Mit dem Stichtag des 01.08. 2013 haben deutschlandweit alle Eltern, deren Kind das erste Lebensjahr vollendet hat, einen rechtlichen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder innerhalb der Kindertagespflege. Mit Hilfe des flächendeckenden Ausbaus soll für insgesamt 39 Prozent aller Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen, wobei jedes Jugendamt, beziehungsweise Kommune, ihren individuellen Betreuungsbedarf selbst ermittelt (Statistisches Bundesamt, 2012).
Dieser Rechtsspruch resultiert zu einem großen Teil aus den Ergebnissen und anschließenden Diskussionen der ersten PISA-Studie im Jahr 2000, wonach sich Deutschland im Gesamtfazit innerhalb des Bereiches einer unterdurchschnittlich erfolgreichen Gruppe wiederfand. Besonders erschreckend wirkte dabei das Ergebnis, dass deutsche Schulsystem benachteilige Kinder aus bildungsfernen Schichten. Auf der Suche nach Gründen für das schlechte Abschneiden der Schüler im Sekundarbereich I stieg das öffentliche Interesse an vorschulischen Institutionen, wo, neben der Familie, die Grundlagen für gute oder schlechte schulische Leistungen gelegt werden. Auch die Ergebnisse der Starting Strong Studien von 2001 und 2004 bestätigten u. a., dass die Bildung der Jüngsten in den Kindertageseinrichtungen einen zu geringen Stellenwert einnimmt und die Startchancen eines Kindes abhängig von seiner sozialen und regionalen Herkunft sind.
Die Politiker Deutschlands erkannten, dass neben den Bildungschancen der Drei- bis Sechsjährigen im Kindergarten, der seit jeher als eine familienergänzende Institution akzeptiert wird, auch das Bildungspotenzial der Kinder im Alter von null bis drei Jahren nicht ungenutzt bleiben darf. Deutschland tat es dem europäischen Ausland gleich und widmete sich fortan der Frage, welchen Beitrag bereits Kindertageseinrichtungen zur frühkindlichen Bildung und Kompetenzentwicklung leisten können. Die Bestrebungen des Staates rühren auch vor dem Hintergrund der aktuellen demografischen Entwicklungen, in denen Kinder als eine knapp gewordene Ressource begriffen werden und wo es gilt, dass jede einzelne Bildungschance mobilisiert werden muss.
Bezüglich des Ausbaus wurden aber auch Gegenstimmen laut, die das Vorhaben der Familienpolitik als einen gesellschaftspolitischen Skandal beschrieben, da es „nicht an der Stärkung der Familie und am Kindeswohl orientiert, ja sogar, kinderfeindlich sei“ (Süddeutsche, 2010). [...]
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren von Beginn des 19. Jh. bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
2.1 Der Beginn der institutionellen Betreuung
2.2 Das Krippenwesen der DDR innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
2.2.1 Begriffliche Grundlage: Kinderkrippe
2.2.2 Das Krippenwesen der DDR innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
2.3 Die institutionelle Erziehung und Betreuung in Westdeutschland
2.4 Die institutionelle Erziehung, Bildung und Betreuung im wiedervereinigten Deutschland
2.4.1 Begriffliche Grundlage: Tageseinrichtungen für Kinder
2.4.2 Die institutionelle Erziehung, Bildung und Betreuung im wiedervereinigten Deutschland innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
2.5 Zwischenfazit
3 Die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren in der gegenwärtigen Betrachtung
3.1 Gesetzliche Verankerung der Grundwerte zum Schutz der Familie und des Kindes
3.2 Der bildungspolitische Kontext des Ausbaus der Kindertageseinrichtungen
3.3 Der quantitative Ausbau in den ost- und westdeutschen Bundesländern
3.4 Möglichkeiten zur Bestimmung von Qualitätskriterien
3.5 Zwischenfazit
4 Gegenwärtige pädagogische Orientierungen in der Gegenüberstellung mit der DDR
4.1 Begriffliche Grundlage und Eingrenzung: Pädagogische Orientierung
4.2 Grundbedürfnisse von Kindern unter drei Jahren
4.3 Das Bild vom Kind
4.3.1 Das Bild vom Kind in der aktuellen Betrachtung
4.3.2 Das Bild vom Kind in der DDR
4.4 Pädagogische Arbeitsweisen und Handlungskonzepte
4.4.1 Bildungspläne und Bildungsgrundsätze
4.4.2 Das Erziehungsprogramm in der DDR
4.5 Zwischenfazit
5 Gegenwärtige pädagogische Strukturen institutioneller Betreuungseinrichtungen für Unterdreijährige in der Gegenüberstellung mit der DDR
5.1 Begriffliche Grundlage und Eingrenzung: Pädagogische Strukturen
5.2 Personale Dimension
5.2.1 Pädagogisches Personal in der aktuellen Betrachtung
5.2.2 Pädagogisches Personal in den Kinderkrippen der DDR
5.3 Soziale Dimension
5.3.1 Die aktuelle Betreuungsrelation
5.3.2 Die Betreuungsrelation in der DDR
5.4 Räumlich-materiale Dimension
5.4.1 Größe und Ausstattung der Räumlichkeiten in der aktuellen Betrachtung
5.4.2 Größe und Ausstattung der Räumlichkeiten in der DDR
5.5 Zwischenfazit
6 Pädagogische Prozesse in der institutionellen Betreuung von Kindern unter drei Jahren in der Gegenüberstellung mit der DDR
6.1 Begriffliche Grundlage und Eingrenzung: Pädagogische Prozesse
6.2 Eingewöhnung
6.2.1 Die Eingewöhnungszeit in der aktuellen Betrachtung
6.2.2 Die Eingewöhnung in der DDR
6.3 Umgang mit Körperhygiene
6.3.1 Die „Sauberkeitserziehung“ in der aktuellen Betrachtung
6.3.2 Die Sauberkeitserziehung in der DDR
6.4 Spiel
6.4.1 Das Spiel in der aktuellen Betrachtung
6.4.2 Das Spiel in der DDR
6.5 Einbezug der Familie
6.5.1 Der Einbezug der Familie in der aktuellen Betrachtung
6.5.2 Der Einbezug der Familie in der DDR
6.6 Zwischenfazit
7 Gesamtfazit und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ende 1989 - Kinder unter drei Jahren in institutioneller Betreuung, gemessenan allen in Frage kommenden Kinder
Abbildung 2: Stichtag 01. März 2012 - Kinder im Alter von unter 3 Jahren in einer Kindertageseinrichtung oder Tagespflege von 2006 bis
Abbildung 3: Stichtag 01. März 2012 - Betreuungsquote, Betreuungsbedarf sowie Differenzen zwischen Betreuungsquote und Betreuungsbedarf in Prozent nach Altersjahren in Deutschland
Abbildung 4: Stichtag 01. März 2012 - Kinder im Alter von unter 3 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege nach Ländern (in Prozent an der altersgleichen Bevölkerung)
1 Einleitung
Mit dem Stichtag des 01.08. 2013 haben deutschlandweit alle Eltern, deren Kind das erste Lebensjahr vollendet hat, einen rechtlichen Anspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder innerhalb der Kindertagespflege. Mit Hilfe des flächen- deckenden Ausbaus soll für insgesamt 39 Prozent aller Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen, wobei jedes Jugendamt, beziehungsweise Kommune, ihren individuellen Betreuungsbedarf selbst ermittelt (Statistisches Bundesamt, 2012).
