Methoden und Instrumente zur Evaluation der betrieblichen Gesundheitsförderung


Academic Paper, 2005

59 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Fehlende Erfolgskontrollen

Evaluation betrieblicher Gesundheitsförderung
1.1 Quantitative Datenanalyse
1.1.1 Betriebliche Informationsquellen
1.1.1.1 Fehlzeitenanalyse
1.1.1.2 Krankenstandstatistiken
1.1.2 Betrieblicher Gesundheitsbericht
1.1.2.1 Arbeitsunfähigkeitsanalysen der Krankenkassen
1.1.2.2 Gefährdungsbeurteilungen
1.1.2.3 Arbeitsmedizinische Untersuchungen / Gesundheits-Checks
1.2 Qualitative Datenanalyse
1.2.1 Mitarbeiter- / Teilnehmerbefragung
1.2.1.1 Planung und Durchführung einer Mitarbeiterbefragung
1.2.1.2 Praxisbeispiele
1.2.1.3 Bewertung
1.2.2 Experteninterview
1.3 Ökonomische Evaluation
1.3.1 Kosten-Nutzen-Analyse (KNA)
1.3.2 Kostenwirksamkeitsanalysen (KWA)
1.3.3 Beurteilung und Empfehlung
1.3.3.1 Vor- und Nachteile der Kosten- Nutzen-Analyse
1.3.3.2 Vor- und Nachteile der Kosten-Wirksamkeits-Analyse
1.3.3.3 Allgemeine Kritikpunkte
1.3.3.4 Auswahl eines geeigneten Verfahrens

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Fehlende Erfolgskontrollen

Im Gegensatz zu amerikanischen Unternehmen sind in Deutschland bisher nur wenige Betriebe daran interessiert, die Erfolge und Nutzenaspekte ihrer Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu messen und zu bewerten. Solche Programme und Aktivitäten werden noch nicht als Investitionen in das Humankapital angesehen, die auch darauf hin überprüft werden müssen, ob sie nach Kosten-Nutzen-Aspekten betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheinen.

In den USA hingegen wird die Notwendigkeit, möglichst alle unternehmerischen Aktivitäten in „harten“ Kennzahlen auszudrücken und unter Kostengesichtspunkten zu entscheiden, auch auf die betriebliche Gesundheitsförderung übertragen.[1] Dies ist nach Hartmann und Traue vor allem auf ein ausgeprägtes Interesse der Unternehmen an Kosteneinsparungen zurückzuführen (vgl. Hartmann/Traue 1996, S. 123). Die monetäre Bewertung der Gesundheits-förderungsprogramme (Gesundheitsökonomische Analyse) spielt in deutschen Betrieben hingegen nur bei 6,8% der Betriebe eine Rolle (siehe Abb. 1). Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Spitzenverbände der Krankenkassen im Jahr 2002 (vgl. BKK, 2002, S. 75). Die Auswertung der 1.895 Erhebungsbögen ergab folgendes Bild auf die Frage, ob und welche Erfolgskontrollen in deutschen Betrieben durchgeführt werden:

Abb. 1: Erfolgskontrolle betrieblicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen, Quelle: BKK, 2002, S. 75

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es wird deutlich, dass nicht einmal die Hälfte der Unternehmen, die Gesundheitsförderung betreiben, Erfolgskontrollen durchführen. Außerdem fällt auf, dass viele der Unternehmen hauptsächlich rein qualitative Erhebungen in den Vordergrund stellen, wie die Frage nach der Zufriedenheit und Akzeptanz mit den durchgeführten Maßnahmen und Programmen (vgl. BKK, 2002, S. 75).

Ein Forschungsprojekt, das sich mit rückenspezifischen Veranstaltungen im betrieblichen Umfeld beschäftigt hat, belegt, dass sich das Evaluationsbemühen in vielen Betrieben auf die bloße Erfassung der Teilnehmerzahlen von Gesundheitskursen beschränkt, um eine Aussage zum Erfolg oder Misserfolg der Maßnahme zu treffen (vgl. Matschke/Caffier, 2000, S. 12).

Berücksichtigt man weiter die Tatsache, dass innerhalb verschiedener Branchen und Unternehmensgrößen noch starke Unterschiede in Bezug auf die Intensität von Erfolgskontrollen vorherrschend sind, stellt dies ein großes Problem für die Qualität und Erfolgssicherung der betrieblichen Gesundheitsförderung dar.

