Talenterkennung. Möglichkeiten und Grenzen


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Die Definition

2 Genetische und körperliche Voraussetzungen

3 Analyse und Diagnose
3.1 Altersproblematik
3.2 Ein dynamischer Prozeß
3.3 Von einer Theorie der Talenterkennung zu praktikablen Modellen
3.3.1 Eine „Talenttheorie” nach Schnabel et al
3.3.2 Zur konkreten Talentauswahl
3.3.2.1 Weinecks Vorstellungen
3.3.2.2 Altersproblematik
3.3.2.3 Der organisatorische Rahmen
3.3.3 Eine „Talentberechnung” nach Hollmann/Hettinger

4 Kurzes Fazit

5 Abbildungsverzeichnis

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Namen großer Sportler sind uns fachbedingt bekannt: Jesse Owens, Franz Beckenbauer, Eddy Merckx, Michael Jordan ...- die Liste ließe sich noch um etliche Namen bereichern. Allesamt sind oder waren sie Spitzenkönner in einer Sportart. Offenkundig hat in all diesen Fällen ein talentierter Sportler die für ihn passende Sportart zum rechten Zeitpunkt gewählt und sein Talent zur Entfaltung gebracht.

Aber wäre Eddy Merckx ein guter Sprinter und Jesse Owens ein nur halbwegs guter Radrennfahrer geworden? Wie sähe Michael Jordan auf dem Fahrrad aus und Beckenbauer unter dem Basketballkorb? Diese Gedankenspiele scheinen müßig, dennoch steckt ein ernstzunehmender Fragenkomplex dahinter, der in dieser Arbeit wenigstens zum Teil erörtert werden soll: Wie erkenne ich, ob und für welche Sportart ein Kind geeignet ist? Was muß einen Jesse Owens von anderen Kindern unterscheiden und wie erfasse ich diese Merkmale? Wie kann ich vom bloßen Zufall zu einer sicheren Erkennung und Prognose gelangen? Und wie kann ich dies möglichst früh tun, damit keine Entwicklungsphase verschenkt wird?

Diese Fragestellungen stehen im Zentrum der Arbeit. Dabei interessieren in erster Linie konstitutionelle, physische, genetische und körperliche Voraussetzungen, die ein Kind zum Talent machen. Die Ausführungen, die hierzu im Hauptteil gemacht werden, müssen zum größten Teil sehr allgemeiner Natur bleiben, da es nicht der Sinn dieser Ausarbeitung ist, sich auf eine einzelne Sportart zu konzentrieren; vielmehr soll das Problemfeld der Talenterkennung allgemein angegangen werden, so daß hier eine Grundlage geschaffen wird, von der aus man den Fokus auf einzelne Sportarten richten kann.

Der erste Abschnitt des zweigeteilten Hauptteils setzt sich mit genetischen und körperbaulichen Voraussetzungen, die ein Talent ausmachen sollen, auseinander, weil es bei der Talenterkennung seit jeher von besonderem Interesse war festzustellen, ob die besondere Veranlagung in der Wiege liegt oder nicht. Könnte man dies dann unproblematisch mit einer medizinischen Untersuchung ermitteln, wäre es die frühestmögliche Talenterkennung und weniger Geeignete würden sich die Trainingsmühen gleich sparen. Hieran schließt sich der deutlich umfangreichere Teil der Arbeit an, der sich mit Analyse und Diagnosemaßnahmen zur Talenterkennung befaßt. Ausgehend von einem einfachst denkbaren Talenttest schließen sich Überlegungen allgemeiner Art zu solcherlei Eignungsprüfungen an. Dies leitet über zur Vorstellung und Diskussion von Erwägungen namhafter Autoren zur Talenterkennungsthematik. Die Ansätze der Autoren können hier selbstverständlich nur angerissen werden, so daß ich für eine weiterreichende Auseinandersetzung mit den Überlegungen der betreffenden Autoren den Blick in die jeweils angegebene Literatur empfehlen muß. Den Abschluß bildet ein kurzes Fazit.

Damit präzisiert wird, was unter dem Begriff des Talents in dieser Arbeit zu verstehen ist, stelle ich dem Hauptteil dieser Arbeit noch eine anerkannte Definition des Begriffs voran, mit einer kurzen Begründung für die Entscheidung zu gerade dieser Definition.

