Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Thema und Motivation
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Das Generationenverhältnis
2.1 Pädagogisch anthropologischen Bedeutung orientiert an den Dimensionen der Sozialität und Kulturalität
3 Familiäre Pflegesituation
3.1 Pflegen und sich pflegen lassen als Grundbedürfnis
3.2 Belastungen der Pflegeperson
3.3 Beziehung zwischen Pflegendem und zu Pflegendem
3.3.1Beziehung durch Körperkontakt
3.3.2 Widersprüchliche Gefühle
3.3.3 Beziehungsqualität
4 Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
1 Einleitung
1.1 Thema, Motivation und Aufbau der Arbeit
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist in Deutschland ein Wandel der Altersstruktur zu erkennen. Aufgrund der drastisch rückläufigen Säuglings- und Kindersterblichkeit und des medizinischen Fortschritts steigt der Anteil der Bevölkerung, der ein höheres Lebensalter erreicht, an.[1] Zum einen führt diese zunehmende Lebenserwartung dazu, dass die Anzahl der Hochaltrigen und somit auch die der älteren, kranken und beeinträchtigten Menschen zunimmt und auch weiterhin zunehmen wird.[2] Zum anderen, dass noch nie zuvor so viele Generationen so lange gleichzeitig in der Gesellschaft und in der Familie zusammengelebt haben. Da diese Menschen ihren Lebensalltag meist nicht mehr ohne fremde Hilfe meistern können, gewinnt die Unterstützung bei deren Bewältigung und als Pflegeinstanz vor allem die Familie an großer Bedeutung.[3] Dies ist auch zurückzuführen auf das Inkrafttreten der Pflegeversicherung 1995[4] und des Pflege- Weiterentwicklungsgesetztes 2008. Denn hierbei stehen die Sicherung der häuslichen Pflege und die Betreuung im Mittelpunkt, um stationäre Unterbringungen zu vermeiden.[5] Bei diesem Aspekt darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die häusliche Pflege, trotz vieler Unterstützungsangebote, eine große Herausforderung, Belastung und auch Überforderung darstellen kann.[6] Doch nicht nur der Trend der Hochaltrigkeit, sondern auch Erscheinungen wie Verjüngung, Entberuflichung, Feminisierung und Singularisierung gehen mit dem Strukturwandel des Alters einher.[7] Diese strukturellen Veränderungen sind fundamental für den Wandel des Verhältnisses der Generationen zueinander und ihren Umgang miteinander. Jedoch spielen dabei auch historisch- politische Veränderungen, technologische Neuerungen und Notlagen des Sozialstaats eine nicht geringere Rolle.[8]
Beweggrund mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen war nicht nur mein Interesse am ständigen Wandel unserer Gesellschaft, sondern vor allem persönliche Erfahrungen und Eindrücke, die ich aufgrund der Pflegebeziehung zwischen meiner Mutter und ihrer Mutter, sammeln konnte. Denn auch sie musste ihre Mutter nach 16 Jahren häuslicher Pflege schließlich in ein Altenwohnheim unterbringen, da sowohl die körperliche, als auch die psychische Belastung nicht mehr zu bewältigen war. Aufgrund dieser Tatsachen versuche ich im Rahmen meiner Arbeit das Generationsverhältnis in Pflegesituationen darzustellen und folglich auch welche Bedeutung der Anerkennung und Fürsorge innerhalb dieser Pflegesituationen zugeschrieben wird.
1.2 Aufbau der Arbeit
Zu Beginn lege ich die pädagogisch- anthropologische Bedeutung des Generationenverhältnisses dar, wobei sich diese Beschreibung an den Dimensionen der Sozialität und Kulturalität orientiert. Im folgenden Kapitel zeige ich die familiäre Pflegesituation auf. Hierbei setze ich mich mit den Belastungen, denen der Pflegende ausgesetzt ist, sowie mit dem Verhältnis zwischen Pflegendem und zu Pflegendem auseinander. Abschließend versuche ich deutlich zu machen, welche Bedeutung dem Generationenverhältnis und der Fürsorge und Anerkennung in Pflegesituationen zukommt.
