Case-Management in der Gemeindenahen Psychiatrie. Hilfreiche Methode in multifaktoriellen Problemlagen?


Dossier / Travail, 2013

18 Pages


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Gemeindenahe Psychiatrie - was ist das?

3. Entstehung und Entwicklung des Case Management-Ansatzes

4. Phasen des Case Managements
4.1. Intake, Klärungshilfe, Erstberatung
4.2. Assessment - Analyse, Einschätzung, Prognose
4.3. Hilfebedarf und Entwurf der Unterstützungsleistungen
4.4. Hilfeplanung
4.5. Unterstützungsprozess in Gang setzen, beobachten, steuern
4.6. Beendigung der Unterstützung, Evaluation

5. Verbindung von Case Management und gemeindenaher Psychiatrie

6. Barrieren des Case Management

7. Resümee

Literatur

1. Einleitung

Die Arbeit mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen hat sich seit den 1960iger Jahren gewandelt. Aus einem neuen Verständnis von Krankheit aber auch dem gesellschaftlichen Umgang hiermit, haben sich neue Formen der Unterstützung entwickelt. Das Konzept der gemeindenahen Psychiatrie resultiert aus einer Entwicklung weg von institutionenorientierte Hilfe hin zu personenzentrierten Ansätzen. Diese Entwicklung soll im ersten Teil der Arbeit dargestellt werden.

Folgend wenden wir uns dem Ansatz des Case Management zu. Dieser entwickelte sich in den USA u. a. aus der Deinstitutionalisierung von Unterstützungsangeboten in der Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen. In einem ersten Schritt möchten wir die Entwicklungsgeschichte des Case Management vorstellen, anschließend soll die methodische Vorgehensweise kurz dargestellt werden.

Über einen exemplarischen Fallverlauf aus der Gemeindenahen Psychiatrie möchten wir versuchen, eine Brücke vom Arbeitsfeld der Gemeindenahe Psychiatrie zu dem Hilfsansatz des Case Managements zu schlagen. Klienten in der Gemeindenahen Psychiatrie haben meist multifaktoriellen Problemlagen und können von einem methodischen Vorgehen nach dem Case Management profitieren. Zudem soll überprüft werden, inwieweit sich dieser Ansatz im Arbeitsfeld der Gemeindenahen Psychiatrie wieder findet und welche Schwierigkeiten hiermit eventuell auch verbunden sein können.

Zum Abschluss möchten wir den Barrieren kommen, die sich bei einer methodischen Vorgehensweise nach dem Case Management-Konzept ergeben. Woraus resultieren diese und wie wirkt sich dies auf der Ebene der konkreten Arbeit mit dem Klienten aus.

2. Gemeindenahe Psychiatrie - was ist das?

Die Haltung gegenüber mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und der Umgang mit diesen haben sich im vergangenen Jahrhundert gewandelt.

Nachdem es im Anschluss an die systematische Ermordung auch der psychisch kranken Menschen im Nationalsozialismus um die Psychiatrie still geworden war, meldeten sich 1965 zunächst junge Psychiater mit der Heidelberger Denkschrift zu Wort, die von einem „nationalen Notstand“ sprachen und damals schon alle wesentlichen Forderungen formulierten, die zehn Jahre später in der Psychiatrie-Enquete des Deutschen Bundestages aufgegriffen wurden (vgl. Peukert 2010:4).

Diese Psychiatriereformbewegung „forderte eine gemeindenahe und bedarfsgerechte Versorgung aller psychisch Kranken und Behinderten, die Koordination aller Versorgungsdienste und die Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken“ (Eikelmann 1991:1). Entscheidend beeinflusst wurden diese auch von der Psychiatria Democratica, der großen anti-institutionelle Psychiatriebewegung in Italien, die sich unter anderem dafür einsetzte, dass psychisch kranke Menschen ihre Bürgerrechte zurück erhielten (vgl. Peukert 2010:2).

Die vier Hauptempfehlungen der Psychiatrie-Enquête von 1975 stellen noch heute die nach wie vor bestehenden Anforderungen einer angemessenen psychiatrischen Versorgung dar:

- gemeindenahe Versorgung
- bedarfsgerechte und umfassende Versorgung aller psychisch Kranken
- Koordination aller Versorgungsdienste
- Gleichstellung von psychischen und somatischen Kranken (vgl. ebd.:4).

Ausgelöst durch die Psychiatrie -Enquête fand ein weitreichender und bis heute andauernder Umbau der Psychiatrielandschaft statt, weg von stationären, hin zu gemeindenahen Angeboten.

In der gemeindenahen Psychiatrie ist es die Kommune, die der psychisch kranken Person ein Orientierungsmuster über (präventiv) psychiatrische Maßnahmen in ambulanter oder stationärer Form zu geben hat (vgl. Hörster 2002:377).

