon.php (24.03.2014, 19.10 Uhr)
[12] Vgl. Zitzelsperger, Helga: Kinder spielen Märchen. Schöpferisches Ausgestalten und Nacherleben. Weinheim, 1984, S. 10.
[13] Vgl. ebd. S. 12.
[14] Vgl. Zitzelsperger, Helga: Kinder spielen Märchen. Schöpferisches Ausgestalten und Nacherleben. Weinheim, 1984, S. 14.
[15] Vgl. Bettelheim, Bruno: Kinder & Märchen. Kinder brauchen Märchen. München 2001332, S. 15.
[16] Vgl. http://www.schreiben10.com/referate/Deutsch/2/MARCHEN-reon.pdf.(16.03.2013, 14.15 Uhr)
[17] Vgl. http://www.kunstmaerchen.de/content/pdf/Kunstmaerchen-Begriff.pdf.(16.03.2013, 14.15 Uhr)
[18] Vgl. http://www.volksmaerchen.de/maerchen.php.(16.03.2013, 14.15 Uhr)
[19] Vgl. Neuhaus, Stefan: Märchen. Tübingen, 2005, S. 9.
[20] Vgl. http://www.kunstmaerchen.de/content/pdf/Kunstmaerchen-Begriff.pdf.(16.03.2013, 14.15 Uhr)
[21] Vgl. Bruno Bettelheim: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen.. München 201332, S. 18ff.
[22] Vgl. Rupp, Christina: Märchen wirken Wunder. Augsburg, 1998, S. 26 f.
[23] Vgl. Otto, Sevend: Die schönsten Märchen der Gebrüder Grimm. Oldenburg 2000. S. 181 ff.
[24] Vgl. Freund, Winfrid: Das Märchen. Hollfeld, 2003, S. 23.
[25] Vgl. Betz, Felicitas: Märchen als Schlüssel zur Welt. Eine Anleitung zum Erzählen und zum Gespräch mit Kindern. München, 20099 . S. 11 f.
[26] Vgl. Bettelheim, Bruno: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen. München, 201332. S. 22.
[27] Bettelheim, Bruno: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen. München, 201332. S. 22.
[28] Vgl. Bettelheim, Bruno: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen. München, 201332. S. 190f.
[29] Vgl. studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/gs- sim/service_download/ BS_Themenskript_Selbstwirksamkeit.pdf (16.03.2014, 17.45 Uhr)
[30] Vgl. studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/gs- sim/service_download/ BS_Themenskript_Selbstwirksamkeit.pdf (16.03.2014, 17.45 Uhr)
[31] Vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen: Erfolgreich starten! Schulfähigkeitsprofil als Brücke zwischen Kindergarten und Grundschule. Heft 9039. Düsseldorf, 2003. S. 14.
[32] Vgl. Bettlheim, Bruno: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen. München, 201332. S. 190 f.
[33] Vgl. Bettlheim, Bruno: Kinder & Familie. Kinder brauchen Märchen. München, 201332. S. 190f.