Die Bindungstheorie. Auswirkungen einer postpartalen Erkrankung auf die Mutter-Kind-Beziehung


Texte Universitaire, 2006

35 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Bindungstheorie
2.1 Entwicklungsverlauf von Bindung
2.2 Exploration und sichere Basis
2.3 Das innere Arbeitsmodell
2.4 Konzept der Feinfühligkeit
2.5 Konzept der kindlichen Bindungsqualität „Fremde Situation“

Bindungsstil A (unsicher-vermeidend gebunden)

Bindungsstil B (sicher gebunden)

Bindungsstil C (unsicher-ambivalent gebunden)

Zusatzklassifikation: Bindungsstil D (desorganisiertes/desorientiertes Verhaltensmuster)

2.6 Adult-Attachment-Interview (AAI)

Sicher organisierte innere Repräsentation

Unsicher-vermeidend organisierte innere Repräsentation

Unsicher-ambivalent organisierte innere Repräsentation

Unsicher-desorganisierte innere Repräsentation

2.7 Langfristige Effekte früher Bindungsmuster

3. Die frühkindliche Interaktion zwischen Mutter und Kind
3.1 Fantasien über das imaginäre Kind
3.2 Spracherwerb und kognitive Entwicklung

Schluss

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

1. Einleitung

Postpartale Depressionen zählen zu den häufigsten Komplikationen, die im Wochenbett auftreten. In diesem Zusammenhang interessiert mich besonders die Frage, inwieweit sich postpartale Erkrankungen auf die gemeinsame Beziehung zwischen Mutter und Kind auswirken, und welche Folgen sich hieraus ergeben.

Selbstverständlich kommt auch dem Vater eine große Bedeutung zu, die durchaus eine kompensatorische Funktion erfüllt. Somit kann ein feinfühliger Vater protektiv (bewahrend) auf die kindliche Entwicklung einwirken, indem er mögliche Defizite ausgleicht, die sich durch die mütterliche Depression eingestellt haben.

Eine ausführliche Erläuterung der Bindungstheorie soll mögliche Auswirkungen einer postpartalen Erkrankung auf die Mutter-Kind-Beziehung ersichtlich machen.

Der Mutter-Kind-Interaktion wende ich mich in Kapitel drei zu. Hierbei lege ich meinen Schwerpunkt auf die frühkindliche affektive Phase, die als Grundstock für den weiteren Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind zu betrachten ist.

2. Die Bindungstheorie

Die Bindungstheorie wurde in den 50er-Jahren durch den Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby begründet und in der darauf folgenden Zeit durch die Forschungsarbeiten von Mary Ainsworth empirisch erhärtet (vgl. Spangler/Zimmermann 2002, S. 9). In ihr vereinen sich entwicklungspsychologische, ethologische, systemische und psychoanalytische Denkweisen miteinander. Die Annahmen der Bindungstheorie beschäftigen sich vor allem mit den frühkindlichen Einflüssen, die sich auf die emotionale Entwicklung eines Kindes auswirken können. Hierbei versucht sie, die Entstehung und Veränderung von menschlichen Bindungen im gesamten Lebenskontext zu erklären (vgl. Brisch 2003a, S. 35).

Bowlby erhielt im Zuge seiner Tätigkeit als Kinderpsychiater den Anstoß für seine Theorieentwicklung. Hierbei erkannte er, wie sehr emotionale Traumatisierungen, ausgelöst durch frühkindliche Trennungs- und Verlusterfahrungen, die Entstehung von Verhaltensstörungen begünstigen können. Diese Erkenntnis bestätigte ihn in seiner Überlegung, dass die Entwicklung eines Kindes durch frühe Erfahrungen fundamental beeinflusst wird. Seine damalige These besagte, dass der Säugling von Geburt an über ein biologisch angelegtes Verhaltensrepertoire verfügt, was es ihm ermöglicht, innerhalb des ersten Lebensjahres eine emotionale Beziehung zu seiner primären Bezugsperson aufzubauen (vgl. ebd., S. 31).