2 Das Generationenverhältnis
2.1 Pädagogisch- anthropologische Bedeutung orientiert an den Dimensionen der Sozialität und Kulturalität
„Es gibt kein menschliches Leben, also auch keine Erziehung, außerhalb von Generationsverhältnissen.“[9]
Generation spielt in unserer Gesellschaft unwiderlegbar eine tragende Rolle und ist ohne Zweifel eine pädagogisch- anthropologische Grundbedingung. Denn die Prozesse der Erziehung, Bildung und des Lernens spielen sich immer in Generationenverhältnissen ab. Doch auch Generativität[10], Geburt, biologische und psychosoziale Entwicklung, Kultur und Tod stehen immer und überall in Generationszusammenhängen.[11] Eingangs wird jedoch oft die Tatsache vernachlässigt, dass drei unterscheidbare Grundkonzepte des Begriffs „Generation“ bestehen. Eine klare, begriffliche Unterscheidung ist jedoch notwendig, da der Begriff „Generation“ im Alltag und in der Wissenschaft unterschiedlich verwendet wird und die einzelnen Generationsbegriffe nicht ineinander überführt und zu einem einzigen Begriff zusammengefasst werden können. Aus diesem Grund unterscheidet man zwischen dem historischen, dem genealogischen und dem pädagogischen Generationenbegriff.[12] Bei der folgenden Ausführung wird lediglich der pädagogische Generationenbegriff eine Rolle spielen. Dieser fasst Generation als pädagogisch- anthropologische Grundkategorien von Lern und Erziehungsprozessen, also das Verhältnis zwischen vermittelnder und aneignender Generation, auf.[13]
Das frühere Erziehungsverständnis bestand darin, dass die ältere Generation die Vermittelnde und die jüngere Generation die Aneignende ist, also dass einer erzieht und einer erzogen wird.[14] Doch da das Wissen der gesamten Menschheit durch Fortschritte, Neuerungen und Erkenntnisse schnell wächst, ist es bereits veraltet bis die ältere Generation es an die jüngere weitergeben kann. Ein Beispiel hierfür wäre der Bereich der neuen Medien, in dem Kinder ihren Eltern überlegen sind, da sie mit dieser Technik bereits aufwachsen und vertraut sind. Daraus kann man schlussfolgern, dass sich das klassische Generationenverhältnis, in dem die Jungen von den Alten lernen, umgekehrt hat.[15]
Aus etymologischen und frühen geschichtswissenschaftlichen Bezügen wird ersichtlich, dass der Begriff Generation die Gliederung nach Menschenalter impliziert. Denn durch die Geburt eines Kindes entsteht eine neue Generation, welche sich von der Elterngeneration unterscheidet. Allerdings spielt auch neben der Geburt die Sterblichkeit eine zentrale Rolle. Damit sich die Gesellschaft erhalten und weiterentwickeln kann, ist in diesem Kontext die Erziehung, also die Weitergabe von kulturellem Erbe, Wissen und Können, Normen, Haltungen, Erfahrungen und Ritualen der älteren Generation an die jüngere Voraussetzung dafür.[16] Aus diesem Grund ist Erziehung ein zentraler Bestandteil jeder Gesellschaft, woraus sich ihre Aufgabe, das Verhältnis zwischen den Altersgruppen zu regeln, ergibt.[17]
3 Familiäre Pflegesituation
Eine Pflegesituation kann entweder durch ein plötzliches Ereignis, wie einen Unfall, akute Krankheit oder Verwirrung entstehen oder sich als schleichender Prozess durch ständig zunehmende Alterserscheinungen, wie das langsame Fortschreiten des Kräfte- und Autonomieverlusts, vollziehen. Diese Krankheitserscheinungen können einen bisher mehr oder weniger selbstständigen Menschen in die unumgängliche Lage bringen, dass er Pflege in Anspruch nehmen muss.[18] Beweggründe für die Übernahme häuslicher Pflege sind aus Selbstverständlichkeit, Pflicht- und Schuldgefühl, Mitleid, Liebe, Sehnen nach Anerkennung, Aufrechthalten der Familientradition, aufgrund eines gegebenen Versprechens oder als Wiedergutmachung dessen, was die Eltern geleistet haben[19], beispielsweise die Unterstützung bei der Beaufsichtigung der Enkel, im Haushalt oder in finanzieller Form.[20]
3.1 Pflegen und sich pflegen lassen als Grundbedürfnis
Grundlegend ist zunächst, dass Pflege und gepflegt werden keine einseitigen, sondern ineinandergreifende Prozesse, bei denen sowohl biologische Voraussetzungen und menschliche Grundbedürfnisse, als auch psychische, soziale, ökologische und gesellschaftliche Faktoren, eine Rolle spielen. Die biologisch orientierte Anthropologie bezeichnet pflegen und sich pflegen lassen als biologische Notwendigkeiten, um das Leben aufrecht zu erhalten. Denn der Mensch wird als Mängelwesen, welches auf die Versorgung einer Bezugsperson angewiesen ist, gesehen. Somit kommt im Lebenslauf des Menschen dem Gepflegtwerden in der Anfangs- und der Endphase große Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu ist die Sichtweise der psychologischen Anthropologie, dass jedem Menschen, egal welcher Altersstufe, das Bedürfnis zu pflegen und sich pflegen zu lassen, angeboren ist. Pflegen und sich pflegen lassen werden also als emotionales, menschliches Grundbedürfnis aufgefasst.[21]
