Motivationales Interview bei Menschen mit 'Doppeldiagnosen'


Diploma Thesis, 2004

102 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Einleitung
1. Definition und Begriffserklärung
1.1 Substanzabhängigkeit
1.2 Psychose / Schizophrenie
1.3 Doppeldiagnose
1.4 Motivation – ein Zustand
2. Motivationales Interview – ein kurzer Überblick

II. Hintergründe des Motivationalen Interviews
1. Die Stufen der Veränderung nach Prochaska & DiClemente
2. Prinzipien des Motivationalen Interviews
2.1 Empathie ausdrücken
2.2 Diskrepanzen entwickeln
2.3 Beweisführung vermeiden
2.4 Widerstand aufnehmen
2.5 Selbstwirksamkeit fördern
3. Ambivalenz

III. Hintergründe von Sucht und Psychose
1. Besonderheiten bei der Behandlung von Menschen mit einer Doppeldiagnose
2. Anforderungen an die Behandlung von Doppeldiagnosepatienten

IV. Warum ist Motivationales Interview (besonders) für Doppeldiagnosepatienten geeignet?
1. Motivationales Interview und Doppeldiagnose
2. Effektivität
3. Experteninterview, -befragung
3.1 Datenerhebung
3.2 Experteninterviews, -befragung
- Prof. Dr. Lautenbacher
- Prof. Dr. Reymann
- Dr. Brueck
- Fr. Schindler
- Ph. D. Miller

V. Durchführung des Motivationalen Interviews bei Doppeldiagnosepatienten
1. Modifikation für Doppeldiagnoseklienten
2. Phase I – Motivation aufbauen
2.1 Aufbau von Selbstachtung
2.2 Strategien für die Anfangsphase
a) Offene Fragen stellen
b) Aktives Zuhören
c) Bestätigen
d) Zusammenfassen
e) Selbstmotivierende Aussagen hervorrufen
2.3 Weitere Strategien zur Erhöhung der Veränderungsmotivation
a) Aktiv helfen
b) Rückmeldung geben
2.4 Fallen beim Erstgespräch
2.5 Nutzung diagnostischer Befunde
2.6 Die ersten Sitzungen
2.7 Umgang mit Widerstand
a) Einfache Reflexion
b) Überzogene Reflexion
c) Reflexion der Ambivalenz
d) Fokus verschieben
e) Zustimmung mit einer Wendung
f) Betonung der pers. Entscheidungsfreiheit und Selbstkontrolle
g) Umformulieren und anders beleuchten
h) Paradoxe Intervention
2.8 Umgang mit nicht eingehaltenen Terminen
3. Phase II – Selbstverpflichtung zur Veränderung festigen
3.1 Risiken in Phase II
3.2 Strategien in Phase II
a) Zusammenfassung
b) Schlüsselfragen
c) Information und Ratschlag
d) Alternativen anbieten
3.3 Veränderungsplan aushandeln
3.4 Selbstverpflichtung herstellen
3.5 Übergang zum Stadium der Handlungen
4. Phase III – Motivation erneuern
4.1 Rückblick auf den Prozess
4.2 Motivation erneuern
4.3 Selbstverpflichtung erneuern
4.4 Weitere Behandlung
5. Schwierige Situationen bei der motivierenden Beratung
5.1 Umgang mit Zwangsklienten
5.2 Konsum ansprechen
5.3 Leben im Chaos

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Anhang

Entscheidungswaage

Patienteninformation

Zielplanung

Vorwort

Und immer wieder sät man aus den Samen
und immer wieder gießen Wolkengötter
und immer wieder ackert man den Acker
und immer wieder kommen andre Eigner
und immer wieder werden Bettler bitten
und immer wieder werden Geber geben
und immer wieder neue Gaben geben
und immer wieder neue Himmel finden.

Siddhartha Gautama (Buddha, 550 - 480 v. Chr.), Lied der Mönche

Ich hab`s geschafft! Der letzte Teil meines Studiums liegt hinter mir. Ich bedanke mich bei meinen Eltern für ihre Unterstützung während meines Studiums und ihr Verständnis. Mein Dank gilt allen Interviewpartnern für ihr Engagement und ihre Mithilfe. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Jörg Wolstein und Herrn Prof. Dr. Gerhard Riemann für ihre Unterstützung bei der vorliegenden Diplomarbeit und für das Wissen, das sie mir vermittelt haben. Ich möchte mich außerdem bei Fr. Kolb für ihr Vertrauen und die freien Tagen, die sie mir zur Fertigstellung dieser Arbeit ermöglicht hat, bedanken. Weiterhin danke ich Simone, Wolfgang und Rupert für die Inspiration und ihre Hilfe.

Bamberg, Januar 2004 Tanja Schröter

I. Einleitung

Im psychiatrischen Bereich vertrat man lange Zeit die Auffassung, dass nur wenige Patienten zusätzlich zu ihrer psychotischen Erkrankung auch exzessiv Suchtmittel zu sich nehmen. Dies hatte damit zu tun, dass der Psychose eine suchtpräventive Wirkung zugeschrieben wurde. Inzwischen sieht sich der psychiatrische Bereich jedoch mehr und mehr mit Doppeldiagnosen konfrontiert. Bei Patienten, die an einer Psychose leiden, sind Substanzstörungen nicht nur die häufigste, sondern auch eine klinisch sehr bedeutsame Komorbidität.[1]

Seit etwa 10 Jahren wird sich daher auch im deutschsprachigem Raum mit dieser Thematik auseinandergesetzt und es entstanden nach und nach spezielle Einrichtungen für diese Patientengruppe. Das gleichzeitige Vorliegen einer Psychose und Sucht ist also kein Randphänomen in der psychiatrischen Versorgung. Bei der Komorbidität von Substanzabhängigkeit und Schizophrenie treten komplexe und sehr heterogene Phänomene in Erscheinung. Gerade im Hinblick auf den therapeutischen Umgang mit dieser Klientengruppe mangelt es vergleichsweise noch immer an empirisch abgesicherten Wissen.

Mit dem Motivationalen Interview möchte ich eine in Deutschland noch recht unbekannte Gesprächsführungsmethode vorstellen, die zur Suchtbehandlung und zur Verhaltensänderung bei komorbiden Patienten genutzt werden kann.