Die Bindungstheorie stieß zu damaligen Zeiten auf Ablehnung von Seiten der Psychoanalytiker. Dieses ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Bowlby ein neues Konzept entwickelte, was konträr zur traditionellen Theorie der Trieblehre stand. Diese ging davon aus, dass der Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind vor allem auf die orale Befriedigung während des Stillvorganges zurückzuführen ist. Demgegenüber stand Bowlbys Annahme, dass für die Entstehung von Bindung ein eigenes motivationales System verantwortlich ist (vgl. ebd., S. 32).

Heute zählt die Bindungstheorie zu einer der am besten fundierten Theorien, die sich mit der psychischen Entwicklung des Menschen beschäftigt. Diese Tatsache ist auf ihre zahlreichen empirischen und prospektiven Längsschnittstudien zurückzuführen (vgl. ebd., S. 35). Die hierdurch erlangten Forschungsergebnisse besitzen den Vorteil der Replizierbarkeit, können aber im Gegensatz zur Methode der Psychoanalyse nur einzelne Aspekte der jeweiligen Entwicklung oder Persönlichkeit eines Menschen erfassen. Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass sich die Bindungstheorie über ihre partielle Sichtweise durchaus bewusst ist und betont, dass sie nicht jeden Aspekt der menschlichen Persönlichkeit beleuchten möchte (vgl. Köhler 2003, S. 15). In der Psychoanalyse hat man mittlerweile die Bedeutung der Bindungstheorie erkannt, was die wachsende Zahl gemeinsamer Publikationen verdeutlicht (vgl. Dornes 2002, S. 37). Abschließend kann man sagen, dass das Interesse an der Bindungstheorie in der heutigen Zeit so gegenwärtig ist wie noch nie. Vor allem bindungstheoretische Konzepte und Erklärungsmodelle halten zunehmend Einzug in die praktische Arbeit vor allem im psychosozialen Bereich (vgl. Finger-Trescher/Krebs 2003, S. 7).

2.1 Entwicklungsverlauf von Bindung

Zu Beginn des Lebens ist der Säugling noch allgemein sozial ansprechbar. Seine typischen Verhaltensweisen zeichnen sich durch Lächeln, Brabbeln, Greifen oder die Kontaktsuche mit den Augen aus. In dieser Phase ist das Baby nur sehr begrenzt oder überhaupt nicht dazu in der Lage, verschiedene Personen voneinander zu unterscheiden.

Durch die wachsende Interaktion lernt der Säugling, seine Kommunikationspartner auseinander zuhalten. Er beginnt nun, seine primäre Aufmerksamkeit auf die Mutterfigur zu richten.

Kinder neigen dazu, eine Bindung zu mehreren Bezugspersonen einzugehen. Im Alter von sechs bis sieben Monaten wird ihr Verhalten aber zunehmend kritischer und differenzierter gegenüber den einzelnen Personen, wodurch nicht mehr jeder eine identische Behandlung erfährt. Die einzelnen Bindungsfiguren werden je nach Wichtigkeit in eine Rangordnung einsortiert. Zu Beginn steht immer die primäre Bezugsperson, die in der Regel durch die Mutter verkörpert wird. Das Kind beginnt nun, zielkorrigierte Verhaltenssysteme zu initiieren, mit denen es die Nähe zur Mutter aufrechterhalten kann. Im Zuge dessen vergrößert sich sein Verhaltensrepertoire sowohl durch das Einsetzen des Erkundungstriebes als auch durch das Nachfolgen der weggehenden Mutter und deren Begrüßung.