3.2 Belastungssituation pflegender Angehöriger
Viele Pflegende werden unter der Pflegebelastung krank und leiden unter körperlichen und physischen Beschwerden, was bis zur Selbstaufgabe, Suizidgedanken, irreparablen und gesundheitlichen Schäden, Drogenmissbrauch und starken Depressionen führen kann. Diese Beschwerden sind jedoch nicht von kurzer Dauer, da die Pflege länger dauert als zumeist erwartet. Diese körperliche und psychische Belastung wird noch verständlicher, wenn man sich das Anforderungsprofil des Pflegenden vor Augen führt. Zum einen haben sie die Aufgabe dem Pflegebedürftigen bei allen selbstverständlichen Tätigkeiten des Alltags, wie beim Kommunizieren, Atmen, Essen und Trinken, Kleiden, Waschen und bei Toilettengängen Hilfe zu leisten. Zum anderen gehören aber auch das Reinigen der Wohnung, die Aufsicht über die Medikamenteneinnahme und Tätigkeiten, die sich aufgrund bestimmter Krankheiten ergeben, wie zum Beispiel das ständige Wenden bei Bettlägerigkeit, zu ihrem Aufgabenbereich. Da es meistens Frauen, Töchter oder Schwiegertöchter sind, die die Pflege übernehmen ist es für sie oft schwierig ihre Kräfte für bestimmte Aufgaben zu mobilisieren oder diese überhaupt bewältigen zu können. Eine weitere Belastung stellt neben dem Nachlassen der Kräfte die zunehmende soziale Isolation dar. Gründe hierfür sind steigende Anforderungen, die Zunahme von Beziehungskonflikten, das Zurückziehen des Freundeskreises und das Gefühl nicht verstanden zu werden oder andere nicht belasten zu wollen.[22] Doch nicht nur der Pflegende selbst, sondern auch das familiale System, ist von der Krankheit und Pflegebedürftigkeit Familienangehöriger betroffen.[23] Die Pflegenden müssen sich auf die neue Situation einlassen und ihren gewohnten Lebensrhythmus umstellen. Da es wie bereits genannt häufig Frauen sind, die die Aufgabe der Pflege übernehmen, kommt meist der Beruf, das Intakthalten der Beziehungen in der Familie und die Erziehung der Kinder hinzu. Aus diesem Grund sind sie einer vielfältigen Belastung ausgesetzt und die verschiedenen Aufgaben in Einklang zu bringen wird für viele eine lebenslange Aufgabe.[24] Folglich muss sich die ganze Lebensplanung ändern und Zukunftspläne verändert oder gar aufgegeben werden.[25] Auch die übrigen Familienmitglieder leiden unter der Pflegesituation und es kommt oft zu Problemen innerhalb der Familie. Häufig fühlt sich der Partner vernachlässigt und bei Kindern treten Störungen und Verhaltensauffälligkeiten auf, weil die Pflegeperson keine Zeit mehr hat, ständig gereizt ist und unter Druck steht.[26] Diese lange Zeit der Pflege findet irgendwann ein Ende im Versterben des Familienangehörigen und in der Trauer. Doch der bevorstehende Tod löst sowohl Verlustängste, als auch Verunsicherung aus. Die Pflegenden wissen nicht wie sie damit umgehen, darüber sprechen und ob sie ehrlich zum kranken Familienmitglied sein sollen. Diese Bewältigungsanforderung führt wiederrum zu einem erhöhten Belastungs- und Stressniveau.[27]
[...]
[1] Vgl. IQ1, S.14
[2] Vgl. IQ1, S.16
[3] Vgl. IQ1, S. 36
[4] Vgl. Salomon 2009, S.7
[5] Vgl. IQ2, S.7
[6] Vgl. Salomon 2009, S.7
[7] Vgl. Witterstätter 2003, S.52
[8] Vgl. Liebau 1997, S.7
[9] Liebau 1997, S.15
[10] Die Generativität ist die siebte Stufe in Erik H. Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung, welche den Altersbereich von 25 bis 65 Jahren umfasst. In dieser Stufe geht es darum für die jüngere Generation fürsorglich und fördernd tätig zu werden. Erikson zählt dazu nicht nur eigene Kinder zu zeugen und für sie zu sorgen, sondern auch das Unterrichten, die Künste und Wissenschaften und soziales Engagement. Der Generativität steht dabei die Stagnation gegenüber. Hierbei kümmert sich das Individuum nur um sich selbst und vernachlässigt alle andere. Dies führt dazu, dass eine Ablehnung auf beiden Seiten eintritt. Diese Stufe gilt als erfolgreich durchlaufen, wenn man es schafft Generativität und Stagnation in Einklang zu bringen. Zudem erwirbt man die die Fähigkeit der Fürsorge ohne sich dabei selbst zu vergessen. (Vgl. IQ4, IQ5)
[11] Vgl. Liebau 1997, S.15
[12] Vgl. Liebau 1997, S.8
[13] Vgl. Liebau 1997, S.20
[14] Vgl. Bock 1984, S.11
[15] Vgl. Ziegler 2001, S.3
[16] Vgl. Liebau 1997, S.8
[17] Vgl. Liebau 1997, S.15
[18] Vgl. IQ3
[19] Vgl. Salomon 2009, S.10f.
[20] Vgl. Bubholz- Lutz 2006, S.44
[21] Vgl. Bubholz- Lutz 2006, S.78f.
[22] Vgl. Salomon 2009, S.12-15
[23] Vgl. Salomon 2009, S.7f
[24] Vgl. Salomon 2009, S.9
[25] Vgl. Salomon 2009, S.13
[26] Vgl. Salomon 2009, S.22f.
[27] Vgl. Salomon 2009, S.20f.