In der folgenden Arbeit beschreibe ich zunächst kurz das Motivationale Interview und nenne Hintergründe dazu. Anschließend zeige ich Hintergründe zur Komorbidität von Psychose und Sucht und deren Behandlung auf, um dann im 4. Kapitel die Anwendbarkeit und Eignung des Motivationalen Interviews bei Doppeldiagnosepatienten u.a. durch die Expertenbefragung zu klären. In Kapitel V stelle ich die Durchführung des Motivationalen Interviews, wie es speziell bei dieser Patientengruppe vorgenommen werden kann, vor und gehe näher auf eine entsprechende Modifikation ein.

1. Definition und Begriffserklärung

1.1 Substanzabhängigkeit

Nach ICD10 liegt ein Abhängigkeitssyndrom vor, wenn sich mehrere bestimmte Verhaltens-, kognitive und körperliche Phänomene nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Es bestehen dabei der starke Wunsch, die Substanz zu konsumieren, Schwierigkeiten den Konsum zu kontrollieren und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Konsequenzen. Eine Substanzabhängigkeit geht charakteristischer Weise mit einer Toleranzentwicklung in Bezug auf die bestimmte Substanz, Entzugssymptomen und dem erfolglosen Wunsch, den Substanzkonsum zu verringern, einher. Bei einer Abhängigkeit wird vom Betroffenen viel Zeit für Aktivitäten aufgebracht, die im Zusammenhang mit dem Substanzkonsum stehen. Diesen Aktivitäten wird Vorrang vor anderen eingeräumt.[2]

Bei Substanzabhängigkeit liegt oft auch ein Substanzmissbrauch vor. Hierbei kommt es zu unangepassten Mustern des Substanzkonsums, was zu körperlich und psychisch schädlichen Folgen führt, wie z.B. Probleme bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen, wiederkehrende Schwierigkeiten mit dem Gesetz oder soziale Probleme.[3]

1.2 Psychose / Schizophrenie

Das Wort „Psychose“ entstand im 19. Jahrhundert und leitet sich von „psychisch“, also mit der Seele zusammenhängend, ab. Der Begriff fasst sehr schwere seelische Erkrankungen zusammen, die nicht aus eigener Kraft bewältigt werden können. Ärztliche sowie therapeutische Hilfe ist dabei notwendig.

Bei psychischen Erkrankungen bezeichnend sind erhebliche Störungen in Hinsicht auf den Bezug zur Wirklichkeit, die Einsichtsfähigkeit und die Fähigkeit, mit den alltäglichen Anforderungen zurechtzukommen. Das Denken, Wollen und Empfinden sind häufig verändert.[4]

Psychosen können akut oder chronisch auftreten. Die dabei sehr auffälligen Störungen werden oft vom Betroffenen selbst nicht erkannt und wahrgenommen.[5]

Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis können u.a. durch Wahnvorstellungen und Halluzinationen (meist akkustischer Art) gekennzeichnet sein. Außerdem können auch affektive Veränderungen wie Antriebsverlust vorhanden sein oder das Denken ist desorganisiert. In vielen Fällen isoliert sich der Kranke sozial. Bei einigen Ausprägungen der Schizophrenie kommt es mit der Zeit zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes. Bei der Schizophrenie können beim Betroffenen sowohl sogenannte „Plus-Symptome“ wie Denkstörungen, Erregung und Anspannung, Wahnerlebnisse und Halluzinationen als auch „Minus-Symptome“ wie Verringerung des Gefühlslebens, Niedergeschlagenheit und Depression, Minderwertigkeitsgefühle, Antriebslosigkeit und Rückzugsverhalten auftreten.[6]

Die Ausprägung einer schizophrenen Erkrankung kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfallen und ist bei jeder Person wegen ihrer individuellen und einzigartigen Persönlichkeit einmalig.

1.3 Doppeldiagnose

„Doppeldiagnose“ bezeichnet die Komorbidität, d.h. das gemeinsame Auftreten einer psychischen Störung bzw. Erkrankung, und die Abhängigkeit von bestimmten Substanzen wie Alkohol, Drogen oder Medikamente bei einer Person.[7] In dieser Arbeit beziehe ich mich im Besonderen auf Doppeldiagnosepatienten, die an einer Substanzabhängigkeit (von Drogen und Alkohol) leiden und zusätzlich von einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis betroffen sind. Die Psychose und die Sucht sind dabei deutlich voneinander abgrenzbare Erkrankungen. Im Unterschied dazu können Psychosen auch drogeninduziert sein.

1.4 Motivation – ein Zustand

Motivation wird im Zusammenhang mit motivierender Gesprächsführung als ein beeinflussbarer Zustand zur Veränderungsbereitschaft verstanden. Dieser Zustand schwankt je nach Situation und hängt von vielen äußerlichen Faktoren ab .

Prochaska und DiClemente meinen mit „Motivation“ das momentane Stadium der Veränderungsbereitschaft.[8]

2. Motivationales Interview – ein kurzer Überblick

Das „Motivational Interviewing“ wurde 1991von William R. Miller und Stephen Rollnick als Gesamtkonzept veröffentlicht. Diese Methode der Gesprächsführung eignet sich, um die Veränderungsmotivation bei suchtkranken Patienten positiv zu beeinflussen.[9] In der deutschen Fassung des „Motivational Interviewing“ (MI) wird dieses Konzept auch als motivierende Gesprächsführung bezeichnet.

Das motivationale Interview ist ein direktives, klientenzentriertes Beratungskonzept, das außerdem helfen soll, ambivalente Einstellungen gegenüber Verhaltensänderungen zu lösen. Die Methode zeichnet sich v.a. durch eine respektvolle und offene Haltung gegenüber dem Klienten aus. Wichtig sind hierbei die Grundprinzipien: Emphatisch sein, Diskrepanzen entwickeln, Beweisführung vermeiden, mit dem Widerstand umgehen und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten stärken.