Dieser Rechtsspruch resultiert zu einem großen Teil aus den Ergebnissen und anschließenden Diskussionen der ersten PISA-Studie1 im Jahr 2000, wonach sich Deutschland im Gesamtfazit innerhalb des Bereiches einer unterdurchschnittlich erfolgreichen Gruppe wiederfand. Besonders erschreckend wirkte dabei das Ergebnis, dass deutsche Schulsystem benachteilige Kinder aus bildungsfernen Schichten. Auf der Suche nach Gründen für das schlechte Abschneiden der Schüler im Sekundarbereich I stieg das öffentliche Interesse an vorschulischen Institutionen, wo, neben der Familie, die Grundlagen für gute oder schlechte schulische Leistungen gelegt werden. Auch die Ergebnisse der Starting Strong Studien 2 von 2001 und 2004 bestätigten u. a., dass die Bildung der Jüngsten in den Kindertageseinrichtungen einen zu geringen Stellenwert einnimmt und die Startchancen eines Kindes abhängig von seiner sozialen und regionalen Herkunft sind.
Die Politiker Deutschlands erkannten, dass neben den Bildungschancen der Drei- bis Sechsjährigen im Kindergarten, der seit jeher als eine familienergänzende Institution akzeptiert wird, auch das Bildungspotenzial der Kinder im Alter von null bis drei Jahren nicht ungenutzt bleiben darf. Deutschland tat es dem europäischen Ausland gleich und widmete sich fortan der Frage, welchen Beitrag bereits Kindertageseinrichtungen zur frühkindlichen Bildung und Kompetenzentwicklung leisten können. Die Bestrebungen des Staates rühren auch vor dem Hintergrund der aktuellen demografischen Entwicklungen, in denen Kinder als eine knapp gewordene Ressource begriffen werden und wo es gilt, dass jede einzelne Bildungschance mobilisiert werden muss.
Bezüglich des Ausbaus wurden aber auch Gegenstimmen laut, die das Vorhaben der Familienpolitik als einen gesellschaftspolitischen Skandal beschrieben, da es „nicht an der
1 PISA (Programme for International Student Assessment) sind Studien der OECD. Bei der ersten Studie im Jahr 2000 stand die Lesekompetenz, bei der zweiten (2003) die mathematische Kompetenz und bei der dritten (2006) die naturwissenschaftliche Kompetenz im Zentrum des Erkenntnisinteresse.
2 Starting Strong sind Studien der OECD, die es sich zum Ziel machten herauszufinden, was es für Schlüsselelemente in der Kita-Politik bedarf um eine bestmögliche frühkindliche Entwicklung sowie frühkindliches Lernen zu fördern.
Stärkung der Familie und am Kindeswohl orientiert, ja sogar, kinderfeindlich sei“ (Süddeutsche, 2010). Der Ex- Bischof Walter Mixa kritisiert in seinen Aussagen, dass ihn die Absicht des Ausbaus der institutionellen Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern „in beklemmender Weise an die Ideologie der staatlichen Fremdbetreuung von Kindern in der DDR“ erinnere (Süddeutsche, 2010). Weiter mahnt er, dass „Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden, wenn man sie dazu verleite, ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in staatliche Obhut zu geben". Im Kontext dessen plädiert er, dass der Staat mehr Bemühungen unternehmen müsse, damit sich Mütter für die überwiegende bis ausschließlich häusliche Betreuung ihrer Kinder innerhalb der ersten drei Lebensjahre entscheiden (ebd.). Im Gegensatz zum aktuellen bildungspolitischen Vorhaben, einer Professionalisierung der vorschulischen Erziehung, fordert er, dass der Staat die häusliche Erziehungsarbeit der Mutter subventionieren soll, da die Mutter generell, neben dem Vater als der „wahre Erziehungsprofi“ des Kindes gilt (Focus, 2007 ).
Bei der Auseinandersetzung mit seinen Thesen entstand der Wunsch, diese auf deren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen, sowie meiner eigenen Biographie ein Stück weit näher zu kommen. Dazu soll die vorliegende Arbeit einige Qualitätsaspekte der Kinderkrippen in der DDR mit den Kindertageseinrichtungen von heute vergleichen. Daneben soll der Frage nachgegangen werden, ob eine Annäherung beider Krippensysteme nach der Wieder- vereinigung stattgefunden hat und in welchem Ausmaß. Zudem soll herausgearbeitet werden, ob es Vorteile des Krippensystems der DDR gab und welche quantitativen Unterschiede bis heute existieren.
