Kinder psychisch kranker Eltern

Besser früh betreuen als später behandeln mit den Hilfen zur Erziehung im SGB VIII


Dossier / Travail, 2013

27 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Lebenssituation von Kindern psychisch kranker Eltern
2.1 Risiko- und Belastungsfaktoren betroffener Kinder
2.2 Reaktionen und Auswirkungen auf die Kinder

3. Was Kinder psychisch kranker Eltern stärkt

4. Schutz- und Handlungsansätze
4.1 Prävention - Woran scheitert es?
4.1.2 Verschiedene Präventionsarten für Kinder psychisch kranker Eltern
4.2 Hilfsangebote der Kinder und Jugendhilfe - Das KJHG im SGB VIII
4.2.1 Probleme und Defizite der Jugendhilfe
4.2.2 Hilfen zur Erziehung
4.3 Probleme und Defizite der Hilfsmöglichkeiten

5. Fazit und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Meine Psychotherapeutin fragte mich einmal, wann die Kindheit zu Ende sei. Erstaunlicherweise konnte ich ihr die Frage nicht beantworten. Dazu fiel mir nur ein, daß meine Kindheit spätestens 1986 - als ich 11 Jahre war - beendet war. 1986 wurde meine Mutter zum ersten Mal krank.“ (Mattejat/Lisofsky 2005, S.13)

So geht es vielen der ca. 500.000-600.000 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland, die mit einem oder zwei psychisch kranken Eltern leben (Schlüter-Müller 2011, S.44).

Die betroffenen Kinder sind oft extrem belastenden Lebensumständen ausgesetzt und können die elterlichen Verhaltensweisen nicht verstehen. Sie kämpfen mit inneren Konflikten wie Loyalität und Distanz oder der Suche nach Hilfe und gleichzeitiger Tabuisierung (Mattejat/Lisofsky 2005, S. 72f.). Des Weiteren besteht auch ein erhöhtes Risiko, dass diese Kinder selbst psychisch erkranken (Mattejat 2005, S.75).

Doch häufig befinden sich nur die Eltern in therapeutischer Behandlung und erwachsene Familienangehörige werden in beraterischen Prozessen aufgeklärt und unterstützt. Doch die, meist am stärksten in die Krisensituationen involvierten, Kinder werden mit ihren Problemen in der Regel allein gelassen und die Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung werden unterschätzt. Deshalb bezeichnet man Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern häufig als „vergessene Angehörige“.

Schutz- und Handlungsansätze greifen meist zu spät oder werden nicht genutzt, obwohl vielfältige Hilfsmöglichkeiten, speziell auch im Bereich der Jugendhilfe, existieren.

In dieser Hausarbeit werde ich mich diesem Thema widmen und darstellen, welche Möglichkeiten es im Bereich Prävention und der Hilfen zur Erziehung (§27 SGB VIII) gibt, um den Kindern psychisch kranker Eltern eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen.

Zunächst gebe ich einen Einblick in die Lebenssituation der betroffenen Kinder und in die damit verbundenen Belastungsfaktoren für die kindliche Entwicklung.

Anschließend gehe ich auf mögliche Schutzfaktoren und Ressourcen ein, die förderlich für die Erhaltung der psychischen Gesundheit der Kinder sein können.

Dann stelle ich das Schwerpunktthema der Schutz- und Handlungsansätze beginnend mit dem Thema „Prävention“ dar. Es werden nicht nur die Vorteile genannt, sondern auch gewisse Defizite, die noch bestehen. Im Anschluss beschäftige ich mich mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz im SGB VIII und gehe besonders auf die Hilfen zur Erziehung ein, die sehr häufig von Familien mit psychisch kranken Eltern(teilen) in Anspruch genommen werden und meist sehr wirkungsvoll sind.

Den Abschluss der Arbeit bilden das Fazit über die Thematik, sowie einen Ausblick zu den Verbesserungsmöglichkeiten der Hilfsmöglichkeiten für die betroffenen Kinder.

2. Zur Lebenssituation von Kindern psychisch kranker Eltern

Die psychische Krankheit eines Elternteils stellt für Kinder ein kritisches Lebensereignis dar. Sie müssen sich mit besonderen Belastungen und Beeinträchtigungen auseinandersetzen, sich anpassen und früh selbstständig werden. Die Kinder werden über einen längeren Zeitraum mit extremen Gefühlszuständen ihrer Eltern konfrontiert, in denen diese entweder unerreichbar sind oder große Nähe suchen. Dieses Verhalten ist für sie meist unverständlich und verwirrend. Durch die teilweise massiven Erkrankungen ihrer Eltern können sie einem häufig unvernünftigen Umgang mit Zeit, Ordnung, Ernährung und anderen äußeren Lebensrealitäten unterworfen sein. Oftmals kommt es zu Trennungen durch Krankenhaus- und Psychiatrieaufenthalte oder einer Betreuung der Kinder durch wechselnde fremde Personen.