Die motivierende Gesprächführung konzentriert sich auf den autonomen Menschen, der den Verlauf des Gesprächs bestimmt und für Veränderungen selbst verantwortlich ist. Die Professionellen machen hierbei Angebote, keine Gebote. Im Mittelpunkt steht u.a. die Förderung der Eigenverantwortung des Klienten. Im Rahmen des Motivationalen Interviews ist es möglich, unterschiedliche weitere Strategien zu integrieren oder das Beratungskonzept zur Vorbereitung für andere Behandlungsmethoden zu nutzen, z.B. für die Verbesserung der Compliance bei medikamentöser Behandlung, Verhaltenstraining, kognitive Therapien usw.

Die subjektiven Erfahrungen und Sichtweisen der Klienten werden beim Motivationalen Interview respektiert und akzeptiert.[10]

II. Hintergründe des Motivationalen Interviews

1. Stufen der Veränderung nach Prochaska und DiClemente

Das Modell der Veränderungen nach Prochaska und DiClemente steht hinter dem Konzept des Motivationalen Interviews.

Prochaska und DiClemente vergleichen den Ablauf von Veränderungsprozessen mit einer Spirale. Nach ihrem Modell der Veränderung durchlaufen Menschen bei der Bearbeitung eines Problems mehrere Stadien.

Es wird als völlig normal angesehen, dass der Klient die einzelnen Stadien während dieses Prozesses mehrmals durchläuft, bis schließlich eine stabile Verhaltensänderung eintritt. Prochaska und DiClemente beschreiben folgende Stadien:

(1) Stadium der Absichtslosigkeit

Der Klient beginnt den Veränderungsprozess zunächst mit dem Stadium der Absichtslosigkeit. In dieser Phase denkt er noch nicht über eine Veränderung des Verhaltens nach und besitzt kein Problembewusstsein im Hinblick auf die Substanzabhängigkeit. Probleme wurden möglicherweise bereits von außen, also dem Umfeld, wahrgenommen und daher kommt es zu einer Behandlung.

In dieser Phase ist es für den Klienten besonders wichtig, Informationen zur Sucht, den Auswirkungen und Konsequenzen des Konsums, möglichen psychiatrischen Erkrankungen sowie Risiken, Hilfen usw. zu erhalten. Beim Klienten soll besonders die Wahrnehmung in Bezug auf sein momentanes Verhalten gefördert werden.

(2) Stadium der Absichtsbildung

Wenn der Klient ein Problembewusstsein entwickelt, kommt er in das Stadium der Absichtsbildung. Hier treten typischerweise Ambivalenzen auf. Der Klient ist hin- und hergerissen zwischen Veränderung und alles beizubehalten, zwischen Besorgnis und Sorglosigkeit. Im Prozess der Verhaltensänderung wird dieses Schwanken als normales Ereignis angesehen.

Der Berater soll in diesem Stadium einen Anstoß in Richtung Veränderung geben, Veränderungsgründe mit dem Klienten herausarbeiten und dessen Selbstvertrauen stärken.

(3) Stadium der Vorbereitung

In diesem Stadium fängt der Klient ernsthaft an, hin und wieder über eine Veränderung z.B. des Konsumverhaltens nachzudenken. Das Verhalten wirkt motiviert. Der Klient könnte beispielsweise sagen:

„Es muss sich einfach etwas ändern.“

„Wie kann ich etwas ändern?“

„Ich muss etwas dagegen tun.“.

Wenn die Person in diesem Stadium aktiv wird, hält der Prozess der Veränderung an, wenn nicht, fällt die Person zurück in das Stadium der Absichtsbildung.

Wichtige Aufgabe des Beraters ist es an dieser Stelle, eine für den Klienten akzeptable, realistische und durchführbare Strategie zur Veränderung gemeinsam mit ihm zu finden.

(4) Handlungsstadium

In dieser Phase des Veränderungsprozesses begibt sich der Klient in eine weitere spezielle Behandlung oder entsprechende Drogentherapie. Der Klient macht konkrete Veränderungen, was allerdings noch nicht heißt, dass die Veränderungen auch fortbestehen werden.

(5) Stadium der Aufrechterhaltung

Im Stadium der Aufrechterhaltung hat der Berater vor allem die Aufgabe, die Veränderungen des Klienten zu festigen und diese aufrecht erhalten zu helfen. Rückfälle sollen möglichst verhindert und vorgebeugt werden.

(6) Stadium der Rückfälle

Bei einem Rückfall, d.h. erneutem Substanzkonsum tritt der Klient wieder von vorne in den Kreis der Veränderungen ein. Wenn Menschen lang anhaltende Verhaltensmuster verändern wollen, sind Rückfälle normale und vorhersehbar Ereignisse. Der Berater sollte hierbei helfen, Entmutigung und Aussichtslosigkeit beim Klienten zu vermeiden und ihn unterstützen, weiter über eine Veränderung nachzudenken.[11]

Ähnlich wie das transtheoretische Modell von Prochaska und DiClemente haben Osher und Kofoed (1989) vier Behandlungsphasen für die Komorbidiät von Substanzabhänigkeit und psychischen Störungen erläutert: „engagement“ (Verpflichtung), „persuasion“ (Überzeugung), „active treatment“ (aktive Behandlung) und „maintenance“ (Aufrechterhaltung).[12]

2. Prinzipien des Motivationalen Interviews

Kern des Motivationalen Interviews sind die fünf Grundprinzipien. Diese Prinzipien finden Anwendung und Beachtung in allen Phasen der motivierenden Gesprächsführung. Im Folgenden will ich zunächst diese Grundsätze darstellen:

2.1 Empathie ausdrücken

Empathie ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in andere Menschen und ihre Einstellungen hineinzuversetzen. Im Rahmen der motivierenden Gesprächsführung ist Empathie ein wesentliches Prinzip. Empathie wird dabei als, die Gefühle und Einstellungen der Klienten akzeptierend und verstehend, angesehen. Die Sichtweisen des Klienten sollen nicht bewertet oder kritisiert werden. Vergleichende Studien zeigten, dass ein empathischer Therapeutenstil mit geringem Widerstand beim Patienten und einer anhaltenden Verhaltensänderung einhergeht.[13]

Die empathische Grundhaltung des Beraters ist typisch für die motivierende Gesprächsführung. Empathie ist in allen Phasen des Motivationalen Interviews wichtig und motivationsfördernd. Auch Rückmeldungen oder Ratschläge sollten auf empathische Art und Weise vermittelt werden. Der Berater versucht dabei, die Gefühle und Vorstellungen des Klienten durch aktives Zuhören zu begreifen ohne eine Wertung vorzunehmen. Akzeptanz hilft bei der Veränderung. Akzeptanz und Verstehen bedeutet jedoch nicht, dass der Berater die gleiche Auffassungen wie der Klient haben muss und mit diesem auch übereinstimmen muss.

