Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. PROBLEMSTELLUNG
2. CHARAKTERISIERUNG DES WHISTLEBLOWING
2.1. Gegenstand des Whistleblowing
2.2. Adressaten des Whistleblowing
2.2.1. Internes Whistleblowing
2.2.2. Externes Whistleblowing
2.3. Ableitung der Notwendigkeit von Whistleblowing-Systemen
3. IMPLEMENTIERUNG VON WHISTLEBLOWING-SYSTEMEN
3.1. Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Whistleblowing-Systemen
3.1.1. Einfluss einer erfolgreichen Whistleblowing-Politik
3.1.2. Wirkung von finanziellen Anreizen
3.1.3. Implementierung von Whistleblowing-Strukturen
3.1.3.1. Unternehmenskulturelle Wirkung auf Compliance-Aktivitäten
3.1.3.2. Einfluss von Verhaltenskodizes
3.1.3.3. Einfluss des „Tone at the Top“
3.1.3.4. Einfluss der kritischen Loyalität
3.1.4. Kommunikation der Whistleblowing-Politik
3.2. Ausgestaltungsoptionen bei Whistleblowing-Systemen
3.2.1. Gegenstand des Whistleblowing-Systems
3.2.2. Anonyme Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen
3.2.3. Unternehmensspezifische Einordnung einer Whistleblowing-Institution .
3.2.3.1. Bedeutung einer adäquaten Hinweisgeberstelle
3.2.3.2. Interne Verortung von Hinweisgeberstellen
3.2.3.3. Externe Verortung von Hinweisgeberstellen
3.2.4. Implementierung von Whistleblowing-Kanälen
3.2.4.1. Überblick über klassische Kommunikationswege
3.2.4.2. Einrichtung eines Hotline-Reporting-Systems
3.2.4.3. Einrichtung einer webbasierten Kommunikationsplattform
3.2.4.4. Einrichtung eines externen Ombudsmann-Systems
4. ZUSAMMENFASSUNG
5. ANHANG
5.1. Anlage 1: Teilnehmer der Unternehmensbefragung
5.2. Anlage 2: Fragebogen der selbstdurchgeführten Erhebung
6. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
7. LITERATURVERZEICHNIS
1. PROBLEMSTELLUNG
„ It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it. If you think about that, you'll do things differently. ” 1
Warren Buffett
Die Gesamtschadenssumme, die 2009 in Deutschland durch Wirtschaftskriminalität verursacht wurde, bemisst sich auf rund 3,43 Mrd. Euro.2 61 Prozent deutscher Großunternehmen wurden im selben Jahr erheblich durch Wirtschaftsdelikte ge- schädigt.3 Neben den finanziellen Schäden sind auch die mittelbaren Konsequenzen von Wirtschaftskriminalität erheblich. So gab rund die Hälfte der Firmen an, nach der Straftataufdeckung einen Reputationsverlust und infolgedessen eine Beeinträchti- gung der Geschäftsbeziehungen verzeichnet zu haben. Fast jedes fünfte börsenno- tierte Unternehmen erlitt zudem einen Einbruch des Aktienkurses. Weitere belasten- de Auswirkungen können der Ausschluss aus der öffentlichen Auftragsvergabe und verstärkte Kontrollen durch Regulierungs- und Aufsichtsbehörden sein.4 Mit den massiven Bußgeldzahlungen5 gehen somit auch häufig signifikante Vermögensschä- den durch eine Störung der Stake- und Shareholderbeziehungen einher. Weiterhin entsteht oftmals ein Imageschaden durch langfristige Ermittlungen von Behörden und interne Ausklärungsuntersuchungen.