Äußerst problematisch ist die Situation, wenn sehr junge Kinder betroffen sind. Säuglinge und Kleinkinder sind besonders auf ihre Bezugspersonen angewiesen, da sie neben der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse auch auf emotionaler Ebene versorgt werden müssen. Ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Vertrauen zu haben, ist von großer Wichtigkeit für die Entwicklung des Kindes. Dadurch wird das Selbstvertrauen gefördert und die Bindung gestärkt. Kindern, denen diese Zuwendung verwehrt bleibt, sind gezwungen sich auf sich selbst zu verlassen und Strategien zu entwickeln, um ihr inneres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten und ihre eigene Handlungsfähigkeit zu entfalten.

Psychisch kranke Eltern(teile) sind durch ihre Erkrankung nicht selten in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt und finden auch nicht genug Raum, Zeit und Kraft um die Kinder angemessen zu versorgen. Deswegen sind viele der betroffenen Kinder in ihrer Entwicklung verlangsamt und zeigen oft deutliche Defizite in ihrer kognitiven oder sozial-emotionalen Entwicklung; sie können zum Beispiel sprachliche Schwierigkeiten aufweisen oder zeigen auffälliges Sozialverhalten (Schone/Wagenblass 2006, S. 18f).

Je jünger die Kinder sind, desto schwerer fällt es ihnen auch zu verstehen, dass die Eltern in einer anderen inneren Realität leben und es besteht erhöhte Gefahr, dass sie in diese krankhafte Art des Erlebens mit einbezogen werden. (Deneke 2005,S. 88f).

Auch ihre eigenen Bedürfnisse müssen zurückstehen, denn die Versorgung des erkrankten Elternteils nimmt häufig sehr viel Zeit in Anspruch, die letztendlich für die Kinder fehlt. Doch gerade in dieser schwierigen Situation sind sie auf Unterstützung besonders angewiesen. So kommt es nicht selten zu einem Mangel an Aufmerksamkeit und Zuwendung (Schone/Wagenblass 2006, S. 13).

Bei vielen psychisch kranken Eltern gehört zu den Krankheitssymptomen eine erhöhte Reizbarkeit oder eventuell sogar Aggressivität. Dies kann sich auch im Umgang mit den Kindern zeigen, welche zum Teil ungerechtfertigt oder falsch sanktioniert werden. Auch verbale Aggression oder Verzweiflungstaten als Erziehungsverhalten sind möglich, was die Kinder und somit auch die Beziehung zu ihren Eltern erheblich belastet (Griepenstroh/Heitmann/Hermeling 2012, S.23)

Gesunde Eltern sind in der kindlichen Wahrnehmung ziemlich robust, wohingegen psychisch Erkrankte von ihren Kindern als schwach und leicht angreifbar wahrgenommen werden.

Aufgrund mangelnder Aufklärung über die elterliche Krankheit reagieren die betroffenen Kinder meist mit typischen Ängsten und Sorgen, sowie kognitiver Desorientierung und einer daraus entstehenden seelischen Irritation (Wiegand-Grefe/Romer/Möller 2011, S. 34-36).

Des Weiteren leben Familien mit psychisch kranken Eltern(teilen) unter schlechten sozialen Bedingungen, sind gleichzeitig aber auch weniger in der Lage Unterstützungsangebote wahrzunehmen (Schone/Wagenblass 2006, S. 13). Oftmals kommt es auch gerade wegen der Erkrankung zu einer Verschlechterung der sozialen Situation. Dies kann beispielsweise der Verlust des Arbeitsplatzes mit anschließenden finanziellen Problemen sein oder das Verlieren oder Aufgeben von sozialen Kontakten (Pretis/Dimova 2004, S. 52)

Im Durchschnitt haben psychisch kranke Menschen genauso häufig Kinder, wie psychisch Gesunde. Trotzdem fühlen sich viele Kinder allein in einer extrem ungewöhnlichen Situation, über die sie mit niemandem sprechen können. (Wiegand-Grefe/Mattejat/Lenz 2011, S.17)

2.1 Risiko- und Belastungsfaktoren betroffener Kinder

Die schwierige und belastende Situation in der sich die Kinder befinden bleibt oft nicht ohne Folgen. Häufig entwickeln sich daraus emotionale Störungen oder vielfältige Verhaltensauffälligkeiten. Außerdem ist das Risiko für die Kinder, selbst eine psychische Störung zu entwickeln, deutlich erhöht. Dabei spielt es jedoch auch eine große Rolle, ob es sich um eine kurze Erkrankungsepisode oder eine chronische psychische Störung handelt. Letzteres ist für die Beteiligten häufig belastender, da es sich um einen langen Zeitraum handelt, indem die Probleme auftreten (Schone/Wagenblass 2006, S.15, Wiegand-Grefe/Mattejat/Lenz 2011, S. 13).

Die häufigsten Probleme der Kinder psychisch kranker Eltern sind nach Mattejat (2005, S. 72f.):

Desorientierung: Sie sind verängstigt und verwirrt, weil sie die Probleme und die Krankheitssymptome, wie zum Beispiel ungewöhnliches Verhalten, nicht einordnen und verstehen können.

Schuldgef ü hle: Die Kinder glauben, dass sie die Schuld an dem Verhalten ihrer Eltern tragen und beziehen es oft auch auf eigenes vergangenes Fehlverhalten.

