Der Konflikt von Aberglaube, technischem Fortschritt und Tradition zwischen Hauke Haien und seinen Mitmenschen in Theodor Storms "Der Schimmelreiter"


Trabajo Escrito, 2003

16 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhalt

A. Einleitung: „Der Schimmelreiter“ in Bezug auf das Jahrhundert der Aufklärung

B. Technische Innovation
B. Ι. Der Ausnahmemensch Hauke Haien
B. ΙΙ. Konfliktursachen zwischen Tradition und Innovation
B. ΙΙ. 1. Unwissenheit, Trägheit, Neid und Angst vor dem Innovativen
B. ΙΙ. 2. Das gestörte Sozialverhältnis zwischen dem Einzelgänger und der Masse

C. Der Aberglaube
C. Ι. Konflikt zwischen zwei divergierenden Weltanschauungen
C. Ι. 1. Konfrontation der Rationalität mit dem Irrationalen
C. Ι. 2. Zwei alternative Erzählperspektiven
C. Ι. 3. Traditionelle Bräuche
C. ΙΙ. Der Aberglaube als Erklärungsversuch des Unfassbaren
C. ΙΙΙ. Der Aberglaube als Mittel zur Verschwörung
C. ΙV. Haukes Verhältnis zum Aberglauben
C. V. Die Eskalation des Aberglaubens und der Untergang des Technikers

D. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

A. Einleitung: „Der Schimmelreiter“ in Bezug auf das Jahrhundert der Aufklärung

Zwei Erscheinungen des 18.Jhs. spiegeln sich in der Verbindung der rationalen berechnenden Weltsicht des Technikers Hauke Haien und dem suggestiven mystischen Aberglauben der Dorfbewohner in Storms Novelle „Der Schimmelreiter“. Das Jahrhundert der Aufklärung, in dem die Naturwissenschaften und die Technik ihren ersten Höhepunkt durch die Instrumentalisierung der Vernunft erreichten, brachte ebenso eine wahre Bewegung des Irrationalismus hervor, geprägt von einer spekulativen metaphysischen Weltanschauung.[1]

Die aufgeklärte Mentalität von Hauke Haien repräsentiert die geistige Orientierung der Naturwissenschaftler hin zu einer mathematischen Entschlüsselung und der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden technischen Beherrschung der Umwelt unter völligem Ausschluss des Glaubens und der Mystik, des rational Unfassbaren und der Metaphysik[2].

In der folgenden Analyse der Novelle soll verdeutlicht werden, wie sich der auftretende Konflikt zwischen technischem Fortschritt und Tradition, zwischen dem revolutionären Rationalisten Hauke Haien und dem kollektiven Irrationalismus und Aberglauben seiner Mitmenschen zu einem Störfaktor des sozialen Friedens entwickelt und in Haukes Märtyrertod seinen dramatischen Höhepunkt erreicht.

B. Technische Innovation

B. Ι. Der Ausnahmemensch Hauke Haien

Hauke findet bereits als Knabe in der Arbeit seines Vaters seine Erfüllung. Das nötige Hintergrundwissen, mit dem er sein rechnerisches Talent voll ausschöpfen kann, erwirbt Hauke autodidaktisch in den mathematischen Schriften des Euklid[3], nachdem er die gesetzmäßig allgemeingültigen mathematischen Formeln die sein Vater benutzt nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern sich fragt „warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte [...] nicht anders sein könne“ um dann „eine eigene Meinung darüber“(9) aufzustellen. Seine kritischen Auseinandersetzungen mit den Rechenarbeiten seines Vaters weisen bereits darauf hin dass Hauke sich entscheidet traditionelle Werte oder festgelegte Gesetzte in Frage zu stellen um mit rational-logischen Reflexionen auf innovative Alternativen zu stoßen.