In Anbetracht dieser Fakten und der treffenden Aussage von Warren Buffett, ist es dringend erforderlich, dass Organisationen nachhaltige Maßnahmen ergreifen, um folgenschwere Missstände frühzeitig aufzudecken. Neben Compliance- und Anti- Fraud-Programmen, bieten gerade Whistleblowing-Systeme eine vergleichsweise kostengünstige Alternative zu den möglichen Verlusten, die ein Unternehmen erlei- den kann.6 Durch die systematische Nutzung von Insiderhinweisen im Rahmen eines Whistleblowing-Systems wird es internen Kontrollorganen ermöglicht, Fraud7 gezielt aufzudecken. So werden rund 40 Prozent der Betrugsfälle durch Hinweise von Whistleblowern aufgedeckt.8
Unternehmen, die sich das Potential des vorhandenen Insiderwissens in Form eines effektiven Hinweisgebersystems nicht zu Nutze machen, erleiden durchschnittlich mehr als doppelt so hohe Verluste durch Fraud.9 Whistleblowing-Systeme können somit entscheidend dazu beitragen, Informationsasymmetrien abzubauen, Vertrauen bei Stakeholdern zu schaffen sowie Risiken zeitnah zu identifizieren, um potentielle Verluste zu minimieren.10
Die vorliegende Arbeit untersucht die Bedingungen und Ausgestaltungsvarianten für den wirksamen Einsatz derartiger Systeme bei deutschen Unternehmen. Gerade in Deutschland ist es bei der Implementierung aufgrund eines unzureichenden rechtli- chen Schutzes von Hinweisgebern wichtig, die Möglichkeit von Anonymität und Quel- lenschutz zu gewährleisten.11 Es wird jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit auf eine ausführliche Betrachtung von Compliance- und Anti-Fraud-Management-Systemen sowie auf eine intensive Befassung mit der deutschen Rechtslage (Whistleblower- Schutz) verzichtet. Eine eigenständig durchgeführte Umfrage12 unter mittleren bis großen Unternehmen soll einen praktischen Einblick in die unternehmensspezifische Einrichtung und den aktuellen Stand von Hinweisgebersystemen geben.
2. CHARAKTERISIERUNG DES WHISTLEBLOWING
2.1. Gegenstand des Whistleblowing
Whistleblowing bezeichnet einen Vorgang, bei dem ein Hinweisgeber (Whistle- blower) einen Missstand oder ein Fehlverhalten aufdeckt und Informationen darüber an unternehmensinterne oder -externe Stellen weitergibt. Solche Hinweise können in Form von kritischen Äußerungen, Beschwerden oder Anzeigen erfolgen.13
Miceli und Near definieren den Begriff als „ the disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral, or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action. “14
Demnach lässt sich Whistleblowing durch drei Merkmale gegenüber anderen Ver- haltensweisen von Mitarbeitern abgrenzen. Zum einen kann der Whistleblower nur eine Person sein, die der Organisation15 angehörig ist oder war. Dies schließt neben den Mitarbeitern externe Stakeholder (z.B. Kunden und Lieferanten) ein. Die bloße Verbreitung von Gerüchten stellt kein Whistleblowing dar.16 Zum anderen ist es er- forderlich, dass es sich beim mitgeteilten Sachverhalt um eine illegale, illegitime oder unmoralische Unternehmenspraktik oder um eine Verhaltensweise durch ein Organi- sationsmitglied (Beschäftigte und Vorgesetzte) handelt.17 Letztes und entscheiden- des Merkmal für das Vorliegen von Whistleblowing bildet das Kommunizieren des Missstands an eine Person oder Institution, die die Möglichkeit besitzt, diesen zu be- einflussen. Das impliziert, dass der Whistleblower selbst keine Unterbindung des be- treffenden Fehlverhaltens herbeiführen kann.18 Um Whistleblowing von der gewöhn- lichen Dienstpflicht abzugrenzen, ist es entscheidend, dass die Informationsweiter- gabe nicht über den üblichen Dienstweg erfolgt.19 Besitzt die Person, deren sich der Hinweisgeber anvertraut, nicht die Möglichkeit oder notwendige Stellung im Unter- nehmen, das Problem abzustellen, handelt es sich ebenfalls nicht um Whistleblo- wing.20
Im deutschen Sprachverständnis ist Whistleblowing eher negativ21 besetzt, da es häufig mit Verrat gleichgesetzt wird. Während Hinweisgebern in den USA gesell- schaftliche Anerkennung zukommt, sind sie in Deutschland - als Denunzianten oder „Nestbeschmutzer“ - eher verrufen.22 In Deutschland herrscht im Vergleich zu an- deren westeuropäischen Staaten eher eine Kultur des Wegsehens und Schweigens.23 Dies kann man durch die historischen Erfahrungen der Deutschen im 20. Jahrhundert begründen.24
2.2. Adressaten des Whistleblowing
2.2.1. Internes Whistleblowing
Neben der zuvor betrachteten Definition von Miceli und Near kann der Vorgang des Hinweisgebens weiterhin hinsichtlich des Empfängers der Information in internes und externes Whistleblowing abgegrenzt werden.25
Entschließt sich eine unternehmensangehörige Person, einen Hinweis über dolose Handlungen an eine betriebsinterne Stelle weiterzugeben, bezeichnet man diesen Vorgang als internes Whistleblowing. Adressaten dieses Hinweises können dabei der gesetzliche Vertreter, Compliance Officer, die Anteilseigner oder unternehmensinter- ne Organe wie die interne Revision, der Aufsichts- oder Betriebsrat darstellen.26