Zum Zweck der Gegenüberstellung ist die vorliegende Arbeit in fünf Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel bezieht sich auf die Entstehung der institutionellen Betreuung von Kindern unter drei Jahren sowie die geschichtliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland als auch im wiedervereinigten Deutschland. Das zweite Kapitel widmet sich Grundwerten unserer Gesellschaft, dem bildungspolitischen Kontext des Ausbaus sowie den von Experten erarbeiten Rahmenbedingungen, um pädagogische Qualität mess- und optimierbar zu machen. Das dritte bis fünfte Kapitel fokussiert die Qualitätsbereiche der Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität mit Hilfe derer der eigentliche Vergleich stattfindet. Dazu wird vorerst der jeweilige Qualitätsbereich erläutert, um im Anschluss jeweilige Handhabungen der DDR mit dem gegenwärtigen Vorgehen zu vergleichen. Auf Grundlage der Ergebnisse wird jeweils ein Zwischenfazit gezogen. Die Arbeit schließt mit einem Gesamtfazit ab.
Die Inhalte der vorliegenden Arbeit basieren auf der Recherche von Fachliteratur sowie aktuellen Studien. Des Weiteren fließen Kenntnisse aus verschiedenen Seminaren im Rahmen meines Studiums mit ein. Für die jeweilige Einschätzung werden die Zeitpunkte 1989 und 2013 herangezogen, da sich die DDR kurz vor der Wiedervereinigung in ihrem ausgereiftesten Zustand befand. Eine Definition der Begrifflichkeiten erfolgt an entsprechender Stelle und kontextbezogen. Die Kindertagespflege wird in der vorliegenden Arbeit nicht speziell thematisiert. Die Begriffe Krippenerzieherin und Leiterin bezeichnen im Folgenden die pädagogischen Fachkräfte; da fast einhundert Prozent des Personals bei der Betreuung der Unterdreijährigen weiblich sind. Jedoch werden die männlichen Kollegen in dieser Formulierung selbstverständlich mit eingeschlossen.
2 Die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren von Beginn des 19. Jh. bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
2.1 Der Beginn der institutionellen Betreuung
Institutionelle Einrichtungen, die sich täglich um die Betreuung und Pflege von Säuglingen und Kleinstkindern in Abwesenheit ihrer Eltern kümmern, haben eine rund 150-jährige Tradition. Nach Darstellung von Reyer und Kleine (Vgl. 1997, S. 15-116) kann die beginnende Industrialisierung als Zeit der Massenarmut beschrieben werden, die auch Frauen zur Erwerbstätigkeit zwang. Dies bedeutete, dass vormalige Betreuungsarrangements für Kinder innerhalb der Familie hinfällig wurden, da insbesondere für niedere soziale Schichten Arbeits- und Lebensort von nun an getrennt wurden. Die Arbeit in den Fabriken und die damit erwirtschafteten Einkünfte schützten zwar vor Armut und Bedürftigkeit, jedoch zog dies nach sich, dass Kleinstkinder zuhause nur notdürftig versorgt blieben oder sich mit in den Produktionsstätten aufhalten mussten. Diese oftmals gefährlichen Umstände in den Fabriken führten zu einer erhöhten Unfallgefahr und einer angestiegenen Säuglings- und Kindersterblichkeit. Es wurden fortan die ersten S ä uglingsbewahr- Anstalten gegründet, die die entstandene Betreuungslücke schließen sollten, bis die Kinder im Alter von drei Jahren in Kleinkinderschulen, Kleinkinder-Bewahranstalten oder in die Kindergärten gehen konnten.
Mit der Eröffnung der ersten Krippe im Jahre 1849 war die Hoffnung verbunden, dass diese Fürsorgeeinrichtungen nach einer allgemeinen Überwindung der Bedürftigkeit alsbald wieder geschlossen werden können (Vgl. Maywald, 2008, S. 24f.). Demnach wurde eher auf hygienische und pflegerische Aspekte, als auf pädagogische Gesichtspunkte Wert gelegt. Der primäre Grund, weswegen Krippen nur temporär eingeführt werden sollten, war die vorherrschende Ansicht, dass die Verantwortlichkeit für ein Kind ausschließlich bei der Mutter und innerhalb der Familie liegen soll, da dies einem biologischen Erziehungsprozess am nächsten kam (Reyer & Kleine, 1997, S. 16) Demnach wurden die einstigen Krippeneinrichtungen in der öffentlichen und wissenschaftlichen Auffassung nur als Zwischenlösung für Säuglinge der niederen Schichten betrachtet beziehungsweise sollten jene Mütter entlasten, die ihren erzieherischen und pflegerischen Aufgaben nicht nachgehen konnten. Gegründet von Fabrikunternehmern oder privaten Wohltätigkeitsvereinen fanden Kinderkrippen kein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage (vgl. Reyer & Kleine, 1997, S. 45ff.) Demnach gab es im Jahr 1912 mindestens 35.000 Säuglinge, die betreuungsbedürftig waren. Dem gegenüber standen 234 Einrichtungen, die ca. 2.800 Säuglinge sowie 4.700 Spielkinder (unterhalb des Kindergartenalters) betreuten. Daraus lässt sich ableiten, dass viele Mütter für ihre Kinder unter drei Jahren privat organisierte Betreuungsarrangements als Lösung aufsuchten.
Dies änderte sich auch trotz einer angestiegenen Frauenerwerbsquote während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus nicht. Folglich mussten jene Familien die Betreuung ihrer Kinder weiterhin fast vollständig privat organisieren, wobei die geleistete Pflege- und Betreuungsarbeit auch nur im Rahmen des Nötigsten stattfand (ebd., S. 46). Mit dem militärischen Sieg der Alliierten, einer gescheiterten gemeinsamen Deutschlandpolitik sowie der Gründung der DDR 1949 entwickelte sich fortan eine unterschiedliche Krippengeschichte in Ost- und Westdeutschland (ebd., S. 115-116). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll zunächst das Krippenwesen der DDR betrachtet und anschließend auf die Entwicklungen des Krippenwesens der BRD eingegangen werden.