Eine nicht-akzeptierende Haltung (z.B. „Sie müssen sich ändern“) führt häufig dazu, dass der Betroffene erst recht an dem bisherigen Verhalten festhält. Unter Empathie wird weiterhin die Fähigkeit verstanden, die Mitteilungen anderer Menschen und ihre Bedeutungen durch aktives Zuhören zu verstehen. Aktives Zuhören wirkt bestätigend für den Klient. Ein empathischer Berater sollte natürlich erscheinen, auch wenn das aktive Zuhören eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe darstellt. Empathie erfordert zudem eine hohe Sensibilität für neue Äußerungen des Klienten. Dabei geht es darum, das Gesagte des Klienten zu filtern und ausgesuchte Aspekte mit anderen Worten wiederzuspiegeln. Reflexionen geben dem Klienten das Gefühl verstanden zu werden und verbessern die Therapeuten-Patientenbeziehung.

2.2 Diskrepanzen entwickeln

Diskrepanzen entwickeln heißt, dazu beitragen, dass Klienten in ihrer Selbstwahrnehmung Widersprüche oder Unstimmigkeiten erkennen. Der Klient bemerkt beispielsweise, dass ein Zusammenhang zwischen der momentanen Situation und dem Alkohol- oder Drogenkonsum besteht. Viele Klienten sehen die Vorteile des Konsums, leiden jedoch zugleich an den negativen Auswirkungen. Diskrepanzen können z.B. im Bereich Gesundheit, soziales Umfeld, am Arbeitsplatz, beim Selbstwertgefühl und den persönlichen Zielen der Klienten deutlich werden. Wenn Menschen Hilfe in Anspruch nehmen, haben sie meistens bereits eine Dissonanz bei sich bemerkt. Der Berater hat dabei die Aufgabe, dem Klienten die Diskrepanzen bewusst zu machen und zu verdeutlichen, ohne eine Abwehrhaltung des Betroffenen zu stark hervorzurufen. Dadurch kann der Klient für sich selbst Gründe für eine Veränderung finden.

2.3 Beweisführung vermeiden

Debatten und Streits zwischen Klient und Therapeut sind kontraproduktiv im Hinblick auf die Förderung der Veränderungsmotivation. Je mehr der Klient von außen in eine bestimmte Richtung gebracht werden soll und gelenkt wird, umso geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auch in diese Richtung verändert. Aggressive Konfrontationen mit dem Substanzgebrauch (und dem psychotischen Erleben) erzeugen typischerweise Widerstand und sind besonders für Menschen, die eine Doppeldiagnose erhalten haben, nicht geeignet. Für viele Patienten ist es eine schwierige Erkenntnis, ein Problem mit Suchtmitteln neben der psychischen Erkrankung zu haben. Abhängigkeit ist häufig mit Stigmatisierung verbunden. Der Berater sollte Empathie und Geduld zeigen und akzeptieren, dass der Klient möglicherweise nur kleine Schritte in Richtung Selbsterkenntnis geht. Wenn es um die Veränderung von Konsumverhalten geht, ist es nicht entscheidend, dass der Klient sich selbst als abhängig ansieht. Die Einsicht des Klienten kann Ziel der Beratung sein, darf aber nicht als Voraussetzung gelten.

2.4 Widerstand aufnehmen

Widerstand tritt bei der Interaktion zwischen Berater und Klient auf und erfordert vom Therapeuten eine Überprüfung seiner eigenen Strategien. Der Berater soll auf Widerstand nicht passiv, erduldend oder aggressiv und gekränkt reagieren. Stattdessen soll er das Thema, bei dem der Widerstand aufgetreten ist, aktiv aufgreifen und steuernd wirken. Widerstand kann als Zeichen von nicht ausreichend berücksichtigter Ambivalenz auftreten. Widerstand entsteht in vielen Fällen auch, wenn der Berater dem Klienten eine bestimmte und vorgefertigte Lösung des Problems vorgibt (z.B. Berater: „Sie sollten sich in eine Fachklinik begeben“). Der Berater ist dabei häufig der Überzeugung, dass sein Lösungsvorschlag der richtige ist. Im Rahmen der motivierenden Gesprächsführung ist es nicht Aufgabe des Beraters Lösungen zu finden und zu verordnen, sondern den Klienten zu unterstützen, seine eigenen Lösungen zu finden. Der Therapeut sollte sich bemühen, dem Klienten nicht seine eigene Meinung und Vorstellungen aufzudrängen. Er sollte vielmehr die Eigenverantwortung des Klienten respektieren und ihm unterstützend objektive Informationen und neue Perspektiven aufzeigen.

2.5 Selbstwirksamkeit fördern

Nach Miller und Rollnick bedeutet Selbstwirksamkeit das Vertrauen einer Person in die eigenen Fähigkeiten, eine spezifische Aufgabe erfolgreich lösen zu können. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten ist von großer Bedeutung für die Verhaltensänderung des Klienten. Die Wirkung der Behandlung hängt entscheidend davon ab, ob der Klient für sich Hoffnung auf Erfolg sieht. Ein wichtiges Ziel motivierender Gesprächsführung ist demnach die Stärkung des Selbstvertrauens beim Klienten. Es ist für den Betroffenen wichtig, sich selbst als jemand wahrzunehmen, der mit bestimmten Aufgaben und Hindernissen zurecht kommt. Das Hauptaugenmerk sollte nicht auf Defizite, Schwächen und negative Konsequenzen gerichtet werden, sondern vielmehr auf die Fähigkeiten, Ressourcen und Stärken des Patienten. Hierbei ist besonders zu beachten, dass der Berater neben einer empathischen Grundhaltung konkret zu lösende Aufgaben mit dem Klienten erarbeitet. Die Forderung nach einer lebenslangen Suchtmittelabstinenz überfordert in vielen Fällen die Patienten, insbesondere viele Doppeldiagnosepatienten.[14] Es kommt dann häufig zur Resignation beim Betroffenen. Der Berater sollte daher gemeinsam mit dem Klienten realistische und durchführbare Schritte in Richtung Veränderung des Konsumverhaltens herausfinden. Die persönlichen Fähigkeiten des Klienten sollten hierbei berücksichtigt werden.