Grundsätzlich stellt internes Whistleblowing, im Vergleich zur externen Variante, kei- ne Verletzung arbeitsvertraglicher Regeln dar. Internes Whistleblowing sollte deshalb immer der externen Variante (z.B. an die Presse) vorgezogen werden.27 Um internes Hinweisgeben zu fördern und gleichzeitig externes zu vermeiden, bietet sich die Implementierung von Whistleblowing-Systemen an, um Informationen über innerbetriebliches Fehlverhalten entgegenzunehmen.28 Weiterhin sind die Kosten einer effizienten Beschwerde-Entgegennahme durch internes Whistleblowing deut- lich geringer. Dem Unternehmen ist es dann nämlich möglich, den Missstand unter eigener Kontrolle zu korrigieren, bevor Informationen die Öffentlichkeit erreichen und erhebliche materielle Schäden verursachen.29
2.2.2. Externes Whistleblowing
Externes Whistleblowing bezeichnet hingegen die Weitergabe von Hinweisen an Institutionen außerhalb des Unternehmens.30
Der Hinweis richtet sich also an externe Instanzen, welche die Möglichkeit besitzen, eine Veränderung des innerbetrieblichen Fehlverhaltens - mittels Druck von außen - herbeizuführen. Grundsätzlich sollte Whistleblowing an externe Adressaten als „ultima ratio“, also als letzter Lösungsversuch angesehen werden, nachdem alle internen Möglichkeiten, den Missstand zu korrigieren, gescheitert sind.31
Andererseits stellt diese Form häufig die einzige Möglichkeit dar, wenn die Unternehmensführung selbst involviert ist. Gerade die externe Berichterstattung stellt für den Informanten, als auch das Unternehmen ein großes Risiko dar. Gelangen die weitergegebenen Hinweise an die Öffentlichkeit, muss das Unternehmen erhebliche Reputationsschäden bei Anteilseignern, Kunden und anderen Stakeholdern rechnen. Des Weiteren können, infolge einer praktizierten wirtschaftskriminellen Straftat, auch erhebliche Bußgeldzahlungen drohen.32
Aber auch die Hinweisgeber selbst müssen vielfach Sanktionen seitens des Arbeit- gebers, aber auch durch Kollegen, fürchten. Nicht selten führt das Bekanntwerden eines externen Hinweises zu einer Störung des Betriebsklimas im Unternehmen.33 Die Vergeltungsmethoden reichen von subtilen Repressalien über Auftragsent- ziehung bis hin zum sogenannten „Blacklisting“34.35 Wendet sich ein Arbeitnehmer in Deutschland mit Hinweisen an externe Stellen, verletzt er arbeitsvertragliche Re- geln36, sodass häufig der Verlust des Arbeitsplatzes droht.37
Um die Problematik des externen Whistleblowing sowie dessen „ultima ratio“- Funktion noch deutlicher hervorzuheben, sei an dieser Stelle auch auf die 2007 ge- gründete Internet-Plattform für Whistleblowing Wikileaks verwiesen.38 Vorrangig mit dem Ziel, unethisches Handeln von Regierungen und Unternehmen aufzudecken, können ungeprüfte Dokumente anonym publiziert werden, bei denen ein öffentliches Interesse angenommen wird. Bei den Veröffentlichungen handelt es sich um für die Öffentlichkeit unzugängliche Dokumente. Das Projekt, dessen Inhalte nach eigener Aussage nicht zensiert sind, veröffentlichte, neben brisanten US-Militärdokumenten auch Unterlagen zu wirtschaftskriminellen Sachverhalten.39 Wikileaks gewährleistet durch seinen Serverstandort in Schweden umfassenden Quellenschutz für Whistle- blower.40 In der Kritik steht die Plattform vor allem wegen der fehlenden Inhaltskon- trolle von potentiell gefälschten Dokumenten. Dies erscheint, insbesondere unter dem Aspekt des Imageschadens seitens betroffener Institutionen durch Denunzian- ten, fragwürdig.41 Somit sollte es das Ziel einer jeden Unternehmenskultur sein, ex- ternes Whistleblowing zu vermeiden, indem das Interne - als legitime Art der Kom- munikation - gefördert wird.42
Ein weiterer, jedoch legitimer Adressat externer Hinweise stellt die Ombudsperson dar, auf die an späterer Stelle noch intensiv eingegangen wird.43
2.3. Ableitung der Notwendigkeit von Whistleblowing-Systemen
Aus den vorangegangenen Abschnitten lassen sich zusammenfassend folgende Kernaussagen ableiten:
An erster Stelle tragen Whistleblowing-Systeme entscheidend dazu bei, illegales so- wie unmoralisches Fehlverhalten im Unternehmen gezielt und zeitnah zu erkennen, welches sonst nur mit erheblich höherem Aufwand aufzudecken wäre.44 Whistle- blowing-Systeme dienen auch der Lokalisierung von folgenschweren Fehlerquellen, die auf menschliches Versagen zurückzuführen sind.45 Aus ökonomischer Sicht sollte Whistleblowing somit als wesentlicher Erfolgsfaktor verstanden werden, um institu- tionelle „Misfits“ aufzudecken. Dadurch werden notwendige und zeitgemäße Verän- derungen herbeigeführt, die eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit sicherstellen.46
Externes Whistleblowing47 stellt hingegen ein finanzielles Risiko dar, da der Unter- nehmensruf nachhaltig geschädigt werden kann.48 Zugleich schadet es dem Hin- weisgeber, welcher in Deutschland nicht wirksam kraft Gesetzes geschützt ist. Es liegt somit im Interesse beider Seiten, externes Whistleblowing zu vermeiden.