Diese muss aus Sicht der Unternehmen einen Beitrag zum Wertschöpfungsprozess leisten. Kann der konkrete gesundheitliche und finanzielle Nutzen nicht nachgewiesen werden, besteht die Gefahr, dass das Gesundheitsförderungskonzept von der Geschäftsleitung und den Vorgesetzten keine oder nur eine geringe Unterstützung erhält. Ein langfristiger Erfolg der betrieblichen Gesundheitsförderung stellt sich auf Dauer nur ein, wenn auch der Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Die Bewertung der Gesundheitsprogramme zählt außerdem zu einer wichtigen und notwendigen Aufgabe im Unternehmen, weil dadurch die zukünftige Planung, Durchführung und Weiterentwicklung der Maßnahmen optimiert werden kann.

Nicht unerwähnt bleiben sollte die Signalwirkung, die von Unternehmen ausgeht, die mit ihrer Gesundheitspolitik messbare Erfolge und Kosteneinsparungen erzielt haben und diese nach außen kommunizieren. Andere Unternehmen werden dadurch motiviert, selbst in diesem Bereich aktiv zu werden.

Warum bei vielen Betrieben der Gesundheitsförderungsprozess bereits mit der Implementierung der Maßnahmen zu Ende ist, kann nur vermutet werden. Die Schwierigkeiten und Hindernisse, die mit einer Erfolgs- und Wirkungskontrolle verbunden sind, sind wohl ein entscheidender Grund für das mangelnde Interesse seitens der Unternehmen. Hinzu kommt, dass bisher keine einheitlichen Methoden zur Bewertung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen entwickelt wurden (vgl. Hartmann/Traue, 1996, S. 11).

Welche Instrumente und Methoden grundsätzlich geeignet sind, den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit zu ermitteln und transparent zu machen, wird in der vorliegenden Arbeit ausführlich erörtert.

Evaluation betrieblicher Gesundheitsförderung

Die Bewertung der durchgeführten Maßnahmen und Programme ist ein zentraler Baustein des gesamten Gesundheitsförderungsprozesses (vgl. Kerkau, 1997, S. 234). Damit soll das Vorgehen, die erzielten Effekte und die Veränderungen im Hinblick auf gesundheitliche und wirtschaftliche Aspekte transparent und nachvollziehbar gemacht werden. Besonders vor dem Hintergrund, dass betriebliche Gesundheitsprogramme mit teilweise hohen Ausgaben für die Betriebe verbunden sind, ist eine Überprüfung des gesundheitlichen Nutzens und der angestrebten betriebswirtschaftlichen Verbesserungen notwendig.

Bevor die einzelnen Evaluationsinstrumente näher vorgestellt werden, soll zunächst erläutert werden, was unter Evaluation zu verstehen ist und zu welchen Zwecken und Aufgaben sie im Allgemeinen und innerhalb der betrieblichen Gesundheitsförderung eingesetzt wird.

Dem Begriff Evaluation ist trotz des häufigen Gebrauchs keine eindeutige Definition zuzuordnen. Nach Pfaff ist damit „…die systematische, datengestützte Bewertung von Interventionen in soziale Systeme und von Systemzuständen“ (Pfaff, 2001, S. 27) gemeint. Sochert und Schröer verweisen auf verwandte Begriffe, wie „Erfolgskontrolle“, „Effizienzforschung“ oder „Wirkungskontrolle“, die teilweise auch als Synonyme verwendet werden (vgl. Sochert/Schröer, 2000, S. 166).

Trotz der unterschiedlichen Definitionsansätze sind sich die meisten Autoren über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Evaluation weitgehend einig. Sie dient u. a. als Planungs- und Entscheidungshilfe sowie der Bewertung von Handlungsalternativen. Ihr Ziel ist die Überprüfung und Verbesserung praktischer Maßnahmen und damit die Gewährleistung einer langfristigen Qualitätssicherung. Ihre Ergebnisse sind wichtig für die Argumentation und Durch-setzung betrieblicher Gesundheitsförderungsmaßnahmen.

