Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entstehung und Entwicklung der Familiennamen im germanischen Sprachraum
2. 1. Übergang vom einnamigen zum zweinamigen Personennamensystem
3. Familiennamenbildung aus Rufnamen (Patronymie/ Metronymie)
3. 1. Patronymika als Beinamen
3. 2. Patronymika / Metronymika als Familiennamen
3. 2. 1. Bildungsarten von Patronymika
3. 2. 2. Bildungsarten von Metronymika
3. 2. 3. Bildungsarten von Patronymika / Metronymika in anderen Nationen
4. Verbreitungsgebiete der Patronymika / Metronymika im germanischen Sprachraum
5. Schlusswort
6. Bibliographie
7. Anhang
1. Einleitung
In der folgenden Arbeit sollen die Entstehung, Entwicklung und die Verbreitungsgebiete patronymischer und metronymischer Familiennamen aufgezeigt werden. Dazu wird in einem ersten Schritt die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Familiennamen im germanischen Sprachgebiet behandelt werden. Um diesen Entwicklungsverlauf in seiner vollen Ganzheit erfassen zu können, sollen zunächst die Hauptgründe veranschaulicht werden, welche für den Übergang vom einnamigen zum zweinamigen Personennamensystem verantwortlich waren.
In einem zweiten Schritt soll die Familiennamenbildung aus Rufnamen (Patronymie / Metronymie) ausgehend vom patronymischen Beinamen, über sekundäre Patronymika bis zum patronymischen Familiennamen aufgezeigt werden, um den Prozess der Ausformung nachvollziehen zu können. Hierbei werden auch die konkreten Bildungsarten deutscher Patronymika und Metronymika mit all ihren Eigentümlichkeiten erörtert, um dem Leser die Fülle an verschiedenen patronymischen Familiennamenarten zu demonstrieren; dabei soll im Unterkapitel 3.2.3. auch auf fremdsprachige Patronymika eingegangen werden.
Im Kapitel 4 sollen schliesslich die spezifischen Verbreitungsgebiete der verschiedenen Patronymika-Arten im germanischen Sprachraum in der gleichen Reihenfolge veranschaulicht werden, in welcher sie schon im vorherigen Kapitel aufgezeigt wurden, um sich ein Bild von der geographischen Konzentrierung der jeweiligen patronymischen Familiennamen machen zu können. Zur Illustrierung sind dazu im Anhang diverse Karten und Diagramme abgebildet, welche sich auf konkrete Beispiele dieser Arbeit beziehen.
2. Entstehung und Entwicklung der Familiennamen im germanischen Sprachraum
2. 1. Übergang vom einnamigen zum zweinamigen Personennamensystem
Heutzutage ist es in beinahe allen Staaten gesetzmässig vorgeschrieben, mindestens zwei Namen zu haben, nämlich wenigstens Vor- und Familiennamen. Doch zuvor war es viele Jahrtausende lang bei allen Völkern üblich nur einen einzigen Namen zu tragen. Den Sonderfall des Drei-Namen-Systems fand man nur bei den Römern, welches sich in Rufname + Sippenname + Beiname offenbarte (Quintus Horatius Flaccus = ‚der Fünfte aus der Sippe der Horatier, der Blonde’). Doch auch bei anderen Völkern wurden Personen schon durch Ergänzungsnamen individuell gekennzeichnet, welche aber mit ihrem Tod verschwanden und nicht weitervererbt wurden (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 13); sie wurden etwa zur Distinktion (Pippin der Ältere/Jüngere), zur Ehrung (Karl der Grosse), zur Auszeichnung (Markus der Maler), zur Charakterisierung (Ludwig der Fromme) und um eine Hinneigung zu anderen Personen zu zeigen (Hrabanus Maurus nach seinem Vorbild, dem heiligen Maurus) benutzt. Oft konnten solche Zusatznamen durch andere Namen ersetzt werden, doch wenn ein attributiver Zusatz nicht nur gelegentlich zur Benennung einer Person benutzt wird, sondern fortwährend, spricht man von einem Beinamen (Kunze 1998, 59). Es herrschte also schon vor der Einführung des Zwei-Namen-Systems ein Verlangen nach präziserer Benennung. Vor allem in formellen Situationen konnte man eine bevorzugte Verwendung von Namenzusätzen feststellen; zum Beispiel wurden im Mittelalter bei der Herausforderung zum Kampf vor allem patronymische Beinamen gebraucht, um zu erfahren wer der Gegner ist; es könnte sich schliesslich um einen Verwandten aus einer anderen Ortschaft handeln, ohne dass man ihn erkennt (Bsp: Hildebrand, Heribrands Sohn und Hadubrand, Hildebrands Sohn). Doch es hängt oft von der Situation ab, was für ein Namenzusatz jeweils verwendet wird (Seibicke 2008, 179). Mit der Zeit wurde es immer üblicher zwei Namen zu haben, was schliesslich zum offiziellen Aufkommen der Zweinamigkeit führte; erdenkliche Gründe dafür sind folgende:
Erstens, Gesetzliche Abwägungen, wie das Recht Liegenschaften und Landbesitz an den Sohn zu vererben, welches vor allem für den vermögenden Adel von Belang war. Dies fällt z.B. im Südwesten Deutschlands auf, als gegen Ende des 10. Jahrhunderts die Zweinamigkeit, hauptsächlich bei der adligen Gesellschaftsschicht, am Vorbild Frankreichs und Italiens aufkam (Seibicke 2008, 179f.; vgl. Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 15), welche zur dieser Zeit aber nur wenige Einzelerscheinungen waren, denn erste Quellen tauchten erst im 12. Jahrhundert auf. (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 13). „So sind a. 1150 ‚in den Kölner Schreinsurkunden von 325 Namen 50 mit Beinamen versehen […]’ “ (Kohlheim 1996a, 1280: zit. nach Bach 1953, § 340.2). Unter den Bürgern war die Zweinamigkeit zu Beginn auch mit Ansehen verbunden, da der erbliche Beiname anzeigte, dass man zum oberen Stand gehörte und sich somit von einfachen einnamigen Arbeitskräften oder Dienern unterschied (Kunze 1998, 61). Man spricht im Mittelalter aber noch nicht von offiziellen Familiennamen, wie wir sie heute kennen, sondern von Beinamen, die „eine frühe Phase der Familiennamenentwicklung [widerspiegeln]“ (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 14).
Zweitens nahm die Bevölkerungszahl in den Städten immer mehr zu und somit auch die Zusammenballung von häufigen Rufnamen, bei einem eher kleinen Repertoire an existierenden Rufnamen. Denn die Anzahl der germanischen Rufnamen ging zurück, wobei aber die neu aufgetauchten christlichen Namen als Ausgleich noch nicht genügten (Kunze 1998, 61; vgl. Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 15); dieses Phänomen wird auch in der Abbildung 1 und 5 im Anhang graphisch illustriert. Ausserdem hiessen die einzelnen Familienmitglieder oft gleich, so dass differenzierende Namenzusätze verwendet werden mussten, welche aber nicht obligatorisch zu echten Familiennamen umgeformt wurden (Seibicke 2008, 180).
Drittens kam in den Städten im 13. und 14. Jahrhundert (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 16) eine ausführliche schriftliche Verwaltung auf, welche „Steuerlisten, Bürgerverzeichnisse, Urkunden aller Art“ (Seibicke 2008, 180) aufnahm und dazu eine akkurate Bezeichnung der verzeichneten Personen voraussetzte. Für ein solches Amt waren unveränderliche Namenzusätze oder Beinamen für die Kennzeichnung verwandtschaftlicher Relationen natürlich unerlässlich. Wurde ein Beiname einmal von der Verwaltung aufgenommen, änderte dieser sich üblicherweise nicht mehr und blieb generell beständig (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 16).
Viertens hebt ein Familienname die verwandtschaftliche Beziehung klarer hervor als eine einfache Nachbenennung (beispielsweise des Sohnes nach dem Vater) und eignete sich somit eher für rechtliche Angelegenheiten, wie z.B. Personennamenverzeichnisse (Seibicke 2008, 181).
Seit Anfang des 12. Jahrhunderts erfasste man die Namen der Menschen, vor allem im süd- und westdeutschen Städten, vermehrt mit Vor- und Beinamen bei Aufnahmen in Urkunden, wobei dies auch auf diese Weise hervorgehoben wurde: z.B. Giselher genant Obst (‚Obstbauer’). Urkunden der Stadt Zürich bezeugen, dass es ab dem Jahr 1170 beinahe keine Personen mehr gibt, die nur mit blossen Rufnamen verzeichnet sind (Kunze 1998, 61). Damit wird der erste Schritt zum Übergang von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit markiert. Schon ab 1350 war es in Deutschland schon so gewohnt einen Vor- und Familiennamen zu haben, dass „das Fehlen eines Beinamens selbst zum Beinamen werden konnte: Heinrich ane czunamen ‚ H. ohne Beinamen’ 1361 Breslau.“ (Kunze 1998, 59). Jedoch schritt die Verbreitung der Zweinamigkeit nicht überall gleich schnell voran; in Städten wahrscheinlich schneller als auf dem Lande (Kohlheim, Rosa u. Volker 2000, 16).