In Anbetracht der zuvor dargelegten Fakten ist die Einrichtung und wirksame Aus- gestaltung eines Hinweisgebersystems zur systematischen Entgegennahme und Nutzung von Insiderhinweisen durch das Unternehmen nachdrücklich zu empfehlen.
Ziel ist es nachfolgend, Implementierungsbedingungen im Rahmen einer Whistleblowing-Politik zu analysieren, die die Hemmschwelle bei Mitarbeitern zum Hinweisgeben senken sowie gleichzeitig die Akzeptanz und Wirksamkeit von WhistleblowingSystemen erhöhen.
3. IMPLEMENTIERUNG VON WHISTLEBLOWING-SYSTEMEN
3.1. Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Whistleblowing-Systemen
3.1.1. Einfluss einer erfolgreichen Whistleblowing-Politik
In Deutschland existieren im Vergleich zu den USA nur wenige Gesetze49 oder Urteile, die Whistleblower schützen. Darüber hinaus ist die Etablierung einer internen Whistleblowing-Politik gesetzlich nicht vorgeschrieben. Aufgrund dessen werden ausschließlich Lösungsmöglichkeiten vorgestellt, die das Unternehmen im Rahmen einer Whistleblowing-Politik selbst herbeiführen kann.50 Um also fehlende gesetzliche Anreize51 zu überwinden, kann das Unternehmen eine Selbstverpflichtung eingehen, die, neben der Einführung eines Whistleblowing-Systems, Anreize zum Hinweisgeben durch die Stakeholder vorsieht.52 Hat eine Unternehmensleitung erkannt, dass internes Whistleblowing ein wertvolles und unverzichtbares Instrument der FraudBekämpfung ist, wird sie fördernde Maßnahmen ergreifen.53
Beobachtet ein Mitarbeiter Fehlverhalten, so kann er den Missstand berichten (Wi- derspruch), die Weitergabe der Information unterlassen (Schweigen)54 sowie aus dem Unternehmen ausscheiden (Abwanderung).55 Was letztlich den Auslöser für das Berichten von Missständen bietet, ist zumeist eine komplexe Mischung verschie- dener Motive, die nur schwer zu typisieren sind.56 Grundsätzlich ist jedoch die Moti- vation des Hinweisgebers, insbesondere unter dem Aspekt der Straftataufdeckung, nebensächlich. Vielmehr ist entscheidend, dass sich ein eingegangener Hinweis als inhaltlich werthaltig, also als fundiert herausstellt.57
Um die Bereitschaft der Mitarbeiter zum Whistleblowing positiv zu beeinflussen, müssen seitens des Unternehmens Bedingungen geschaffen werden, die dazu beitragen, deren Ängste und Risiken zu überwinden. Diese sogenannten IncentiveMaßnahmen können immaterieller58 oder materieller Natur sein.59
3.1.2. Wirkung von finanziellen Anreizen
Materielle Anreize können in Deutschland nur seitens des Unternehmens gesetzt werden. Mittels finanzieller Belohnungen sollen Beschäftigte dazu motiviert werden, ihr Wissen über betriebsinternes Fehlverhalten der Geschäftsleitung zur Verfügung zu stellen („The New Whistle-blowing Model“60 ). Eine finanzielle Honorierung macht besonders dann Sinn, wenn dem Unternehmen durch den institutionellen „Misfit“ ein erheblicher Schaden entstehen würde.61 Jedoch birgt diese Form des Anreizes bei anonymen Anlaufstellen stets die Gefahr des Missbrauchs durch Denunziation oder opportunistisches Verhalten.62
Dieses neue Whistleblowing-Modell wurde somit durch eine finanzielle Komponente ergänzt. Dadurch ist es möglich, das „traditionelle“, auf moralischen Überlegungen basierende Whistleblowing-Modell zu überwinden.63 Ein Zeuge innerbetrieblichen Fehlverhaltens wird, bevor er den Hinweis mitteilt, die Kosten und den Nutzen der Handlung für sich abwägen. Durch den finanziellen Anreiz erhöht sich zunächst der Nutzen, den er erzielen kann.64