Die Evaluation ist inhaltlich nicht festgelegt. So können z. B. die Zielerreichung, Effektivität oder Wirtschaftlichkeit einer Intervention im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Im Falle der betrieblichen Gesundheitsförderung geht es bei der Evaluation vor allem um die Effizienz- und Effektivitätsmessung.

„Die Effektivitätsanalyse bezieht sich auf den Grad der Zielerreichung der Gesundheitsförderungsmaßnahmen“ (Kerkau, 1997, S. 236). Sie misst, welche gesundheitlichen und monetären Wirkungen nach der Umsetzung eintreten und ob die angestrebten Ziele, z. B. Reduzierung des Krankenstandes auch tatsächlich erreicht worden sind (vgl. Kerkau, 1997, S. 236). Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, ob die Maßnahmen weitergeführt werden sollen, oder ob eine Veränderung oder Absetzung erfolgen muss.

Im Rahmen der Effizienzanalyse steht das Verhältnis zwischen den eingesetzten finanziellen Mitteln und dem gewonnenen Nutzen der Gesundheits-förderungsmaßnahmen im Blickfeld der Betrachtung. Die Ergebnisse sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht von besonderem Interesse für die Unternehmen (vgl. Kerkau, 1997, S. 236).

Die Evaluation kann grundsätzlich für die systematische Bewertung von Einzelmaßnahmen (z. B. Yogakurs), Maßnahmentypen (z. B. Betriebssport) oder Programmen (Projekt zur Steigerung der körperlichen Fitness) der betrieblichen Gesundheitsförderung herangezogen werden. Pfaff bezeichnet diese Form als Evaluation 1. Ordnung, „[…]da sie direkt oder indirekt auf die Bewertung konkreter Inhalte abzielt[…]“ (Pfaff, 2001, S. 35-36). Gegenstand der Evaluation können jedoch nicht nur die Gesundheitsmaßnahmen und -programme sein. Auch das betriebliche Gesundheitsmanagement selbst kann nach bestimmten Kriterien ebenfalls hinsichtlich seiner Effektivität und Effizienz beurteilt werden.[2] Man bezeichnet dieses Vorgehen als Evaluation 2. Ordnung, weil nicht die Maßnahmen, sondern das übergeordnete Management beurteilt werden (vgl. Pfaff, 2001, S. 36). Nachfolgende Graphik veranschaulicht den beschriebenen Sachverhalt zusammenfassend.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Evaluation 1. und 2. Ordnung, Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Pfaff, 2001, S. 36

Da in der betrieblichen Praxis die Bewertung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der einzelnen Maßnahmen und Programme im Vordergrund steht, wird im weiteren Verlauf der Arbeit ausschließlich auf die Evaluation 1. Ordnung eingegangen.[3]

Die Einsatzmöglichkeiten der Evaluation lassen sich auch unter zeitlichen Gesichtspunkten verschiedenen Kategorien zuordnen. Eine Evaluation ist grundsätzlich zu drei Zeitpunkten sinnvoll und möglich: vor, während und nach einer Gesundheitsmaßnahme.

Die sog. formative Evaluation, die häufig auch als Prozessevaluation bezeichnet wird, wird bei der Entwicklung eines Gesundheitsförderungsprogramms eingesetzt. Sie hat die Aufgabe, in der Test- und Vorlaufphase das zur Erprobung vorgesehene Programm auf seine Eignung hin zu prüfen und Hinweise auf mögliche Fehler und Schwachstellen zu geben. Sie übernimmt somit eine beratende Funktion vor und während des Programms (vgl. Sochert/Schröer, 2000, S. 167).

Die summative Evaluation gibt Aufschluss über die Wirkungen, Effektivität und Nutzen eines bereits durchgeführten Programms.

Die Ergebnisse werden anhand von objektiven und subjektiven Messungen ermittelt, so dass eine abschließende Bewertung einer Maßnahme oder eines Programms möglich ist. Die Ergebnisse werden dazu nach festgelegten Kriterien geordnet, gewichtet und bewertet. Die summative Evaluation kann auch als Wirkungs- oder Ergebnisevaluation bezeichnet werden (vgl. Sochert/ Schröer, 2000, S. 168).

Die summative Evaluation steht auch im Vordergrund der weiteren Ausführungen, da sie sowohl den (messbaren) Nutzen der Maßnahmen und Programme (Abschnitte 1.1 und 1.2) als auch deren ökonomische Bewertung (Abschnitt 1.3) in das Zentrum der Betrachtung stellt.