Tabuisierung (Kommunikationsverbot): Obwohl psychische Störungen keine Seltenheit in Deutschland mehr sind, gelten sie gesellschaftlich dennoch als „hochstigmatisierte Krankheiten“ (Griepenstroh/Heitmann/Her- meling 2012 S.36 zitiert nach Kardoff 2010). Die damit einhergehenden Ängste vor Diskriminierung und Ausschluss aus der Gesellschaft führen dazu, dass in betroffenen Familien nur sehr wenig über die Erkrankung gesprochen oder aufgeklärt wird. Auch vermeintliche Rücksichtname ist ein Grund, warum die psychische Störung vor den eigenen Kindern verschwiegen wird.

Selbst in Akutkrisen werden dann Abwehrmechanismen angewandt, um zu verhindern, dass die Kinder das Verhalten der Eltern als psychisch krank auffassen. Eine Möglichkeit wäre es, die Krankheitssymptome als Charaktereigenschaft darzustellen („deine Mutter war schon immer anders“) (Schone/Wagenblass 2006, S. 186f.)

Es besteht jedoch nicht nur das Problem einer fehlenden Kommunikation innerhalb der Familie, sondern auch nach außen. Den Kindern wird oft bewusst verboten mit Außenstehenden über die Krankheit des Vaters oder der Mutter zu sprechen (Griepenstroh/Heitmann/Hermeling 2012, S. 36). Dies wird von ihnen sehr ernst genommen und es entwickelt sich ein Gefühl des Verrates gegenüber den Eltern, wenn sie sich an Personen außerhalb der Familie wenden würden. Auch das elterliche Verbot mit niemandem über die familiäre Situation sprechen zu dürfen, resultiert aus der Angst vor Stigmatisierung. Die Angst ist teilweise durchaus berechtigt, denn Kinderinterviews eines Präventionsprojektes zeigen, dass viele der betroffenen Kinder von Gleichaltrigen diskriminiert oder abgewertet werden (Griepenstroh/Heitmann/Hermeling 2012, S. 36).

Isolierung: Aufgrund der Tabuisierungsproblematik fühlen sich Kinder psychisch kranker Eltern(teile) allein gelassen, weil sie niemanden haben, mit dem sie über ihre schwierige Situation sprechen können.

Betreuungsdefizit: Wie zuvor schon beschrieben, erhalten die Kinder zu wenig Aufmerksamkeit, weil die Eltern meist mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind. Es fehlt die nötige Führung bzw. Anleitung, die Kinder brauchen um ihren Alltag sicher und gut bewältigen zu können.

Zusatzbelastungen: Die Bedürfnisse der Kinder treten in den Hintergrund, weil sie zusätzliche Aufgaben, zum Beispiel in der Haushaltsführung, übernehmen müssen. Ihre Eltern können diesen, aufgrund ihrer Krankheit oder stationären Aufenthalten, oft nicht gerecht werden.

Verantwortungsverschiebung (Parentifizierung): Die Kinder entwickeln ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrer Familie und übernehmen teilweise elternhafte Funktionen, mit denen sie jedoch meist überfordert sind.

Abwertungserlebnisse: Wie bei der Tabuisierungsproblematik schon beschrieben, erleben viele Kinder, dass sie durch die elterliche Erkrankung von ihrem sozialen Umfeld abgewertet werden.

Loyalit ä tskonflikte innerhalb der Familie: Sie erleben Konflikte zwischen ihren Eltern und werden in diese hineingezogen, sodass der Eindruck bei ihnen entsteht sich für eine Seite entscheiden zu müssen.

Loyalit ä tskonflikte nach au ß en hin: Viele Kinder schämen sich vor Außenstehenden für ihre Eltern und sind somit hin und hergerissen zwischen Loyalität und Distanzierung zu ihrer eigenen Familie.

Diese große Bandbreite an Belastungsfaktoren macht deutlich unter welchem Stress die betroffenen Kinder stehen und in welch schwieriger Situation sie sich befinden.

2.2 Reaktionen und Auswirkungen auf die Kinder

Kinder reagieren auf diese Problematik in unterschiedlicher Art und Weise. Viele ziehen sich zurück, werden sehr still und sind in sich gekehrt. Ihre Konflikte bearbeiten sie in ihrem Inneren und wirken nach außen meist

[...]

Fin de l'extrait de 27 pages

Résumé des informations

Titre
Kinder psychisch kranker Eltern
Sous-titre
Besser früh betreuen als später behandeln mit den Hilfen zur Erziehung im SGB VIII
Université
University of Kassel  (Sozialwesen)
Cours
Rechtliche Aspekte im Kinderschutz
Note
1,7
Auteur
Année
2013
Pages
27
N° de catalogue
V277575
ISBN (ebook)
9783656704867
ISBN (Livre)
9783656706472
Taille d'un fichier
507 KB
Langue
allemand
Mots clés
kinder, eltern, besser, hilfen, erziehung, viii
Citation du texte
Sarah Wagener (Auteur), 2013, Kinder psychisch kranker Eltern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277575

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