3. Ambivalenz

Menschen, die an einer Substanzabhängigkeit leiden, beginnen eine Behandlung meistens mit ambivalenten Einstellungen. Die Betroffenen wollen einerseits etwas ändern und andererseits auch nicht. Dieser Konflikt ist dominierend während der ersten Kontakte mit dem Klienten. Das Empfinden widersprüchlicher Gefühle ist eine normale und menschliche Erfahrung. Es ist schwierig, sich einer Sache immer hundertprozentig sicher zu sein. Bei suchtkranken Menschen spielt der Ambivalenzkonflikt eine zentrale Rolle. Die Betroffenen nehmen die Risiken und Schäden teilweise wahr, die durch ihr Konsumverhalten verursacht werden, und bleiben ihrem bisherigen Verhalten trotzdem treu. Sehr häufig sind diese Menschen ratlos und wissen nicht, was sie tun sollen. Sie wollen etwas ändern und doch nicht. Der Behandelnde könnte diesen Konflikt fälschlicherweise als Ausdruck von mangelnder Motivation werten. Miller und Rollnick sehen Ambivalenz als ein normales Phänomen an. Die Umgangsweise mit dem Konflikterleben des Klienten ist demnach vollkommen anders als in vielen bisherigen Suchtbehandlungen. „Motivational Interviewing“ zielt auf das Verstehen des Dilemmas, in dem sich der Klient befindet, ab.

Die Ambivalenz verstehen

Die Ambivalenzgefühle des Klienten entstehen und werden aufrecht erhalten u.a. durch die körperliche und psychische Gewöhnung des Betroffenen. Es kommt beim Betroffenen außerdem zu einer Toleranzentwicklung, was bedeutet, dass mit der Zeit eine höhere Menge einer Substanz konsumiert werden muss, um den selben gewünschten Effekt zu erzielen. Ebenso werden z.B. entspannende und positive emotionale Empfindungen in Zusammenhang mit der bestimmten Substanz assoziiert. Mit Hilfe des Konsums bestimmter Substanzen versuchen die Betroffenen, mit schweren Situationen besser fertig zu werden. Der Konsum hilft ihnen beispielsweise sich kompetenter und besser zu fühlen oder hilft ihnen einzuschlafen oder besser mit Menschen zurecht zu kommen. So wird es schließlich schwierig oder unmöglich für den Betroffenen, auf den Substanzkonsum zu verzichten. Es liegt also eine psychische Abhängigkeit vor.

Die Person fühlt sich möglicherweise zwischen zwei gleich attraktiven Alternativen hin und hergerissen. Es kann auch sein, dass der Betroffene alle Alternativen, die für ihn in Frage kämen, als negativ empfindet und sich vor die Entscheidung gestellt sieht, sich für ein „Übel“ entscheiden zu müssen.

Beim Ambivalenzkonflikt schwankt die Person demnach zwischen zwei miteinander konkurrierenden Motiven. Der Substanzkonsum bringt sowohl Nutzen als auch Kosten für den Betroffenen mit sich. Die Einnahme von Alkohol oder Drogen kann beispielsweise positive Nutzen wie Entspannung, Euphorie und ein „gutes Gefühl“ beim Betroffenen bewirken.

Ambivalenz kann sowohl den Klienten als auch den Berater verwirren und frustrieren und verlangt auf beiden Seiten Geduld und Durchhaltevermögen. Der Berater sollte der Ambivalenz des Klienten mit Verständnis begegnen und diese als Teil eines Veränderungsprozesses betrachten, anstatt Druck auf den Klienten auszuüben sich zu verändern.[15] Außerdem sollten nicht nur die rationalen und kognitiven Aspekte der Ambivalenz betrachtet werden sondern immer auch die Gefühle und Wertvorstellungen des Klienten. Mit den hier beschriebenen Strategien und Prinzipien des Motivationalen Interviews kann der Ambivalenz des Klienten begegnet werden.

Die Entscheidungswaage

Das Bild einer Balkenwaage kann innerhalb der motivierenden Gesprächsführung eingesetzt werden, um Ambivalenzkonflikte des Klienten besser zu bearbeiten. Auf jeder Seite der Waage befinden sich zwei Arten von Gewichten. In der einen Waagschale liegen die erhofften Nutzen des Verhaltens und die befürchteten Nachteile einer Änderung dieses Verhaltens. In der anderen Waagschale befinden sich die Nachteile des Verhaltens und die erhofften Vorteile einer Änderung. Ob die betroffene Person ihr Verhalten ändert und den Konsum einstellt, hängt davon ab, wie sich die Balkenwaage ausbalanciert. Klienten sind sich diesem Balanceprozess nicht unbedingt bewusst. Der Berater kann nicht davon ausgehen, dass er bei der Vorteil-Nachteil-Analyse zu den gleichen Ergebnissen kommt wie der Klient. Die einzelnen Elemente in den Waagschalen lassen sich nicht einfach miteinander aufaddieren. Die verschiedenen Elemente können individuell unterschiedlich gewichtet werden, sich mit der Zeit verändern und sich gegenseitig beeinflussen. Nehmen die Nachteile eines Verhaltens zu, bedeutet dies nicht unbedingt, dass auch der Impuls zur Veränderung besteht. Im klinischen Bereich z.B. kann häufig beobachtet werden, dass Patienten mit Alkohol- und Drogenproblemen trotz starker Schädigung und Nachteilen ihr Verhalten aufrechterhalten. Nach Miller und Brown[16] wird ein Klient trotz intensiver Abwägung der Vor- und Nachteile bei seinem schädigenden Verhalten bleiben, wenn er keine ausreichenden Selbststeuerungsmechanismen besitzt. Diese Menschen brauchen zusätzliche Unterstützung neben der Motivationsförderung. Besonders Menschen mit einer Komorbidität von Schizophrenie und Sucht verfügen häufig nicht über ausreichende Kontrollfähigkeit ihres Verhaltens und benötigen zusätzliche Verhaltenstrainings.[17]