1.1 Quantitative Datenanalyse

Eine in der Praxis verbreitete Variante, die Effektivität und Wirksamkeit von betrieblichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu messen, ist die Aufbereitung und Analyse von Daten, die den Unternehmen bereits in Zahlenform bzw. Statistiken zur Verfügung stehen. Damit lassen sich wichtige Kennzahlen der betrieblichen Gesundheitsförderung, wie Fehlzeiten, Krankenstand, sowie die Zahl der Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten messen und bewerten. Mithilfe der quantitativen Datenanalyse können auch Veränderungen des Gesundheitszustandes der Mitarbeiter festgestellt werden.

Grundsätzlich erfolgt die Bewertung der Kennzahlen anhand von Vorher-Nachher-Messungen oder durch einen Soll-Ist-Vergleich.

Bei einer Vorher-Nachher-Messung werden Kennzahlen wie der Krankenstand bereits vor der Einführung des betrieblichen Gesundheitsprogramms gemessen. Eine erneute Messung findet nach einem bestimmten Zeitraum oder am Ende des Programms statt. Der Vergleich der beiden Werte zeigt Veränderungen und mögliche Verbesserungen auf.

Der Vergleich von den geplanten und den tatsächlich erreichten Werten wird als Soll-Ist-Vergleich bezeichnet. Bei der Ermittlung der Soll-Werte gibt es mehrere Möglichkeiten. So können Vergangenheitswerte und deren Entwicklung als Grundlage dienen. Eine gute Alternative stellt die Berücksichtigung von Vergleichswerten anderer Unternehmen dar. Die Orientierung an den besten Branchenwerten (Benchmarks) erweist sich dabei als sinnvoll, um sich nicht durch betriebsinterne Erfolge blenden zu lassen. Schließlich kann der Krankenstand nach einer Gesundheitsförderungsmaßnahme zwar gesunken, allerdings noch immer weit über dem Branchendurchschnitt liegen. Entsprechende Vergleichswerte können bei Unternehmerverbänden, Handwerkskammern und bei den Industrie- und Handelskammern angefordert werden (vgl. Erfkamp, 2003, S. 256).

Im Folgenden werden die verschiedenen Möglichkeiten im Einzelnen vorgestellt, die Aufschluss über den Erfolg gesundheitsfördernder Aktivitäten geben können.

1.1.1 Betriebliche Informationsquellen

Bestimmte quantitative Daten liegen den Unternehmen vielfach durch routinemäßige Datenerfassung im Unternehmen vor und müssen nicht extra erhoben werden. Diese Entwicklung ist vor allem dem Personalcontrolling zu verdanken, das als relativ neuer Bereich des Personalmanagements in vielen Betrieben in den letzten Jahren eingeführt wurde. Damit wurde der steigenden Bedeutung der innerbetrieblichen Planung und Kontrolle von personalwirtschaftlichen Vorgängen Rechnung getragen. Zu den wichtigsten Aufgaben des Personalcontrollings gehört die Überwachung personalbezogener Daten, wie Fehlzeiten, Krankenstände, Fluktuation und Arbeitsproduktivität (vgl. Olfert/Steinbuch, 2001, S. 47). Einige von diesen „harten“ Indikatoren können auch zur Evaluation der betrieblichen Gesundheitsförderung herangezogen werden.

1.1.1.1 Fehlzeitenanalyse

Da hohe Fehlzeiten und die damit verbundenen Kosten als der häufigste Auslöser von Gesundheitsförderungsaktivitäten gelten, ist deren Verlauf während und nach Einführung dieser Maßnahmen ein wichtiges Indiz, um den Nutzen und die Wirksamkeit der Gesundheitsförderung bewerten zu können.

Mithilfe der modernen EDV-Systeme lassen sich betriebliche Fehlzeiten relativ kostengünstig ermitteln, was dazu führt, dass die Fehlzeitenanalyse bei der Evaluation der Gesundheitsförderung bevorzugt angewendet wird.

Ein weiterer Vorteil bezieht sich auf die Aktualität der Daten und den verhältnismäßig geringen Aufwand, da die Daten routinemäßig von der Personalabteilung erfasst werden (vgl. Weinreich/Weigl, 2002, S. 81).