Bis zum Kindergartenalter entwickelt sich eine komplexere Beziehung zwischen Mutter und Kind, die von Bowlby als „zielkorrigierte Partnerschaft“ beschrieben wird. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind zunehmend Einblicke in die Gefühle und Motive der Bezugsperson gewinnt. Es erwirbt die Fähigkeit, die Ziele und Pläne der Mutter zu verstehen und sein eigenes Handeln danach auszurichten. Auf dieser Grundlage werden seine Verhaltensweisen flexibler und sein bestehendes Weltbild differenziert sich aus, was auf seine wachsende kognitive Fähigkeit und die damit einhergehenden Erfahrungen zurückzuführen ist (vgl. Bowlby 1975, S. 247-249).

2.2 Exploration und sichere Basis

In der Bindungstheorie wird Bindung als ein eigenständiges System angesehen, das dazu dient, Sicherheit und Schutz zu erlangen. Aber ohne das Bedürfnis des Kindes nach Exploration könnte es seine Umwelt nicht erkunden, um in ihr zu existieren. Aufgrund dieser evolutionsbiologischen Überlegungen werden Bindungs- und Explorationsverhalten als komplementäre Systeme angesehen (vgl. http://www.liga-kind.de/pages/401 grossmann.htm, S. 5). Bowlby betrachtet das Erkundungsbedürfnis, neben dem Bindungswunsch des Kindes, als weiteres motivationales System. Diese beiden Systeme stehen in einer wechselseitigen Abhängigkeit zueinander und können somit nie gleichzeitig aktiv sein. Ein Kind kann die nötige Sicherheit für das Explorieren nur erlangen, wenn gleichzeitig die beschützende Nähe zur Mutter hergestellt wird.

Eine sichere Bindung ist somit die Voraussetzung für Neugierde und Erkundungsverhalten, wobei sich der Säugling als effektiv und selbst handelnd erlebt. Das Bedürfnis des Kleinkindes, seine Umwelt zu erkunden, wächst mit zunehmendem Alter. In dieser Phase ist es entscheidend, dass die Mutter dem Erkundungsbedürfnis des Kindes einerseits Raum lässt, aber auf der anderen Seite immer wieder als sichere Basis zur Verfügung steht. Um diese Form der Selbststeuerung zu akzeptieren, die das Kind in Form von Nähe und Distanz vornimmt, bedarf es eines feinfühligen Pflegeverhaltens (siehe Abschnitt 2.4). Sobald das Kind sich sicher gebunden und emotional gehalten fühlt, kann es seiner Neugierde in Form von explorativem Verhalten nachgehen. Bei Gefahr aktiviert sich das Bindungssystem, woraufhin es zu einer Einschränkung des Explorationstriebes kommt. Der Säugling sucht dann den Rückhalt und die Nähe zu seiner Bezugsperson. Aber auch ein übermäßiges Maß an Bindung kann Frustrationen auf Seiten des Kindes hervorrufen, weil ihm hierdurch der nötigte Raum zum Explorieren verweigert wird (vgl. Brisch 2003a, S. 38f.).

Das Explorationsverhalten bildet die Grundlage für die wachsende Aktivität des Kindes. Das sensorische Feld wird durch den Spieltrieb und das Erkundungsverhalten zunehmend erweitert, wodurch das Kind lernt selbstständig zu agieren. Säuglinge richten ihre Aufmerksamkeit auf vertraute Dinge, die sie wieder erkennen. Der Übergang zum Kleinkindalter ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Interesse für die gewohnte Umgebung entwickelt wird, was sich bis zum Kindergartenalter auf die Erkundung fremder und unvertrauter Bereiche ausweitet (vgl. Baacke 1999, S. 140).

2.3 Das innere Arbeitsmodell

Innerhalb des ersten Lebensjahres entwickelt ein Kind individuelle Erwartungen an seine Bezugspersonen, die sich aufgrund gemeinsamer Beziehungs- und Interaktionserfahrungen herausbilden. Hieraus entstehen generalisierte Erwartungshaltungen, die in der Bindungstheorie als „Internale Arbeitsmodelle“ beschrieben werden. Bowlby bezeichnet sie als „Internal Working Models“. Das Kind entwickelt solche inneren Arbeitsmodelle von sich selbst, seinen Bezugspersonen und von seiner sozialen Umwelt (vgl. Grossmann/Grossmann 2005, S. 79).

