Moralische Erziehung nach Immanuel Kant und Judith Butler

Unter Berücksichtigung der Möglichkeit und der Anforderung an Transparenz und Selbsteinsicht


Prüfungsvorbereitung, 2007

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die Relevanz der Ethik für die Pädagogik

2. Moral und Ethik: Einführung einer Systematik
2.1 Ebene eins: die Moral
2.2 Ebene zwei: die Ethik
2.3 Ebene drei: die Metaethik

3. Moralische Erziehung bei Kant als moralische Bildung
3.1 Voraussetzungen
3.1.1 Freiheit
3.1.2 Radikal böse
3.1.3 Guter Wille
3.1.4 Pflicht
3.2 Der kategorische Imperativ
3.3 Die vier Momente der moralischen Bildung
3.4 Aspekt Transparenz

4. Moralische Erziehung bei Butler
4.1 Was soll ich tun? → Wer bin ich?
4.2 Wer bin ich? → Wer bist du?
4.3 Anerkennen → menschlich werden

5. Die Relevanz der Pädagogik für das Êthos

1. Die Relevanz der Ethik für die Pädagogik

Wert-lose Kinder und die Aussage, dass früher noch Werte von Bedeutung fürs Leben waren. Wann war dieses früher? Etwa im Mittelalter als die katholische Kirche dogmatische die Werte vorgab?

Ruf nach Werteerziehung äußert sich auch in der Einführung von unterschiedlich benannten Fächern in der Schule: Religion, Religionsunterricht für alle, Ethik, Le- benskunde, LER (Lebensgestaltung/Ethik/Religion), Ethik, Philosophie, Praktische Philosophie. Allein die Bezeichnungen weisen schon auf sehr große begriffliche Un- terschiede und Unheitlichkeiten hin. Noch schwieriger wird die Differenzierung wenn, von (mangelnder Moral) und einem - oben bereits genannten - Ruf nach Werten gesprochen wird. Diese pädagogische Herausforderung ist jedoch keine leichte, da in diesem Zusammenhang eine Menge verschiedener Bezeichnungen benutzt werden. Wie könnte diese Herausforderung also bewältigt werden? Lassen sich Begriffe wie Moral, Werte, Normen, Ethik usw. in ein System bringen? Wie kann dieses System aussehen? Diese Frage muss zunächst beantwortet werden, was auch in Kapitel 2 geschieht, bevor weitere Äußerungen zu der Forderung nach mo- ralischer Erziehung getroffen werden. Hierzu werden in Kapitel 2 drei Ebenen einge- führt und erläutert, die zu einer besseren Orientierung verhelfen sollen. Diese Ebe- nen werden auch an Hand von Grundfragen der Ethik veranschaulicht.

Anschließend werden zwei Konzeptionen im Kontext der moralischen Erziehung (unter Berücksichtigung zweier grundlegender Prinzipien dargestellt) und auch nach ihrer Verortung innerhalb des zuvor beschriebenen Ebenensystems hin untersucht. Die im Kapitel 3 behandelte erste Konzeption ist die von Immanuel Kant, da er mit seiner Moralphilosophie die Grundlage für viele fruchtbringende Diskussionen auf diesem Gebiet legte. Er versuchte mit seinem Ansatz die Frage „Was soll ich tun?“ zu beantworten. Seine äußerst bekannte Antwort darauf ist der kategorische Imperativ. In Kapitel 4 werden als zweiter Ansatz die Gedanken von Judith Butler dargestellt. Es sollen dabei die Parallelen und die unterschiedlichen Vorstellungen zu Kant herausgearbeitet werden. Dabei soll zugleich eine Verschiebung der Herangehensweise im Vergleich zu Kant ausgemacht werden.