In Deutschland breitete sich die Zweinamigkeit von Südwesten Richtung Norden und Osten langsam aus und ist anfangs 15. Jahrhundert beinahe komplett fertig gestellt (Kunze 1998, 61; vgl. Kohlheim 1996a, 1280); dies wird auch in der Abbildung 2 im Anhang verdeutlicht, in welcher der Übergang zur Zweinamigkeit in grösseren Städten kontinuierlich dargestellt wird. Doch obwohl sich die Zweinamigkeit um 1600 grösstenteils eingebürgt hatte, fällt auf, dass die Personenregister noch im 18. Jahrhundert alphabetisch nach Rufnamen sortiert wurden, und nicht nach den eingeführten Beinamen. Deshalb schritten die Behörden in Deutschland ein und machten die Familiennamenführung zum Gesetz als das Standesamt 1874 eingeführt wurde. Damit war der Übergang von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit mit der Einführung offizieller Familiennamen beendet (Kohlheim 1996a, 1282f).
3. Familiennamenbildung aus Rufnamen (Patronymie / Metronymie)
Es ist in der Namenforschung bekanntlich üblich Familiennamen in Gruppen einzuteilen; diese sind Familiennamen aus dem Rufnamen des Vaters / der Mutter (Patronyme / Metronyme), nach Wohnstätte, nach Herkunft, nach Beruf und aus Übernamen (Kohlheim 1996b, 1247). Da in dieser Arbeit die Patronyme und Metronyme im Zentrum der Analyse stehen, wird hier auf die übrigen Familiennamengruppen nicht näher eingegangen.
Normalerweise zeigt uns ein Familienname, der aus einem Rufnamen entstanden ist, an, dass eine verwandtschaftliche Relation vorhanden ist. Bei einem Patronym handelt es sich um einen vom Vater stammenden Rufnamen (manchmal auch dessen Beinamen), welcher seinen Nachkommen ursprünglich für eine genauere Identifizierung gegeben wurde. Analog dazu handelt es sich demnach beim Metronym (lat. Matronym) um einen von der Mutter stammendem Rufnamen, der weitervererbt wird (Seibicke 2008, 185).
Doch es gab auch Menschen, die den Rufnamen ihrer Herren oder Gebieter (Herrin / Gebieterin) zugewiesen bekommen haben (Seibicke 2008, 182; vgl. Kunze 1998, 77). Ein anderes Phänomen sind patronymische Formen, die aus der Unterkategorie Berufsbezeichnung hervorgetreten sind. Diese Erscheinungen nennen sich sekundäre Patronymika; ein Beispiel wäre Hans Beckers, womit der Sohn vom Bäcker gemeint ist, welcher einfach seinen Beruf als Beinamen hatte (Seibicke 2008, 182; vgl. Kunze 1998, 63).
Da im vorherigen Kapitel festgestellt wurde, dass es, je nach Zeitraum, Zweitnamen entweder in Form eines Beinamens oder aber schon als offizielle Familiennamen gab, soll dieses Phänomen in den folgenden Unterkapiteln konkret auf die Patronymie reflektiert werden, wobei nach ‚Patronymika als Beinamen’ und ‚Patronymika als Familiennamen’ klassifiziert werden soll.
3. 1. Patronymika / Metronymika als Beinamen
Beinamen eigenen sich bekanntlicherweise gut um Personen mit gleichen Namen, durch einen, den Rufnamen ergänzenden Zunamen, zu differenzieren; sie sind aber von spezifischer Bedeutung für die Einzelperson und beziehen sich, im Gegensatz zu den später aufkommenden Familiennamen, einzig und allein auf das jeweilige Individuum (Seibicke 2008, 204; vgl. Kohlheim 1996b, 1247).
„Sie bilden sozusagen die Brücke vom einnamigen zum zweinamigen anthroponymischen System; somit ist der erste und folgenreiche Schritt von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit getan. […] Patronymische Verknüpfungen sind eine häufige, teilweise regionalspezifische Attribuierungsform der Beinamen-Bildung geblieben und in heutigen Familiennamen anzutreffen.“ (Debus 2001, 168).