Arbeitsmodelle haben die Aufgabe, die Ereignisse der realen Welt zu simulieren und somit die Reaktionen der Bezugspersonen vorhersagbar zu machen, wodurch das Kind in die Lage versetzt wird, ihr Verhalten sinnvoll zu beeinflussen (vgl. Fremmer-Bombik 2003, S. 176; vgl. Bowlby 2002, S. 23). Aufgrund dieser Modellvorstellungen erhält es die emotionale Sicherheit, dass es in Gefahrensituationen seine Bezugspersonen aufsuchen kann, die verfügbar sind und auf seine individuellen Bindungsbedürfnisse eingehen. Hierbei ist zu bemerken, dass jede einzelne Pflegeperson ein individuelles inneres Arbeitsmodell erstellt bekommt (vgl. Brisch 2003a, S. 37).

Kinder deren Bindungspersonen in den ersten Lebensjahren emotional und körperlich verfügbar waren, entwickeln positive Arbeitsmodelle gegenüber ihrer Umwelt. Sie übertragen diese adäquaten Erfahrungen in ihr Selbst und entwickeln demzufolge das Bild einer liebenswürdigen Person von sich, die es verdient hat, bei Gefahr Hilfe zu erlangen (vgl. Minde 2002, S. 361). Die Entwicklung von Arbeitsmodellen kann aber auch in eine gegensätzliche Richtung verlaufen. In diesem Fall werden die Eltern das Bindungsverhalten ihres Kindes konsequent ignorieren oder ablehnen, was Abwehrmechanismen in Gang setzt und den Aufbau von adäquaten Arbeitsmodellen verhindert (vgl. Bretherton 2002, S. 17). „Wie das Individuum künftige Ereignisse und Situationen bewertet, Handlungspläne konstruiert und durchführt, hängt entscheidend von seinen ‘inneren Arbeitsmodellen’ ab„ (zit. n. Hedervari-Heller 2003, S. 117).

Ein Arbeitsmodell gestaltet sich zu Beginn noch flexibel, wird aber im Laufe der kindlichen Entwicklung zunehmend stabiler, bis es sich zu einer psychischen Repräsentanz entwickelt, der so genannten „Bindungsrepräsentanz“. Die unterschiedlichen Repräsentationen und Arbeitsmodelle können teilweise bewusst als auch unbewusst sein. Es ist anzunehmen, dass eine sichere Bindungsrepräsentation einen entscheidenden Beitrag zur psychischen Stabilität leistet. Sowohl bedeutungsvolle Erfahrungen mit Bindungspersonen als auch einschneidende Erlebnisse wie Traumatisierungen oder Verluste können die Repräsentation in eine sichere oder unsichere Bindungsrichtung umgestalten (vgl. Brisch 2003a, S. 37). Mary Main u.a. (1985) gehen davon aus, dass innere Arbeitsmodelle aktive Konstruktionen sind, die sich zu jedem Zeitpunkt neu gestalten lassen. Jedoch ist eine solche Umstrukturierung oftmals durch erhebliche Schwierigkeiten gekennzeichnet, weil bereits bestehende und organisierte Modelle dazu neigen, auch unbewusst zu wirken und selbst drastischen Veränderungen zu widerstehen (vgl. Fremmer-Bombik 2002, S. 110f.).