2.2 Das Krippenwesen der DDR innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
2.2.1 Begriffliche Grundlage: Kinderkrippe
Kinderkrippen in der DDR, so definiert dies Zwiener im Folgenden, (1994, S. 6ff.) sind Einrichtungen der Vorschulerziehung und werden als erstes Stadium des einheitlichen, sozialistischen Bildungssystems deklariert, obwohl sie de facto dem Ministerium für Gesundheitswesen unterstellt sind. Ihnen obliegt die Betreuung und Erziehung von Kindern von den ersten Lebensmonaten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr, wobei die Kinder jeweils nach altershomogenen Gruppen zusammengefasst sind. Ihr Ziel ist es zur Bildung der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit, sowie zur Realisierung der sozialistischen Erziehungsziele beizutragen. Weiter verhelfen sie Müttern zu Berufstätigkeit und Gleichberechtigung, da die Kinderkrippen für die ganztägige Betreuung, Pflege und Erziehung der Kinder aufkommen. Damit ist für die Mutter die Möglichkeit zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben gegeben. Die Kinderkrippen haben als staatliche Einrichtung das Bestreben, dass sich das Kind altersgerecht und harmonisch entwickelt und eine glückliche Kindheit verlebt (vgl. Programm für die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen, 1986, S. 4). Die verbindliche Erziehungs- und Arbeitsgrundlage der Kinderkrippen der DDR war von 1968 bis 1984 das Konzept P ä dagogische Aufgaben und Arbeitsweise der Krippen und von 1985 bis 1989 der Entwurf Programm f ü r die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen.
Eine Krippeneinrichtung war im Durchschnitt darauf ausgelegt, dass 80 bis 90 Säuglinge oder Kleinkinder aufgenommen werden konnten. Daraus ergaben sich vier bis fünf Gruppen mit einer Gruppenstärke von 18 Kindern (Nentwig-Gesemann, 1999, S. 24). Die Anzahl der Kinder konnte jedoch bei Bedarf von 20 auf 22 Kinder pro Gruppe erhöht werden. Die Kinder wurden ihres Alters entsprechend eingeteilt, sodass es eine Säuglingsgruppe bis ca. zum neunten Lebensmonat, eine Kleinkindgruppe bis zum zwanzigsten Monat, sowie eine zweite Kleinkindgruppe gab, die Kinder bis zum Alter von 36 Monaten betreute. Die Zusammenstellung der Krippenkinder in altersgemischte Gruppen waren nur gestattet, wenn die Anzahl der Kinder zur Bildung homogener Gruppen nicht ausreichte, so wie das teilweise in ländlichen Gegenden der Fall war. Eine Mischung jüngerer Kinder mit Kindern über drei Jahren war nicht erwünscht und hätte zudem auch organisatorisch und aufgrund der verschiedenen Zuständigkeitsbereiche nur schwer realisiert werden können. Nahezu alle Kinderkrippen waren in staatlicher oder kommunaler Trägerschaft (Zwiener, 1994, S. 15).
2.2.2 Das Krippenwesen der DDR innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
Das Krippenwesen der DDR und die damit verbundenen Bedingungen für Heranwachsende lassen sich erst im Zusammenhang des damaligen geschichtlichen, kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes angemessen verstehen. Dies rührt daher, dass die institutionellen sowie inhaltlich- fachlichen Dispositionen der Vorschulerziehung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stärker als in anderen Staaten von den politischen Verhältnissen geprägt wurden (vgl. Schmidt, 1996, S. 52f.).
Mit dem systematischen Ausbau des Krippenwesens (Tages-, Wochen- oder Saisonkrippen) wurde 1948 begonnen, zeitgleich mit dem ersten Fünfjahresplan der DDR, welcher, bemessen auf seinen Zeitraum, Vorgaben hatte, wie viele Güter in welcher Menge produziert werden sowie welche Dienstleistungen erbracht werden dürfen (vgl. Nentwig-Gesemann, 1999, S. 15f.). Die zu der Zeit alleinregierende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) verstand sich als ein „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ (Nentwig-Gesemann, 1999, S. 15f.), der eine kommunistische beziehungsweise realsozialistische Diktatur in der DDR schuf. Das Amt der Bildungsministerin besetzte ab 1963 Margot Honecker, welches sie bis zur friedlichen Revolution 1989 innehatte. Die gesetzliche Grundlage ihrer Arbeit bildete das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungswesen“ von 1965 (ebd.).
Ziel des einheitlichen Bildungswesens war einzig die sozialistische Erziehung zu bewussten Staatsbürgern (Zwiener, 1994, S. 13), die fortan den Aufbau und die Sicherung der DDR- Gesellschaft leisten sollten (vgl. Schmidt, 1996, S. 23ff.). Um dieses Bestreben nicht zu gefährden, oblag das Bildungs- und Erziehungsmonopol den behördlichen Instanzen. Den Familien wurde allenfalls eine Mitverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder zugetraut. Oberstes Ziel des damaligen einheitlichen Bildungswesens war die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Weltbild der Kinder. Demnach zeigte sich der Staat sehr engagiert und ergriff viele sozialpolitische Maßnahmen, die den Familien und ihrem Nachwuchs im frühen Kindesalter eine Reihe von Annehmlichkeiten bescherten. Infolgedessen beinhaltete die damalige Subventionspolitik viele Begünstigungen, wie z. B. eine sehr hohe Zahl an Krippen- und Kindergartenplätzen, bezahlbare Mieten, flächendeckende Ferienbetreuungsangebote, kostengünstige Kinderbekleidung sowie Kinderliteratur, preiswerte Verpflegung in allen Einrichtungen, Bezuschussung von Produkten des täglichen Bedarfs sowie viele erschwingliche Angebote der Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche.
Kinderkrippen stellten die Basis sämtlicher sozialpolitischer Bestandteile dar. Dementsprechend galten Kinder als notwendige Bedingung, um das einzige Privileg der gesellschaftlichen Bevorzugungen mit ausschöpfen zu können (vgl. Weber, 1996, S. 175). Im Mittelpunkt dessen stand jedoch kein kindbezogener Gedanke, sondern der Bedarf an weiblichen Arbeitskräften, um das wirtschaftliche Leistungsvermögen der DDR aufrechterhalten zu können (ebd., Hervorhebungen i.O.) Es bestand die Absicht, den Frauen mit Berufstätigkeit zu Gleichberechtigung zu verhelfen, was jedoch oftmals mit langen Arbeitszeiten sowie Schichtarbeit verbunden war (vgl. Friedrich, 1989, S. 187f.). Frauen waren häufig Mehrfachbelastungen ausgesetzt und mussten ihren Beruf, ihre Mutterschaft sowie die Hausarbeit miteinander vereinbaren. Gleichzeitig herrschte ein klassisches Rollenverhalten der Männer, was zur Konsequenz hatte, dass sich die geforderte Gleichberechtigung in der Verfassung (Verfassung der DDR, Artikel 38 (1)) nie verwirklichte (ebd.).
