Einleitung
Seit der italienischen Renaissance wurde Melancholie oft mit Genialität in Verbindung gebracht. Für bestimmte Berufsgruppen galt sie als ein Markenzeichen, welches für schöpferischen Geist und Kreativität stand. "Die Selbststilisierung als melancholisches Saturnkind gehört[e] in der Künstler-, Dichter- und Gelehrtenwelt zum guten Ton" (M. Müller, 592). Melancholie erst schien der Motor zu sein, der beim Genie Kreativität freisetzen konnte. In der Literaturwissenschaft war es lange Zeit Konsens, dass es dem Faust des Volksbuchs an dieser Genialität mangelte. Dies war auch einer der Hauptgründe, weshalb die ′Historia′ in Forscherkreisen als nicht besonders ′gut′ galt. "Man vermißte am Faust des Volksbuches das Zeichen jener tragischen Größe, die spätere Generationen in ihm verkörpert sahen, man verübelte es dem Autor, daß er aus kleinlichen religiösen Gründen, wie man meinte, Fausts Paktmotive, den Wissensdrang und Forscherehrgeiz, so einseitig negativ beurteilte, und machte ihm also zum Vorwurf, daß seine Auffassung und Gestaltung des Faustthemas in keiner Weise dem entspricht, was wir heute an Vorstellungen, Ideen und Problemen mit diesem Thema zu verknüpfen gewohnt sind" (Könnecker, 161). Welches sind aber die spezifischen Merkmale eines genialen Menschen? Genies fühlen sich meistens auf Grund ihrer außergewöhnlichen Begabung von ihrer Umwelt unverstanden. Sie leiden unter starken Gefühlsschwankungen. Seit der Romantik, besonders seit Schopenhauer heißt es, dass Genialität und Wahnsinn oft nahe beieinander liegen. Oft wird ihnen Einzelgängertum und – damit verknüpft - der Hang zu Alkohol und Drogen nachgesagt. Beleuchet man in diesem Zusammenhang den Lebensstil Fausts, zeigen sich deutliche Parallelen:
Zum einen charakterisiert Fausts Leben das "Motiv der sozialen Bindungslosigkeit" (M. Müller, 592): Als eines Bauwern Sohn geboren, wird er zur Erziehung einem reichen Vetter übergeben und siedelt ins städtische Milieu nach Wittenberg um – an den Ort, an dem auch der geniale Melancholiker Hamlet seine Studienzeit verbrachte. Fausts gelerniger und geschwinder Kopff, die Leichtigkeit, mit der er sein Theologie-Studium bewältigt und als Bester abschließt (Vgl. 14, 13-19), scheinen diese Maßnahme des ′Verpflanzens′ zu rechtfertigen. Dennoch wirkt Faust entwurzelt, weil er nirgendwo wirklich hingehört. Er passt auf der einen Seite als sozialer Aussteiger nicht mehr zum Bauernstand.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Faust präsentiert sich zu Beginn der 'Historia' als respektloser Renaissancetyp
- Fausts Lebensstil: Von der sozialen Bindungslosigkeit zum Pakt mit dem Teufel
- Warum scheitert Faust?
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieses wissenschaftliche Essay untersucht die Rolle der Melancholie im Kontext der 'Historia von D. Johann Fausten'. Es analysiert die literarische Funktion und Darstellung der Melancholie im Werk und beleuchtet, wie Fausts Gemütszustand mit seiner Genialität und seinen Bestrebungen nach Wissen und Macht verbunden ist.
- Die Verbindung von Melancholie und Genialität im Werk
- Fausts respektlose Haltung gegenüber der traditionellen Religion und seine Suche nach eigenem Erkenntnisweg
- Die Rolle von Fausts Wissensdurst und Curiositas in seinem Pakt mit dem Teufel
- Die Auswirkungen von Fausts Melancholie auf seine Lebensweise und seinen Umgang mit der Welt
- Die Frage, ob Faust aus seiner Melancholie schöpferische Kraft gewinnen kann
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in das Thema der Melancholie in der 'Historia von D. Johann Fausten' ein. Sie beleuchtet die Verbindung von Melancholie und Genialität in der Renaissance und stellt die traditionelle Sicht auf Fausts Charakter in Frage.
Faust präsentiert sich zu Beginn der 'Historia' als respektloser Renaissancetyp
Dieses Kapitel beschreibt Fausts respektlose Haltung gegenüber der traditionellen Religion und seinen Drang, sich Wissen und Erkenntnis anzueignen. Er hinterfragt die Autorität der Kirche und sucht nach eigenem Zugang zu Wissen.
Fausts Lebensstil: Von der sozialen Bindungslosigkeit zum Pakt mit dem Teufel
Dieser Abschnitt analysiert Fausts Lebensstil und seine soziale Bindungslosigkeit. Er zeigt, wie Fausts Melancholie und sein Wissensdurst ihn zu einem Außenseiter machen und letztendlich zum Pakt mit dem Teufel führen.
- Arbeit zitieren
- Hadwig-Maria Kuhn (Autor:in), 2002, Spekulationischer Geist und zweifelhaftes Gemüt. Zur Beschreibung und Funktion der Melancholie in der 'Historia von D. Johann Fausten', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28120