Bei der Darstellung dieser beiden Konzeptionen ist es das Anliegen des Autors, vor Allem auf den Aspekt der (Selbst-)Transparenz zu achten. Wo diese Fähigkeit zur Selbsteinsicht notwendig ist, wer sie - möglicherweise unhinterfragt - voraus- setzt, und welche Bedingungen zur Möglichkeit von Transparenz erforderlich sind. Oder ob die Transparenz in dem - eventuell - geforderten oder beschriebenen Um- fang überhaupt verwirklich- und realisierbar ist. Doch nun zunächst zu dem Versuch, die verschiedenen Begriffe im Kontext Ethik und Moral in ein System mit drei Ebe- nen zu bringen.

2. Moral und Ethik: Einführung einer Systematik

Bei der Unmenge an Begriffen wie Werte, Normen, Moral, Ethik uvm. ist es von Vorteil, sich zunächst einen Überblick über die Zusammenhänge dieser Begriffe zueinander zu verschaffen. Erst dann lässt sich entscheiden, welche dieser Begriffe für die Pädagogik eine Rolle spielen und was sie eigentlich bedeuten. Die Erstellung dieser Systematik soll an Hand von Grundfragen angegangen werden.

2.1 Ebene eins: die Moral

Die erste Grundfrage der Ethik lautet „Wie soll ich handeln?“ bzw. in der Formu- lierung Kants: „Was soll ich tun?“ (F1). Sie impliziert das Vorhandensein von norma- tiven Aussagen, die vorschreiben, was ich tun soll. Ob sich Kants Gedanken wirklich auf dieser Ebene bewegen, wird später näher beleuchtet. Dieses erwähnte sollen er- öffnet die Verbindung zum Moralbegriff. Das Wort Moral kommt vom lat. „mos“ bzw. „mores“ (Plural), was soviel wie Gewohnheit oder Sitte bedeutete. Moral bezeichnet die Summe der Grundsätze und Erwartungen in Bezug auf das zwischenmenschli- che Verhalten, die einzelne Personen oder eine Gemeinschaft als verbindlich akzep- tieren oder die zumindest hingenommen werden. Sie stellt somit einen Überbegriff zu den jeweils konkreten Normen bzw. Zielvorgaben dar. Hier werden (teilweise) kla- re Aussagen zur Erwünschtheit bzw. Ablehnung von konkreten Handlungen getrof- fen. Die Differenz von Normen und Werten besteht darin, dass konkrete Normen aus allgemeinen Werten/Wertvorstellungen ableitbar sind. In der Reihenfolge vom Kon- kreten zum Allgemeinen, vom Detail zum Überbau lassen sich also folgende Begriffe nennen: Normen, Werte, Moral. Letztere bietet somit die Möglichkeit zur Orientie- rung für das Zusammenleben.

Hier ein paar Beispiele zu (un-)moralischen Handlungsweisen. So werden etwa Politiker und Personen in hohen Führungspositionen, die Geld, eine Urlaubsreise oder andere (sexuelle) Annehmlichkeiten von potentiellen Geschäftspartnern oder bestimmten Interessenvertretern für die Gewährung eines Gefallens akzeptieren, in Presse, Medien und von vielen Einzelpersonen als unmoralisch bezeichnet. Mora- lisch korrekt handeln würde dagegen etwa eine Person, die einen Geldbeutel mit (viel) Geld im Inneren findet, ihn aber (trotzdem) inklusive des gesamten Geldes dem Eigentümer zukommen lässt. Und noch ein Beispiel: Auch heute noch wird (von manchen) der sexuelle Akt zwischen zwei unverheirateten Person als unmoralisch bezeichnet und die betreffenden Personen werden entsprechend geahndet und ge- ächtet.

Gerade dieses letzte Beispiel macht jedoch deutlich, dass Moral keine von allen einheitlich geteilte Sichtweise darstellt, sondern dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen dessen gibt, was moralisch ist. Damit wird auch schon die Notwendigkeit der zweiten Ebene, der Ethik, angedeutet.