Der „Ankauf“ von Hinweisen durch das Unternehmen setzt voraus, dass der Emp- fänger die Nützlichkeit des Hinweises ex ante prüfen kann. Erschwerend kommt hin- zu, dass individuelle Zahlungen auf objektiven Bewertungskriterien65 beruhen soll-ten.66 Wolz erwähnt dabei die Möglichkeit der Einrichtung eines Budgets, aus dem Whistleblowing-Prämien als Belohnung für die Aufmerksamkeit des Hinweisgebers gezahlt werden. Die Prämienhöhe sollte sich prozentual am Schaden orientieren67, der durch internes Whistleblowing vermieden werden konnte. Dennoch sollte die Prämie niedrig genug sein, um Missbrauch zu vermeiden.68 Eine Belohnung69 werthaltiger Hinweise kann auch in Form von Beförderung oder anderen Zusatzleistungen Berücksichtigung finden.70
Geldleistungen beeinflussen die Motivation zum Whistleblowing in dem Maße, in dem der individuelle Tippgeber die Höhe der Zahlung wertschätzt. Die Wirkung die- ser Anreize hat jedoch nachteilige Auswirkungen auf die Motivation potentieller Hin- weisgeber, die Whistleblowing vorrangig aus Loyalität und zum Vorteil des Unter- nehmens betreiben würden.71 So kann eine finanzielle Belohnung den Anschein vermitteln, dass Loyalität und Compliance erkauft werden müssen. Dies jedoch wür- de Whistleblowing-Systeme zweckentfremden, da sie schließlich nachhaltiges Ver- trauen in eine ordentliche Unternehmensführung erzeugen sollen.72 Im Anbetracht dessen, dass die meisten beobachteten Missstände im Unternehmen nicht gemeldet werden, können finanzielle Anreize jedoch durchaus vorteilhaft auf die Bereitschaft zum Whistleblowing wirken.73
Der meist kritisierte Aspekt finanzieller Belohnungen liegt darin, dass eine Honorie- rung einerseits opportunistisches Verhalten begünstigt, andererseits eine Bespitze- lungskultur sowie eine Misstrauens- und Feindseligkeitsatmosphäre im Unternehmen erzeugen kann. Dies wiederum führt zu einem Verlust von Mitarbeiterloyalität, Moral und Gruppenidentität. Dadurch wird die Arbeitseffektivität negativ beeinflusst.74 Be- lohnt man also die Mitteilung werthaltiger Informationen finanziell, so muss man glei- chermaßen die Meldung falscher Hinweise oder Verleumdungen durch Mitarbeiter sanktionieren, um glaubwürdig zu agieren.75 Die ausschließliche Gewährung finan- zieller Anreize, um die Bereitschaft zum Whistleblowing zu erhöhen, stellt aus unternehmensinterner Sicht somit eher einen methodischen Fehler als eine geeignete Maßnahme dar.76
3.1.3. Implementierung von Whistleblowing-Strukturen
3.1.3.1. Unternehmenskulturelle Wirkung auf Compliance-Aktivitäten
Die Kultur eines Unternehmens repräsentiert deren gelebte Grundwerte, gemeinsame Ziele und Visionen und ist eng an die geschäftliche Entwicklung geknüpft. Sie regelt und beeinflusst die gesamte Beziehungsstruktur, die ein Unternehmen zu seinen Stakeholdern, so auch zu seinen Mitarbeitern pflegt.77
Die Unternehmenskultur hat signifikanten Einfluss auf den Erfolg von Compliance- Bemühungen und somit auch auf die Entstehung von betriebsinternem Fehlverhal- ten.78 Compliance-Maßnahmen79 tragen wiederum zu einer Erhöhung des Rechts- bewusstseins von Mitarbeitern bei und bieten eine Orientierung darüber80, welche Verhaltensweisen von der Unternehmensleitung als korrekt angesehen werden. Ei- nen Zusammenhang zwischen positiver Unternehmenskultur sowie einer gestiege- nen Akzeptanz von Compliance-Aktivitäten belegte auch eine PwC-Studie unter deutschen Großunternehmen.81
[...]