Durch intensive Naturbeobachtungen, Berechnungen (11;13) und experimentelle Modellbauten aus Kleierde entwirft Hauke ein revolutionäres Deichprofil, da die herkömmlichen Deiche nach seiner Einschätzung „nichts wert“(12) und untauglich sind. „Die Wasserseite ist zu steil“(12): Er erkennt dass die auf Verteidigung ausgerichteten Deiche einer Flut nicht standhalten. Hauke sieht im Gegensatz dazu die einzige Alternative in einem zum Meer hin abgeflachten Profil. Er „zeichnete, ohne aufzusehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft, als ob er dem Deiche damit einen sanfteren Abfall geben wollte“ (12) und korrigierte die „traditionellen Stackdeiche“[4] zu einer innovativen Deichkonstruktion. Hauke nimmt die althergebrachte Praxis der Deichkonstruktion, anders als der Großteil der traditionsgebundenen Dorfbewohner, nicht als gegeben hin, sondern nimmt ihre Tauglichkeit und ihren Nutzen für die Gemeinde in Revision.

Die Figur Hauke Haien repräsentiert den neuen Bildungstypen des sich anbahnenden industriellen Zeitalters, den Ingenieur und Techniker. Die technische Hochentwicklung postuliert ein neuartiges wissenschaftliches Denken, basierend auf Verstand, empirischer Erfahrung und Beobachtung, um die herrschende Weltanschauung einer mathematisch berechenbaren, kontrollier- und beherrschbaren Umwelt unter Beweis zu stellen. „Technische Rationalität ist für Hauke Haien kein Denkmodell mehr, sondern schon Lebens- und Weltanschauung“[5]. Somit erscheint der elitäre Deichbautechniker als „Protagonist des technisch-wissenschaftlichen Zeitalters“[6].

B. ΙΙ. Konfliktursachen zwischen Tradition und Innovation

B. ΙΙ. 1. Unwissenheit, Trägheit, Neid und Angst vor dem Innovativen

Die revolutionären Ideen des Hauke Haien stoßen schnell auf den Widerstand der Mehrheit der Dorfbewohner. Den durchschnittlichen Marschbauer im „Schimmelreiter“ charakterisiert eine dumpfe „Trägheit“ (89), welche sich in der Figur des alten Deichgrafen Tede Volkerts am deutlichsten widerspiegelt. Der bisherige „Deichgevollmächtigte“(88) beharrte auf seiner Hoffnung, dass die veralteten Deiche halten werden, verließ sich auf das altbewährte traditionelle Profil und verdrängte die Möglichkeit einer größeren Sturmflut, um in seinem hohen Alter seine Direktion nicht in Frage stellen zu müssen.

Der Faulheit der Arbeiter kam diese von mangelndem Sachverstand und Trägheit ausgezeichnete Einstellung von Tede Volkerts sehr entgegen. Als seinem Kleinknecht gelingt es Hauke, dem „alten Schlendrian“(34) seine Versäumnisse in Sachen Deichverwaltung vor Augen zu führen oder selbst in die Hand zu nehmen. Ausgehend vom Großknecht Ole Peters regt sich der erste Widerwille gegen den „lebhafteren Geschäftsgang“(34) unter Hauke Haien, der die faulen säumigen Arbeiter mit seiner rigorosen Pflichterfüllung der Deichgrafengeschäfte aus ihrer Lethargie reißt.

Hauke Haiens neustes Deichbaukonzept löst dann die größte Unruhe bei der Mehrheit der Dorfbewohner aus. Die ersten Proteste gegen die neue Deichbaupraxis sind überwiegend prinzipieller Art. Sie wollen erstens einen Zeitmangel wegen der bevorstehenden “Frühlinsarbeit“ erkennen, zweitens einen Mangel an „Material“(88) für das breite Profil. Außerdem kritisieren sie, mangels eigenem Sachverstandes, den grundlegend neuen Umriss, denn „der Deich soll ja nicht höher werden als der alte“(88).