Trotz der Mehrfachbelastung der Frauen brach die Geburtenrate nicht ab: Bis zur Wende gebaren ca. 92 Prozent der Frauen durchschnittlich zwei Kinder (vgl. ND, 1988 zit. in Ahnert, 1998, S. 29). Das Angebot der nahezu kostenlosen Säuglings- und Kleinkindbetreuung war sehr gut ausgebaut und erlaubte es z. B. 1987 dass 91 Prozent der Frauen unter 60 Jahren erwerbstätig oder in einer Ausbildung waren (ebd.). Ende 1989 standen 348.058 Krippenplätze zur Verfügung, dies entsprach einer Versorgungsquote von 56, 4 Prozent für Kinder im Alter von null bis drei Jahren (Weber, 1996, S. 178). Bei den Zwei- bis Dreijährigen lag die Versorgungsquote schon bei 80, 2 Prozent (Nentwig-Gesemann, 2009, S. 30f.). Wird ein Vergleich zu jener Zeit mit Belgien vorgenommen, betrug die Versorgungsquote 20 Prozent, in Frankreich 25 Prozent, in Dänemark 45 Prozent, sowie in den alten Bundesländern 1,6 Prozent (Weber, 1996, S. 178). An dieser Stelle müssen jedoch zum einen auch territoriale Schwankungen erwähnt werden, zum anderen, dass die tatsächliche Auslastung der Krippen rund 70 Prozent im Jahresdurchschnitt betrug (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ende 1989 - Kinder unter drei Jahren in institutioneller Betreuung, gemessen an allen in Frage kommenden Kinder
Quelle: eigene Darstellung auf der Basis von Weber (1996, S. 178).
Bezüglich der Finanzierung eines Krippenplatzes, zahlte der Staat pro Krippenplatz 180 Deutsche Mark im Monat, wobei einzelne Ausgaben teils auch von betrieblichen Trägern übernommen wurden (Nentwig-Gesemann, 1999, S. 23). Die Eltern mussten sich dabei, je nachdem wie viele Kinder sie hatten, mit 0,80 bis 1,40 Mark beteiligen, wobei auch die Möglichkeit bestand, dass dieser Betrag gänzlich erlassen werden konnte (ebd.).
Die entgegenkommend wirkende Sozialpolitik verfehlte ihr Ziel nicht und viele Bürger versuchten sich innerhalb eines Systems voller Beschränkungen und ohne Meinungsfreiheit einzurichten und sich mit diesem zu arrangieren (Nentwig-Gesemann, 1999, S. 24). Dies schaffte jedoch auch ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich nicht am Bildungsweg eines jeden Einzelnen orientierte. Denn dieser war nicht von der Qualifizierung abhängig, sondern an die Loyalität zum Staat gebunden (ebd.). Ferner zog die Zuordnung des Krippenwesens zum Gesundheitswesen auch in den Konsequenzen nach sich, dass alle Krippenkinder von einer umfangreichen prophylaktischen und medizinischen Betreuung profitierten (vgl. Weber, 1996, S. 189ff.). Demnach wurden alle Vorsorgeuntersuchungen sowie Impfungen vom jeweiligen Krippenarzt durchgeführt, dem dafür eine geringe wöchentliche Stundenanzahl in den Krippeneinrichtungen zur Verfügung stand. Hatten die Kinder ihr drittes Lebensjahr erreicht, wurden sie umgehend an den Zuständigkeitsbereich des Kindergartens (Alter: 3 bis 6 Jahre) übergeben, welcher dem Ministerium für Volksbildung zugeordnet war. Dies bedeutete für die Kinder einen Umzug in ein anderes Gebäude, sowohl einen prompten Umschwung in der Erziehungsarbeit als auch in der Betreuung.
2.3 Die institutionelle Erziehung und Betreuung in Westdeutschland
Mit Ende des Zweiten Weltkrieges sowie während der über 40-jährigen Teilung Deutschlands entwickelte sich das Krippenwesen in Deutschland aufgrund der ideologischen Gegensätze in unterschiedliche Richtungen. Im Vergleich zur DDR, gründete sich die BRD auf der Demokratie sowie der sozialen Marktwirtschaft. Obwohl die Bundesrepublik Deutschland ( BRD) die Betreuung von Kleinkindern mit Erziehungsgeld und Erziehungsurlauben unterstützte (vgl. Tietze, 1998, S. 45), blieb die außerfamiliäre Betreuung, mit Ausnahme von West-Berlin, eine Randerscheinung (Vgl. Nentwig-Gesemann, 2009, S. 31), sodass erwerbstätige Frauen die Kinderbetreuung fast durchweg selbst organisieren mussten (Reyer & Kleine, 1997, S. 155). Gemäß § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) hat die Familie für Pflege und Erziehung der Kinder zu sorgen und dem Staat kommt hierbei nur ein Wächteramt zu.1988 wurde neben der familieninternen Betreuung das soziale Netzwerk (Großeltern, Verwandte, Nachbarn, Freunde) bei über 50 Prozent der Kinder regelmäßig als Betreuungsmöglichkeit in Anspruch genommen; demgegenüber wurden institutionelle Einrichtungen zusammen mit dem individuellen Betreuungsmarkt (Kindertagespflege, Kinderfrauen, Babysitter) nur von zehn Prozent der unter Dreijährigen genutzt (Tietze, 1998, S. 45). Die durchschnittliche Versorgungsquote betrug 1988 in den westlichen Ländern drei Prozent, wobei sich bei genauerer Betrachtung hohe regionale Unterschiede zeigen. Demnach fielen 54 Prozent der U3-Betreuung im Jahr 1991 einzig auf die drei Großstädte Berlin West, Hamburg, München (vgl. Vergleichende Städtestatistik, 1992; zit. in Tietze, 1998, S. 45).