2.4 Konzept der Feinfühligkeit

Ein feinfühliges Pflegeverhalten bildet eine wesentliche Grundlage für die Qualität der Bindung, die im ersten Lebensjahr beim Säugling entsteht. Mary Ainsworth (1978) entwickelte durch ihre Forschungsarbeiten das „Konzept der Feinfühligkeit“. Hierfür studierte sie in Uganda und Baltimore das Pflege- und Interaktionsverhalten von Müttern und ihren Säuglingen. Im Anschluss daran bestimmte sie anhand von einer standardisierten Untersuchung zum Trennungsverhalten, der so genannten „Fremden Situation“ (siehe Abschnitt 2.5), die Bindungsqualität dieser Kinder. Durch die daraus entstandenen Befunde erkannte sie, dass Kinder von feinfühligeren Müttern in der „Fremden Situation“ ein Verhalten zeigten, was auf eine sichere Bindung schließen ließ. Wohingegen Kinder, die ein unsicheres Bindungsverhalten aufwiesen, eher unfeinfühlige Mütter hatten, die auf ihre Bedürfnisse nicht oder nur unzureichend eingingen.

Nach Ainsworth (1977) muss eine Mutter dazu in der Lage sein, die Signale ihres Kindes wahrzunehmen, um feinfühlig auf seine Bedürfnisse reagieren zu können. Um dieses zu gewährleisten, muss sie für die Mitteilungen des Kindes zugänglich sein. Demzufolge kann eine Beschäftigung mit ihren eigenen Problemen zu einer Verzögerung der einfühlsamen Wahrnehmung führen. Entscheidend ist, dass sie die kindlichen Signale richtig interpretiert und angemessen darauf reagiert. Eine Gefahr besteht darin, durch eigene Bedürfnisse sowie Projektionen dieser Bedürfnisse, die Zeichen des Säuglings falsch zu deuten oder zu verzerren (vgl. Brisch 2003a, S. 40f.). Eine angemessene Reaktion auf die kindlichen Signale bedeutet, dass die Mutter dem Säugling gibt, was er in der momentanen Situation benötigt. Sie muss ein Gespür dafür entwickeln, ob ihr Baby eher beruhigt werden will, weil sein Bindungssystem aktiviert ist oder ob es Anregungen benötigt, die seinem Explorationstrieb entsprechen. Abschließend ist eine prompte Reaktion auf die Bedürfnisse und Signale des Kindes sehr wichtig. Ein Säugling besitzt nur eine sehr geringe Gedächtnisspanne und kann somit nur unverzügliche Antworten positiv bewerten und sie mit seinen eigenen Signalen in Verbindung bringen. Durch das feinfühlige Verhalten der Mutter wird dem Kind ein Gefühl der Tüchtigkeit und sozialen Kompetenz vermittelt (vgl. Grossmann/Grossmann 2005, S. 120).

Einige Eltern ignorieren die Mitteilungen ihres Kindes absichtlich, um es nicht zu „verwöhnen“. Dies setzt eine Frustrationstoleranz beim Säugling voraus, die zu Beginn noch nicht gegeben ist. Erst im Laufe des ersten Lebensjahres verlängert sich diese Zeitspanne zusehends.

Feinfühligkeit unterscheidet sich erheblich von Überbehütung. Der Unterschied besteht darin, dass Kinder feinfühliger Bezugspersonen in ihrer Kommunikationsfähigkeit und Selbstständigkeit unterstützt werden. Diese Kinder können einerseits ihren Spiel- und Explorationstrieb ausleben und haben andererseits die Möglichkeit, in Gefahrensituationen Trost und Unterstützung zu finden, indem sie die Mutter als Sicherheitsbasis nutzen (vgl. Brisch 2003a, S. 42).

Ist das Bindungssystem eines Kindes aktiviert, muss die Mutter angemessen darauf reagieren, um es wieder zu beruhigen. Eine feinfühlige Mutter nimmt die Gefühle und Bedürfnisse ihres Säuglings wahr und beantwortet sie in einer beruhigenden Weise. Gelingt es dem Säugling nicht, der Mutter seine negativen Gefühle zu vermitteln, so können Zurückgezogenheit, Resignation oder sogar Depressionen die Folge sein (vgl. Grossmann/Grossmann 2005, S. 130).