III. Hintergründe von Sucht und Psychose

1. Besonderheiten bei der Behandlung von Menschen mit einer Doppeldiagnose

In der Literatur finden sich zahlreiche allgemeine Hinweise auf die speziellen Schwierigkeiten bei der Behandlung von Doppeldiagnosepatienten (Komorbidität von Sucht und Psychose). Bei einem Zusammentreffen von Psychose und Sucht werden zahlreiche, wechselseitige Eskalationen sowie Chronifizierungen der einzelnen Erkrankungen sichtbar. Ebenso kann es zu qualitativen Symptomausweitungen kommen. Ein ganzheitliches Erfassen und eine, die vielseitigen Wechselbeziehungen verstehende Herangehensweise ist daher notwendig.[18]

Wenn Personen Alkohol oder Drogen konsumieren und zugleich von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, steigern sich gleichzeitig die Probleme dieser Menschen an einer Behandlung festzuhalten. Der Substanzkonsum erhöht das Risiko einer negativen Drogenreaktion, insbesondere das Risiko einer unbeabsichtigten Überdosis.[19]

Die Prävalenzraten für Suchterkrankungen bei stationär behandelten schizophrenen Menschen sind weit höher als in der Normalbevölkerung.[20]

Hinsichtlich der Prävalenz der Doppeldiagnosen schwanken die Zahlen jedoch von 1-3% bis zu 60%, u.a. ist dies von Anschauung und Diagnosepolitik der jeweiligen Psychiatrie abhängig.[21]

Die Dynamik und Charakteristika der Substanzabhängigkeit sind in der akuten psychotischen Phase nur wenig bestimmend. Im subakuten Zustand zeigt sich die psychische Erkrankung häufig durch Basisstörungen oder Residualstörungen. Das residuale Störungsniveau grenzt die Möglichkeiten einer therapeutischen Behandlung ein. Die Psychoseerkrankung legt zugleich das maximale Belastungs- und Konfrontationsniveau, dem der Betroffene ausgesetzt werden kann, fest. Gerade bei komorbiden Patienten ergeben sich häufig Abweichungen zwischen biologischem Alter und psychischer Reife.[22]

Bei einer dreimonatigen Erhebung an 29 schizophrenen Patienten mit Suchtmittelmissbrauch und 24 schizophrenen Patienten ohne Missbrauch an der psychiatrischen Klinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf (Hamburg) stellte sich heraus, dass sich die untersuchten Gruppen hinsichtlich der Basisbeschwerden erheblich unterscheiden. Die Patienten mit Missbrauch haben sich selbst als deutlich beeinträchtigtere Gruppe wahrgenommen.[23]

Besondere Probleme von Doppeldiagnosepatienten können u.a. Entwicklungsdefizite sein. Sehr oft wurde die Schul- oder Berufsausbildung abgebrochen. Ebenso treten häufig Schwierigkeiten im lebenspraktischen Bereich auf, z.B. bei der Selbstversorgung und beim Gesundheitsverhalten. Außerdem können Defizite in ihrer psychosozialen Entwicklung vorhanden sein und möglicherweise haben die Betroffenen wenig Erfahrungen mit Selbstverantwortung. Die Patienten haben teilweise Probleme mit sozialen Beziehungen. Viele besitzen nur eingeschränkte Fähigkeiten, um soziale Beziehungen aufzubauen, was auch für die Beziehung zum Berater gelten kann. Häufig vermeiden die Klienten Konflikte anstatt sie auszutragen. Des weiteren können auch kognitive Defizite auftreten: die Verarbeitung komplexer Informationen ist dann beispielsweise gestört und oder emotionale Störungen treten in Erscheinung.[24] Weiterhin beeinträchtigt der Konsum von Alkohol und Drogen zusätzlich die kognitiven Funktionen.

Es besteht zudem ein erhöhtes Suizidrisiko für Doppeldiagnosepatienten.[25]

Ebenso kann Aggressivität deutlich häufiger bei Doppeldiagnosepatienten beobachtet werden als bei Vergleichsgruppen Schizophrener ohne Missbrauch von Substanzen.[26]

Halluzinatorisches Erleben und Kognitionsstörungen, die besonders bei schizophrenen Patienten auftreten, machen es dem Betroffenen häufig schwer, sich räumlich, zeitlich und situationsbezogen zu orientieren. Laut Dr. Löhrer kann das Vereinbaren von Behandlungszielen und Behandlungsbedingungen erschwert sein. Die häufige Rückfälligkeit dieser Patientengruppe verkompliziert zudem die Behandlung.

Schizophrene Erkrankte lassen sich oftmals nur schwer zu regelmäßigen Behandlungskontakten bewegen. Es muss mit einer erhöhten Rate an Behandlungsabbrüchen und chronischen Verläufen der Erkrankungen sowie mit rechtlichen Problemen der Klienten gerechnet werden.[27]

Vereinbarungen in der Therapie werden vom Betroffenen häufig nicht eingehalten und es kann zu Verstöße gegen bestehende Regelungen kommen. Patienten mit Doppeldiagnosen weisen alle Symptome auf, die psychisch kranke Menschen ohne eine Substanzabhängigkeit auch zeigen.[28] Doppeldiagnosepatienten sind zudem häufig von Hospitalisierung betroffen und zeigen in vielen Fällen nur geringe Bereitschaft, an einer abstinenzorientierten Suchttherapie teilzunehmen.[29]

Durch die zusätzliche Substanzabhängigkeit kann sich die Prognose der psychischen Erkrankung verschlechtern. Die psychotischen Symptome können sich also durch den Substanzkonsum langfristig verstärken.

Im akuten psychotischen Zustand gelten für Doppeldiagnosepatienten analoge Gesetzmäßigkeiten wie für nur psychisch erkrankte Menschen.