Seelisches Leid entsteht nach dem Verständnis der Sozialpsychiatrie in der Gemeinde. Folglich soll das seelische Leid dort auch gelindert, beseitigt und getragen werden.

Handlungsrichtlinien für die gemeindenahe, professionelle Hilfe sind, mit einem Minimum an Behandlung und Unterstützung die Adressaten zu begleiten. Das Einbeziehen der Adressaten selber, zusammen mit ihrem familiären, sozialen und beruflichem Umfeld ist hierbei bedeutsam. Die Hilfen sollen vor dem Hintergrund des Konzepts Selbsthilfe vor Fremdhilfe derart organisiert werden, dass ambulante Unterstützungsleistungen, teilstationären und diese dann wiederum stationären vorzuziehen sind. Unterstützungsmöglichkeiten wie Nachbarschaftshilfe oder informelle Hilfen aus dem persönlichen Umfeld sollen dabei miteinbezogen werden (vgl. Schröder-Rosenstock 2011:337).

Um bedarfsgerechte Angebote für die gemeindenahe Psychiatrie zu gestalten, müssen diese auf regionaler Ebene entwickelt werden. In der Vergangenheit zeigte sich, dass die strikte Trennung von Zuständigkeiten, z. B. Krankenkasse, Rentenversicherung oder Sozialhilfe dazu führte, dass die Orientierung am tatsächlichen Bedarf der Adressaten häufig verloren ging. Vor Ort muss daher entschieden werden, in welcher Weise eine bedarfsgerechte Versorgung umgesetzt werden kann. Dies geschieht heute in den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG), die notwendige Planungen unter den Aspekten Verselbstständigung, Vorhalten von therapeutischen Angeboten, Soziotherapie und Betreutes Wohnen. vorschlagen und koordinieren. Ziel hierbei ist immer, die Angebote in Gemeindenähe vorzuhalten (vgl. ebd.:337).

Dies ist nach wie vor ein Entwicklungsprozess, denn „...wir (holen) diese Behinderten aus den Krankenhäusern heraus, geben sie ihren Familien zurück, wir siedeln sie in Wohnungen, Wohnheimen, an, versammeln sie in Clubs und Tagesstätten, beraten, behandeln, schützen sie, pflegen mit ihnen sozio- therapeutischen Umgang und möchten alles vorbeugend, nachsorgend, gegebenenfalls intervenierend in noch weitaus gesteigertem und vielfältigerem Umfang tun: diese ganze Szenerie gibt keine Antwort auf die Frage, wie eigentlich das alltägliche Leben dieser Mitmenschen aussehen soll. (KULENKAMPFF 1981, S. 8 zit. n. Peukert 2010:7)

Hieraus wird deutlich: Soll die Umsetzung einer integrierten Gemeindepsychiatrie gelingen, ist sie abhängig von der Vernetzung aller Beteiligten. Der Grad der Vernetzung wird das entscheidende Kriterium bei der Weiterentwicklung der Psychiatrie sein, denn nur in einem kooperativen Verbund lässt sich die individuelle Hilfe jeder Klientin / jedes Klienten auf seinen persönlichen Bedarf hin optimieren.

Zudem bietet Vernetzung die Möglichkeit, über den Tellerrand der Institutionen hinauszuschauen. Wichtige Voraussetzung für eine Vernetzung ist die transparente Gestaltung der Leistungen, die der jeweilige Anbieter dem psychisch kranken Menschen zur Verfügung stellen kann. Nur so kann gewährleistet werden, dass das gesamte Spektrum der Hilfeangebote sowohl dem psychisch kranken Menschen als auch den verantwortlichen Betreuern bekannt und zugänglich ist, um aus den vielen vorhandenen Angeboten gemeinsam die für den Klienten optimale Hilfe zusammenzustellen (vgl. Schliebener o. A.:1).

3. Entstehung und Entwicklung des Case Management-Ansatzes

Case Management als Handlungskonzept der Sozialen Arbeit entwickelte sich aus der Methode des Social Case Work in den USA (vgl. Neuffer 2009:47). In den 1970iger Jahren veränderte sich dort, aber auch in anderen Ländern, die Sichtweise auf Menschen, die bis dahin aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation (psychische Erkrankungen, geistige Behinderung, Pflegebedürftigkeit) in stationären Einrichtungen untergebracht waren. Die Sensibilisierung für deren (Bürger-) Rechte führte zu Enthospitalisierung und Deinstitutionalisierung, sodass ein neuartiger Bedarf an ambulanten Unterstützungsangeboten entstand (vgl. Wendt 2010:17).