Die Betrachtung der betrieblichen Fehlzeiten sollte bereits vor der Einführung gesundheitlicher Maßnahmen stattfinden, um einen Ist-Wert festzustellen, der mit den Daten nach dem Abschluss der Maßnahme verglichen werden kann.

Die Abbildung 3 macht deutlich, dass durch die Einführung des Gesundheitsprojekts bei Spedicom[4] der Anstieg der Fehlzeiten schon im ersten Projektjahr (2001) gestoppt werden konnte und am Jahresende sogar ein Rückgang der kumulierten Fehlzeitenquote um 0,8% auf 8,9% registriert wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Effektevaluation: Fehlzeiten-Verlauf „Spedicom“, Quelle: Weinreich/Weigl, 2002, S.153

Die Betrachtung des zeitlichen Fehlzeitenverlaufes allein ist jedoch nur wenig aussagekräftig. Zu viele interne und externe Faktoren, die nicht mit dem Gesundheitsförderungsprojekt in Verbindung stehen, könnten an der gesunkenen Fehlzeitenquote beteiligt sein. Der größte Nachteil solcher Fehlzeitenuntersuchungen besteht also darin, dass sie keinen Aufschluss über mögliche Ursachen für die Veränderung der Werte geben (vgl. Weinreich/Weigl, 2002, S. 81).

Da sich die Fehlzeiten aus dem Krankenstand und der motivationsbedingten Abwesenheit zusammensetzen (siehe dazu auch Kap. 4.2.1.1), gibt ein Rückgang noch keinen eindeutigen Hinweis für gesündere Mitarbeiter. Die Konjunkturlage, Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und persönliche Faktoren müssten bei der Interpretation der Fehlzeitenentwicklung ebenfalls mitberücksichtigt werden, was in der Praxis kaum möglich ist. Eine Überbetonung der Fehlzeiten als Evaluierungsinstrument sollte vermieden werden, da sie lediglich ein Anzeichen für eine mögliche Verbesserung der betrieblichen Gesundheitssituation sein können.

1.1.1.2 Krankenstandstatistiken

Wird die Fehlzeitenstatistik um motivationsbedingte Abwesenheiten bereinigt, erhofft man sich anhand der Veränderungen des Krankenstandes präzisere Aussagen, bezüglich der Wirksamkeit der betrieblichen Gesundheitsförderung, als es bei der reinen Fehlzeitenbetrachtung der Fall ist. Dazu werden die krankheitsbedingten Ausfallzeiten vor und nach der Einführung der Gesundheitsförderungsmaßnahmen ermittelt.

Um sinnvolle und möglichst aussagekräftige Ergebnisse bei der Erfassung des Krankenstandes zu erhalten, sollte die Erhebung nach folgenden Merkmalen erfolgen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, 2002, S.18):

- Dauer der Erkrankung (kurz-, mittel-, langfristig)
- Beschäftigungsstatus (Angestellte / Arbeiter)
- Altersschichtung
- Geschlecht
- Beschäftigungsumfang (Teil-/Vollzeit)

„Diese Merkmale haben sich in der Wissenschaft als entscheidende Einflussfaktoren in Bezug auf die Häufigkeit und die Dauer der krankheitsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz herausgestellt“ (Pietzner, 2003, S. 21).

Neben einer gesamtbetrieblichen Untersuchung kann der Krankenstand auch für einzelne Bereiche oder Abteilungen ermittelt werden. Dies ist dann sinnvoll, wenn nur bestimmte Mitarbeitergruppen an Gesundheitsförderungsmaßnahmen beteiligt sind, z. B. ergonomische Veränderungen für Bildschirmarbeitsplätze. Individuelle, personenbezogene Auswertungen, die Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen, sind aus Datenschutzgründen nicht erlaubt.

Obwohl viele Unternehmen den Erfolg oder Misserfolg der Gesundheitsförderung fast ausschließlich über den Krankenstand messen, eignet sich dieser nur bedingt als Evaluationsfaktor.

Dies macht Schwenderin mit folgender Aussage deutlich:

„1. Nicht jeder, der krank ist[…], nimmt den arbeitsrechtlichen Anspruch und die medizinische Notwendigkeit wahr, in den Krankenstand zu gehen.
2. Nicht jeder, der in den Krankenstand geht[…], ist krank bzw. hat gesundheitliche Gründe, um der Arbeit fern zu bleiben“ (Schwenderin, 1997, S. 36).