Als Erklärungsgrund für den Mangel an Krippenplätzen spielt sicherlich die Ideologie des traditionellen Frauen- und Muttermodells eine Rolle, wonach jegliche Betreuung außerhalb der Kernfamilie als kritisch, negativ und als das Kindeswohl gefährdend angesehen wurde (vgl. Nentwig-Gesemann, 2009, S. 28, 31). Dies wurde durch häufig verzerrte oder falsch interpretierte Forschungsergebnisse bezüglich institutioneller Betreuung von Kleinstkindern untermauert (ebd.). Hierzu äußert Beller (1985 zit. in Nentwig-Gesemann, 2009, S. 32), dass erst Mitte der 1980er Jahre erwähnenswerte Arbeiten im frühkindlichen Erziehungs- Forschungsbereich der BRD verzeichnet werden konnten. Ein weiterer Faktor war die mangelnde Bereitschaft seitens der Arbeitgeber, Mütter einzustellen (Nentwig-Gesemann, 2009, S. 28, 31).
2.4 Die institutionelle Erziehung, Bildung und Betreuung im wiedervereinigten Deutschland
2.4.1 Begriffliche Grundlage: Tageseinrichtungen für Kinder
Den rechtlichen Rahmen für institutionelle Tageseinrichtungen für Kinder bildet seit dem Fall der Mauer das KJHG. Dieses ist 1990 in den neuen Bundesländern und 1991 in den alten Bundesländern in Kraft getreten und hat bis heute Gültigkeit. Es wird anhand des § 22 Abs. 1 von einem pluralen Angebot der Kinderbetreuung ausgegangen, da mit Tageseinrichtungen f ü r Kinder Kindergärten, Horte und andere Einrichtungen bezeichnet werden, in denen sich jeweils unterschiedlich viele Kinder für einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten.
Die Zusammenstellung der Kinder nach bestimmten Gruppenformen ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Zum einen gibt es die altershomogenen Gruppen, innerhalb derer Kinder im Alter von vier Monaten bis drei Jahren betreut werden (Lorber & Hanf, 2011, S. 67-69). In dieser Gruppe werden häufig acht bis zehn Kinder aufgenommen (Textor, o.J.). Zum anderen gibt es alterserweiterte Gruppen, wo eine gemeinsame Betreuung von Kindern im Alter von einigen Monaten bis zum Schuleintritt gewährleistet wird (in Nordrhein- Westfalen [NRW] als Familiengruppe bezeichnet). Innerhalb dieser Altersstruktur können in Düsseldorf maximal neun unter dreijährige Kinder in einer Gruppe von 17 Kindern betreut werden (Landeshauptstadt Düsseldorf, o.J.). Zusätzlich gibt es die sogenannte T1 Gruppe, in der Zweijährige bis zum Schuleintrittsalter betreut werden. Maximal dürfen fünf zweijährige Kinder bei einer Gruppenstärke von insgesamt 20 Kindern betreut werden (ebd.).
Im Kinder- und Jugendhilfegesetz ist verankert (KJHG § 22, 23), dass es die Aufgabe von Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege ist, neben der vorrangigen Verantwortung der Eltern, den Förderungsverpflichtungen gegenüber den Kindern nachzukommen. Reine Kinderkrippen sind nur noch selten vorzufinden. Zumeist umfassen Kindertagesstätten beziehungsweise Tageseinrichtungen für Kinder sowohl einen Krippenbereich als auch einen Kindergarten-(Elementar-) und ggf. einen Hortbereich. Tageseinrichtungen werden von Trägern der öffentlichen als auch der freien Jugendhilfe betrieben. Seit dem Jahr 1996 ist das Angebot eines Kindergartenplatzes ab dem vollendeten dritten Lebensjahr gemäß § 24 (KJHG) rechtlich verankert und als Regelangebot eingerichtet worden; für Kinder unter drei Jahren bestand jedoch weiterhin kein Rechtsanspruch. Zur Trägervielfalt der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 (KJHG) werden Kreise und kreisfreie Städte, kreisangehörige Gemeinden sowie Gemeindeverbände gezählt. Demgegenüber bezeichnet die Kindertagespflege Betreuungsarrangements, die in der Regel im Haushalt der Kindertagespflegeperson oder des Sorgeberechtigten des Kindes stattfindet (§ 23 KJHG). Die Betreuung von Kindern unter drei Jahren wird im Folgenden auch U3-Betreuung genannt.
2.4.2 Die institutionelle Erziehung, Bildung und Betreuung im wiedervereinigten Deutschland innerhalb des kulturellen sowie sozialpolitischen Kontextes
Die fortan bundesdeutsche Einheit in der Gesetzeslage sowie die damit einhergehende Trägervielfalt in den neuen Bundesländern waren geprägt von Unsicherheiten und anfänglichen Unklarheiten der Rechtsverhältnisse (vgl. Weber, 1996, S. 222).
Dies bedeutete nach dem KJHG dass auch die Stellen der Krippenerzieherinnen auf Kreisebene aufgelöst wurden und nun in der Verantwortung der Kommunen lag (Tietze, 1998, S. 220). In den neuen Bundesländern kamen somit auch Arbeitgeber der freien Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden oder Elternvereine in Frage, mit denen sich ostdeutsche Erzieherinnen jedoch nur schwer anfreunden konnten (Weber, 1996, S. 222f.). Ihre Einschätzung basierte auf der Sozialisation im politischen System der DDR, wo eine Privatisierung häufig mit Gemeinnützigkeit gleichgesetzt wurde. Die Tatsache, dass die Jugendämter, beziehungsweise die Landesjugendämter, vorerst von den freien Trägern Hilfe zur Selbsthilfe verlangen (§ 4, (2) KJHG), erforderte Aufklärungsarbeit bei den Erzieherinnen aus Ostdeutschland.
Mit der Wiedervereinigung erfolgten auch zahlreiche politische Veränderungen im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der verschiedenen Einrichtungen. Aufgrund der Heterogenität der Arbeitslosigkeit, des drastischen Geburtenrückgangs in den einzelnen Ländern (vgl. Weber, 1996, S. 225) und den Auswanderungen von jungen Familien (Nentwig-Gesemann, 2009, S. 32) wurden Krippeneinrichtungen in Kindertageseinrichtungen umgestellt (Weber, 1996, S. 225). Dies betreffend wurden 1989 in Ost-Berlin 11.600 Kinder geboren (ebd., S. 223), wobei sich die Geburtenzahl in den folgenden drei Jahren um ca. 55 Prozent reduzierte, da 1992 nur noch 5.500 Kinder in diesem Gebiet auf die Welt kamen (ebd.).