2.2 Ebene zwei: die Ethik

Interessanterweise ist das lateinische Wort „mos“ eine Übersetzung Ciceros der beiden griechischen Wörter „ethos“ und „êthos“, von denen der heutige Begriff Ethik abgeleitet ist. Diese beiden Wörter haben zwar unterschiedliche Bedeutungen, sind aber nicht immer eindeutig auseinander zu halten. „Ethos“ entspricht ungefähr der Bedeutung der vorher genannten Semantik von Moral und bezeichnet Gewöhnung oder Gewohnheit, Sitte und Brauch. Das zweite Wort „êthos“ unterscheidet sich da- von. „Êthos“ meint speziell den Charakter und die Denkweise, die Sitte und Brauch verinnerlicht haben. Dieses Verinnerlichen setzt jedoch einen Prozess innerhalb der Person voraus, mit dem die zweite Grundfrage der Ethik in Verbindung steht. Sie bildet gleichzeitig die Basis für die zweite Ebene und lautet: „Warum ist diese Hand- lung richtig?“ (F2). Hier geht es um die Reflexion der ersten Ebene. Moral(-vorstel- lungen) als Bestandteil des Alltags(-denkens) kann somit der Ethik als Wissenschaft gegenübergestellt werden. Ethik, die - nach Aristoteles - oft auch als praktische Philosophie bezeichnet wird, zielt nicht darauf ab, die Handlungen zu ermitteln, die getan werden sollen. Vielmehr fragt sie nach den Merkmalen, die darüber entschei- den, warum Handlung A moralisch ist und Handlung B eben nicht. Die Ethik versucht also Kriterien zu finden, an Hand derer Handlungen als moralisch bewertet werden.

Die zweite Grundfrage lässt sich jedoch noch radikalisieren und in ihrem Inhalt von einer konkreten Handlung lösen. Dann kann sie in der folgenden Form gestellt werden: „Warum soll ich ethisch handeln?“ (F2'). In dieser Form eröffnet sie ein ganz neues Feld innerhalb der Ethik. Laut der bisherigen Darstellung untersucht die Ethik nur, was die Gründe für die Beurteilung einer Handlung als moralisch sind. Doch in der neuen Form wird nun danach gefragt, was die Motivation für das Durch- führen einer moralischen Handlung ist. Diese elementare Unterscheidung wurde von Kant eingeführt. Er verwendete hierfür die Bezeichnungen „principium diiudicationis“ und „principium executionis“. Das erste ist das Prinzip der Beurteilung von Moralität und das zweite das Prinzip der Ausübung von bzw. Motivation für Moralität. Nur weil ich weiß, dass Handlung A nicht moralisch ist, heißt das noch lange nicht, dass ich sie auch unterlasse. Ein profanes Beispiel: nur weil ich weiß, dass Rauchen schäd- lich für meine Gesundheit und die Gesundheit anderer ist, bedeutet das noch nicht, dass ich das Rauchen aufgebe oder gar nicht erst anfange. Mit diesem Beispiel soll allerdings nicht angedeutet werden, dass das Rauchen als eine unmoralische Hand- lung zu bewerten ist. Und das schreibe ich, obwohl ich Nichtraucher bin.

Die Differenz zwischen (moralischem) Wissen und Tun und die häufige Diskre- panz beider scheint heute eine Selbstverständlichkeit zu sein. Dennoch ist diese Un- terscheidung höchst bedeutsam, da hierdurch ganz unterschiedliche Perspektiven von der Ethik auf den zu untersuchenden Gegenstand angelegt werden. Doch so- wohl die Beantwortung von Fragen bezüglich der Moralität (von Handlungen) als auch die Begründung dieser Antworten spielen nicht nur in der Ethik als Wissen- schaft eine Rolle, sondern auch im Alltag und in der ethischen Praxis. Wodurch hebt sich dann die Ethik als Wissenschaft von der ethischen Praxis ab? Indem sie genau das tut: sie hebt ab.