Hinzu kommt, dass die Krankenstandsanalyse nur eine Zieldimension der betrieblichen Gesundheitsförderung erfasst, nämlich die Verringerung krankheitsbedingter Fehlzeiten. Weitere Effekte, wie z. B. die Steigerung der Motivation und Leistungsfähigkeit, bleiben unberücksichtigt (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, 2002, S.28).

Zudem ist der Krankenstand von einer Reihe weiterer Einflussfaktoren ab-hängig, die keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Gesundheitsförderungsmaßnahmen zulassen (vgl. Demmer, 1995, S. 26).

Festzuhalten bleibt, dass sich weder die betriebliche Fehlzeitenanalyse noch die Entwicklung des Krankenstandes als präzise Indikatoren zur Evaluation von Gesundheitsförderungsprojekten als geeignet erwiesen haben.

1.1.2 Betrieblicher Gesundheitsbericht

Ein weitaus zuverlässigeres Instrument zur Evaluation der betrieblichen Gesundheitsförderung stellt der Gesundheitsbericht dar. Dieser ermöglicht es, die Ergebnisse der Fehlzeiten- und Krankheitsstatistiken mit weiteren Informationsquellen und medizinischen Diagnosen zu verknüpfen und dadurch eine umfassendere und differenziertere Ergebniskontrolle zu erhalten. Der Arbeitgeber erhält nicht nur aktuelle Informationen über die möglichen Ursachen betrieb-licher Fehlzeiten, der Gesundheitsbericht lässt auch Rückschlüsse über die Belastungsschwerpunkte und Erkrankungen in den verschiedenen Abteilungen und Tätigkeitsgruppen zu.

Die Gesundheitsberichterstattung konnte in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung verzeichnen. Ein Grund dafür ist das Bestreben der Betriebe, zuverlässigere und aussagekräftigere Kennzahlen als Grundlage für betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen zu bekommen (vgl. Weinreich/ Weigl, 2002, S. 86-87).

Außerdem führt die seit 1997 eingeführte gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, Betriebe bei der Gesundheitsförderung zu unterstützen, zu einer intensiveren Zusammenarbeit und Kooperationsbereitschaft.

Der betriebliche Gesundheitsbericht bietet den Entscheidungsträgern der Gesundheitsförderung einen umfassenden Überblick über den Gesundheitszustand der Belegschaft und die Belastungen der Arbeit. Er dient damit als Ausgangspunkt für die Planung und Entwicklung von Gesundheitsför-derungsmaßnahmen (vgl. Schwenderin, 1997, S. 22). Wird der Gesundheits-bericht in regelmäßigen Abständen wiederholt, dann eignet er sich auch als Evaluationsinstrument. Durch die systematische Beobachtung und Beurteilung der gesundheitlichen Situation im Unternehmen werden im Laufe der Zeit die erzielten Verbesserungen und Wirkungsweisen der Gesundheitspolitik sichtbar. Die Effizienzmessung einzelner Maßnahmen und Programme erfolgt auch hier durch einen Vorher-Nachher-Vergleich (vgl. Sochert, 1999, S. 27). In diesem Fall genügt die Berichterstattung für einzelne Abteilungen oder Bereiche, die von den Gesundheitsförderungsaktivitäten betroffen sind oder an speziellen Kursen und Schulungen teilnehmen. Als Informationsquellen für einen Gesundheitsbericht eignen sich sowohl innerbetriebliche als auch außerbetriebliche Datenquellen, wie folgendes Schaubild verdeutlicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Informationsquellen für einen Gesundheitsbericht, Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bueren, 2002, S. 38

Im Folgenden werden die hervorgehobenen Elemente der Abbildung 4 im Einzelnen vorgestellt.