Demoralisierung bei den Betroffenen wurde außerdem wiederholt als ein Merkmal chronisch psychischer Störungen beschrieben. Dabei muss beachtet werden, dass chronische psychische Erkrankungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen häufig mit entmutigenden und demoralisierenden Erfahrungen einhergehen.[30]

Komorbide Patienten zeigen in manchen Fällen auch Mißtrauen und Ängstlichkeit gegenüber dem Behandler. Dr. Löhrer erklärt, dass die Behandlung von sensitiv Wahngestörten im Setting der Klinik am Waldsee bisher nicht gelungen sei und sich auch in anderen Settings als sehr erschwert darstelle.[31]

2. Anforderungen an die Behandlung von Doppeldiagnosepatienten

Bei der Behandlung von Doppeldiagnosepatienten ist es wichtig, die Therapie als etwas angenehmes und hilfreiches für die Betroffenen darzustellen. Die Behandlung soll kontinuierlich und auf einer Vertrauensbasis zwischen Therapeut und Klient stattfinden. Der Patient muss in der Therapie einen persönlichen Vorteil für sich erkennen können. Die subjektiven Bedeutungszusammenhänge von Menschen mit einer Doppeldiagnose und ihre Problemsicht müssen bei der Therapie daher miteinbezogen und akzeptiert werden. Es ist sinnvoll zu überlegen, welche Funktion das Suchtmittel für den psychisch erkrankten und abhängigen Menschen im Einzelfall erfüllt.[32] Dr. Löhrer, Leiter der Klinik am Waldsee Klinik für Doppeldiagnose), empfiehlt, zunächst eine Einschätzung der psychotischen Aktivität, der Suchterkrankung und des psychischen Alters des Patienten vorzunehmen. Die psychotischen Aktivitäten bestimmen den Zeitpunkt der Interventionen erheblich mit. Während einer akuten Phase steht demnach die Behandlung der Schizophrenie durch neuroleptische Medikamente und z. B. ein schonendes Abfangen durch Reizminimierung im Vordergrund. Mit dem Nachlassen der psychotischen Symptome wird dann die Suchtkrankenbehandlung zunehmend wichtiger. Psychoedukative Angebote, Aufklärung und das Wecken kognitiver Krankheitseinsicht sind dann wichtige Aufgaben.[33]

Im Hinblick auf die möglichen Störungen in der Informationsverarbeitung und verschiedene Defizite, die bei den Betroffenen vorliegen können, muss damit gerechnet werde, dass Veränderungen bei diesen Menschen lange dauern und auf Umwegen stattfinden können. Die spezifische Behandlung muss dem residualen Störungsniveau des Patienten individuell angepasst werden. Dies stellt erhebliche Anforderungen an die Flexibilität einer Institution und an die psychische Belastbarkeit eines Behandlers. Da verzögerte Rückbildungsformen bei der Schizophrenie nicht selten auftreten, ist eine häufigere Neubewertung und Nachexploration der Gesamtsituation des Patienten sinnvoll. Bei der Behandlung von komorbiden Patienten ist die Berücksichtigung der prozesshaften Entwicklung der Psychoseerkrankung sehr wichtig. Dementsprechend müssen auch Therapieziele möglicherweise im Gesamtverlauf der Behandlung neu überprüft und angepasst werden.[34]

Für eine angemessene Psychosebehandlung ist ein vertrauensvolles, therapeutisches Beziehungsangebot von Bedeutung. Der Umgang mit dem Klienten sollte schonend und rücksichtsvoll sein.[35]

Im stationären Bereich wird bei der Suchtbehandlung besonders darauf geachtet, dass ein suchtmittelfreies und abstinentes Setting vorliegt. Es ist außerdem wichtig das psychische Alter des Klienten zu berücksichtigen. So muss die Behandlung eines 40-jährigen im Hinblick auf Sprach- und Umgangsstil anders erfolgen als bei einem 20-jährigen. Da bei schizophrenen Patienten Kognitionsstörungen vorhanden sein können, sollte die Kommunikation mit dem Betroffenen möglichst einfach und klar erfolgen.

Die Psychoseerkrankung und die Suchterkrankung stellen unterschiedliche Anforderungen an die Behandlung. Während aufdeckende Arbeit und ein steter Verweis auf eigenverantwortliches Handeln bei der Suchtbehandlung wichtige Prinzipien darstellen, brauchen schizophrene Patienten zugleich auch sorgende und tragende Zuwendung. Konfrontationen mit dem Justizsystem beispielsweise, der Familie oder der Lebensumgebung müssen hierbei oft abgefedert und abgepuffert werden. Die Suchterkrankung geht mit ambivalenten Entscheidungsprozessen beim Betroffenen einher. Unentschlossenheit und Unschlüssigkeit sind dabei typische Phänomene bei den Erkrankten.[36]

Der Umgang mit der Sucht macht v.a. einen Umgang mit den Rückfällen erforderlich. Hierbei ist entscheidend, dass der Berater Rückfälle nicht verurteilt, sondern verstehend reagiert. Die Auslöser und Gegebenheiten des Rückfalls sollten mit dem Klient im Einzelgespräch besprochen werden. Rückfälle dürfen kein Grund für einen disziplinarischen Abbruch der Behandlung sein. Bei psychotisch erkrankten und abhängigen Menschen sind Sanktionsandrohungen im Falle eines Rückfalls häufig sinnlos, da viele Patienten die benötigte Selbstkontrolle nicht aufbringen können.[37]

[...]


[1] Vgl. Drake, R. E., Mueser, K. T.: Klinisches Management der Komorbidität von psychotischen Störungen und Substanzstörungen. In: MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[2] vgl. DILLING, H.; MOMBOUR, W.; SCHMIDT, M. H. (Hrsg.): Internationale Klassifikation

psychischer Störungen: Klinisch-diagnostische Leitlinien, Bern: Huber-Verlag, 2000

[3] vgl. Brodbeck, J.: Diagnostik der Komorbidität. In: MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[4] vgl. BÄUML, J.: Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis: Ein Ratgeber für Patienten und Angehörige, Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 1994

[5] vgl. WALLER, H.: Sozialmedizin: Grundlagen und Praxis, (4., überarb. u. erw. Auflage), Stuttgart, Berlin, Köln: Verlag Kohlhammer, 1997

[6] vgl. BÄUML, J.: Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis: Ein Ratgeber für Patienten und Angehörige, Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 1994

[7] vgl. MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[8] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S. (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung: ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen/ Kremer, G.; Schroer, B. (Bearb.), Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1999

[9] vgl. Kremer, G.: Motivierende Gesprächsführung. In: PETER, K.; BADER, T. (Hrsg.): Psychiatrie und Drogensucht, Lengenrich, Berlin, Bremen, Riga Rom, Viernheim, Wien; Zagreb: Pabst, 2002