1 Siehe Trent (2008).
2 Vgl. BKA (2009), S. 6.
3 Je betroffenen Unternehmen bemisst sich der finanzielle Schaden im Mittel auf 5,57 Mio. Euro.
4 Siehe Berndt / Hoppler (2005), S. 2627 und Nestler / Salvenmoser / Bussmann (2009), S. 3 und S.12 - 14.
5 Ebenso verpflichtet der amerikanische Sarbanes-Oxley Act (SOX) sämtliche Tochtergesellschaf- ten von US-Konzernen sowie alle an der US-Börse notierten internationalen und US-Unternehmen u.a. dazu, ein internes Hinweisgebersystem einzurichten. Missachtet ein Unternehmen die SOX- Regelungen muss es mit schwerwiegenden Sanktionen rechnen. Diese Regelungen haben somit auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen; .vgl. Rohde-Liebenau (2005), S. 9 - 10 und Strack (2008), S. 5
6 Vgl. Merz (2011).
7 Fraud meint im weiteren Verlauf der Arbeit jegliche Form wirtschaftskrimineller Handlungen, die in einer Organisation verübt werden können (z.B. Korruption, Bilanzfälschung, Insiderhandel, Preis- absprachen usw.).
8 In 49 Prozent der Fälle stellen Mitarbeiter die Informationsquelle dar. Aber auch externe Stakehol- der tragen wesentlich dazu bei; vgl. ACFE (2010), S. 16 - 17.
9 Vgl. ACFE (2010), S. 43.
10 Siehe Donato (2009), S. 137.
11 Vgl. Graser (2000), S. 6 - 7.
12 Es wurde eine eigene Umfrage zur Ausgestaltung von Hinweisgebersystemen in Deutschland erhoben. Dabei gaben 22 von 44 der kontaktierten Unternehmen eine Auskunft. Die Mehrheit der Interviewpartner nimmt die Funktion des Leiters der internen Revision wahr.
13 Entnommen aus Graser (2000), S. 4 - 5.
14 Miceli / Near (1985), S. 4.
15 Whistleblowing betrifft neben der Privatwirtschaft auch Behörden und kommunale Einrichtungen.
16 Dies ist insofern von Bedeutung, da die Schutzwürdigkeit des Hinweisgebers und dessen Abgren- zung vom Denunzianten davon abhängt; vgl. Berndt / Hoppler (2005), S. 2625.
17 Vgl. hierzu Berndt / Hoppler (2005), S. 2625; Wolz (2007), S. 13 und Briegel (2009), S. 14 - 16.
18 Siehe Briegel (2009), S. 16.
19 Vgl. De George (1993), S. 1275 - 1278.
20 Entnommen aus Miceli / Near (1992), S. 16.
21 Carl von Ossietzky sagte einmal: „In Deutschland gilt derjenige als gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat.“; vgl. Merz (2011).
22 Hinweisgebern wird z.B. die Gefährdung der Arbeitsplätze von Kollegen durch „illoyales“ Verhalten vorgeworfen; siehe Schmitt (2003), S. 1.
23 Siehe dazu Rohde-Liebenau (2005), S. 13.
24 So gab es bereits in der Zeit des Nationalsozialismus eine geförderte Kultur des Denunzierens. Die Anzeigebereitschaft der Deutschen war damals außerordentlich hoch. So gingen 60 bis 80 Prozent, der durch die Gestapo verfolgten Fälle, auf spontane Hinweise aus der Bevölkerung zu- rück. Dieser erschreckend hohe Anteil ist auf die niedrige Hemmschwelle der Denunzianten sowie geringe moralische Bedenken in Bezug auf die vorherrschende NS-Politik zurückzuführen. Wäh- rend der Zeit des DDR-Regimes war der Einsatz informeller Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit kennzeichnend; vgl. Gieseke (2001), S. 115 - 117.
25 Entnommen aus De George (1993), S. 1276.
26 Zu den Ausführungen dieses Absatzes vgl. Graser (2000), S. 4 - 5 und Schmitt (2003), S. 6 - 7.
27 Vgl. Dworkin / Near (1997), S. 4 und Graser (2000), S. 266.
28 Entscheidend ist jedoch, dass es sich nicht um eine Berichterstattung über den gewöhnlichen Dienstweg handelt. Internes Whistleblowing findet demnach erst statt, wenn die Mitteilung an di- rekte Vorgesetzte umgangen, also eine Hierarchieebene übersprungen wird; vgl. De George (1993), S. 1275 - 1278.