Tietze et al. (1993, S. 223ff.) argumentieren an dieser Stelle, dass die soziale Unsicherheit und die neu gewonnenen Möglichkeiten (Reisen, Auto, Wohnung, Kleidung) dazu führten, dass ein Kinderwunsch vorerst nachrangig schien. Dies hatte zur Konsequenz, dass viele U3-Plätze zugunsten der Plätze von Vorschul- oder Hortkindern wichen, sodass der Personalschlüssel entsprechend verringert wurde. Auch die Schließung von zahlreichen betrieblichen Krippen und Kindergärten, die 1989 ca. zwölf Prozent des Platzangebotes der DDR ausmachten, führten teils zu existentiellen Schwierigkeiten. Erschwerend kam hinzu, dass vorhandene Räumlichkeiten für „altersgemischte Kindergruppen“ häufig nicht geeignet waren und jegliche pädagogischen Konzepte erst ausgearbeitet werden mussten. Die Erarbeitung dieser Konzepte gestaltete sich sehr langwierig, da sich zwischen den zwei Extremen der „verordneten Pädagogik“ und der „Beliebigkeitspädagogik“ eine Bandbreite an Möglichkeiten eröffnete (Weber, 1996, S. 225ff). Zudem sahen die Krippenerzieherinnen sich in Frage gestellt, da sie häufig Vorurteilen ausgesetzt waren, die das politische System per se mit einer miserablen pädagogischen Arbeit gleichsetzten. Das plötzliche Fehlen des Erziehungsprogrammes führte auch teils zu Unsicherheit und einem Erziehungsstil des laissez-faire, da die Erzieherinnen die neue Freiheit anfänglich falsch definierten. Darauf wurde reagiert und eine Anpassungsfortbildung für Krippenerzieherinnen und Erzieherinnen der DDR initiiert (ebd., S. 225ff., Hervorhebungen i.O.).
Die Erziehungsberechtigten mussten fortan Elternbeiträge leisten, die je nach Lage und Trägerzugehörigkeit außerordentlich schwankten (Ganztagsplatz in Berlin: von 75 DM bis 490 DM pro Monat) (Weber, 1996, S. 225). Gleichfalls kam es zu Änderungen innerhalb der pädagogischen Strukturen sowie in den pädagogischen Prozessen. Z. B. wurde eine sofortige Änderung der Raumgestaltung vorgenommen, sodass die Schlafräume zu Gruppenräumen mit transportablen Kinderliegen umfunktioniert wurden und so der neu gewonnene Platz den Kindern mehr Beweglichkeit bot (ebd.).
2.5 Zwischenfazit
Bei der Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Systeme institutioneller Betreuungs- arrangements gilt es zu bedenken, dass es nicht möglich ist, bei einem kommunistisch geprägten Staat die Maßstäbe einer freien Gesellschaft anzusetzen. Jede Betreuungsform beziehungsweise Erziehungsinstitution sollte im Rahmen ihrer Zeit betrachtet werden, sodass jegliches Handeln nicht voreilig bewertet werden kann. Es lässt sich festhalten, dass sich der jeweilige frühkindliche Bereich nicht fern von gesellschaftlichen Ansichten entwickelt hat. Die Regierung der DDR war vordergründig nicht am Wohlergehen der Familien und der
Kinder interessiert, sondern daran, dass möglichst viele Kinder geboren werden, diese in kürzester Zeit mit dem sozialistischen Weltbild in Kontakt kommen und als heranwachsende Generation für die Aufrechterhaltung des sozialistischen Systems verantwortlich gemacht werden können. Vermutet werden kann, dass die straffe Organisation des Staates dazu führte, dass den oftmals jungen Eltern die Sorge und Unsicherheit genommen werden sollte, allein mit der Erziehung und Verantwortung für ihre Kinder zu sein.
In den westdeutschen Bundesländern hingegen wurde seit jeher die Betreuung der Kinder in den ersten drei Lebensjahren durch die Mutter wertgeschätzt. Diesbezüglich hatte keine wesentliche Änderung der Einstellung seit der Gründung der öffentlichen Kleinstkind- betreuung stattgefunden. Die Nachfrage war überschaubar und der Bund infolgedessen wenig um Fortschritt auf diesem Gebiet bemüht. Dies beruhte auf vorherrschenden Ideologien und alt eingesessenen Ansichten über die Rollenverteilung in der Familie. Die Vereinbarkeit der Interessen von allen Familienmitgliedern wurde infolgedessen wenig hinterfragt.
Überdies fehlte es bei der institutionellen Betreuung von Kleinstkindern an Forschungs- ergebnissen, verfügbaren Plätzen, Konzepten in den Einrichtungen und an entsprechend qualifiziertem Personal. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wie bereitwillig Eltern ihren Säugling oder ihr Kleinstkind einer Einrichtung ohne Rahmenbedingungen anvertraut hätten, selbst wenn genügend Plätze für diese Altersklasse vorhanden gewesen wären. Hier könnte den Einrichtungen in den westlichen Bundesländern für Kinder unter drei Jahren Willkür ihres pädagogischen Verhaltens unterstellt werden, welche in ihrem Ausmaß auch verheerende Folgen haben kann. Denn, da wo Ziele und Richtungen genauestens definiert sind, zieht dies nach sich, dass jegliche Willkür von Interaktionen von Vornherein ausgeschlossen wird. Ist ein Erziehungsziel und sein Weg hingegen nicht definiert, so haben Eltern und Menschen, denen die Entwicklung eines Kindes am Herzen liegt, keine Möglichkeit, an einem konkreten, inhaltlichen Austausch mit den pädagogischen Fachkräften anzusetzen.
Im Zuge der Wiedervereinigung wurde das Krippensystem der DDR nun dem unreflektierten westdeutschen Vorbild angepasst, wobei dieses keine wirkliche Vorbildfunktion hatte. Es stellt sich die Frage, weshalb nicht einige Aspekte des Krippensystems der DDR übernommen wurden. Denn trotz der dahinterstehenden Ideologie konnte es ein enormes Platzangebot für Kinder von wenigen Monaten bis zum Schuleintritt vorweisen, und verfügte über klare Strukturen im frühpädagogischen Bereich. Verunsicherungen herrschten im Zuge der Wiedervereinigung, da sich nun zu den verschiedenen Einstellungen der Bürger aus Ost- und Westdeutschland auch teils Verallgemeinerungen mischten, die bezogen auf das jeweilige andere Krippensystem mit Ablehnung verbunden waren.