In zahlreichen Studien fand man einen signifikanten Zusammenhang zwischen der mütterlichen Feinfühligkeit und einem positiven Entwicklungsverlauf des Kindes, der sich in einer sicheren Bindung äußert. Feinfühlig gebundene Kinder bilden eine Gewissheit aus, dass ihre Mutter uneingeschränkt verfügbar und zugänglich ist. Zudem zeigen sie in Interaktionssequenzen weniger Aggressionen oder Ängstlichkeiten und benutzten ihre Mutter während ihrer Explorationsphasen als sichere Basis. Demgegenüber stehen Kinder unfeinfühliger Mütter, die sich entweder durch eine extreme Unabhängigkeit auszeichnen, die sich oft mit Sequenzen des Ärgers vermischt oder durch ein sehr unzufriedenes und ängstliches Verhalten. Diese Kinder verspüren nur einen geringen Drang ihre Umwelt zu erforschen und haben vermehrt unsichere Bindungsmuster ausgebildet (vgl. ebd., S. 123f.).

2.5 Konzept der kindlichen Bindungsqualität „Fremde Situation“

Die von Ainsworth und Witting (1978) entwickelte „Fremde Situation“ („strange situation“) ist ein standardisiertes Testverfahren, mit dessen Hilfe die Bindungsqualität bei Kindern im Alter von ein bis zwei Jahren untersucht wird. Auf dieser Grundlage lässt sich das innere Arbeitsmodell erkennen, welches ein Kind von seiner Bezugsperson erstellt hat. Die „Fremde Situation“ wurde mittlerweile weltweit angewandt und hat sich als valides und reliables Instrument erwiesen (vgl. Brisch 2003a, S. 44).

In Nachfolgeuntersuchungen beobachtete man erneut die Mutter-Kind-Interaktion und verglich die daraus gewonnen Resultate mit der „Fremden Situation“. In diesem Zusammenhang konnten die Ergebnisse von Ainsworth bestätigt werden, auch wenn die Signifikanz weniger beeindruckend war (vgl. Main 2002, S. 122).

Die Untersuchung der „Fremden Situation“ erfolgt in einem mit Spielzeug attraktiv ausgestatteten Raum, mit dem weder Mutter noch Kind vertraut sind. Im weiteren Verlauf trennt sich die Mutter zweimal für kurze Sequenzen von ihrem Kind. Hierdurch soll das Bindungssystem des Säuglings aktiviert und somit sichtbar gemacht werden, damit auf dieser Grundlage eine verlässliche Aussage über das kindliche Bindungsverhalten erstellt werden kann (vgl. Brisch 2003a, S. 44). Im Verlauf der „Fremden Situation“ wurden vor allem drei Verhaltensaspekte beim Kind beobachtet. Es wurde danach geschaut, inwieweit das Kind seine Mutter als sicherere Basis nutzte, um seine Umgebung zu erkunden und in welcher Weise es auf die fremde Person reagierte. Zudem beobachtete man die kindliche Reaktion während der Trennungsphase und bei der Rückkehr der Mutter (vgl. Ainsworth/Witting 2003, S. 112).

Mary Ainsworth hat anhand der Beobachtungen in der „Fremden Situation“ verschiedene Verhaltensmuster bei den Kindern erkennen können, die sie in drei unterschiedliche Klassifikationen der Bindungsqualität eingeteilt hat.

[...]

Fin de l'extrait de 35 pages

Résumé des informations

Titre
Die Bindungstheorie. Auswirkungen einer postpartalen Erkrankung auf die Mutter-Kind-Beziehung
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
35
N° de catalogue
V280831
ISBN (ebook)
9783656741763
ISBN (Livre)
9783656907435
Taille d'un fichier
495 KB
Langue
allemand
Mots clés
bindungstheorie, auswirkungen, erkrankung, mutter-kind-beziehung
Citation du texte
Diplom- Sozialpädagogin Stephanie Herrmann (Auteur), 2006, Die Bindungstheorie. Auswirkungen einer postpartalen Erkrankung auf die Mutter-Kind-Beziehung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280831

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