1.1.2.1 Arbeitsunfähigkeitsanalysen der Krankenkassen

Die Analyse von Arbeitsunfähigkeitsdaten (AU-Daten) gehört zur wichtigsten Datenquelle eines betrieblichen Gesundheitsberichtes und wird von den Krankenkassen erstellt. „Eine AU-Datenanalyse ist immer dann sinnvoll, wenn ein großer Teil der Beschäftigten Mitglieder einer Krankenkasse sind“ (Bueren, 2002, S. 38). Diese erhält im Falle eines kranken Mitarbeiters die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes und damit auch Auskunft über die Dauer und Diagnose der Erkrankung. Aufgrund der Mitgliedschaft des Erkrankten kann die Krankenkasse auf zusätzliche Daten wie Alter, Geschlecht und Stellung im Beruf zugreifen (vgl. Bueren, 2002, S. 38). Gegenwärtig beziehen die gesetzlichen Krankenkassen etwa 22 Mio. erwerbstätige Mitglieder in die regelmäßige Berichterstattung mit ein. Das entspricht über drei Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland (vgl. Zoike, 2003, S. 201). Allerdings werden alle Daten nur in anonymisierter Form verarbeitet, so dass ein direkter Bezug zu einer Person nicht hergestellt werden kann.

Wird im Rahmen eines Gesundheitsberichtes eine AU-Analyse vom Arbeitgeber angefordert, wertet die Krankenkasse für alle Versicherten des Betriebes entsprechende Arbeitsunfähigkeitsdaten nach den geforderten Merkmalen aus. Im Normalfall zählt dazu die Arbeitsunfähigkeitsdauer pro Fall, die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle pro 100 Versichertenjahre und die Gesamtzahl der Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Versichertenjahre (vgl. Bueren, 2002, S. 39).[5]

Der Vorteil gegenüber einer innerbetrieblichen Krankenstandsstatistik besteht in der größeren Bandbreite der Auswertungen. Eine wichtige Information für den Arbeitgeber ist z. B. die Ermittlung der Krankheitsarten, die im Unternehmen das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen dominieren (vgl. Westerhoff, 1996, S. 23). Dabei sind auch Darstellungen möglich, die das gesamte Krankheitsgeschehen im Unternehmen abbilden oder einen Vergleich einzelner Unternehmenseinheiten ermöglichen. Dadurch wird deutlich, in welchen Abteilungen und Bereichen das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen besonders auffällig erscheint und welche Erkrankungen dafür verantwortlich sind.

Im Beispiel der Firma Spedicom wurden die verschiedenen Erkrankungen fünf Hauptgruppen zugeordnet und nach den Tätigkeitsgruppen „Lagerarbeiter“, „Fahrer“ und „Mitarbeiter Verwaltung“ differenziert (siehe Abb. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Effektevaluation: Diagnose-Vergleich über Tätigkeitsgruppen 2001, Quelle: Weinreich/Weigl, 2002, S.155

Da zu Beginn des Jahres 2001 bei Spedicom ein unternehmensweites Gesundheitsförderungsprojekt gestartet wurde, kann durch einen Vergleich mit der Vorjahresstatistik geprüft werden, ob bereits erste Erfolge sichtbar werden und zu Rückgängen bei den verschiedenen Krankheitsgruppen geführt haben. Die Möglichkeit, die AU-Analysen nach bestimmten Krankheitsgruppen zu unterteilen, bietet sich vor allem zur Bewertung von Gesundheitsprogrammen an, die sich schwerpunktmäßig auf die Reduzierung bestimmter Belastungs- und Krankheitstypen beschränken. So sollten sich die Erfolge eines Gesundheitsprojekts, das sich auf Rückenerkrankungen spezialisiert hat, in einer Redu-zierung der Muskel- und Skeletterkrankungen bemerkbar machen.

Die Krankenkassen bieten den Unternehmen auch die Möglichkeit an, die ermittelten Werte mit den jeweiligen Bundes- und Branchenergebnissen zu vergleichen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die AU-Datenanalyse der Krankenkassen ein geeignetes Bewertungs- und Beurteilungskriterium darstellt, um den Nutzen eines eingeführten Gesundheitsförderungsprogramms zu bestimmen. Der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen hat bei einer Befragung herausgefunden, dass 74,5% der befragten Unternehmen auf die Auswertung von Routinedaten der Krankenkassen zur Arbeitsunfähigkeit zurückgreifen (vgl. Lenhardt, 2003). Ein Grund für diese Entwicklung liegt darin begründet, dass die gesetzlichen Krankenkassen diesen Service für die Betriebe in der Regel kostenlos anbieten.