Ein neuer Widerstand regt sich, als Hauke Haien den Plan über die Kosten- und Arbeitsverteilung bekannt gibt. Nur die Vernünftigsten unterwarfen „sich nach ruhiger Überlegung den billigen Ansätzen ihres Deichgrafen“(93). Für manche ist der Preis und der körperliche und zeitliche Aufwand, die man für die innovative Konstruktion aufbringen müsse, ein zu großes Opfer. Einige stellen die Rentabilität des Unternehmens in Frage und wollen wegen des hohen Kostenaufwandes kein Risiko eingehen(93f), obwohl Haukes Berechnungen darauf verweisen, dass die zukünftigen Erträge des neuen Kooges die Herstellungskosten übertreffen werden. Andere zweifeln wegen ihres mangelnden Vertrauens Hauke gegenüber und ihrer eigenen Unwissenheit an der Performanz des Deiches.

Aus der bereits erwähnten traditionsverhafteten, statischen Perspektive heraus betrachtet, bringen viele für Haukes aufwendige Vorhaben kein Verständnis auf. Während sie sich auf der Vergangenheit ausruhen, in der Gegenwart und in naher Zukunft ihren Pflichten nachgehen, wagt außer Hauke keiner die Vorausschau in Bezug auf die Entwicklung im Laufe der nächsten hundert Jahre. In der „unnützen Arbeit“(88) sehen sie, außer den paar Demat Landgewinn keinen immanenten individuellen Vorteil und verwerfen somit eine geniale neue Idee, die sich eher für die kommenden Generationen auszahlen wird. Sein größter Widersacher Ole Peters gönnt Hauke die neugewonnenen trockengelegten Weideflächen und die damit verbundenen Erträge nicht weil er nun mit Neid ansehen muss wie der Landbesitz des mächtigsten Mannes im Dorfe sich immer weiter ausdehnt, unter anderem jedoch weil er selbst Hauke seine Anteile zuvor in einer Notlage verkauft hatte.

Es sind allesamt Symptome der Angst vor dem Innovativen und dem daraus resultierenden Verlust des Altbewährten, es sind zudem Reaktionen des Stolzes der Dorfbewohner, die sich weigern, die tatsächlich vorhandenen Schwachstellen anzuerkennen und ihre Illusion einer Sicherheit und Naturkontrolle aufzugeben, es sind Anzeichen der Angst vor dem Ungewissen und nicht zuletzt Gefühle von Neid auf den zunehmenden Wohlstand des Deichgrafen, den er durch seine technische Innovation erwerben wird.

[...]


[1] Vgl. Irmgard Roebling „Von Menschentragik und wildem Naturgeheimnis“ S.184-186

[2] ebd

[3] Vgl. S 10 in Theodor Storm „Der Schimmelreiter“ Philipp Reclam jun. Stuttgart 2001. Die Seitenzahlen der zitierten Stellen aus dem behandelten Text werden in Klammern hinter dem Zitat auffgeführt.

[4] Zimorski, Walter: Theodor Storm, Der Schimmelreiter (1988). S. 43

[5] Harro Segeberg: Literarische Technik-Bilder. S.92

[6] Wolfgang Frühwald: Hauke Haien, der Rechner. Mythos und Technikglaube S.447

Final del extracto de 16 páginas

Detalles

Título
Der Konflikt von Aberglaube, technischem Fortschritt und Tradition zwischen Hauke Haien und seinen Mitmenschen in Theodor Storms "Der Schimmelreiter"
Universidad
University of Cologne
Calificación
2,0
Autor
Año
2003
Páginas
16
No. de catálogo
V280907
ISBN (Ebook)
9783656747772
ISBN (Libro)
9783656747758
Tamaño de fichero
523 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
konflikt, aberglaube, fortschritt, tradition, hauke, haien, mitmenschen, theodor, storms, schimmelreiter
Citar trabajo
Dario Corradini (Autor), 2003, Der Konflikt von Aberglaube, technischem Fortschritt und Tradition zwischen Hauke Haien und seinen Mitmenschen in Theodor Storms "Der Schimmelreiter", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280907

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