29 So auch Barnett (1992), S. 950; Dworkin / Near (1997), S. 11 und Donato (2009), S. 167.
30 Adressaten des externen Whistleblowings können insbesondere Strafverfolgungs- und Aufsichts- behörden (z.B. die Staatsanwaltschaft und das Finanzamt), die Wirtschaftsprüfung, Gewerkschaf- ten, Medien oder die Öffentlichkeit sein; vgl. Schmitt (2003), S. 5 - 6.
31 Siehe auch Berndt / Hoppler (2005), S. 2626.
32 Vgl. Nestler / Salvenmoser / Bussmann (2009), S. 12 - 15.
33 Siehe Hauschka (2010), S. 673 - 676.
34
„Blacklisting“ ist eine v.a. in den USA praktizierte Vergeltungsmethode, mit der sich Unternehmen gegenseitig vor Hinweisgebern warnen. Für den Whistleblower kann dies den faktischen Aus- schluss vom Arbeitsmarkt bedeuten; siehe Sawyer / Johnson / Holub (2005), S. 9.
35 Zu detaillierten Ausführungen über subtile Vergeltungsmethoden siehe Schmitt (2003), S. 21 - 24 und zum Blacklisting vgl. Sawyer / Johnson / Holub (2005), S. 9 - 14.
36 Eine eigene Gesetzgebung zur komplexen Problematik des Hinweisgebens existiert in der BRD bislang nicht. Bestehende Gerichtsurteile leiten sich aus einschlägigen Grundrechten und arbeits- rechtlichen Nebenpflichten für Arbeitnehmer sowie -geber ab. Vielfach stellen gerade die Rege- lungen der Arbeitsgesetzgebung Schranken des Grundrechts dar, vgl. Ax / Schneider / Scheffen (2010), S. 140 - 141.
37 Siehe dazu detaillierte Ausführungen von Graser (2000), S. 6 - 7 und Strack (2008), S. 8 - 10.
38 Die Plattform finanziert sich ausschließlich über Spenden von Privatpersonen und verweigert die Annahme von Regierungs- und Unternehmensgeldern; siehe Wikileaks (2007).
39
2008 tauchten dort Unterlagen auf, welche Details zu Steuermanövern über die Cayman Islands der Schweizer Bankenhausgruppe Julius Bär und deren Kunden enthielten; vgl. Wikileaks (2007).
40 Zu den Ausführungen dieses Absatzes vgl. Wikileaks (2007).
41 Vgl. Thiel (2008).
42 Eine Mitarbeiterbefragung ergab, dass sich Arbeitnehmer zunächst intern, dann an Strafverfol- gungsbehörden und zuletzt an die Medien wenden würden; vgl. Callahan / Collins (1992), S. 931.
43 Siehe dazu im Detail Abschnitt 3.2.4.4., Einrichtung eines externen Ombudsmann-Systems.
44 Eine KPMG-Studie ergab, dass der Anteil der zufällig aufgedeckten Straftaten bei 55 Prozent liegt. Hinweisgebersysteme liefern Insiderinformationen, die der Aufdeckung durch interne Kontrollsys- teme sowie Routineprüfungen verborgen bleiben; siehe Hülsberg (2010), S. 11 - 12.
45 Entnommen aus Fahrig (2010), S. 30.
46 Siehe dazu Söllner (2000), S. 137.
47 Externes Hinweisgeben meint an dieser Stelle nicht die Weitergabe brisanter Informationen an externe Ombudspersonen.
48 Für Aufsehen sorgten in den letzten Jahren vor allem die Siemens-, MAN,- Daimler- oder auch die aktuelle Ferrostaal-Affäre; vgl. Ott (2010).
49 In Deutschland findet sich der Whistleblower-Schutz auf Bundesebene nur in der Gefahrenstoff- verordnung und dem Arbeitsschutzgesetz. Auf Länderebene eistiert er hingegen nur in zwei Da- tenschutzgesetzen; vgl. Graser (2000), S. 265 - 266.
50 Siehe Schmidt (2005), S. 156 - 157, S. 162 und im Detail Graser (2000), S. 85 sowie S. 265.
51 In den USA bietet insbesondere der Federal False Claims Act die größten Anreize in Form finanz- ieller Belohnungen auf Bundesebene; vgl. Graser (2000), S. 85 - 86.
52 Vgl. Briegel (2009), S. 207.
53 Vgl. Miceli / Near (1994), S. 65 und S. 71 sowie Suchanek (2003), S. 17.
54 Entscheidet sich der Mitarbeiter gegen Whistleblowing, kann dies z.B. durch sozialen Druck sei- tens der Kollegen und der Angst vor Sanktionierung begründet sein; vgl. Suchanek (2003), S. 18. Gerade, wenn Führungskräfte beteiligt sind, empfindet der Beobachter das wahrgenommene Risi- ko, Whistleblowing zu betreiben, häufig als zu hoch. Die Reichweite des Täterkreises ist für ihn schwer einschätzbar. Es besteht zudem eine verbreitete Auffassung darin, dass die Mitteilung an Vorgesetzte weder zu einer Abstellung des Fehlverhaltens, noch zu einer Sanktionierung des Ver- ursachers des Missstands führt; siehe erneut Miceli / Near (1994), S. 66.