Trotz der vielen Vorteile lassen sich auch gewisse Grenzen und Einschränkungen in Bezug auf die Aussagefähigkeit der AU-Analysen feststellen.

Weinreich und Weigl bezweifeln die inhaltliche Gültigkeit solcher Analysen. Grund dafür ist, dass eine repräsentative Aussage über das AU-Geschehen nur möglich ist, wenn die Auswertungen sich auf mindestens 50 Prozent der Belegschaft beziehen (vgl. Weinreich/Weigl, 2002, S. 88). Dies setzt aber voraus, dass ein großer Teil der Beschäftigten bei der gleichen Krankenkasse versichert ist, was in der Realität nur möglich ist, wenn das Unternehmen an eine eigene Betriebskrankenkasse angeschlossen ist.[6]

Werden die AU-Analysen von mehreren Krankenkassen zur Erstellung eines Gesundheitsberichtes angefordert, besteht das Problem, dass die krankheitsbezogenen Daten unterschiedlich gespeichert und verarbeitet werden und daher nicht einfach aufaddiert werden können. Eine Kooperation der gesetzlichen Krankenkassen untereinander findet bisher nicht statt. Es bedarf daher erheblicher fachlicher und methodischer Bemühungen, die Daten verschiedener Krankenversicherungen zusammenzuführen (vgl. Weinreich/Weigl, 2002, S. 88).

Hinzu kommt, dass kleinere und mittlere Unternehmen in der Regel nur selten von den Angeboten der Krankenkassen profitieren können, da diese erst ab einer Versichertenzahl von 50 Mitarbeitern pro Betrieb bereit sind, eine AU-Auswertung durchzuführen (vgl. Wenchel, 2001, S. 89).

Ein weiterer Nachteil bezieht sich auf die Begrenzung der Krankheitsinformationen von AU-Berichten. Diese basieren auf ärztlichen Diagnosen, geben jedoch keine Auskunft über die Richtigkeit dieser Diagnosen und können keine Auskunft über die (arbeitsbedingten) Ursachen der Erkrankungen geben (vgl. Ducki, 1998, S.159). Um die Aussagekraft eines Gesundheitsberichts zu erhöhen, sollten deshalb weitere Informationsquellen hinzugezogen werden.

[...]


[1] Bei 36% aller amerikanischen Unternehmen erfolgt eine ökonomische Bewertung der durchgeführten Gesundheitsmaßnahmen (vgl. Duelli, 1996, S. 25).

[2] Damit werden alle Tätigkeiten des Managements bezeichnet, „[…]die darauf abzielen, die betriebliche Gesundheitspolitik festzulegen und diese durch Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle von strukturellen und prozessbezogenen Gesundheitsmaßnahmen und -programmen zu verwirklichen“ (Pfaff, 2001, S. 32).

[3] Zur Bewertung des betrieblichen Gesundheitsmanagements stehen eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die in der Regel auf dem Prinzip der Selbstbewertung beruhen. Ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung, der an das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) angelehnt ist und speziell für die Beurteilung des betrieblichen Gesundheitsmanagements angepasst wurde, lässt sich im Internet unter "http://www.bkk-team-gesundheit.de/Dokumente/fragebogen.pdf" aufrufen.

[4] Es handelt sich hierbei um ein fiktives Unternehmen, anhand dessen verschiedene Evaluationsmethoden im weiteren Verlauf der Arbeit veranschaulicht werden sollen (Anmerkung des Autors).

[5] „100 Versichertenjahre entsprechen 100 Pflichtversicherten, die in Vollzeit und ganzjährig beschäftigt sind“ (Bueren, 2002, S. 39).

[6] Der Anteil der beschäftigten Mitglieder in den Unternehmen mit einer Betriebskrankenkasse liegt bei rund 80 bis 90 %.

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Details

Title
Methoden und Instrumente zur Evaluation der betrieblichen Gesundheitsförderung
Grade
1,0
Author
Year
2005
Pages
59
Catalog Number
V280633
ISBN (eBook)
9783656738565
ISBN (Book)
9783668137608
File size
1327 KB
Language
German
Keywords
methoden, instrumente, evaluation, gesundheitsförderung
Quote paper
Sonja Sporrer (Author), 2005, Methoden und Instrumente zur Evaluation der betrieblichen Gesundheitsförderung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280633

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