Man muss bei Patronymen / Metronymen als Beinamen also noch nicht von offizieller Zweinamigkeit sprechen, da es Beinamen, wie erwähnt, schon sehr lange gibt, auch ohne verwaltungsmässig verzeichnet zu werden. Das heisst Beinamen sind noch nicht zwingend vererbbar, so dass jedes Individuum einen eigenen patronymischen Beinamen trägt.
3. 2. Patronymika / Metronymika als Familiennamen
Familiennamen, die sich aus Rufnamen herausgebildet haben, reflektieren heute noch die Geschichte der spätmittelalterlichen Rufnamenentwicklung (Kunze 1998, 75). Wie wir im Kapitel 2.1. festgestellt haben, sink die Anzahl germanischer Namen im Verlaufe der Zeit immer mehr und die christlichen Rufnamen treten vermehrt an ihre Stelle (vgl. Abb. 5 im Anhang). Dies bringt aber nicht nur Nachteile mit sich. Denn je rarer solch ein germanischer Vorname wurde, desto günstiger war er zur näheren Kennzeichnung einer Person geeignet; dies geschah zuerst noch in Form eines patronymischen Beinamens. Erst später, als es gesetzlich Pflicht wurde, einen Vor- und Familiennamen zu haben, entschieden sich viele Leute, ihr eher seltenes Patronym / Metronym, die sie bis vor kurzem noch als Beinamen nutzten, nun als Familiennamen zu verwenden. Deshalb findet man noch heute viele Familiennamen, die aus alten germanischen Rufnamen entstanden sind: „ Amelung, Diethoch, Ehmke (aus Agin-[mar]), Egolf, Frommelt (aus Frumolt), Gerlach, Gerndt/Gernentz (aus Ger[nand]) usw.“ (Kunze 1998, 75).
3. 2. 1. Bildungsarten von deutschen Patronymika
Es gibt mehrere Arten Patronyme zu bilden, wobei hier keine bestimmte Zahl genannt werden soll, da viele Bildungsarten auch Unterkategorien aufweisen und es somit je nach Ansicht verschiedene Arten gibt, die Bildungstypen zu zählen.
Man nimmt an, dass die erste Bildungsform eines Patronyms eine „unverkürzte genealogische Angabe vom Typ Heinrich, Dietrichs Sohn“ (Seibicke 2008, 182) war. Doch es war wahrscheinlich damals schon unüblich, eine Person mit solch einer aufwändigen Kennzeichnung zu benennen. Deshalb entstand schon früh die Bildungsform, die durch Verschmelzung mit dem Vornamen Patronyme formte (Dietrichssohn, Martinsohn), wobei Sohn häufig zu –son und später zu –sen abgeschwächt wurde (Anderson, Andersen) (Seibicke 2008, 182f.). Man geht ausserdem davon aus, dass es schon früh verschiedene dialektale Abwandlungen, wie zum Beispiel Kurz- und Koseformen (statt Dietrich z.B. Diederich, Dittrich, Derek) gab (Seibicke 2008, 182).
Eine andere Form ist die Bildung mit einem attributiven Genitiv, welche häufig mit einer starken Flexion, also mit –(e)s gebildet wird; z.B. Dietrichs, Friedrichs, Jürgens usw. Demzufolge wird dann anstatt Hans, Friedrichs Sohn, verkürzt Hans Friedrichs gesagt. Andererseits gibt es im deutschen Sprachgebiet auch Formen mit schwachen Genitivendungen auf –en (z.B. Otten) (Seibicke 2008, 183). Falls bei einer solchen Genitivbildung ein Dental am Ende des Rufnamens auf ein –s trifft, zeigt dies sich schriftlich häufig als –tz: Lampertz (aus Lampert-s), Richartz (aus Richard-s). Doch es gibt auch Fälle, bei welchen die Bildungsart nicht eindeutig bestimmt werden kann; ein Beispiel wäre der Name Klaasen, welcher entweder mit einem schwachen Genitiv (Klaas-en) gebildet wurde oder sich aus ‚Klaas’ Sohn’ (Klaa-sen) herausgebildet hatte (Seibicke 2008, 183).
Eine weitere Erscheinungsform bei der Genitivbildung ist die spätere Translation der deutschen Patronyme in lateinische Familiennamen, welche mit den typisch lateinischen Suffixen –i, -is oder –ae enden: Andreae, Bernhardi, Danielis (Kunze 1998, 79).
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