Die Ethik als Wissenschaft bleibt nicht am Boden haften, sondern distanziert sich zugleich von den von ihr gegebenen Antworten und Begründungen und betrachtet diese aus der Vogelperspektive. Das ist die Aufgabe der Metaethik. Sie untersucht die innnerhalb der Ethik verwendeten Begründungsmuster und die von ihr verwen- deten Begriffe. Die dritte Grundfrage lautet somit: „Wie sind die ethischen Grund- begriffe beschaffen und wie funktionieren ethische Begründungen?“ (F3). Die Me- taethik fällt also nicht auf einer höheren Ebene normative Aussagen, sondern stellt sprachphilosophische und methodologische Analysen an. So untersucht sie z. B. die verschiedenen Verwendungsweisen ethischer Begriffe wie „gut“ oder „richtig“ oder überprüft die logische Struktur einer Aussage wie „Es ist ethisch falsch, einen un- schuldigen Menschen gegen seinen Willen zu töten“. Ihre Aufgabe ist es dabei auch, implizite Sachverhalte und Voraussetzungen normativer Aussagen oder ethischer Begründungen an den Tag zu legen und transparent zu machen.

Es ist jedoch festzuhalten, dass die Metaethik nicht vollkommen unbeeinflusst von der Ethik operieren kann. Und diese Aussage gilt für beide Wirkungsrichtungen. Denn teilweise haben metaethische Feststellungen Einfluss auf die Antworten und Antwortmöglichkeiten der Ethik. Und teilweise wird auf Grund ethischer Überzeugungen ein metaethischer Analysevorschlag von vornherein als nicht verbindlich bewertet und somit aufgehoben. Zwischen Ethik und Metaethik besteht also eine Interdependenz, in der beide wechselseitig aufeinander wirken (können).

Mit dieser Einführung in die Drei-Ebenen-Systematik konnten zwei Herausforde- rungen auf einmal bewältigt werden. Zum Einen wurde die Vielzahl der im Kontext Ethik kursierenden Begriffe in einen Zusammenhang gebracht, wodurch deren Be- deutung und gedankliche Einordnung ermöglicht wurde. Und zum Anderen wurde ein Grundlage gelegt. Erst auf dieses Fundament aufbauend kann die Betrachtung ethischer Konzeptionen überhaupt erst sinnvoll geschehen. Während der näheren Beleuchtung der folgenden Ansätze kann somit immer wieder eine Überprüfung der vorgebrachten Argumente daraufhin erfolgen, auf welche der erwähnten Grundfra- gen eine Antwort gegeben werden soll, bzw. auf welcher Ebene die Argumente ar- beiten. Damit kommen wir bereits zur ersten ethischen Konzeption der moralischen Erziehung.

3. Moralische Erziehung bei Kant als moralische Bildung

Immanuel Kants Konzeption der moralischen Bildung arbeitet anscheinend auf der Ebene eins, da sie sich mit der Grundfrage F1 beschäftigt. Allerdings sind die von ihm gemachten Aussagen eher auf der Ebene zwei anzusiedeln, da sie eine ethische Herangehensweise beinhaltet und sich mit den Grundfragen F2 und F2' be- schäftigt. Sie setzt dabei nicht an Handlungen an, sondern am Charakter oder an der Gesinnung des Menschen. Deswegen wird seine ethische Konzeption auch häu- fig als Gesinnungsethik bezeichnet. Nach Kant erfolgt die moralische Bildung durch vier Vorgänge, die aber nicht als linear aufeinander folgend betrachtet werden dür- fen, sondern vielmehr gleichzeitig als vier Momente zu verstehen sind.

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Moralische Erziehung nach Immanuel Kant und Judith Butler
Untertitel
Unter Berücksichtigung der Möglichkeit und der Anforderung an Transparenz und Selbsteinsicht
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Institut für Pädagogik)
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V277977
ISBN (eBook)
9783656704638
ISBN (Buch)
9783656709992
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
moralische, erziehung, immanuel, kant, judith, butler, unter, berücksichtigung, möglichkeit, anforderung, transparenz, selbsteinsicht
Arbeit zitieren
Diplom-Pädagoge Frank Alibegovic (Autor:in), 2007, Moralische Erziehung nach Immanuel Kant und Judith Butler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277977

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