1.1 Die Definition

Dieser Arbeit liegt der Talentbegriff Winfried Jochs zugrunde, der Talent folgendermaßen definiert (Joch 1994, 90):

”Talent besitzt, oder ein Talent ist, wer auf der Grundlage von Dispositionen, Leistungsbereitschaft und den Möglichkeiten der realen Lebensumwelt über dem Altersdurchschnitt liegende (möglichst im Wettkampf nachgewiesenen) entwicklungsfähige Leistungsresultate erzielt, die das Ergebnis eines aktiven, pädagogisch begleiteten und intentional durch Training gesteuerten Veränderungsprozesses darstellen, der auf ein später zu erreichendes hohes sportliches Niveau zielstrebig ausgerichtet ist.”

Diese Definition wurde gewählt, weil sie besonderes Gewicht auf den Entwicklungscharakter des Talentbegriffs legt und hier schon in der Definition davon Abschied genommen wird zu glauben, ein Kind, das durch ein einmaliges sportliches Resultat glänzt, sei als Talent zu bezeichnen. Zudem werden in dieser Definition alle die Leistung beeinflussenden Parameter berücksichtigt, was in meinem vorliegendem Beitrag nicht geleistet werden kann, da ich mich auf die in der Einleitung bereits hervorgehobenen Aspekte beschränke, die in der Definition unter den Begriff der Disposition fallen.

2 Genetische und körperliche Voraussetzungen

Eine bedeutende Rolle bei der Erkennung von Talenten spielen genetische Determinanten, die z.B. die anthropometrischen Voraussetzungen wesentlich bestimmen. Diese Aspekte sind in obiger Definition als Teil des Begriffs der Disposition eingegangen, unter diesen Begriff subsumiert Joch somatische, psychische und motorische individuelle Voraussetzungen (vgl. Joch 1994, 84).

Einige Beispiele sollen die Rolle genetischer und körperlicher Faktoren verdeutlichen: Die Möglichkeiten des Einzelnen, Rekorde in bestimmten Sportarten zu erbringen, stoßen trotz intensiven Trainings an Grenzen. Der Hochspringer etwa benötigt lange Beine und einen hochgelegenen Körperschwerpunkt, der Gewichtheber braucht kurze Arme und Beine, der Turnerin gereichen geringe Größe und geringes Gewicht zum Vorteil, während Ruderer und Basketballer groß sein sollten. Die Frage ist hier, wieweit genetische Determinanten Grenzen in der Leistungsentwicklung festlegen.

Bei den anthropometrischen Voraussetzungen wie Länge[1] und Proportionen eines Athleten, die auch als Beispiele dienten, ist die genetische Vorbestimmtheit eindeutig, und auch die daraus resultierenden Leistungsgrenzen in bestimmten Sportarten sind weitgehend unstrittig. Schwieriger zu beantworten und interessant für die Talenterkennung ist die Frage, wieweit etwa morphologische Strukturen der Organe (z.B. Muskelfaserzusammensetzung, Glykogenspeicherfähigkeit der Leber usw.) oder komplexe motorische Fertigkeiten genetisch festgelegt sind, welchen Einfluß Umweltfaktoren haben, wieweit solche Anlagen die individuell zu erreichende Leistung limitieren und wie man solch genetische Determinanten möglichst früh erkennt.

Zu diesem Problem äußern sich Karoß / Martin (1996, 181f.) allgemein:

”Je weniger weit nun der Weg vom Gen zum Merkmal ist, um so präziser ist der Rückschluß auf eine bestimmte genetische Information [z.B. Haarfarbe]. Je komplizierter jedoch ein Merkmal aufgebaut ist - und das dürfte für sportliche Leistungsvoraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein - um so weniger dürften deskriptive und messende Methoden der Humangenetik - so Betz et al. - den Nachweis erbringen können, inwieweit die Merkmale eines Phänotypus hauptsächlich auf Erbanlagen zurückzuführen sind.”