55 Siehe Hirschman (1974), S. 3 - 4 und S. 31.
56 In der Literatur werden Hinweisgebern häufig das Motiv der Gemeinwohlorientierung und Fürsorg- lichkeit nachgesagt. In der Praxis zeigt sich auch, dass aus niederen Motiven (z. B. Rache oder Gier) gehandelt wird; zum Thema Whistleblower-Motive siehe im Detail Leisinger (2003), S. 78 -
80 und Wolz (2007), S. 18 - 19.
57 Siehe dazu Dworkin / Near (1997), S. 10.
58 Immaterielle Arrangements seitens des Unternehmens stellen bspw. eine klare Positionierung des Managements gegen Fraud, eine Whistleblowing begünstigende Unternehmenskultur sowie die kritische Loyalität und die Sicherstellung der Anonymität dar; vgl. Dworkin / Near (1997), S. 11.
59 Vgl. Briegel (2009), S. 59.
60 Dworkin / Near (1997), S. 8.
61 Zu den Ausführungen dieses Absatzes siehe Briegel (2009), S. 59.
62 Entnommen aus Suchanek (2003), S. 19.
63
„[…] ’traditional’ whistle-blowers […] have been blowing the whistle regardless of costs.“; vgl. Dworkin / Near (1997), S. 8.
64 Siehe Dworkin / Near (1997), S. 8.
65 Neben dem Wahrheitsgehalt, können dabei die Aktualität und Vollständigkeit der Information ein Kriterium für die Belohnung sein; vgl. Dworkin / Near (1997), S. 8.
66 Ähnlich wie hier Callahan / Dworkin (1992), S. 301 - 302.
67 Dies ist z.B. bei der Aufdeckung von Unterschlagung möglich.
68 Siehe Wolz (2007), S. 42 und Miceli / Near / Dworkin (2009), S. 385 - 387.
69 Miceli, Near und Dworkin halten auch eine Gehaltserhöhung sowie eine einmalige Bonuszahlung für möglich. Arbeitgeber in den USA nutzen diese Anreizmaßnahmen insbesondere dann, wenn sie im Ergebnis zu einer höheren Produktivität oder niedrigeren Herstellkosten führen; vgl. Miceli / Near / Dworkin (2009), S. 385 - 387.
70 Vgl. Briegel (2009), S. 198.
71 Vgl. Callahan / Dworkin (1992), S. 291 - 293.
72 Entnommen aus Donato (2009), S. 210.
73 Vgl. erneut Callahan / Dworkin (1992), S. 291 - 293.
74 Siehe Dworkin / Near (1997), S. 10.
75 Sanktionsmöglichkeiten für Opportunisten können wiederum Versetzungen, die Zuweisung ande- rer Tätigkeitsgebiete oder der Ausschluss bei Beförderungsentscheidungen darstellen; vgl. Briegel (2009), S. 198.
76 Vgl. Callahan / Dworkin (1992), S. 336 und Briegel (2009), S. 52 - 53.
77 Siehe Leisinger (2003), S. 162 - 163.
78 Vgl. Nestler / Salvenmoser / Bussmann (2010), S. 37 - 38.
79 Unter Compliance wird die Gesamtheit aller Maßnahmen verstanden, die das regelkonforme Ver- halten von Mitgliedern in einer Institution im Hinblick auf Gesetze und Stakeholder-Anforderungen sowie in Übereinstimmung mit unternehmerischen und gesellschaftlichen Richtlinien begründen. Es umfasst die Implementierung von Strukturen, Systemen und Prozessen innerhalb von Organi- sationen; vgl. Menzies (2006), S. 2 sowie Hauschka (2010), S. 3 - 4.
80 Eine eigens durchgeführte Erhebung im Rahmen dieser Arbeit ergab, dass neun von zwölf Befrag- ten den Eindruck haben, der Stellenwert von Compliance-Aktivitäten hätte in den letzten fünf Jah- ren zugenommen. Trotz dieser positiven Tendenz haben 9 von 14 Befragten bisher kein Comp- liance-Management-System (CMS) eingerichtet.
81 Siehe Nestler / Salvenmoser / Bussmann (2010), S. 4.