3 Die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren in der gegenwärtigen Betrachtung
3.1 Gesetzliche Verankerung der Grundwerte zum Schutz der Familie und des Kindes
Seit jeher gibt es Vorstellungen über die idealen Lebensbedingungen von Kindern. Dabei unterliegen diese Vorstellungen meist der jeweiligen Zeit und der vorherrschenden ökonomischen, sozialen sowie kulturellen Entwicklungen. Wesentliche Werte und Normen einer Gesellschaft sind dabei in entsprechenden Gesetzen verankert.
So sind in der Deutschen Gesetzgebung wesentliche staatliche Werteentscheidungen festgelegt. Im Grundgesetz ist der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6, Abs. 1 GG) verankert, da seit jeher davon ausgegangen wird, dass die Ehe, womit jedoch nur die monogame heterosexuelle Beziehung gemeint ist, die Vorstufe zur Familie ist. Die kleinste Einheit der Gesellschaft erfährt auch Sicherheit in Form des Mutterschutzes (vor und nach der Geburt eines Kindes, Kündigungsschutz für Schwangere), des Elterngeldes sowie steuerlichen Vorteilen wie das Ehegattensplitting. Dieses beruht auf der hälftigen Zurechnung des Einkommens auf beide Eheleute, unabhängig davon, zu welchem Teil das Einkommen in die Familie geflossen ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Staat davon ausgeht, dass beide Ehepartner jeweils zur Hälfte des Einkommens beigetragen haben. Damit wird die Ehe auch aus steuerrechtlicher Sicht als eine Gemeinschaft betrachtet, in der die Rolle der Ehefrau und Mutter Anerkennung erfährt.
Auch auf Kinderseite und bezogen auf die Phase der Kindheit, welche in der aktuellen Sichtweise in Deutschland als eine eigenständige, soziale Phase der Menschheit anerkannt wird (vgl. Tietze & Viernickel, 2007, S. 15), ergeben sich im Zuge dieses Lebensabschnitts bestimmte Rechte, Berechtigungen und Lebensformen. Diese sind für die institutionellen Einrichtungen von Bedeutung, da ihnen eine Verantwortung für die kindliche Entwicklungsförderung zukommt (vgl. 2.4.1, S. 10; §22, 23, KJHG). Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt u.a. das Recht von Kindern, worin deklariert ist, dass Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben (§1631 Abs. 2 BGB). Kinderarbeit wird zudem gänzlich abgelehnt (Vgl. Jugendarbeitsschutzgesetz). Der Gesellschaft kommt die Aufgabe zu für die Gestaltung der Rahmenbedingungen zu sorgen, sodass Kinder optimale Entwicklungs- und Lernprozesse erfahren können, beispielsweise in Form des Spiels. Die UN- Kinderrechtskonvention (Art. 3) besagt, dass bei allen Vorgehensweisen immer das Wohl des Kindes als höchster Maßstab anzusetzen ist. Das Kindeswohl betrifft dabei die W ü rde des Kindes, seine Grundbedürfnisse (auf körperlicher, geistiger, sozialer und intellektueller Ebene), sowie seine Grundrechte (Recht auf Nichtdiskriminierung, Recht auf Entwicklung, Recht auf Berücksichtigung der Meinung, Recht auf Bildung, etc.) (vgl. DLfdK, 2008). Im Speziellen erläutern auch die UN-Kinderrechte (Art. 3) weiter, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um für die Sicherheit von Kindern und deren Gesundheit zu sorgen. Ferner muss immer die Einhaltung der Aufsichtspflicht gewährleistet werden und für ausreichend und entsprechend qualifiziertes Personal Rechnung getragen werden. Sämtliche Bestimmungen sind auch Grundlage der institutionellen Einrichtungen und ihrer Qualitätsbestimmungen. Eine essentielle Aussage, bezogen auf die Qualität in institutionellen Einrichtungen, findet sich weiter im Art. 29, indem das R echt des Kindes auf Bildung deklariert wird. Angebote sollten darauf ausgerichtet sein, die Persönlichkeit, die Begabungen sowie die intellektuellen als auch körperlichen Fähigkeiten der Kinder auszuschöpfen. Weitere fundamentale Grundsätze sind in Art. 12 und 13 verankert, in denen das Recht auf Berücksichtigung des Kinderwillens sowie auf freie Meinungsäußerung niedergelegt wurde.
3.2 Der bildungspolitische Kontext des Ausbaus der Kindertageseinrichtungen
Schon vor der Jahrhundertwende plädierten Wissenschaftler in Deutschland für den Ausbau des Systems der Kindertagesbetreuung in qualitativer und quantitativer Hinsicht (vgl. Tietze & Viernickel, 2007, S. 10). Diese Empfehlungen stießen jedoch lange Zeit auf kein öffentliches Interesse, da die Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern in den westdeutschen Bundesländern seither als oberste Aufgabe der Eltern verstanden wurde.
Erst mit Veröffentlichung der Ergebnisse der von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) durchgeführten ersten PISA-Studie im Jahr 2000, in der die Lesekompetenz von Schüler/-innen aus 32 Staaten zum Ende ihrer Pflichtschulzeit getestet wurde, änderte sich diese öffentliche Einschätzung. Die PISA-Studien nehmen jeweils einen Vergleich unter den einzelnen Ländern vor. Deutsche Schüler/-innen fanden sich in der ersten Studie unterhalb des OECD-Durchschnittes wieder, jedoch konnten sie in der zweiten Studie Ergebnisse oberhalb dieses Durchschnittes erzielen (Vgl. OECD, 2010). 2009 lag Deutschland noch immer nur im OECD-Durchschnitt. Schüler/-innen mit Migrations- hintergrund schnitten jeweils schlechter ab als gleichaltrige Einheimische.
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- Arbeit zitieren
- Nicole Reddemann (Autor:in), 2013, Der Ausbau institutioneller Erziehung, Bildung und Betreuung für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279542
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