Bei der Größe und den Proportionen ist der Weg vom Gen zur Merkmalsausprägung offenbar kurz, Umwelteinflüsse spielen hier keine Rolle. Bei weiteren für sportliche Leistungen wichtigen organischen Voraussetzungen ist der Zusammenhang schon nicht mehr so eindeutig. Hollmann/Hettinger (1990, 11) zählen zu den Voraussetzungen für sportliche Leistung (allerdings ganz allgemein, ohne sie im Zusammenhang mit der Genetik zu sehen) Morphologie und Struktur der Organe, chemischer Aufbau der Organe, nervale und humorale Steuerung. Obwohl hier der Weg vom Gen zum Merkmal recht kurz ist, ist zum einen noch nicht immer ganz klar, was Anlage- und was Umweltbedingt ist, zum anderen sind Untersuchungen, die den Zustand der Organe bezüglich sportlicher Eignung testen wollen, aufwendig und z.B. bei der Ermittlung der Muskelfaserzusammensetzung bei Kindern und Jugendlichen ethisch bedenklich. Denn bei dieser für die sportliche Eignung interessanten Untersuchung ist eine schmerzhafte Entnahme von Muskelfasern aus der entsprechenden Muskulatur in Form eines kleinen operativen Eingriffs nötig.

Selbstverständlich ist die Sportmedizin nach wie vor bemüht, Auswahlkriterien zu entdecken und zu entwickeln und hat dies in einigen für die Talenterkennung bedeutsamen Bereichen getan. So findet sich folgendes Beispiel bei Hollmann/Hettinger (1990, 649):

”Nach statistischen Berechnungen befinden sich unter 1000 Jungen bzw. 1000 Mädchen je 1 Junge oder 1 Mädchen mit überdurchschnittlicher genetischer Voraussetzung im Hinblick auf die Ausdauerleistungsfähigkeit. Die Betreffenden weisen z.B. im 10. oder 12. Lebensjahr ohne besonderes Training eine relative maximale O2-Aufnahme von 60 - 65 oder mehr ml/min pro kg Körpergewicht auf.”

(Auch ein weiter unten vorgestelltes Beispiel aus Hollmann/Hettinger 1990 macht deutlich, daß die Sportmedizin in einigen Bereichen der Talenterkennung bedeutsame Erkenntnisse gewonnen hat.)

Viel schwieriger wird es, der Bedeutung der genetischen Anlagen auch bei komplexen sportmotorischen Fertigkeiten auf den Grund zu gehen. Hierzu liegen Untersuchungen, z.B. von Singer, vor, die zu dem Ergebnis gelangen: „Der genetische Einfluß im Bereich der Motorik ist bedeutsam.” (Singer 1994, 51-71 zitiert nach Krauß/Karl 1996, 187). Ohne diese Untersuchungen im einzelnen näher vorstellen zu können: Aus der Vagheit der Aussagen geht hervor, daß hier noch Grundlagenforschung betrieben werden muß, um zu gesicherten Aussagen gelangen zu können.

Die Frage, wieweit die genetischen Determinanten letztendlich am Erfolg beteiligt sind, muß in weiten Teilen offen bleiben und dies gilt auch für die umgekehrte Frage, wieweit die genetischen Anlagen einen Erfolg unter Umständen verhindern.

Daher sollten Tests zur Talentauswahl so angelegt sein, daß sie generelle Aussagen über die Eignung eines Probanden zulassen, denn ob die Eignung auf den Genen liegt oder durch Training oder andere Umwelteinflüsse erworben wird, ist letztendlich unerheblich, wenn die Leistungen sich gut bis sehr gut entwickeln.

Festgehalten werden kann aber, daß die anthropometrischen Voraussetzungen eines Menschen ihn für Höchstleistungen in bestimmten Sportarten praeferieren und ihn für andere ungeeignet machen (siehe obige Beispiele). Aus diesem Grund müssen solch einfach zu ermittelnde Parameter wie Körpergröße, Proportionen und Gewicht in die Talenterkennung mit einfließen. Auch andere organische Voraussetzungen sollen beachtet werden, soweit sie durch einen einfachen medizinischen Check feststellbar sind. (Grundsätzlich sollten sich gerade Kinder und Jugendliche bei Aufnahme eines sportlichen Trainings auf jeden Fall einer allgemeinen medizinische Eignungsuntersuchung unterziehen.)