[10] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S. (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung: ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen/ Kremer, G.; Schroer, B. (Bearb.), Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1999

[11] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S. (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung: ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen/ Kremer, G.; Schroer, B. (Bearb.), Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1999

[12] vgl. OSHER, F.C.; KOFOED, L.L.: “Treatment of Patients with osychiatric and psychoactive substance abuse disorders”, in: Hospital And Community Psychiatry, Nr.40, 1989

[13] vgl. Miller, W.R.; Sovereign, R.G.: The Check-up . A model for early intervention in addictive behaviors. In: LOBERG, T.; MILLER, W:R:, NATHAN, P. E.; MARLATT, G. A. (Hrsg.): Addictive behaviors: Prevention and early intervention, Amsterdam: Swets & Zeitlinger, 1989

VALLE, S. K.: “Interpersonal functioning of alcoholism counselors and treatment outcome”, in: Journal of Studies on Alcohol, Nr. 42, 1981

[14] siehe Interview mit Prof. Lautenbacher

[15] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S. (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung: ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen/ Kremer, G.; Schroer, B. (Bearb.), Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1999

[16] vgl. Miller, W. R., Brown, J. M.: Self-regulation as a conceptual basis for the prevention and treatment of addictive behaviors. In: HEATHER, N.; MILLER, W.R.; GREELEY, J. (Hrsg.): Self-control and addictive behaviours, Sydney: Pergamon Press Australia, 1991

[17] vgl. DILLING, H.; MOMBOUR, W.; SCHMIDT, M. H. (Hrsg.): Internationale Klassifikation

psychischer Störungen: Klinisch-diagnostische Leitlinien, Bern: Huber-Verlag, 2000

SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht:

Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

[18] siehe Interview mit Prof. Lautenbacher

[19] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S.: Motivational Interviewing (Second Edition), New

York; London: Guilford Press, 2002

[20] vgl. Soyka, M., Albus, M. und Kathmann, N.: Psychische Krankheit und Suchtmittelmissbrauch, Prävalenz von Suchterkrankungen bei schizophrenen Patienten – erste Ergebnisse einer Studie an 447 stationären Patienten eines großstadtnahen psychiatrischen Bezirkskrankenhauses. In: SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht:

Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

[21] vgl. SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht:

Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

[22] vgl. LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[23] vgl. Drake, R. E.; Mueser, K. T.: Klinisches Management der Komorbidität von psychotischen Störungen und Substanzstörungen. In: MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[24] vgl. LORENZEN, U: „Problematik psychiatrischer Patienten mit der Doppeldiagnose Schizophrenie und Suchtmittelmissbrauch am Beispiel der Lebenslaufanalyse ehemaliger BewohnerInnen eines psychiatrischen Übergangswohnheimes“, Diplomarbeit (Psychologie), Hamburg, 1991

Schwoon, D. R.: „Koinzidenz psychischer Störungen und Sucht“ In: TRETTER, F.; MÜLLER, A. (Hrsg.): Psychologische Therapie der Sucht, Göttingen; Bern; Toronto; Seattle: Hogrefe-Verlag, 2001

[25] vgl. DRAKE, R. R.; WALLACH, H.: “Review of integrated mental health and substance abuse treatment for patients with dual disorders”, in: Schizophrenia Bulletin, 24, 1989

LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[26] vgl. Drake, R. E.; Mueser, K. T.: Klinisches Management der Komorbidität von psychotischen Störungen und Substanzstörungen. In: MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[27] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S.: Motivational Interviewing (Second Edition), New York; London: Guilford Press, 2002

[28] vgl. Soyka, M., Albus, M. und Kathmann, N.: Psychische Krankheit und Suchtmittelmissbrauch, Prävalenz von Suchterkrankungen bei schizophrenen Patienten – erste Ergebnisse einer Studie an 447 stationären Patienten eines großstadtnahen psychiatrischen Bezirkskrankenhauses. In: SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht:

Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

[29] vgl. Drake, R. E.; Mueser, K. T.: Klinisches Management der Komorbidität von psychotischen Störungen und Substanzstörungen. In: MOGGI, F. (Hrsg.): Doppeldiagnose – Komorbidität psychischer Störungen und Sucht, Bern: Verlag Hans Huber, 2002

[30] vgl. KUPPER, Z.: Dynamische Modelle für chronisch psychische Störungen, Lengenrich,

Berlin, Düsseldorf, Leipzig, Riga, Scottsdale, Wien; Zagreb: Pabst, 1999

[31] vgl. LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[32] vgl. MILLER, W. R.; ROLLNICK, S. (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung: ein Konzept zur Beratung von Menschen mit Suchtproblemen/ Kremer, G.; Schroer, B. (Bearb.), Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1999

[33] vgl. LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[34] vgl. LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[35] vgl. Schwoon, D. R.: Therapeutische Anforderungen an die Behandlung von psychiatrischen Patienten mit einer „Doppelproblematik“ in SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht: Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

Schneider, G.; Pichelt-Welle, W.: Patienten mit Psychose und Suchtmittelmissbrauch auf einer spezialisierten psychiatrischen Station, in: SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht: Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[36] vgl. LÖHRER, F.: “Sucht und Psychose”, von: http://www.ahg.de/ahgde.nsf/ FRSEINRICHTUNG/Waldsee?opendocument, 2003

[37] vgl. Schneider, G.; Pichelt-Welle, W.: Patienten mit Psychose und Suchtmittelmissbrauch auf einer spezialisierten psychiatrischen Station, in: SCHWOON, D. R.; KRAUSZ, M. (Hrsg.): Psychose und Sucht: Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1992

Excerpt out of 102 pages

Details

Title
Motivationales Interview bei Menschen mit 'Doppeldiagnosen'
College
University of Bamberg  (Fachbereich Sozial Arbeit)
Grade
2,0
Author
Year
2004
Pages
102
Catalog Number
V28073
ISBN (eBook)
9783638299626
File size
807 KB
Language
German
Keywords
Motivationales, Interview, Menschen, Doppeldiagnosen
Quote paper
Tanja Schröter (Author), 2004, Motivationales Interview bei Menschen mit 'Doppeldiagnosen', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28073

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