Insbesondere in den USA, so beschreibt es Hansen, existiert schon immer eine vielfältige und recht unabhängige Angebotsstruktur an sozialen Dienstleistungen, die für den Nachfrager sehr unübersichtlich ist. Das unkoordinierte Nebeneinander von Hilfsangeboten galt es zu ordnen und entsprechende Zugänge dazu zu ermöglichen. Das Case Management übernimmt hierbei zwei Aufgaben: zum einen agiert als Advokat für die Nutzer der Dienstleistungen, zum anderen führt es Angebot und Nachfrage unter Gesichtspunkten der Effizienz und Effektivität (vgl. Hansen 2006: 19).

Anfang der 1990iger Jahren wurde das Konzept des Case Managements, unter der Begrifflichkeit Care-Management, im Rahmen der community care reforms in Großbritannien eingeführt. Ziel der Reformen war u. a. die Herbeiführung einer Aufgabentrennung zwischen Kostenträgern und den Erbringern sozialer Dienstleistungen, um so auch den nicht staatlichen Dienstleistungssektor zu fördern (vgl. ebd.:20)

Erste Modellprojekte mit Case Management-Ansätzen fanden in Großbritannien bereits zu Ende der 1970iger Jahre im Bereich der Versorgung älterer Menschen statt. Die Case Manager erhielten ein Budget, in welchem sie flexibel und individuell Leistungen einkaufen konnten. In diesen Modellprojekten sollten insbesondere Erkenntnisse zur Reorganisation von Leistungsangeboten gewonnen werden, um Versorgungsstrukturen zu optimieren. Die Auswertung der Modellprojekte betonte, neben der Kostenreduzierung, die positive Wirkung des neuen Angebotsmix aus informellen und professionellen Hilfen auf die Zufriedenheit der Nutzer. Die informellen Leistungen wurden hierbei aus familiären und dem örtlichen Umfeld erbracht. Darüber hinaus wurde deutlich, dass eine professionelle Bedarfsanalyse, das sogenannte Assessment, von hoher Bedeutung ist (vgl. ebd.:20).

Insbesondere im Sektor der Versorgung pflegebedürftiger Menschen wurde das Case Management auch in anderen Ländern ab den 1990iger Jahren umgesetzt, in Deutschland ansatzweise auch mit der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1994 (vgl. Wendt 2010: 23).

Elemente des Case Management finden sich in Deutschland heute gesetzlich verankert z. B. im Sozialgesetzbuch (SGB) IX für die Rehabilitation und Teilhabe oder mit dem Instrument des Gesamtplan wie er im § 58 des SGB XII definiert wird (vgl. Neuffer 2011: 148)

Ein Blick in die Fachliteratur bezüglich des Ansatzes/der Methode Case Management zeigt, dass diese Unterstützungsform für unterschiedliche Bereiche immer bedeutsamer wird. Bei aller kritischen und wohlwollenden Betrachtung dieser Methode findet sich inhaltlich aber meist eine einheitliche Definition oder Beschreibung, was unter Case Management zu verstehen ist.

Neuffer beschreibt Case Management als ein Konzept, welches zur geplanten Unterstützung von Einzelnen und Familien dient. Case Management baut auf eine tragfähige positive Arbeitsbeziehung zwischen Klient und Case Manager, um die persönliche Lebenssituation zu klären (vgl. Neuffer 2009:32).

Ziel des Case Management ist es, die Fähigkeiten des Adressaten im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Leben des Adressaten zu stärken. Hierzu werden sowohl die im Umfeld des Adressaten liegenden Ressourcen genutzt als auch möglichst effizient und effektiv professionelle Hilfsangebote eingesetzt (vgl. Neuffer 2011:147). Wichtig hierbei ist die Partizipation der Klienten, die darauf abzielt, deren Handlungsspielräume zu erweitern. Somit wird durch Case Management der Klient befähigt, Unterstützungsleistungen weitestgehend selbstständig zu nutzen und minimal in die Lebenswelt der Adressaten eingegriffen (vgl. Neuffer 2009:32).

[...]

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Case-Management in der Gemeindenahen Psychiatrie. Hilfreiche Methode in multifaktoriellen Problemlagen?
Auteurs
Année
2013
Pages
18
N° de catalogue
V277953
ISBN (ebook)
9783656725176
ISBN (Livre)
9783656725145
Taille d'un fichier
561 KB
Langue
allemand
Mots clés
case-management, gemeindenahen, psychiatrie, hilfreiche, methode, problemlagen
Citation du texte
Frank Klein (Auteur)Martina Lusch (Auteur), 2013, Case-Management in der Gemeindenahen Psychiatrie. Hilfreiche Methode in multifaktoriellen Problemlagen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277953

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