3 Analyse und Diagnose

Unabhängig davon, wieweit genetische Determinanten für ein Talent von Bedeutung sind, ist bei der Talenterkennung eine Analyse des Ist-Zustandes unumgänglich, will man geeigneten sportlichen Nachwuchs rekrutieren. Auf der Basis der Analyse erfolgt dann im Idealfall eine Diagnose hinsichtlich der Eignung und der Entwicklungschancen eines Athleten für diese oder jene Sportart. Dabei werden die Leistungsvoraussetzungen und die Leistungen mit dem Anforderungsprofil der Sportart verglichen. Die Kriterien der Eignung eines Talents bzgl. des Anforderungsprofils einer Sportart „müssen von der Struktur der späteren zu erzielenden Höchstleistung abgeleitet werden” (Hofmann/Schneider 1985 zitiert nach Weineck 1996, 129). Hierzu bedürfte es eines sportartspezifischen Merkmalskataloges, den es, so Weineck (1996, 131), leider in den wenigsten Sportarten gibt, was eine frühzeitige Talentauswahl sehr erschwert.

Zu den Merkmalen, die in eine solche Analyse eingehen, gehören soziale, konstitutionelle, physische und psychische. Auf die psychischen und die sozialen Merkmale soll in diesem Kapitel nur peripher eingegangen werden, obwohl auch sie die Leistung stark beeinflussen. Ich lege im Folgenden dann die psychischen und sozialen Merkmale im Sinne einer günstigen Talententwicklung als positiv gegeben zugrunde. Zu einer umfassenden Analyse gehören auch diese Merkmale. Relativ leicht durch Fragen, evtl. Fragebögen und Gespräch lassen sich die sozialen Bedingungen ermitteln. Für die psychischen wären sehr viel aufwendigere Tests erforderlich. Hier muß man sich vorerst damit begnügen, ob der junge Sportler motiviert ist, Sport zu treiben oder nicht.

Die einfachst denkbare Analyse der verbliebenen Parameter wäre ein einmaliger sportlicher Test, an dessen Ergebnis man eine Aussage bezüglich des Talentpotentials knüpft. Hinzugenommen werden noch einfach zu ermittelnde anthropometrische Parameter, soweit sie für die Sportart von Bedeutung sind. Denkbar im Bereich der Leichtathletik wären normierte Sprung und Wurftests wie 30m fliegend sprinten, 30m mit Start sprinten, Medizinballwürfe, beidbeiniger Standsprung etc.

Anhand einer großen Anzahl von Probanden ermittelt man Mittelwerte und eine Standardabweichung, dies jeweils für einen Altersjahrgang und zieht eine Grenze, ab der ein Proband als Talent eingestuft wird. Verfährt man so, handelt man auf der Basis eines extrem statischen Talentbegriffs, der konträr zur oben gegeben Definition steht. Kraft solch einmalig erbrachter Leistung ein Urteil über die Entwicklungsfähigkeit der Leistung in der Zukunft fällen zu wollen, ist unsinnig. Dies kann keine Grundlage für eine gewissenhafte Diagnose sein.

3.1 Altersproblematik 1

Die Aussagekraft solcher Tests wird zudem erheblich geschwächt, wenn die Probanden unkritisch, einfach ihrem kalendarischen Alter nach eingeteilt werden und somit nur vor der Durchschnittsleistung ihres Jahrgangs beurteilt werden. Wie Schnabel et al (1997, 349) erläutern, ist es notwendig, die Beurteilung der Leistung in Abhängigkeit vom Entwicklungsalter des Probanden vorzunehmen. Das Entwicklungsalter setzt sich nach Schnabel et al (1997, 349) aus „kalendarischem, biologischem und Trainingsalter” zusammen, wobei das biologische Alter und das Trainingsalter den weitaus größten Einfluß auf die sportliche Leistungsfähigkeit nehmen.

[...]


[1] Gerade bei der Bestimmung der zu erwartenden finalen Körpergröße von Kindern und Jugendlichen existieren recht zuverlässige Untersuchungsmethoden.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Talenterkennung. Möglichkeiten und Grenzen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Fakultät für Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Trainingswissenschaften
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
19
Katalognummer
V278885
ISBN (eBook)
9783656717317
ISBN (Buch)
9783656717232
Dateigröße
409 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trainingslehre, Trainingswissenschaft, Talent, Talenterkennung, sportliches Talent
Arbeit zitieren
Alexander Pieper (Autor:in), 1998, Talenterkennung. Möglichkeiten und Grenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278885

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